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Psychologie des Einsatzes Die NATO-Arbeitsgruppe

Was tun, wenn etwas schief läuft?

Entscheidungsträger müssen im Anlassfall rasch und entschlossen handeln. Eine Unterstützung der Kommandanten und der Führungskräfte bei der Bewältigung von außergewöhnlichen psychisch belastenden Ereignissen in Zusammenarbeit mit psychologischen Fachkräften ist daher besonders wichtig. Die Kommandanten brauchen Handlungsoptionen, die in möglichen Krisensituationen professionell angewendet werden können.

Der Leitfaden der NATO-Arbeitsgruppe soll Kommandanten helfen, mit einer Reihe von psychologisch fordernden Einsatzerfahrungen, die das Potenzial zur Verringerung des Leistungsvermögens von Einzelnen oder der Gruppe in sich bergen, besser umzugehen.

Soldaten, die akute traumatische Erfahrungen machen, also besonders belastende Situationen erleben, verändern sich. Im positiven Fall gehen sie gestärkt aus einer solchen Situation hervor - sie wachsen mit der Aufgabe und durch die Erfahrungen des Einsatzes. Im negativen Fall belastet sie das Erlebte, ihre Persönlichkeit verändert sich. Sie brauchen Hilfe durch Kameraden, Peers (nähere Ausführungen dazu folgen im hinteren Berichtsteil) oder Fachkräfte (Psychologen, Ärzte, Militärseelsorger), um das Erlebte bewältigen zu können. Verhaltensweisen, die Personen nach potenziell traumatischen Erlebnissen zeigen, sind normale Reaktionen auf außergewöhnliche Situationen.

Während körperliche Verletzungen akzeptiert oder als normal angesehen werden, ist dies bei Verletzungen der Psyche nicht der Fall. Psychische Beeinträchtigungen sind unter Soldaten tabuisiert. Für Betroffene ist es schwer, sich mitzuteilen, da die notwendige Akzeptanz für Verletzungen der Seele bei Kameraden und Kommandanten nicht erwartet wird.

Militärische Führer sind für die physische und psychische Gesundheit ihrer Soldaten verantwortlich. Soldaten bedürfen der fürsorglichen Unterstützung durch die Kommandanten. Vor allem dann, wenn sie mit einer der härtesten Realitäten des militärischen Lebens, dem Tod von Kameraden konfrontiert werden.

Was können nun Kommandanten und Entscheidungsträger tun, wenn Soldaten ihrer Einheit bzw. ihres Verbandes potenziell traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt sind oder waren?

Die intensive Auseinandersetzung mit potenziell traumatisierenden Ereignissen macht deshalb Sinn, da Ereignisse dieser Art in jeder Phase eines Einsatzes passieren können.

Potenziell traumatisierende Ereignisse

Potenziell traumatisierende Ereignisse (Critical Incidents - CI) sind Ereignisse oder Situationen, die eine außergewöhnliche Bedrohung darstellen oder katastrophenartige Ausmaße annehmen und die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung oder Betroffenheit hervorrufen. Diese Ereignisse treten oft unerwartet auf, können kurz oder lange andauern und sind für die Betroffenen nicht mit ihren gewohnten bzw. erlernten Bewältigungsmechanismen handhabbar. Ein Critical Incident kann zu einer Krise von Einzelnen oder Gruppen führen. Die Wirkung kann das Verhalten von Betroffenen wesentlich und schlagartig verändern.

Es sind nicht immer nur einzelne Ereignisse, die Stressreaktionen verursachen. Auch anhaltende Perioden, in welchen Soldaten mit chronischer Angst, Gefahr, Brutalität oder Zerstörung konfrontiert sind, verursachen Veränderungen der Psyche von Soldaten.

Soldaten gehören einer Personengruppe an, deren Verpflichtung es ist, dorthin zu gehen, wo andere flüchten bzw. sich der Situation entziehen. Um dies tun zu können, ohne daran Schaden zu nehmen, bedürfen sie sowohl einer hohen physischen und psychischen Fitness als auch einer gefechtsnahen und umfassenden Ausbildung. Für den Fall, dass trotz optimaler Vorbereitung und Planung eines Einsatzes traumatische Ereignisse auftreten, haben die verantwortlichen Kommandanten die Pflicht, und die Soldaten das Recht, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, um die Erhaltung und gegebenenfalls die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft sicherzustellen.

Verhaltensveränderung in Folge eines traumatischen Ereignisses

Die Reaktionen auf potenziell traumatische Ereignisse sind sehr unterschiedlich. Während manche Kommandanten auch heute noch der Meinung sind, dass Stressreaktionen Schwächen von Soldaten sind, muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass dies nicht der Fall ist. Der aktuelle Stand der Wissenschaft beweist, dass auch stressresistente Soldaten negative Reaktionen Tage oder Monate nach einem traumatisierenden Erlebnis zeigen können.

Reaktionen in Folge des Erlebens von traumatischen Ereignissen, also dem Erleben von sehr hohem, lebensbedrohendem Stress, werden in kognitive (die Erkenntnis betreffende), physische, emotionale und verhaltensverändernde Kategorien eingeteilt.

Diese Stressreaktionen können unmittelbar oder auch längere Zeit nach dem Ereignis auftreten und klingen in der Regel ohne äußeres Zutun ab. In Ausnahmefällen kommt es zu Beeinträchtigungen der Lebensqualität bzw. der Lebensführung der Betroffenen. Abhängig ist dies von der zum Zeitpunkt des Ereignisses vorherrschenden physischen und psychischen Befindlichkeit sowie vom Ereignis selbst.

Es ist daher die Pflicht der Kommandanten und Entscheidungsträger alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die physische und psychische Gesundheit der ihnen anvertrauten Soldaten herzustellen, zu erhalten, und falls notwendig, wiederherzustellen. Wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, machen sie sich nicht nur als Kommandanten einer Verletzung ihrer Dienstpflicht schuldig, sondern laufen auch Gefahr, die Gefolgschaft der Soldaten im weiteren Kampf zu verlieren und damit die Auftragserfüllung in Frage zu stellen bzw. zu gefährden.

Ebenen der psychologischen Betreuung

Unterschiedliche Situationen verlangen unterschiedliche Unterstützungen und Hilfestellungen auf verschiedenen Ebenen.

Psychologische Unterstützung und Betreuung erfolgen in Ebenen, die denen der medizinischen Versorgung sehr ähnlich sind. Gezieltes Handeln auf den verschiedenen Ebenen ist ein Garant dafür, dass die Einsatzbereitschaft von Soldaten erhalten bzw. rasch wieder hergestellt werden kann. Der Kommandant soll darin befähigt werden, kritische Belastungen von Soldaten zu erkennen und mit Unterstützung von den ihm beigestellten Fachkräften (Truppenpsychologen, Truppenärzte und Militärseelsorger), die richtigen Entscheidungen zu treffen bzw. die richtigen Maßnahmen einzuleiten.

Die verschiedenen Ebenen der psychologischen Versorgung von Soldaten sind in der folgenden Abbildung dargestellt.

Ebene 1

Psychologische Selbst- und Kameradenhilfe

Ein Teilbereich der Selbst- und Kameradenhilfe (SKH) ist die informelle psychologische Unterstützung eines Soldaten durch einen anderen. Kameradenhilfe beruht auf persönlicher Beziehung und gemeinsamen Erfahrungen und manifestiert sich als gegenseitiges "Sich-um-den-Anderen-kümmern" unter Kameraden. Kommandanten haben die Verpflichtung, ein Klima zu schaffen, in dem Kameradenhilfe während des Einsatzes stattfinden kann.

Der Soldat sollte während seiner Ausbildung, spätestens aber in der Einsatzvorbereitung über die Möglichkeiten der psychologischen SKH unterrichtet werden, aber auch eine gewisse Praxis im Umgang mit Stresssituationen erwerben.

In der SKH werden Soldaten u. a. dafür sensibilisiert, Anzeichen von Stress bei Kameraden zu erkennen. Sie üben sich im aktiven Zuhören und erlernen Methoden des Stressmanagements, wie z. B. Entspannungs- und Bewältigungstechniken. SKH bedeutet, dass jeder Soldat weiß, welche Möglichkeit er hat, um mit sich selbst und mit seinen Kameraden bei psychischen Belastungen im Alltag und in Extremsituationen umgehen zu können. Als Grundvoraussetzung für ein angemessenes Handeln sind aber die Einsicht und Akzeptanz der Tatsache notwendig, dass Angst und psychische Überreaktionen normale Reaktionen und Verhaltensweisen sein können. Jeder Soldat, aber auch jeder Kommandant, kann davon in einem unterschiedlichen Ausmaß betroffen sein.

Somit ist das Ziel der SKH nicht nur die Versorgung von verletzten oder verwundeten Kameraden, sondern auch die psychologische Unterstützung in belastenden Situationen.

Bericht eines Kommandanten nach dem Gefecht:

"Ein Sprengkörper hat die Front eines unserer Fahrzeuge weggerissen. Erstaunlicherweise wurde dabei niemand verletzt, doch der gesamte Vorderteil des gepanzerten Fahrzeugs war komplett weggesprengt. Wenn man mit einigen dieser 18- und 19-jährigen Soldaten in ihrem Kasernenblock zusammen saß, als sie ihrer Aufregung Ausdruck gaben, konnte man sehen, dass ihr Adrenalinspiegel noch immer hoch war. Wir gaben ihnen die Möglichkeit und die Zeit, sich nicht nur verbal, sondern auch emotional auszudrücken. Wir gaben ihnen diesen Freiraum in einem Einsatzgebiet, wo man von ihnen erwartete, dass sie am nächsten Tag wieder hinausgingen, um ihren Dienst zu tun. Es war sehr wichtig, ihnen zwischen ihren Aufgaben nicht nur das bisschen Zeit zum Essen und zum Rasten zu geben, sondern auch Zeit, um eine heiße Tasse Tee zu trinken und einfach nur miteinander über das Wohlbefinden zu sprechen und darüber, wie sehr sie sich alle gefürchtet hatten. Ich konnte sehen, wie Selbst- und Kameradenhilfe, die gegenseitige psychische Unterstützung innerhalb der Gruppe wirklich funktionierte. Ich glaube, wir haben gelernt, dass man Leute in ihren kleinen Gruppen belassen muss, wo sie Gelegenheit haben über Erlebtes zu sprechen." Unter den richtigen Umständen helfen Soldaten einander ganz automatisch. Kommandanten können einen wesentlichen Beitrag zur Kameradschaftshilfe leisten, indem sie ein Klima der Toleranz und der gegenseitigen Unterstützung fördern und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um Erlebtes einordnen und verarbeiten zu können.

Ebene 2

Notfallpsychologische Versorgung durch Psychologen und Peers

Interventionen auf Ebene 2 umfassen formellere Handlungen als die SKH (Ebene 1), welche durch Notfallpsychologen und psychologische Ersthelfer/Peers bzw. speziell in Psychotraumatologie ausgebildete Ärzte oder Militärseelsorger ausgeführt werden. Die Interventionen sollen eine Hilfestellung zur Vorbeugung und Bewältigung von Belastungen nach potenziell traumatisierenden Ereignissen bieten. Die Methoden, die dabei zur Anwendung kommen, reichen von der Krisenintervention durch Ersthelfer an Ort und Stelle, bis hin zu Gruppeninterventionen in Form von Nachbesprechungen nach dem Ereignis.

Notfallpsychologische Versorgung von Soldaten in Österreich im Frieden und im Einsatz in Form des Critical Incident Stress Managements (CISM)

CISM ist ein umfassendes und mehrstufiges Programm zur Krisenbewältigung, zur Prävention von psychischer Traumatisierung sowie zur Reduzierung von Langzeitfolgen einer Traumatisierung. Dieses von Mitchell & Everly erstellte Konzept wurde von der Militärpsychologie an die Anforderungen des Österreichischen Bundesheeres angepasst und im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Das Betreuungskonzept CISM wird der Ebene 2 des psychologischen Betreuungssystems zugeordnet.

Gemäß des CISM-Konzepts gibt es verschieden stark betroffene Personengruppen, abgestuft nach dem Involvierungsgrad:

  • Primär Betroffene sind Personen, die unmittelbar von einem CI betroffen sind (z. B. Besatzung eines Heereskraftfahrzeuges bei einem Verkehrsunfall, eine Jägergruppe, die im Einsatz einen Ausfall durch Minen verzeichnet oder ein Zug, der bei einem Scharfschießen Verletzte zu beklagen hat).
  • Sekundär Betroffene sind vom CI nur mittelbar betroffen und waren beim eigentlichen CI subjektiv nicht gefährdet bzw. nicht unmittelbar vor Ort (z. B. Zeugen eines Unglücks, Helfer bei einem Unfall oder Angehörige von Einsatzorganisationen).
  • Tertiär Betroffene sind nicht direkt durch das Ereignis betroffen, stehen aber in einer engen sozialen oder emotionalen Verbindung zu den Betroffenen (Freunde, Kameraden, Kollegen etc.).

Methoden die im Rahmen des CISM zur Anwendung gelangen

Im Rahmen des CISM gibt es eine Reihe von Maßnahmen, deren Anwendung sich nach der Anzahl der Betroffenen und nach der zeitlichen Nähe zum CI richtet. Eine Aufzählung der CISM-Maßnahmen ist aus der folgenden Grafik ersichtlich.

CISM-Interventionen setzen sich u. a. aus folgenden Komponenten zusammen:

  • Informationen über Reaktionen und Symptome bei CIs,
  • Austausch über Erlebtes,
  • Hilfsangebote,
  • Erörterung von Bewältigungsmethoden,
  • Erarbeiten von Perspektiven etc.

Kommandanten können bei der Umsetzung von CISM-Maßnahmen behilflich sein, indem sie

  • wissen welche Peers für ihre Soldaten verfügbar sind,
  • im Anlassfall Räumlichkeiten zur Verfügung stellen,
  • die Teilnahme der Betroffenen ermöglichen und
  • koordinativ unterstützen.

Alle CISM-Maßnahmen finden unter folgenden Voraussetzungen statt::

  • ruhige, ungestörte Umgebung;
  • freiwillige Teilnahme;
  • Verschwiegenheit;
  • niemand wird zum Sprechen gezwungen;
  • es werden keine Aufzeichnungen gemacht.

Die bereits beschriebenen CISM-Maßnahmen werden durch Psychologen und/oder Peers durchgeführt.

Peers sind Soldaten bzw. Bedienstete des Ressorts, die eine spezielle Ausbildung in CISM absolviert haben. Diese Ausbildung gliedert sich in zwei Teile (Peerausbildung 1 und 2) und Seminare, welche dem Qualifikationserhalt (Peer Refresher) dienen. Dass nur geeignete Personen zu Peers ausgebildet werden, sind die jeweiligen Kommandanten verantwortlich, nur jene mit den erforderlichen Voraussetzungen zu dieser Ausbildung zu melden.

Diese Fähigkeiten umfassen u. a.

  • Teamfähigkeit,
  • soziale Kompetenz,
  • Belastbarkeit,
  • Reflexivität,
  • Einfühlungsvermögen,
  • Verschwiegenheit und
  • Kommunikationsvermögen.

Die Hauptaufgaben eines Peers sind, in Abstimmung mit der Militärpsychologie, die erste Betreuungs- und Beratungstätigkeit vor Ort durchzuführen, die Verbindung zu Vorgesetzten herzustellen sowie CISM-Maßnahmen für die Truppe anzubieten bzw. vorzubereiten.

Notfallpsychologische Versorgung in den Streitkräften

Truppenpsychologie ist in den gro¬ßen Verbänden der Streitkräfte und in der Auslandseinsatzbasis, sowie dem Jagdkommando organisatorisch verankert. Neben der Einsatzvorbereitung, der Einsatzbegleitung und der Einsatznachbereitung sind die Truppenpsychologen in enger Zusammenarbeit mit den Notfallpsychologen und den Peers des Ressorts für die notfallpsychologische Versorgung in den Streitkräften verantwortlich.

Die Aufgabenfelder von Truppenpsychologen sind die Betreuung der Soldaten und Bediensteten und die Beratung von Kommandanten. Im Rahmen der Umsetzung der notfallpsychologischen Versorgung sind sie für die Umsetzung der Maßnahmen des CISM verantwortlich. Das Ziel aller zur Anwendung gebrachten Maßnahmen und Interventionsstrategien liegt in der Stärkung und der Erhaltung der psychischen Einsatzbereitschaft der Soldaten. In der Umsetzung der Maßnahmen steht die Prävention im Vordergrund. Dabei werden Soldaten mit dem Umgang mit belastenden und/oder potenziell traumatisierenden Ereignissen und den damit möglicherweise verbundenen Stressfolgen vertraut gemacht. In Ausbildungs- und Trainingsmaßnahmen lernen diese mit Belastungen umzugehen, Stressmanagementtechniken anzuwenden und psychologische Selbst- und Kameradenhilfe zu leisten.

Reichen nach einem besonders belas¬tenden Einzelerlebnis im Einsatz oder auch bei entsprechenden Ereignissen im Inland die Maßnahmen der psychologischen Selbst- und Kameradenhilfe nicht mehr aus, um eine Stabilisierung der Betroffenen herbeizuführen, werden durch hierfür gebildete Krisenteams unter der Leitung von Notfallpsychologen, strukturierte Gespräche und Einzelmaßnahmen durchgeführt.

Nach Einsatzrückkehr wird, bei den für alle Soldaten obligatorischen Rückkehreruntersuchungen bei der Auslandseinsatzbasis durch die dort organisatorisch verankerten Psychologen, besonders auf Anzeichen von beginnenden oder manifesten Störungen in Folge des Einsatzes geachtet.

Ebene 3

Klinische Psychologie in den Militärmedizinischen Zentren

Ebene 3 beinhaltet die spezielle Behandlung Einzelner durch Fachkräfte in den Militärmedizinischen Zentren. Die psychologische Versorgung erfolgt durch klinische Psychologen, die in Ambulatorien in den Militärmedizinischen Zentren in Anspruch genommen werden können. Bei anhaltenden Belastungen bzw. bei Beeinträchtigung der Lebensqualität in Folge des Erlebens eines traumatischen Ereignisses werden Soldaten durch den Truppenarzt an die klinischen Psychologen in den Militärmedizinischen Zentren überwiesen. Die Hauptaufgabe liegt in der Erstellung einer ausführlichen Diagnostik und dem Erarbeiten von Behandlungsalternativen, um die Voraussetzungen zur Erhaltung bzw. der Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft von Soldaten zu schaffen.

Ebene 4

Psychotraumatologische Versorgung im Traumazentrum

In der Ebene 4 wird die psychologische/psychotherapeutische Versorgung von Soldaten sichergestellt, die im Rahmen des Einsatzes in Folge von traumatischen Ereignissen oder durch den Einsatz selbst traumatisiert wurden und daher psychotherapeutischer Betreuung bedürfen.

Im Wissen um die Entwicklung von Störungsbildern aus dem Erleben von traumatischen Erlebnissen, ist es ein besonderes Anliegen der Militärpsychologie, Soldaten in der Bewältigung von traumatischen Ereignissen zu unterstützen.

Beim Kommando Einsatzunterstützung im Sanitätszentrum West in Innsbruck wurde ein Militärpsychologisches Kompetenzzentrum für Stressmanagement und Psychotraumatologie - das Traumazentrum eingerichtet.

Zielgruppe für die Betreuung und Behandlung durch das Traumazentrum sind Soldaten und Bedienstete nach Einsätzen und/oder anderen CIs, die in der dienstlichen Verwendung erfahren wurden. Der Betreuungsprozess soll für die Betroffenen Voraussetzungen für den Wiedereintritt in ein "Leben nach dem Einsatz" gewährleisten.

Grundsätzlich handelt es sich in allen Fällen um traumatisierte Soldaten, jedoch nicht um "psychisch kranke" Menschen, also um Soldaten, oder auch Bedienstete des Bundesheeres, die in Folge eines traumatischen Ereignisses "normale Reaktionen nach außergewöhnlichen Ereignissen" zeigen.

Die Humanfaktorgruppe

Ein zusätzliches, interdisziplinäres Instrument, das der psychologischen Versorgung der Soldaten dienen soll, ist die Humanfaktorgruppe. Um in professioneller Qualität auf CIs reagieren zu können, wurde diese im Streitkräfteführungskommando als unmittelbar beratendes Organ für den Kommandanten und Chef des Stabes eingerichtet.

Das interprofessionelle Zusammenwirken zwischen den Fachbereichen der Psychologie und anderen im psychosozialen Bereich tätigen Professionen soll in weiterer Folge dargestellt werden.

Die Humanfaktorgruppe besteht aus den Fachbereichen der Psychologie, der Seelsorge, der Medizin, der Rechtsberatung und der Truppen- und Familienbetreuung. Gegebenenfalls werden die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und je nach Anlassfall kompetente Vertreter aus anderen Führungsgrundgebieten beigezogen.

Die Humanfaktorgruppe tritt als Kollegialorgan zur Bearbeitung eines Anlassfalles zusammen und trägt gemeinsam dem Kommandanten bzw. dem Chef des Stabes einen Vorschlag zur Problemlösung im konkreten Anlassfall vor.

Um unmittelbar betroffenen Personen die bestmögliche Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, ist eine enge Zusammenarbeit und rasche Abstimmung zwingend erforderlich. Alle psychologischen und rechtlichen Aspekte sollen berücksichtigt und Doppelgleisigkeiten und Widersprüchlichkeiten beim Kontakt mit betroffenen Personen und bei der Umsetzung der Maßnahmen minimiert werden.

Beispielsweise ist nur über die Fachschiene der Medizin der Zugang zu relevanten Informationen möglich, welche für die Bearbeitung und Entscheidungsfindung benötigt werden. Die fachliche Expertise und die Gleichschaltung des Informationsstandes aller synchron handelnden Akteure führen zur optimalen Prozessbearbeitung. Die ständige Abgleichung des Informationsstandes wird im gesamten Bearbeitungsprozess aufrechterhalten.

Aufgaben, die durch die Humanfaktorgruppe wahrgenommen werden, sind zum Beispiel das Überbringen einer Todesnachricht in unmittelbarem Zusammenwirken mit dem betroffenen Kommandanten.

Bei der Vorbereitung zur Überbringung der Todesnachricht an die betroffene Familie wirken folgende Komponenten zusammen:

  • Psychologie,
  • Seelsorge,
  • Truppen- und
  • Familienbetreuung.

All diese Maßnahmen werden unmittelbar mit dem vom Ereignis betroffenen Kommandanten direkt abgesprochen und koordiniert. Die Rechtsberatung sondiert die rechtlichen Rahmenbedingungen des Geschehens. Ein enges Zusammenwirken mit den Fachorganen der Öffentlichkeitsarbeit ist zwingend erforderlich, weil sowohl an die Massenmedien als auch an die Familien gleich lautende Mitteilungen übermittelt werden müssen, um Widersprüche zu vermeiden.

Im Zuge der Gestaltung von Bestattungsfeierlichkeiten leistet die Militärseelsorge einen wesentlichen Beitrag für die Angehörigen zur Bewältigung des Ereignisses. Die Truppen- und Familienbetreuung stellt in weiterer Folge die Betreuung der Angehörigen sicher. Die Betreuung aller betroffenen Personengruppen erfolgt so lange, bis alle erforderlichen und gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen durch die einzelnen Fachbereiche gesetzt wurden.

Auf einen Blick

Das ÖBH verfügt über Strukturen, die die psychologische Versorgung von Soldaten in vier Ebenen gewährleistet, um Interventionen zur Herstellung, der Erhaltung und gegebenenfalls zur Wiederherstellung der psychischen Gesundheit von Soldaten zu ermöglichen. Die Kommandanten sollen durch die aktive Unterstützung durch die Psychologen in ihrer Kommandantenverantwortlichkeit unterstützt werden.

Stress und Stressbelastungen sind unmittelbar mit dem Beruf des Soldaten verbunden. Kommandanten und Soldaten sollen für mögliche Folgen von traumatischen Erfahrungen sensibilisiert werden. Gleichzeitig werden Beratungs-, Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen durch die Militärpsychologie angeboten, um damit einen Beitrag zur Erhaltung der psychischen Gesundheit von Soldaten und Angehörigen des Bundesheeres zu leisten.

(wird fortgesetzt)

Beispiele potenziell traumatisierender Ereignisse

  • Schwerverletzte Kameraden;
  • Tod im Rahmen der Ausbildung;
  • Selbstmord von Soldaten (Rekruten, aber auch Kadersoldaten);
  • Verkehrstote unter besonderen Umständen;
  • Tod eines Kameraden im Einsatz;
  • intensiver Kampf;
  • Bezeugung von Kriegsverbrechen;
  • Bezeugung von zivilem Leid;
  • Massensterben;
  • anhaltende Bedrohung.

Autor: Hofrat Mag. Bernhard Penz, Jahrgang 1955, ist Klinischer und Gesundheitspsychologe, Notfallpsychologe, Psychotherapeut, leitender Psychologe im Streitkräfteführungskommando. Theresianische Militärakademie, Ausmusterung 1980. Verwendung als Offizier vom Einheitskommandanten bis zum Bataillonskommandaten und in Stabsfunktionen. Studium der Psychologie an der Universität Innsbruck. Verwendung als klinischer Psychologe im Sanitätszentrum West und Aufbau des Traumazentrums in Innsbruck.

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