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Atom- und Strahlenterrorismus: Reale Option oder eingebildete Gefahr?

von Alexander B. Koldobskij

Kurzfassung

◄ Die richtige Einschätzung der Gefahren von technologischem Terrorismus, der den Mord an möglichst vielen Menschen unter Verursachung spektakulärer Schäden zum Ziel hat, ist Grundvoraussetzung für die Beschäftigung mit diesem Phänomen und sollte die Angelegenheit von Naturwissenschaftlern sein, was viele Politiker und Journalisten übersehen, wenn sie sich unfundiert über die physikalischtechnischen Probleme des Atom- und Strahlenterrorismus auslassen. Natürlich sind Atom- oder Strahlenterrorismus nicht grundsätzlich auszuschließen, weil es eben Nuklearwaffen und Terroristen gibt, doch sollte eine realistische Beurteilung dieser Gefahren Platz greifen.

Ohne in ausreichender Menge vorhandenem spaltbaren Material, mit dem man eine erzwungene, explosionsartige Kettenreaktion auslösen kann, ist kein Atomsprengsatz herstellbar; dieses Material kann nur aus einigen Isotopen von Elementen mit einer hohen Nummer im Periodensystem gewonnen werden. Aus Brennstoff für Leistungsreaktoren bzw. Elementen, die unter dem Uran im Periodensystem stehen, lässt sich aus physikalischen Gründen kein Atomsprengsatz herstellen, und die Verwendung von so genannten Transplutonium-Elementen kommt wegen der Schwierigkeiten bei ihrer Gewinnung selbst für die Rüstungsindustrien technologisch fortschrittlicher Länder nicht in Frage.

Lediglich Uran-235 und Plutonium-239 in waffenfähiger Reinheit (mindestens 90 bzw. 94%) eignen sich realistischerweise für den Bau eines Sprengsatzes. Für das Funktionsprinzip einer Atombombe ist die so genannte "kritische Masse" ausschlaggebend, die entweder durch eine Erhöhung der Masse des spaltbaren Materials bei unveränderter Dichte oder durch Zunahme der Dichte bei unveränderter Masse erreicht werden kann. Beim "Kanonentyp" wird dabei eine unterkritische Masse wie eine Ladung in eine andere geschossen, wodurch der Zustand überkritisch wird, bei Implosionsladungen wird dieser Zustand durch die Explosion eines chemischen Sprengstoffs erreicht, der um eine Kugel unterkritischer Masse angeordnet ist.

Aus Plutonium-239 lässt sich keine Bombe vom Kanonentyp herstellen, weil die Kettenreaktion zu frühzeitig einsetzt, um mehr als einen "Knall" zu produzieren. Bei der Verwendung von Reaktor-Plutonium ist wegen der Anwesenheit unerwünschter Isotopen die kritische Masse mehr als doppelt so hoch; eine Implosionsladung kommt wegen der hohen Temperaturen des spaltbaren Materials nicht in Frage. Prinzipiell ließe sich aus Reaktor-Plutonium ein Kernsprengsatz herstellen, doch ist der technische und damit finanzielle Aufwand so groß, dass ihn selbst die Atommächte scheuen. Eine Miniaturisierung von Kernsprengsätzen auf die Größe weniger Gramm Plutonium-239 stößt an die Grenzen, dass man mittels Sprengstoff die notwendige Verdichtung nicht herstellen kann. Bei Uran-235 sind die benötigte Menge sowie die Komplexität der Anreicherung die Haupthindernisse.

Der Raub oder illegale Erwerb eines Kernsprengsatzes stellt für Terroristen ebenfalls keinen Ausweg dar, weil die Sicherheitsvorkehrungen ein unüberwindbares Hindernis darstellen, und selbst bei Zerlegung eines Sprengkopfes ein Zusammenbau eines funktionsfähigen anderen durch Terroristen ausgeschlossen werden kann. Auf Grund dieser Schwierigkeiten ist nicht anzunehmen, dass Staaten wie Nordkorea oder der Irak tatsächlich über die Atombombe verfügen oder in absehbarer Zukunft verfügen werden. Bleibt als letzte Bedrohung durch Atomterrorismus der Einsatz einer so genannten "schmutzigen" Bombe, die unter Verwendung konventionellen Sprengstoffs und schwach radioaktiver Materialien eine gewisse Kontamination erzeugen könnte. Obwohl technisch realisierbar wäre ein solches Schema allerdings nicht sehr effektiv. ►


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Atom- und Strahlenterrorismus: Reale Option oder eingebildete Gefahr?

Anmerkungen eines russischen Atomphysikers

Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 in New York und Washington ist klar, dass im Falle des technologischen Terrorismus (mit Atom- und Strahlenterrorismus als Varianten davon) aus hypothetischen Modellen und denkbaren Szenarien Realität geworden ist. Dabei wurde vollkommen offensichtlich, dass die für ihn charakteristischen gewaltigen Menschenopfer und riesigen Sachschäden für Technologie-Terroristen keinerlei sittliches, ethnisches oder moralisches Hindernis sind. Es zeigte sich auch eine weitere wichtige Besonderheit des technologischen Terrorismus, die zu einem hohen Grad unerwartet kam und sehr gefährlich ist: Das ist die scheinbare Motivlosigkeit, d.h. das Fehlen von irgendwelchen konkreten politischen, ökonomischen oder anderen Forderungen irgendeiner Person oder Organisation. Das kann auch weiterhin so bleiben. In Zukunft ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Terroristen völlig unerfüllbare Forderungen präsentieren. Das wäre allerdings nur eine andere Form der Motivlosigkeit.

Die möglichen Motive der technologischen Terroristen richten sich nur auf ein Ziel: Mord an möglichst vielen Menschen, verbunden mit möglichst spektakulären Schäden unter Einsatz der modernsten technischen Errungenschaften der heutigen Zivilisation. Diese Ausgangsposition scheint irrational zu sein, doch muss man sich ihr angesichts der gerechtfertigten und konkreten Forderungen der Gesellschaft - Bekämpfung des technologischen Terrorismus mit größtmöglicher Effektivität unter Verzicht auf eine allzu intensive Befassung mit den Antriebsmotiven der Terroristen (wenn es solche denn gibt) - stellen.

Das bedeutet, dass die derzeit modischen Diskussionen über einen "Clash of Civilizations", einen Zusammenstoß der Religionen, die "Goldene Milliarde", die geopolitischen und militärischen Kombinationen der Verbündeten in der "Antiterror-Koalition" usw. bei der Untersuchung des Problems der Abwehr von technologischem Terrorismus wenig nützlich sind. Die verschwommenen Schlüsse und Empfehlungen auf Grund der Diskussionen zu den erwähnten Forderungen der Gesellschaft nach Erreichung eines annehmbaren Sicherheitsstandards sind allzu inadäquat: Wenn ein Schiff sinkt, ist es natürlich wichtig zu klären, warum das geschieht; doch zuerst sollten die Passagiere und die Besatzung gerettet werden.

Das Erste, das für den effektiven Aufbau einer Abwehr des technologischen Terrorismus nötig ist, ist eine effektive Einschätzung des Wesens und der Bedeutung der Bedrohungen einerseits und die Möglichkeiten der Gesellschaft andererseits. Eine solche Einschätzung ist zuerst ein ingenieurtechnisches Problem, und man kann es seinem Wesen nach methodisch nicht auf der Grundlage von allgemeinen humanitären Überlegungen, spekulativen Annahmen und unwahrscheinlichen Vorschlägen lösen.

Der Verfasser lehnt die Teilnahme von Geisteswissenschaftlern an der Entwicklung von Konzepten zur Abwehr von technologischem Terrorismus wie auch von praktischen Maßnahmen zu ihrer Umsetzung keineswegs ab. Das ist in der Tat ein sehr komplexes Problem, und an ihm müssen sowohl Geisteswissenschaftler als auch Ingenieure koordiniert arbeiten. Das kann aber nur bei einer klaren Abgrenzung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche erfolgreich sein; jeder muss sich mit seinem Fachgebiet befassen. Allerdings sprechen viele Politiker und Journalisten, die von Naturwissenschaften und Technik sehr weit entfernt sind, erstaunlich selbstsicher über physikalischtechnische Probleme des Terrorismus (und auch des Atom- und Strahlenterrorismus), ohne das geringste Verständnis dafür erkennen zu lassen. Das äußert sich in einer großen Anzahl von Stellungnahmen und Publikationen, die von Unkenntnis in physikalischen, technischen und systemischen Aspekten nur so strotzen und jeden Ingenieur zur Verzweiflung bringen. Und das ist spätestens seit dem 11.9.2001 nicht mehr lächerlich.

Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten

Die Probleme beginnen bereits mit den oft zu hörenden Aufrufen und Forderungen, dass dieses oder jenes "nicht zugelassen" oder "verhindert" werden müsse. Das ist für Ingenieure und Technikspezialisten zu kategorisch. Natürlich geht es nicht darum, dass sie sich damit gegenüber unvorhergesehenen Vorfällen in der Zukunft im Vorhinein absichern wollen. Nur liegt der Sinn ihres Ansatzes (und der Praxis) in der Übertragung des Problems in den Bereich kontinuierlicher Entscheidungen, wo der Platz der eindeutigen und entschiedenen, aber im gegebenen Fall wenig produktiven qualitativen Ja/Nein-Alternativen von quantitativen Methoden der Theorie der Entscheidungsfindung und der Wahrscheinlichkeitsanalyse besetzt wird. Daraus sind bereits zwei grundlegende Folgerungen abzuleiten: Erstens: Erscheinungen sämtlicher Spielarten des Terrorismus - darunter Atom- und Strahlenterrorismus, die eine real existierende Technologie verwenden - sind nicht prinzipiell auszuschließen. Der einfache Grund dafür ist, dass sowohl Atomwaffen und Strahlentechnologien als auch (leider) Terroristen auf der Welt existieren und es keine fundamentalen Naturgesetze gibt, die Atom- und Strahlenterrorismus grundsätzlich unmöglich machen. Folglich ist wissenschaftlich nur die Fragestellung nach der Reduzierung der Wahrscheinlichkeit der Erscheinungen des technologischen Terrorismus korrekt - und nicht mehr als das.

Zweitens stellt sich die Frage, warum gerade Atom- und Strahlenterrorismus in der Gesellschaft so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und potenziell außerordentlich gefährliche Abarten des technologischen Terrorismus auf der Grundlage von chemischen und biologischen Mitteln und Missbrauch von Transportmitteln unvergleichlich weniger Beachtung finden. Andere moderne Technologien, die eher verfügbar sind als Atom- und Strahlungstechnologien, bieten dafür nicht weniger, sondern mehr Möglichkeiten; das zeigte sich gerade am 11.9.2001. Und die übergroße und zeitweise leidenschaftliche Aufmerksamkeit für einen Typ des technologischen Terrorismus ist - zum Schaden der Bekämpfung der anderen Typen - geradezu ein Geschenk an Terroristen.

Technologische Risiken und ihre Verfälschung

Ein quantitatives Maß der Gefahr, die mit individuellen Einflüssen von Umwelt-, technologischen und/oder sozialen Faktoren verbunden ist, ist der Begriff des Risikos. Jede Technologie weist u.a. zwei verbindliche Parameter auf: Grad der Effektivität und Grad des Risikos. Da gibt es keine Ausnahmen: Ein bestimmtes Risiko wohnt grundsätzlich jeder Technologie - sogar der Steinaxt von Höhlenmenschen - inne. Dieser Risikograd - und darunter fallen auch terroristische Handlungen mit Nutzung der jeweiligen Technologie - muss mit einer vernünftigen Wahrscheinlichkeit eingeschätzt werden. Im Falle der Überschreitung einer bestimmten Risikoschwelle wird die Technologie - unabhängig vom Grad ihrer Effektivität - unbrauchbar.

Nun kann man einen wichtigen Systemwiderspruch zwischen der Gesellschaft und technologischen Terroristen formulieren. Die Aufgabe der Gesellschaft ist eine glaubwürdige Bestimmung des Risikogrades einer aussichtsreichen Technologie und (bei Nichtüberschreitung einer bestimmten Grenze) Ergreifung von - im Bedarfsfall - ökonomisch und sozial begründeten Maßnahmen zu seiner Reduzierung. Die Terroristen nutzen nicht nur die bestehenden technologischen Risken im Dienste ihrer Ziele aus und behindern Maßnahmen zu ihrer Reduzierung, sondern bemühen sich (und das ist wesentlich) um die Verfälschung von realen Risikoeinschätzungen in der gesellschaftlichen Perzeption. Dabei ist für die Terroristen zunächst sekundär, ob diese Einschätzungen über- oder untertrieben werden: Ihr Vorteil daraus ist in jedem Falle unzweifelhaft.

An dieser Stelle der Analyse ist eine wichtige einschränkende Anmerkung zu machen: Die Ressourcen der Gesellschaft sind (auch wenn das von vielen Autoren humanitärer Projekte zur Bekämpfung des technologischen Terrorismus ignoriert wird) offensichtlich beschränkt. Wenn dann die Gesellschaft bereit ist, für den Schutz irgendwelcher Technologien vor terroristischer Einwirkung einen bestimmten Teil ihrer Kräfte und Mittel aufzuwenden, dann geht das nur auf Kosten anderer Technologien.

Das Streben von Terroristen zur Verfälschung der Einschätzungen technologischer Risken ist aus ihrer subjektiven Sicht verständlich. Das kann man durch folgendes (zwecks Anschaulichkeit überspitzte) Beispiel illustrieren: Würde man etwa die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die größte potenzielle Gefahr für sie vom Auftauchen menschenfressender Tiger auf den Straßen europäischer Städte ausgeht, würde sie auch von der Politik entsprechende Präventivmaßnahmen verlangen. Diese wären recht teuer, würden aber doch getroffen - schließlich geht es um Wählerstimmen. Damit müsste sich die Polizei auf den Schutz vor Tigern konzentrieren. Da das Staatsbudget aber zwangsläufig beschränkt ist, stünden dann keine Mittel mehr zur Verfügung, um die Bürger vor Taschen- und Autodieben zu schützen. Daher wären die Taschen- und Autodiebe sehr daran interessiert, dass die "Tigergefahr" so akut wie möglich erscheint.

Rahmenbedingungen

Auch sechs Jahre nach dem ersten Beitrag des Verfassers in der ÖMZ über Atom- und Strahlenterrorismus von 1997 bleiben die damals gezogenen Schlussfolgerungen gültig:(Fußnote1/FN1) Atom- und Strahlenterrorismus sind grundsätzlich verschiedene Dinge, und als solche sind sie auch zu behandeln.

Die Bedrohung durch Atomterrorismus - verstanden als Gesamtheit der Absichten und Handlungen einer nichtstaatlichen Organisation, einer Gruppe von Personen oder einzelner Personen zur Verfügbarmachung (d.h. Bau oder Erhalt auf eine andere Weise) eines einsatzfähigen Atomsprengsatzes mit nachfolgendem Einsatz oder der Drohung damit zur Erreichung politischer, sozialer oder anderer Ziele und Absichten - ist verschwindend gering.

Daraus folgt: Der Staat wird bei der Realisierung dieser Ziele ausgeklammert. Er bemüht sich, die Terroristen im für sie günstigsten Fall nicht zu bemerken und verfolgt sie im schlimmsten Fall mit mehr oder weniger großer Hartnäckigkeit und Konsequenz.

Beim Übergang der Untersuchung vom "privaten" zum "staatlichen" Atomterrorismus wandelt sich der Akzent der Analyse stark. Sind im ersten Falle die physikalischtechnischen Aspekte am bedeutendsten, so steigt beim zweiten die Rolle politischer, ökonomischer und sozialer Faktoren, obwohl man natürlich auch hier nicht ohne Physik und Technik auskommt. Einer solchen Analyse muss eine genaue Skizzierung ihres Rahmens vorausgehen. Aber das ist eine nicht einfache und in jedem Fall politische Frage. Sie hat auch mit dem Problem der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen zu tun, aber das ist nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Beitrages.

Die Atombombe ist auch jetzt (sogar in kleinen Serien und sogar in einzelnen Mustern) eine "Waffe des Starken", die nicht nur Terroristen als einer Gruppe von Personen, sondern auch der großen Mehrheit der Staaten unzugänglich bleibt. Demgegenüber wäre Strahlenterrorismus eine "Waffe der Schwachen" mit einem relativ hohen Grad an Zugänglichkeit und einer potenziell erheblichen Wirkung. Der wichtigste negative Faktor im Falle einer terroristischen Strahlenattacke wäre jedoch nicht der Strahlenschaden, sondern die Massenpanik.

Seit 1997 haben sich allerdings auch einige Dinge geändert. Zunächst ist die allgemeine psychologische Einstellung gegenüber dem technologischen Terrorismus in der modernen Welt zu nennen. Es ist eine Sache, einige potenziell sogar sehr gefährliche Technologien und Ereignisse zu analysieren, wenn der technologische Terrorismus an und für sich eine hypothetische Erscheinung ist. Es ist etwas ganz anderes, ihn - wie am 11.9.2001 - Realität werden zu sehen. Nun unterliegen seine verschiedenen Abarten anderen Einschätzungen hinsichtlich ihrer quantitativen Risken.

Zweitens sind die öffentliche Meinung, die Vorstellungen von Abwehrmitteln gegen den technologischen Terrorismus (wovon schon die Rede war) sowie das Niveau des öffentlichen Verständnisses dem Wesen der Bedrohung und der sich stellenden technischen Probleme nach wie vor offenkundig unangemessen. Erhöht haben sich allerdings der Preis unzutreffender Einschätzungen von einschlägigen Risken und daraus resultierender falschen Entscheidungen.

Grundfragen der Realisierbarkeit

Zum Verständnis des hier erörterten Problems und für angemessene Einschätzungen ist eine minimale wissenschaftliche und methodische Basis erforderlich. Andernfalls kann wieder (unbegründete) öffentliche Erregung an die Stelle objektiver Einschätzungen technologischer Risken treten, und das nützt klarerweise potenziellen Terroristen. Zunächst gilt es, Vorfälle und Erscheinungen, die mit Atomterrorismus in Verbindung gebracht werden, wie folgt einzuteilen: 1. Glaubwürdig mögliche (darunter auch in der Praxis schon realisierte), aber unter beschreibbaren ökonomischen, politischen und sozialen Bedingungen unerreichbare Vorgänge.

2. Im Prinzip mögliche (da fundamentalen Naturgesetzen nicht widersprechende), aber auf dem gegenwärtigen Entwicklungsniveau von Wissenschaft und Technik nicht oder nur schwer erreichbare Vorgänge. Sie sind für die "Ränder" von Wissenschaft und Technik charakteristisch, wo eine Umsetzung in die Praxis überhaupt fehlt oder jedenfalls außergewöhnliche Technologien erfordert.

3. Naturgesetzen widersprechende und daher im Prinzip unmögliche Erscheinungen.

In allen drei Gruppen (konkret aber bei der ersten und der dritten) lassen sich viele "falsche Spuren" auffinden, die wegen der Unkenntnis von wissenschaftlichen und technischen Fakten in der Perzeption von Problemen des Atomterrorismus durch Journalisten, Politiker und die Öffentlichkeit entstanden sind.

Zunächst einige Anmerkungen zur dritten Gruppe: Man sollte sich bewusst machen, dass ohne in ausreichender Menge vorhandenes spaltbares Material - also einen Stoff, mit dem man unter bestimmten Bedingungen eine erzwungene (im Gegensatz zu einem spontanen radioaktiven Zerfall) explosionsartige Kettenreaktion auslösen kann - kein Atomsprengsatz herstellbar ist. Alles andere sind müßige Diskussionen. Zudem ist es bisher nicht möglich, ohne Atomsprengsatz mit Teilungszünder eine explosionsartige Fusionsreaktion wie in einer Wasserstoffbombe auszulösen.

Die Grundlage des spaltbaren Materials können nur einige Isotopen von Elementen mit einer hohen Nummer im Periodensystem - nicht weniger als 92 (Uran) - sein (siehe dazu unten). Sämtliche Mitteilungen über die mögliche Nutzung anderer Stoffe sind vollkommen gegenstandslos. Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung: Alle Mitteilungen über Raub und Verlust von aus der Radioisotopen-Produktion stammenden Stoffen (Radiostrontium, Radiocäsium, Radiokobalt usw.) berühren das Problem des Atomterrorismus nicht. Die Anschaffung all dessen bringt potenzielle Atomterroristen dem Bau eines Sprengsatzes um keinen Millimeter näher, wie viel Aufregung es um diese Frage auch immer gibt.

Die Radioaktivität eines Stoffes und seine Tauglichkeit als spaltbares Material sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die eigene (sehr unbedeutende) Radioaktivität der beiden wichtigsten waffentauglichen spaltbaren Materialien - Plutonium-239 und Uran-235 - hat mit ihrer Nutzung in Bomben nichts zu tun. Sie verursacht sogar (v.a. im Falle von Plutonium-239) viele Schwierigkeiten für die Konstrukteure der Waffe.(FN2) Zur dritten Gruppe der Ereignisse und Erscheinungen (d.h. die prinzipiell unmöglichen) gehört auch der Bau eines Atomsprengsatzes mit natürlichem oder schwach angereichertem Uran-235, das die Grundlage für die friedliche Nutzung der Kernenergie ist. Natürlich ist die Kernspaltung grundsätzliches physikalisches Prinzip jedes Atomreaktors. Allerdings kann man mit schwach angereichertem Uran ebenso wenig eine Bombe bauen wie mit einem normalen Düsenflugzeug den Mond erreichen, obwohl es auf den gleichen physikalischen Prinzipien wie eine Rakete beruht.

Spaltbare Materialien

Zur Ingangsetzung und Aufrechterhaltung einer atomaren Kettenreaktion in niedrig angereichertem oder Natururan muss man die sekundären Spaltungsneutronen unbedingt bremsen. Der Grund dafür ist, dass der Spaltungsquerschnitt (d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron eines Uran-235-Kerns mit nachfolgender Spaltung eingefangen wird) für die niedrige (thermische) Neutronenenergie fast um 300 Mal größer als ursprünglich ist. Uran-238, das es im Atombrennstoff v.a. gibt, wird von Reaktorneutronen fast überhaupt nicht geteilt. Daher ist ein so genannter Moderator unbedingter Bestandteil jedes auf niedrig angereichertem Uran basierenden Atomreaktors zur Stromerzeugung. Das ist in der großen Mehrheit der Reaktoren gewöhnliches ("leichtes") Wasser, was eine schwache Anreicherung des Uran-235 im Brennstoff erfordert (bis zu etwa fünf Prozent, ausgehend von 0,7% im Natururan; der Rest ist Uran-238). Beim Natururan-Brennstoff ist "leichtes" Wasser als Moderator aus einer Reihe von Gründen nicht tauglich - man braucht schweres Wasser (D2O) oder Grafit. Es ist offensichtlich, dass die Neutronenbremsung als Folge von Kollisionen mit den Kernen des Moderators einige Zeit benötigt. Sie beträgt in Abhängigkeit vom Typ des Moderators 10-5 bis 1,5x10-4 Sekunden. Diese Größe bestimmt auch die Zeit des Auftauchens der nächsten Neutronengeneration in der Kettenreaktion. Diese (üblicherweise Lebenszeit des sekundären Neutrons genannte) Frist muss - und das ist Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit eines Atomsprengsatzes - um ein Vielfaches kleiner sein als die charakteristische Zeit der Herausbildung der kritischen Masse. Letztere schwankt in den Grenzen von 1,5x10-4 Sekunden für das Kanonen- (Geschützrohr-) System eines Atomsprengsatzes und 10-5 Sekunden für das Implosionssystem(FN3) (diese beiden Schemata werden weiter unten erklärt). Diese Zeitspannen sind mit den typischen Zeiten des Moderators vergleichbar. Daher sind alle Versuche, der Konstruktion eines Atomsprengsatzes das Prinzip der Neutronenbremsung zu Grunde zu legen, zum Scheitern verurteilt. Die Bedingung des überkritischen Zustandes (auch dazu weiter unten mehr) wird darin mit schnellen, d.h. ungebremsten Neutronen erreicht. In diesem Fall beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines Neutrons etwa 10-8 Sekunden, und die Konstruktion wird funktionstüchtig. Bei Uran-Sprengsätzen dient - aus dem schon angeführten Grund (drastische Verringerung des Spaltungsquerschnitts für die schnellen Neutronen) - nur hoch angereichertes (90%) Uran-235 als Grundlage.

Es versteht sich von selbst, dass ein reales Bild der physikalischen Prozesse, die in Atomsprengsätzen und Reaktoren ablaufen, sehr viel komplizierter ist, als an dieser Stelle dargestellt werden kann. Es dürfte aber klar geworden sein, dass es im Prinzip unmöglich ist, aus Brennstoff für Leistungsreaktoren oder aus Materialien, die im Periodensystem vor dem Uran kommen, eine Atombombe herzustellen - und die Physik lässt sich weder umgehen noch bestechen.

Der Bau eines Atomsprengkopfes aus einem Material auf der Grundlage von Transplutonium-Elementen (einige Isotopen von Americium, Curium und Californium) würde den fundamentalen Gesetzen der Physik nicht widersprechen. Allerdings stößt man hier sofort auf praktisch unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Herstellung einer ausreichenden Menge dieser Stoffe und der Konstruktion eines Atomsprengsatzes auf ihrer Grundlage. Hierher gehört auch der Bau einer Bombe auf der Grundlage von Uran-233: Es ist an und für sich ein ausgezeichnetes spaltbares Material, aber die technischen Schwierigkeiten seiner Gewinnung aus in einem Reaktor bestrahltem Thorium sind so gewaltig, dass es nicht einmal in den atomaren Rüstungsindustrien technologisch sehr entwickelter Länder Anwendung gefunden hat.

Daher sind nur zwei spaltbare Materialien Gegenstand der vorliegenden Betrachtung, nämlich Uran-235 und Plutonium-239 jeweils in waffenfähiger Reinheit, d.h. mindestens 90 bzw. 94%. Da diese beiden Materialien den modernen Kernwaffen zu Grunde liegen, gehört die Mehrheit der weiter unten besprochenen Erscheinungen, Fakten und Mitteilungen im Rahmen der obigen Klassifikation zur ersten Gruppe (d.h. sie existieren real). Es wird in erster Linie die Zugänglichkeit der entsprechenden Technologien für Privatpersonen (wie es hypothetische Atomterroristen sind) diskutiert.

Diese Fragestellung verändert den Gegenstand der Diskussion etwas: Er verschiebt sich von der wissenschaftlichen auf eine System- und Technologieebene. Aber hier sind - im Unterschied von den zu Beginn dieses Beitrages angesprochenen allgemein philosophischen Debatten über das Wesen, die sozialen Wurzeln, den religiösen Hintergrund usw. des technologischen (darunter atomaren) Terrorismus - eine vollkommen eindeutige Fragestellung und eine ganz genaue Analyse der technologischen und situativen Szenarien erforderlich.

Die Organisation jeder technisch hochgezüchteten Produktion (sogar einer so exotischen wie der illegalen Produktion einer wenn auch unvollkommenen, aber einsatzfähigen Atombombe) erfordert unbedingt die Aufstellung eines Netzwerkplanes der Arbeit mit der Hervorhebung der kritischen Verläufe. Endresultat ist die Schaffung einer so genannten technologischen Produktionskarte. Für Terroristen ist das formale Vorhandensein dieser Karte natürlich nicht verbindlich, aber das enthebt sie nicht der Notwendigkeit eines entsprechenden Vorgehens. Schließlich hatte auch der Urmensch keine Ahnung von den physikalischen Voraussetzungen des Gesetzes der Schwerkraft, doch er hob Gruben zum Fang von Mammuts in der Erwartung aus, dass diese hineinfallen und nicht etwa davonschweben werden. Hier eröffnet die Untersuchung eines solchen denkbaren Netzwerkplanes des Atomterrorismus die Möglichkeit seiner - wenngleich zwangsläufig vereinfachten - wahrscheinlichkeitstheoretischen Analyse. Als Beispiel kann man den Anschlag vom 11.9.2001 heranziehen. Er hatte vier Etappen: Auswahl der Selbstmordterroristen; ihre Schulung in der Technik des Steuerns von Flugzeugen; Entführung der Flugzeuge; Überwindung des Systems zur Abwehr von Störungen der Flugkorridore.

Daran ist kaum Technik in dem Sinne, dass Planung und Realisierung des Anschlages spezielle wissenschaftlichtechnische Fähigkeiten und Qualifikationen erfordert hätten. Es handelte sich eigentlich nur um eine verbrecherische Nutzung von alltäglichen und allgemein zugänglichen technischen Mitteln. Das allerdings ändert nichts an der Zugehörigkeit dieses Anschlages zur Kategorie des technologischen Terrorismus, da erstmals die Erzeugnisse von Hochtechnologie der modernen Welt - Wolkenkratzer und große Flugzeuge - zu einer dem Massenmord dienenden Maschinerie vereinigt wurden.

Zum besseren Verständnis der Bedeutung des Netzwerkplans eines geplanten Atomterroranschlages sei hier ein typischer Dialog zwischen einem Ingenieur (I) und einem Geisteswissenschaftler (G) dargestellt. Gesprächsgegenstand ist ein weiterer "Hit der Saison": Herstellung eines Atomsprengsatzes auf der Grundlage von Reaktorplutonium.

G: "Es ist bekannt, dass bei der Arbeit eines Reaktors in einem beliebigen Atomkraftwerk im bestrahlten Kernbrennstoff Plutonium entsteht. Daraus kann man eine Atombombe bauen. Die Terroristen kaufen einige Physiker ein (oder entführen sie), und die bauen die Bombe. Sehr einfach. Das ist eine große Gefahr für die Welt." I: "Der bestrahlte Kernbrennstoff ist in den Brennstoffelementen enthalten, d.h. in Spezialkonstruktionen mit einer Länge von einigen Metern und einigen Tonnen Gewicht, die zudem nach der Entfernung aus dem Reaktor sehr radioaktiv sind. Daher befinden sie sich lange in Zwischenlagern beim Kraftwerk und werden dann in spezielle Endlager transportiert. Während der ganzen Zeit sind sie unter der Aufsicht von bewaffneten Wächtern mit Sondervollmachten. Wie weiter?" G: "Da muss man nur gut zahlen." I: "Wem und wofür? Aber nehmen wir an, die Terroristen bringen ein verstrahltes Brennstoffelement in ihre Gewalt. Wohin flüchtet man damit, wenn man wegen der Verstrahlung auf dem Weg Berge von Leichen hinterlässt?" G: "Die Physiker werden es wissen." I: "Natürlich. Sie werden sagen, dass man in eine radiochemische Fabrik flüchten muss, die aber schon bereitzustehen hat. Dort destilliert man aus dem Brennstoffelement das Plutonium in Gestalt einer chemischen Verbindung, die man lagern und mit der man auf klar bestimmte Weise verfahren muss - andernfalls kann es zu einem Brand, einer Hitzeexplosion oder sogar einer selbst initiierten Kettenreaktion direkt in der Fabrik kommen. Was nun?" In den Stellungnahmen der Geisteswissenschaftler tauchen immer wieder Phrasen wie "irgendwie", "irgendjemanden besticht man", "man setzt entführte Physiker ein" usw. auf. Das sind aber keine technisch relevanten Argumente. Entführte Physiker würden auf die Forderung, ohne jede Radiochemie, Metallurgie usw. aus verstrahltem Brennstoff für ein Kernkraftwerk den aktiven Teil eines Atomsprengsatzes auf Plutoniumgrundlage herzustellen, nur mit den Schultern zucken. Dagegen erlaubt es der Ansatz des Ingenieurs - wenn man konsequent die Etappen des Netzwerkplans analysiert - mit hinreichender Glaubwürdigkeit, die technologischen Risiken der Atomwirtschaft vom Standpunkt ihrer Verwundbarkeit für Atom- und Strahlenterrorismus aus quantitativ einzuschätzen. So verfahren auch die Spezialisten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bei der Untersuchung von Atomtechnologien vom Standpunkt des Risikos der Proliferation aus. Geisteswissenschaftler bestreiten hingegen mitunter die Möglichkeit einer solchen Einschätzung, was es erlaubt, die öffentliche Meinung zu manipulieren und im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus Kampagnen durchzuführen, die damit nichts zu tun haben. Für die Terroristen ist das schon wegen der schon erwähnten erschwerten objektiven Einschätzung technologischer Risken vorteilhaft, von noch negativeren Folgen ganz zu schweigen.

Vom Reaktorplutonium abgesehen kann man (auf der Grundlage des Netzwerkplans der Arbeiten) auch andere Szenarien analysieren, doch das ändert nichts an der Schlussfolgerung: Die Gewinnung von spaltbarem Material "von Null" oder auch unter Nutzung von technologischen Zwischenprodukten und seine Umwandlung in einen Energie freisetzenden Bauteil zur Herstellung wenigstens eines Atomsprengsatzes durch die Terroristen (d.h. einzelne Personen oder eine nichtstaatliche Organisation) selbst ist bloß noch phantastisch und hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Berichte von Massenmedien, denen zufolge eine reale Gefahr existiere, entbehren jeder Grundlage.

Zwecks Vollständigkeit der vorliegenden Analyse soll noch eine Situation untersucht werden, in der davon ausgegangen wird, dass Terroristen in den Besitz einer bestimmten Menge von Materialien gelangen, die zur Herstellung eines primitiven, aber einsatzfähigen Atomsprengsatzes ausreicht.

Prinzipien der Funktion einer Atombombe

Diese sind heute allgemein bekannt. Allerdings sitzen die Teufel im Detail, und davon gibt es in der konstruktiven Realität (und nicht in abstrakten Buchdarstellungen) eines Atomsprengsatzes sehr viele.

Dem Funktionsprinzip eines Atomsprengsatzes liegt, wie bereits erwähnt, eine kritische Masse zu Grunde, d.h. eine bestimmte Gesamtheit von Masse, Dichte und konstruktiver Ausführung des spaltbaren Materials. Bei der Überschreitung einiger neutronenphysikalischer Parameter nimmt die Reaktion auf die sekundären Spaltungsneutronen lawinenartigen, explosionsartigen Charakter an. Dieser Zustand heißt "überkritisch", und seine vorsätzliche Erreichung in einem Atomsprengsatz im nötigen Moment ist eine Atomexplosion.

Die kritische Masse kann entweder durch eine Erhöhung der Masse des spaltbaren Materials bei unveränderter Dichte oder durch Zunahme der Dichte bei unveränderter Masse erreicht werden. Den ersten Weg beschreiten Ladungen des so genannten "Kanonentyps". Dabei wird eine unterkritische Masse wie eine Ladung gegen eine andere geschossen (daher die Bezeichnung), wonach der Zustand des sich bildenden Systems überkritisch wird. Das war etwa in der Bombe der Fall, die die USA 1945 auf Hiroshima abwarfen.

Der zweite Weg wird in Implosionsladungen beschritten. Dabei wird der überkritische Zustand bei der Explosion eines chemischen Stoffes erreicht, der auf besondere Weise um eine unterkritische Kugel aus spaltbarem Material angeordnet ist. Unter dem Einfluss der Schlagwelle dieser Explosion, die auf das Zentrum des Systems gerichtet ist, wird das spaltbare Material gleichmäßig und sehr schnell zusammengedrückt, was eine sprunghafte Erhöhung seiner Dichte und den Übergang in einen überkritischen Zustand mit nachfolgender Atomexplosion auslöst. Dieses Prinzip wurde in der 1945 gegen Nagasaki eingesetzten US-Bombe und in der ersten, 1949 getesteten sowjetischen Atombombe verwendet. Auf ihm beruhen Atomwaffen bis heute.

Ist Plutonium zu terroristischen Zwecken nutzbar?

Für die vorliegende Untersuchung wesentlich ist der Umstand, dass zur Nutzung in einem Kanonenschema Plutonium-239 sogar in einem an sich waffenfähigen Zustand untauglich ist: Dieses Schema entwickelt, wie schon erwähnt, eine (im Vergleich zum Implosionssystem) bei der Herstellung der kritischen Masse viel geringere Geschwindigkeit. Daher beginnt die Kettenreaktion wegen des Vorhandenseins einer spürbaren Menge (ca. fünf Prozent) von Plutonium-240, das durch die spontane Spaltung mit der Freisetzung der Neutronen zerfällt, sehr früh, und hydrodynamische Kräfte zerstören die Ladung noch vor ihrer Ausbreitung im ganzen Raum des spaltbaren Materials. Das Resultat ist keine echte Explosion, sondern ein schwacher "Knall".(FN4) Bei der Nutzung von Reaktorplutonium als spaltbarem Material nehmen die Schwierigkeiten drastisch zu. Das Hauptproblem besteht darin, dass sich bei der für Atomkraftwerke charakteristischen Art und Weise der Verstrahlung des Brennstoffes der Inhalt der (bei der Konstruktion eines Atomsprengsatzes) nutzlosen oder sogar schädlichen Plutoniumisotopen (im Vergleich zum Waffenplutonium) stark erhöht. Außer dem "nützlichen" Plutonium-239 (ca. 58% statt 95% im Waffenplutonium) gibt es im Reaktorplutonium das sehr unerwünschte Plutonium-240 (ca. 22%), das ihm nach kernphysikalischen Eigenschaften verwandte Plutonium-242 (sechs Prozent), das recht kurzlebige Plutonium-241 (zwölf Prozent) sowie Plutonium-238 (zwei Prozent).(FN5) Die Folgen zeigen sich unverzüglich. Die - vom Standpunkt der kernphysikalischen Eigenschaften - unerwünschten Plutonium-240, -242 und -238 spalten sich schlecht, und daher liegt die kritische Masse des Reaktorplutoniums etwa doppelt so hoch wie beim Waffenplutonium.(FN6) Das verkompliziert die Konstruktion im Rahmen des hier alternativenlosen Implosionsschemas sofort. Aber die Hauptschwierigkeiten bereiten die kurzlebigen Plutonium-238 und -241. Bei ihrem radioaktiven Zerfall heizt sich der aktive Teil des Atomsprengsatzes stark auf. Schätzungen zeigen, dass (bei einer Umwelttemperatur von 20 Grad) für eine kugelförmige Plutoniumladung mit einer zehn Zentimeter dicken chemischen Sprengstoffschicht die Temperatur 190 Grad Celsius beträgt. Wenn man eine solche Temperatur für die Metall-Ladung noch zulassen kann, so ist sie für den sie umgebenden chemischen Sprengstoff unannehmbar hoch. So beträgt etwa die Schmelztemperatur für Trotyl 81 Grad. Bei mehr als 150 Grad zersetzt es sich, und bei 290 Grad beginnt es zu kochen.

Im Prinzip kann man - obwohl es nicht einfach ist - das Problem der Senkung der Temperatur durch eine effektive Ableitung der Wärme aus dem Material der Ladung z.B. mit Hilfe von so genannten "Wärmebrücken" aus einem Material mit hoher Wärmeleitfähigkeit lösen, das die Schicht des chemischen Sprengstoffes (dessen Wärmeleitfähigkeit sehr niedrig ist) durchdringt. Dabei verschärfen sich jedoch Probleme der unumgänglichen Sicherstellung der wichtigsten Bedingung der Funktionstüchtigkeit des Implosionsschemas - der spezifischen Symmetrie der auf die Plutoniumkugel auftreffenden Druck-Detonationswelle. Die Detonationsgeschwindigkeit in Trotyl beträgt sieben Kilometer pro Sekunde, und die Verbreitungsgeschwindigkeit einer Schallwelle in einem gut wärmeleitenden Aluminiumstab ("Wärmebrücke") ist mit fünf Kilometer pro Sekunde erheblich niedriger.(FN7) Das heißt aber nicht, dass man aus Reaktorplutonium grundsätzlich keinen Atomsprengsatz bauen könnte. Nicht umsonst zählt es nach den Normen der IAEA zu den direkt nutzbaren Atommaterialien, d.h., es lässt die Herstellung von Komponenten für einen Atomsprengsatz grundsätzlich zu.(FN8) Ein solcher wäre sperrig, schwer zu handhaben und hätte geringe Sprengkraft (sie würde 0,5 Kilotonnen Trotyläquivalent kaum übersteigen) - doch er wäre einsatzfähig. Wegen der dargestellten Besonderheiten des Reaktorplutoniums wäre eine solche Konstruktion aber auch für langjährige Atommächte schwierig, die eine entwickelte Atomindustrie und ein großes wissenschaftlichtechnisches und personelles Potenzial aufweisen. Gerade diese Länder benötigen eine derartige Bombe aber natürlich nicht, weil sie über mehr als genug besser geeignetes Waffenplutonium verfügen. Nach der eingeführten Klassifikation handelt es sich hiermit um ein typisches Beispiel der ersten Gruppe von Ereignissen und Erscheinungen (d.h. mögliche, aber im gegebenen Fall nicht praktikable).

Das Implosionssystem lässt sowohl Uran als auch Plutonium zu. Es ist viel vollkommener als das Kanonenschema. Zu seinen Vorzügen gehört auch die Möglichkeit, die Menge des spaltbaren Materials wesentlich zu reduzieren, entspricht doch die Größe der kritischen Masse in etwa dem proportionalen Quadrat seiner Dichte. Für Uran-235 mit einem waffenfähigen Anreicherungsgrad beträgt die kritische Masse (ohne Reflektor) 52 Kilogramm bei normaler (natürlicher) Dichte und 13 Kilogramm bei verdoppelter Dichte. Für Waffenplutonium lauten diese Werte zehn bzw. 2,5 Kilogramm.(FN9) Hier wird natürlich oft die zu vielen Spekulationen gerade im Hinblick auf den Atomterrorismus Anlass gebende Frage gestellt, was bei einer weiteren Verdichtung geschieht. Ergibt sich hier nicht die wenigstens prinzipielle Möglichkeit, einen Atomsprengsatz auf der Grundlage von nur einigen Gramm (oder sogar Milligramm) Plutonium zu bauen? Diese Menge könnten Terroristen natürlich sehr viel leichter beschaffen als sechs bis acht Kilogramm Plutonium-239 für einen "normalen" Implosionssprengsatz. Und das Explosionsäquivalent bei völliger Spaltung von nur einem Gramm Plutonium-239 entspricht zehn Tonnen Trotyl. Allerdings ist auch das kein gangbarer Weg, weil elementare Rechnungen zeigen, dass man einen solchen Verdichtungsgrad mit Hilfe chemischer Sprengstoffe aus energetischen Überlegungen heraus nicht erreichen kann. Geht es vielleicht anders? Das Grundprinzip ist bekannt: Zusammendrücken mit Bestrahlung. Darauf beruht denn auch die moderne Wasserstoffbombe. Aber dort ist die Strahlungsquelle ein initiierender Spaltungs-Atomsprengsatz auf der Grundlage von Plutonium - d.h. das, was verkleinert werden soll.

Im Prinzip kann man auch mit einem starken Laser eine gewaltige Geschwindigkeit und starke Verdichtung von Stoffen mit kleiner Masse erreichen. Je kleiner die Masse ist, desto höher ist natürlich die erreichbare Verdichtung. Dann kommt allerdings die Neutronenphysik ins Spiel: Das Erreichen des überkritischen Zustandes ist nur das Schaffen von Bedingungen für eine lawinenartige Zunahme der Anzahl der Neutronen, deren Welle immer neue und neue Kerne des spaltbaren Materials hervorbringt. Das funktioniert aber nur kurz, wenn es einfach zu wenige Kerne gibt.

Die Anzahl dieser "Wechsel" heißt in der Neutronenphysik "Anzahl der Neutronengenerationen". Bei Werten von 45 bis 47 beginnt in einer Implosionsbombe der Explosionsprozess. Bei einer kleinen Masse des spaltbaren Materials und einer sehr hohen Verdichtungsgeschwindigkeit entstehen überhaupt keine Generationen, obwohl der überkritische Zustand erreicht wird.

Nach Vermutung des bekannten russischen Atomphysikers Lew Feoktistow benötigt man zu einer derartigen Kettenreaktion nicht weniger als zehn Gramm Plutonium bei einer Laserleistung von einigen Dutzend Megajoule.(FN10) Solche Laser gibt es nicht, aber selbst wenn es sie gäbe, hätten sie eine nicht unerhebliche Größe. Terroristen dürfte es wohl die Sprache verschlagen, wenn sie erführen, dass sie nicht nur eine kleine Atombombe, sondern auch einen Lastwagen mit einer Laserapparatur und ein bewegliches Kraftwerk zu deren Energieversorgung in ihren Besitz bringen müssten.

Nun aber zurück zur Analyse der möglichen Konstruktionen eines Atomsprengsatzes im Kontext des Atomterrorismus. Das Implosionsschema hat gegenüber dem Kanonenschema nur Vorteile - mit der Ausnahme eines einzigen, der hier aber möglicherweise entscheidend ist: Das Implosionsschema ist in der praktischen Realisierung unvergleichlich komplizierter. Man muss die Zusammensetzung, die Zahl und die Ausmaße der Linsen aus chemischem Sprengstoff genau bestimmen, die ideale Synchronisierung ihrer Zündung garantieren, in einem genau festgelegten Moment die Zuschaltung der initiierenden Neutronenquelle sicherstellen usw. Wenn nur eine dieser (und vieler anderer) Komponenten nicht zuverlässig ist, funktioniert die Bombe nicht. Zur konstruktiven Ausführung des spaltbaren Materials kommen noch zahllose Fragen in den Bereichen Beschaffung, Herstellung, Montage und Prüfung. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Terroristen gelingt, einen funktionstüchtigen Implosions-Atomsprengsatz auf der Grundlage von Plutonium zu bauen, verschwindend gering.

Zudem gibt es vor dem Test einer fertigen Konstruktion und zudem ohne jede Erfahrung (und das wäre bei Atomterroristen natürlich der Fall) keinerlei Sicherheit, dass die Bombe wirklich einsatzfähig ist. Die Durchführung eines solchen Tests durch eine Gruppe von Privatpersonen ist allerdings nur noch eine bizarre und vollkommen realitätsfremde Vorstellung.

Mit Uran-235 zur terroristischen Bombe?

Uran-235 mit einem waffenfähigen Anreicherungsgrad kann - wie auch Waffenplutonium - nur in speziellen Industriekomplexen gewonnen werden. In modernen Atomwaffen wird Uran-235 fast nicht verwendet - die Vorzüge der Plutoniummunition gegenüber Uran sind zu offensichtlich. Allerdings kann man hoch angereichertes Uran-235 nicht nur in Atomwaffen antreffen: Es ist auch Brennstoff für einige Typen von Forschungs- und transportablen Atomreaktoren.

Daraus resultieren für Atomterroristen einige situative Alternativen zum Raub von spaltbarem Material (woraus sich aber wieder zielführende Maßnahmen zu ihrer Abwehr ergeben). Dabei muss man berücksichtigen, dass ein Uran-Sprengsatz vom Kanonentyp (im gegebenen Fall wäre das Schema einsatztauglich) in Konstruktion und Montagetechnologie viel einfacher als ein Implosions-Plutoniumschema ist. Der Umstand, dass im Kanonentyp das spaltbare Material weit weniger effektiv eingesetzt wird, spielt für Terroristen kaum eine Rolle. Für sie wäre der Besitz eines einsatzfähigen Atomsprengsatzes viel wichtiger als seine taktischtechnischen Charakteristika. Allerdings würde eine Eigenschaft wie Kompaktheit eines Uran-Kanonen-Sprengsatzes die potenziellen atomaren Missetäter bestimmt interessieren. Es ist bekannt, dass in der militärischen Atomtechnik Uran-235 am besten für Spezialkonstruktionen geeignet ist, wo Kleinheit wichtiger ist als ein großer Aufwand an spaltbarem Material oder hohe Energiefreisetzung.

Zweifellos ist die große Menge an benötigtem Uran-235 eines der Haupthindernisse auf dem Weg zum Bau eines solchen Atomsprengsatzes: Unter Berücksichtigung der technologischen Verluste sind nicht weniger als 40 bis 45 Kilogramm in Umrechnung auf reines Material erforderlich. Die Prozeduren für Projektierung und Herstellung einer Uranbombe nach dem Kanonenschema bergen noch viele weitere Probleme. Diese sollen aber weder hier noch sonst an zugänglicher Stelle diskutiert werden. Die Geheimhaltung von Technologien zum Bau bestimmter Konstruktionen von Atomsprengsätzen ist jetzt eines der Haupthindernisse, vor denen potenzielle Atomterroristen stehen.

Forderungen und Aufrufe zur Veröffentlichung solcher Informationen dürfen keinesfalls berücksichtigt werden - die Folgen könnten zu unerfreulich ausfallen. Der berühmte sowjetische Atomwaffenspezialist Julij Chariton warnte, dass "konstruktive Details mit niemandem geteilt werden dürfen. Andernfalls kann es zu einer großen Verbreitung der (Atom-)Waffe kommen".(FN11) Es ist daher erschütternd, dass in England Konstruktionsunterlagen einer - wenn auch veralteten - Atombombe veröffentlicht wurden. Das darf sich auf keinen Fall wiederholen.(FN12) Auch die Spezialisten, die über dieses Thema schreiben, dürfen niemals jene Schwelle überschreiten, jenseits der sich Bildungs- oder Informationsmaterial in ein "Lehrbuch" für angehende Terroristen verwandeln kann.

Die Tätigkeit von potenziellen Atomterroristen wird auch dadurch drastisch erschwert, dass sie keine Spezialisten finden werden, die für sie arbeiten. Diesen ist natürlich klar, dass sie eine solche Zusammenarbeit nicht lange überleben würden. Zudem sind nicht nur Atomphysiker nötig, sondern auch Chemiker, Elektroniker, Metallurgen, Materialwissenschaftler, Konstrukteure, Technologen - und zwar nicht als Individualisten, sondern als fest zusammengeschweißtes Kollektiv mit einem fähigen Leiter, einer einwandfreien Organisation und tauglichen inneren Hierarchie usw. Und es ist sehr zweifelhaft, dass ein solches Kollektiv seinen kriminellen Auftraggebern lange loyal sein würde. - An all das sollte man sich erinnern, wenn in den Massenmedien wieder einmal Berichte von "genialen Studenten" auftauchen, die in einer Scheune eine Atombombe zusammensetzen.

Raub von Atombomben zu terroristischen Zwecken?

Plutonium-239 wird fast nur in Atommunition verwendet und ist nur sehr eingeschränkt in zivile atomare Brennstoffzyklen einbezogen. Daher ist eindeutig, wo es zu suchen wäre. Davon wird die "Arbeit" von Terroristen allerdings - angesichts der Organisation des Schutzes der begehrten Lager, Arsenale und Transporte - nicht leichter. Das ist hier aber nicht weiter auszuführen. Nur soviel: Die in verschiedenen Medien mitunter anzutreffenden Meldungen von "Durchgangstüren in sowjetischen/russischen Atomlagern", "gestohlenen sowjetischen/russischen Atombomben" und "Millionen Dollar, die Räuber sowjetischer/russischer Atombomben von Terroristen erhalten haben" sind billige Sensationshascherei und haben mit der Realität nichts zu tun. Bisher wurde kein einziger Fall von Raub oder Verkauf eines sowjetischen oder russischen Atomsprengkopfes fixiert.

Auch der - auf welche Weise auch immer - erreichte Besitz eines Atomsprengkopfes wäre nur ein sehr eingeschränkter Erfolg für Terroristen. An diesem Punkt stößt man nämlich auf einen weiteren grundsätzlichen Irrtum im Bewusstsein der Öffentlichkeit im Hinblick auf Kernwaffen: Sie gelten als eine Vorrichtung, die dann explodiert, wenn es nötig ist. Das ist allerdings im besten Falle die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte besteht daraus, dass Atombomben dann nicht zünden sollen, wenn es nicht erforderlich ist. Es ist eine völlig unverzichtbare Anforderung an die Konstruktion jedes Kernsprengsatzes, dass seine nicht sanktionierte (oder gar selbst initiierte) Aktivierung vollkommen ausgeschlossen sein muss. Andernfalls würde eine Atombombe nämlich aufhören, eine Waffe zu sein, und sich in ein effektives Mittel zur nationalen Selbstzerstörung verwandeln. Daher sind moderne Atomsprengsätze mit Sicherheitssystemen geradezu gespickt. Dazu gehören komplizierteste Aktivierungscodes und eine nicht mehr aufhebbare Blockierung, die im Falle des Versuches einer nicht sanktionierten Zündung in Tätigkeit tritt. Die Sicherheitsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Verhinderung einer nicht sanktionierten Detonation des zur Konstruktion einer Atombombe gehörenden chemischen Sprengstoffes.

Sogar in ernsthaften Publikationen wird mitunter behauptet, dass ein Schuss aus einer Handfeuerwaffe auf eine Atombombe eine Kernexplosion oder zumindest eine Detonation des chemischen Sprengstoffes mit folgender Zerstäubung des Plutoniums auslösen könnte. Das ist allerdings in der Realität undenkbar. Auch daher wäre eine geraubte oder gekaufte Atombombe für Terroristen nicht mehr als ein Stück Metall.

Nun könnte man auf die Idee kommen, die Bombe - unter erheblichem Risiko für das eigene Leben (was für entschlossene Terroristen natürlich kaum ein Hindernis wäre) - zu zerlegen, um so etwas Waffenplutonium zu erhalten und den Bau einer eigenen Atombombe zu erleichtern. Die Terroristen stünden damit aber noch vor den bereits beschriebenen anderen (für sie wohl unüberwindlichen) technischen Problemen. Allerdings wäre die Konstruktion des jeweiligen Atomsprengsatzes offengelegt. Das spielt aber eher im Kontext der Proliferation von Massenvernichtungswaffen als im Bereich des Atomterrorismus eine Rolle: Ein Atomsprengsatz ist nämlich so kompliziert, dass er von Terroristen keinesfalls auch nur nachgebaut werden könnte.

Eine nordkoreanische Atombombe?

Auf Grund der aufgezeigten Schwierigkeiten ist es nach Meinung des Autors auch höchst zweifelhaft, dass Nordkorea eine Atomwaffe besitzt. Wenn man annimmt, dass sich die Pläne nordkoreanischer Führer zu ihrem Bau auf die Nutzung von Plutonium stützen, das im kleinen Reaktor in Yongbyon(FN13) erzeugt wurde (andere industrielle Anlagen zur Gewinnung von spaltbarem Material besitzt das Land nicht), haben diese Pläne keine Chancen auf praktische Realisierung. Das wissenschaftlichtechnische, (energie-) wirtschaftliche, industrielle und personelle Potenzial dieses Landes ist zu klein. Zudem - und das ist hier besonders wichtig - fehlen irgendwelche bedeutenden Kontakte nicht nur im Bereich der Atomtechnologien mit der Außenwelt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die nordkoreanische Führung bei der Fassung des Beschlusses für ein militärisches Atomprogramm einfach nicht verstand, worauf sie sich einließ. Solche Fehlentscheidungen sollten das westliche Publikum nicht verwundern. So genügt es, sich daran zu erinnern, dass Mao Tsetung 1958 den "Großen Sprung vorwärts" anordnete und - um die USA bei der Stahlproduktion zu überholen - ganz China mit Schmelzöfen pflastern ließ, deren Erzeugnisse dann bestenfalls zur Herstellung von Kübeln, Schaufeln und Hacken verwendet werden konnten. Auf einem ähnlichen intellektuellen Niveau stand die Hoffnung des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow, sämtliche Probleme in der Landwirtschaft mit dem Anbau von Mais bis fast hinauf zum Polarkreis zu lösen.

Auch eine irakische Atombombe kann es in der überschaubaren Zukunft nicht geben. Die Aussagen von irakischen Überläufern in den Westen sind vom wissenschaftlichtechnischen Standpunkt einfach unglaubwürdig. Weder der Irak noch Nordkorea könnten auch nur hypothetischen Atomterroristen helfen - man kann ja schlecht weitergeben, was man selbst nicht hat. Die Aufregung um die vermeintlichen Atomprogramme Nordkoreas und des Irak hat somit einen klaren politischen Hintergrund.

Zur "schmutzigen Bombe"

Meldungen über so genannte "schmutzige Bomben" haben immer wieder die Öffentlichkeit verunsichert. Dabei soll theoretisch ein radioaktiver Stoff mit der Explosion eines normalen chemischen Sprengstoffes verbreitet werden. Bei der Zündung einer solchen Anordnung in bestimmter Höhe über einem Wohngebiet und der Zerstäubung dieses Stoffes (in den meisten journalistischen Szenarien ist von Natururan die Rede) auf einem bedeutenden Territorium kommt es angeblich zu katastrophalen Folgen. So ist von Tausenden Toten und/oder gewaltigen Sachschäden die Rede. Derartige Unterschiede in den Einschätzungen mahnen sofort zur Vorsicht - das ist fast immer ein Hinweis darauf, dass diese Schätzungen aus der Luft gegriffen sind. Und dieser Verdacht verstärkt sich, weil in solchen Publikationen meist Hinweise auf die Schätzungsmethoden fehlen - und das ist die Grundlage aller Grundlagen eines wissenschaftlich seriösen Ansatzes gegenüber jedem zu erforschenden Ereignis. Hinweise auf anonyme "Experten" zählen nicht, da Anonymität in Wissenschaft und Technik nicht geachtet ist.

Strahlenterroristische Szenarien mit "schmutzigen Bomben" sind (wie viele andere Varianten des technologischen Terrorismus auch) technisch grundsätzlich realisierbar. Allerdings ist ein solches Schema nicht sehr effektiv. Einfache Schätzungen zeigen, dass der Einsatz einer "schmutzigen Bombe" auf Uranbasis bei der Annahme realistischer Parameter keinesfalls zu menschlichen Opfern führen wird. Auch die materiellen Aufwendungen zur Beseitigung möglicher Folgen werden geringer sein als in anderen denkbaren Varianten des Strahlungsterrorismus. Natur- oder schwach angereichertes Uran ist nämlich ein ziemlich untaugliches Mittel für den terroristischen Einsatz. Es ist schwer und bildet bei der Explosion der "schmutzigen Bombe" keine fliegenden Verbindungen. Daher wäre der Raum der Verschmutzung mit irgendwie bedeutenden Konzentrationen relativ gering. Uran ist praktisch nicht wasserlöslich, und folglich würde es kaum an die Umwelt übertragen. Zudem wird es vom menschlichen Organismus praktisch nicht verdaut. Seine Radiotoxizität ist so niedrig, dass sein negativer Einfluss beim Eindringen in den Körper nicht von der radioaktiven, sondern der chemischen Toxizität bestimmt wird. Als Quelle äußerer Verstrahlung stellt Uran auch keine Gefahr dar - eindringende Gammastrahlung wird fast nicht hinausgelassen, und seine Alphastrahlung wird vom Material selbst, der Kleidung, den Außenschichten der Haut oder sogar einer kleinen (einige Zentimeter breiten) Luftschicht aufgehalten.

Es ist natürlich nicht schwer zu erraten, warum gerade natürliches oder schwach angereichertes Uran immer wieder als mögliches Material für eine "schmutzige Bombe" ins Spiel gebracht wird: Es ist aus vielen (hier nicht weiter interessierenden) Gründen viel leichter zugänglich als alle anderen radioaktiven Stoffe. Aber die Vorstellung seiner Nutzung für einen so exotischen Akt wie Strahlenterrorismus nur auf Grund dieses Umstandes erinnert an die nächtliche Suche nach einem Geldstück nicht am Ort des Verlusts, sondern unter irgendeiner Laterne, weil es dort heller ist.

Auch der frühere russische Atomminister Viktor Michajlow, ein großer Spezialist im Bereich von Atom- und Strahlungssicherheit und Konstrukteur sowjetischer Kernwaffen, bestreitet, dass eine auf Uran beruhende "schmutzige Bombe" größeren Schaden anrichten könnte.(FN14) Allerdings ist bei einem terroristischen Einsatz eine Massenpanik sehr wahrscheinlich. Sie könnte auch zu erheblicher sozialer und politischer Instabilität führen. Das dürfte nicht nur jenes Land betreffen, auf dessen Territorium ein solcher Anschlag verübt würde, sondern auch andere Länder. Der Hintergrund dafür ist die in der Gesellschaft sehr verbreitete negative Einstellung gegenüber der Kernenergie bei gleichzeitigem Fehlen von Grundkenntnissen über sie. Dieses Problem kann nicht rasch gelöst werden. Hier ist lange und geduldige Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung nötig.

Schlussbetrachtungen

Wenn Terroristen auf die Idee kommen sollten, mit Reaktorplutonium in einer Heimwerkstatt zu hantieren, werden sie angesichts dessen Radioaktivität nicht lange überleben. Bisher gab es denn auch keinen einzigen glaubwürdigen Fall von Atomterrorismus, und daraus kann man bereits einen wichtigen Schluss ableiten: Die Barriere ist derzeit höher als die Möglichkeiten potenzieller Atomterroristen. Wenn das nicht so wäre, hätten sich wahrscheinlich schon längst Leute gefunden, die eine selbst hergestellte Atombombe eingesetzt und damit das Leben von Tausenden oder sogar Millionen Menschen gefährdet hätten.

Der Fortschritt von Technik und Wissenschaft in der modernen Welt hat die Entwicklung von Moral und Sittlichkeit weit hinter sich gelassen. Das hat sich etwa am 11.9.2001 gezeigt. Die die Menschheit vor Atomterrorismus schützende Barriere darf auch in Zukunft nicht niedriger werden. Natürlich ist sie in vielerlei Hinsicht von unverrückbaren Naturgesetzen und objektiven Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft bestimmt. Ein bedeutender Teil dieser Barriere beruht aber auf den schwierigen und wertvollen Anstrengungen von Menschen - Wissenschaftlern, Ingenieuren, Politikern, Soziologen, Militärs und Geheimdienstmitarbeitern. Und diese Bemühungen dürfen nicht erlahmen.

Übersetzung aus dem Russischen: Dr. Martin Malek ANMERKUNGEN:

(FN1) Vgl. Alexander Koldobskij: Atom- und Strahlenterrorismus. Eine russische Perspektive. In: ÖMZ, 2/1997, S.123-134.

(FN2) Aleksandr Koldobskij: Jadernyj terrorizm: mezdu fizikoj i politikoj. Bjulleten´ po atomnoj energii, 3/2002, S.17-21 (hier S.5).

(FN3) Vgl. A. N. Smelev/G. G. Kulikov/V. A. Apse: Fisiceskie faktory i svojstva jadernych materialov, vlijajuscie na ich zasciscennost‘. MIFI, Moskva 2001, S.14, 16.

(FN4) Lev P. Feoktistov: Fiziceskie osnovy jadernoj bomby. MIFI, Moskva 1999, S.9.

(FN5) Die Daten sind für Brennstoff mit einer Ausgangsanreicherung von 4,4% Uran-235 angeführt.

(FN6) Lev P. Feoktistov: Iz proslogo v buduscee. RFJaC VNIITF, Snezinsk 1998, S.12.

(FN7) Smelev u.a., a.a.O., S.38.

(FN8) Vgl. z.B. Jadernaja energetika: voprosy i otvety, Nr. 7. Moskva 1994, S.28-33.

(FN9) Nuclear Weapons Databook, vol. 1: US Nuclear Forces and Capabilities. Cambridge (Mass.) 1984, S.24.

(FN10) Feoktistov, a.a.O. (Anm. 5), S.12.

(FN11) Zitiert nach V. S. Gubarev: Arzamas-16. Moskva 1992, S.20.

(FN12) Interfax 15.4.2002, mit Bezug auf die britische Zeitung "Daily Telegraph".

(FN13) Er hat eine Leistung von fünf Megawatt, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass er kurzfristig auch mit 25 - 30 Megawatt laufen kann (Bjulleten‘ po atomnoj energii, 11/2002, S.82).

(FN14) Interview, in: Izvestija, 4.12.2002, S.1, 3.

Dr. Alexander B. Koldobskij

Geb. 1947 in Saratow (Russland); 1971 Abschluss des Moskauer Ingenieurphysikalischen Instituts (MIFI), dann Tätigkeit in der sowjetischen Atomwirtschaft; Promotion 1976; Spezialgebiete: Dosimetrie und Strahlenschutz, Kernbrennstoffzyklen, Experimente in Forschungsreaktoren, Analyse von Neutronen- und Gammastrahlung, Probleme von Reaktorsicherheit und Strahlungsökologie; zahlreiche Veröffentlichungen in Russland und im Ausland.



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