Aus der Truppe: Fünf Jahre AUCON/KFOR
Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil!
Seit Oktober 1999 befindet sich ein österreichisches gepanzertes Jägerbataillon im Kosovo, um gemeinsam mit derzeit 35 anderen Nationen für ein sicheres, stabiles Umfeld zu sorgen.
Anfangs war die Lage ruhig, aber nicht stabil - dann folgten Zwischenfälle und die Unruhen im März 2004. Nun ist die Lage wieder ruhig, aber nicht stabil - an der Oberfläche herrscht trügerische Ruhe aber darunter ein sehr hohes Konflikt- und Gewaltpotential. Die Unruhen im März haben u. a. gezeigt, wie rasch es mit der Ruhe vorbei sei kann. Wochen - ja sogar Monate Routinetätigkeiten auf allen Ebenen - und innerhalb von Stunden eskaliert dann die Lage. Routine ist gut, führt aber zu Unaufmerksamkeit, zum Nachlassen der Sensibilität für das Umfeld, zu Bequemlichkeit und letztlich zum Hinterfragen von Notwendigkeiten. Und genau hier liegt die Herausforderung für die Soldaten vor Ort, aber noch viel mehr für die Kommandanten aller Ebenen in und außerhalb des Einsatzraumes.
Personalwerbung
Eine Werbung mit Bildern von Sonnenuntergängen, verschleierten Frauen, Hubschrauberflügen und Kamelen gaukelt falsche Tatsachen vor. Denn derartige Bilder beeinflussen die Bewusstseinsbildung der Soldaten, und die Interessenten melden sich unter falschen Voraussetzungen. Danach ein Umdenken - im Sinne des notwendigen Worst case-Denkens im Einsatzraum - einzuleiten, um falsche Vorstellungen zu korrigieren, ist schwierig; eine ehrlichere Information wäre besser.Personalauswahl
Die Auswahl für den Auslandseinsatz verläuft seit Jahren nach einem bewährten Modus: Geprüft werden die körperliche Leistungsfähigkeit, die psychologische Eignung und der Gesundheitszustand. Die Gründe für die Austeilung aus militärischen Rücksichten müssten aber überdacht werden. Zu hinterfragen wäre jedoch auch die fachliche Eignung und die Erfüllung ausbildungsmäßiger Voraussetzungen. Die Handhabung des Panzerabwehrrohres oder des überschweren Maschinengewehres (um einige Beispiele zu nennen) müssen ebenfalls Voraussetzungen für die Einteilung sein. Die Einsatzvorbereitung (die sich am Worst case orientieren muss) ist dafür zu kurz. Das Befüllen der Organisationspläne ist wichtig, das Beherrschen der Funktion, um im Einsatz zu bestehen, jedoch wichtiger. Die Frage, ob und wann in den letzten fünf Jahren der "Routine" ein Panzerabwehrrohr eingesetzt wurde, ist dabei nicht relevant.Einsatzvorbereitung
Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil - und die Einsatzvorbereitung ist (wie immer) angeblich zu lang. Aus Soldaten des Präsenz-, Miliz- und Reservestandes - alle Freiwillige mit unterschiedlichen Interessen und Motiven für die Meldung, mit nicht vergleichbarem Ausbildungsstand, unterschiedlicher körperlicher Leistungsfähigkeit und nur teilweise einsatzerfahren - ist ein einsatzbereiter Verband zu formieren. Drei Ziele müssen mit Ende der Einsatzvorbereitung erreicht sein:1. Das Handwerk beherrschen: Der Soldat muss Waffen und Geräte, Gefechtstechniken und Führung des Organisationselementes beherrschen bzw. können (nicht nur kennen). Ziele nur abzuhaken, um den Zielkatalog genüge zu tun, und damit das Gewissen zu beruhigen, ist unverantwortlich. Die Festigungsstufe ist die Minimalforderung, die Anwendungsstufe das Ziel.
2. Teambildung: Der Trupp, die Besatzung, der Zug, jedes Organisationselement, egal ob in der Stabs- oder in der Jägerkompanie, müssen zusammenwachsen. Gemeinsames Training ist die Voraussetzung für das Bestehen im Einsatz. Es darf keine Rolle spielen, ob der Gruppenkommandant, der Wirtschaftsunteroffizier oder sonst jemand schon dreimal im Einsatz war. Das Team muss gemeinsam trainieren und so zusammenwachsen.
3. Bewusstseinsbildung: Alle Betroffenen sind auch mental auf das Worst case-Szenario vorzubereiten. Es muss jedem Soldaten klar sein, was ihn schlimmstenfalls im Einsatz erwartet, und das muss die Grundlage für sein Handeln sowie für alle gesetzten Maßnahmen sein.
Die Frage einer möglichen Verkürzung der Einsatzvorbereitung hat sich hiermit hoffentlich erübrigt!
Einsatz
Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil - Einsatzdienstschema, Zusatzaufgaben im Rahmen der Brigade, hohe zeitliche Inanspruchnahme und trotzdem permanente Ausbildung und laufendes Training sind bereits eine große Herausforderung für Mannschaften und Kommandanten: Hunderte Patrouillen und Checkpoints - und keine Vorkommnisse, eine Vielzahl an Schwergewichtsaktionen - und nichts ist passiert, Schutz und Überwachung der serbischen Enklaven - und alles nur Routine. Das erfordert eine ungeheure Disziplin der eingesetzten Soldaten, vor allem aber der Kommandanten. Das Worst case-Denken muss selbstverständlich sein - selbst bei der zwanzigsten Patrouille. Genauso beim Crowd and Riot Control-Training, auch wenn bisher keine Riot control erforderlich war. Die hohe Wachsamkeit am zu schützenden Kloster muss sein, obwohl schon Monate nichts passiert ist, und die geplante Einsatzführung ist zu üben, obwohl die "Restricted Area" noch nie aktiviert wurde. Diese Umsetzung des Worst case-Denkens in der täglichen Routine ist für alle Soldaten im Einsatzraum die Herausforderung schlechthin.Einsatzende
Die Lage war ruhig, aber nicht stabil - nichts ist passiert, alle kommen gesund nach Hause - Gott sei Dank. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen jener, die mit Sonnenuntergängen werben, denen die Einsatzvorbereitung zu lange dauert und die die Ausbildungsinhalte kürzen wollen. Und mit jedem Monat, in dem die Lage ruhig, aber nicht stabil bleibt, werden die Mahner weniger ...Was aber, wenn ...?
Was aber, wenn plötzlich wieder etwas passiert? Es geht ja nicht um Krieg-spielerei oder Schwarzmalerei, sondern um die Kommandantenverantwortung. Es geht letztlich um die Pflicht aller Verantwortlichen, alles zu unternehmen (auch das ist Worst case-Denken), um den Einsatz erfolgreich - und mit allen eingesetzten Soldaten vollzählig, gesund und unversehrt - zu beenden.Oberstleutnant Franz Baumgartner