Im Mittelpunkt steht der Mensch: Krisenmanagement und Militärpsychologie
Die Vorwürfe in den Massenmedien - wegen angeblicher Folterskandale in Freistadt, Landeck usw. - haben gezeigt, wie rasch und leicht selbst eine so große Organisation wie das Österreichische Bundesheer in einen krisenhaften Zustand geraten kann.
In diesen turbulenten Dezembertagen war die Militärpsychologie stets unmittelbar in das Geschehen eingebunden. Sie wurde nicht nur durch das Errichten und Betreiben der Bundesheer-Hotline über fast eine Woche als operatives Element genutzt, sondern auch durch zahlreiche Betreuungstätigkeiten. Der Einsatz hat gezeigt, wie in solchen oder ähnlichen Szenarien vorgegangen werden kann, er zeigte aber auch Defizite im Krisenmanagement.
Am Freitag den 3. Dezember 2004 wurde in Telefonaten mit der Presseabteilung und dem Führungsgrundgebiet 5 (FGG 5) erstmals die Möglichkeit einer Hotline angesprochen. Diese sollte den unmittelbar und mittelbar betroffenen Personen eine Anlauf- bzw. Ansprechstelle bieten. Als Telefonbetreuer kamen dabei ausschließlich Heerespsychologen in Frage. Es war ja davon auszugehen, dass nicht nur Auskünfte und Beratungen, sondern darüber hinaus Betreuungstätigkeiten im Sinne von Kriseninterventionen notwendig werden könnten. Gerade für letztere wäre zusätzliches geschultes Personal nicht vorhanden gewesen. Am frühen Nachmittag des selben Tages erteilte dann das FGG 5 die Weisung für die Errichtung und den Betrieb einer Bundesheer-Hotline.
Ohne Vorbereitung kein Einsatz
Durch die persönlichen Kontakte einiger Militärpsychologen zu den Austrian Airlines, im Speziellen zu deren Emergency Response Planning, war und ist es möglich, dort seit Jahren Personal (AUA, Lauda Air, Lufthansa, Flughafen Wien usw.) auf solche Telefontätigkeiten vorzubereiten und an Hotline-Simulationen teilzunehmen. Denn sowohl die Aufbauorganisation - beginnend bei der Frage, welche Stellen konkret ab wann und unter welchen Nummern dafür eingesetzt sind - als auch der Ablauf bedürfen langfristiger Vorbereitungen und ausreichender Übung: Wie wirken z. B. die Stellen, bei denen Anrufe eingehen, zusammen? Durch wen erfolgen die Mitteilungen an Angehörige? Welches speziell geschulte Personal wird direkt am Ort des Geschehens tätig? Wer betreut die Hilfskräfte? Wer sorgt für die Infrastruktur und wie erfolgt die Alarmierung der Telefonbetreuer?Die mittelbaren Erfahrungen daraus waren in den besagten Tagen sehr nützlich: Bereits am 3. Dezember um 1615 Uhr war die Bundesheer-Hotline-Zentrale mit zwei Telefonen betriebsbereit. Unmittelbar nach dem Erhalt der Weisung wurden auch Notfallpsychologen und Peers (Betreuer von Betroffenen) in Oberösterreich, der Steiermark, in Tirol und in Kärnten bereitgestellt, um bei eventuellen Krisen- bzw. Betreuungsfällen sofort einsatzfähig zu sein. Dazu ein konkretes Beispiel: Am Sonntag den 5. Dezember um 1015 Uhr rief ein Betroffener die Hotline-Zentrale an und um 1115 Uhr trafen bereits eine Notfallpsychologin und ein Peer an dessen Privatadresse ein.
Die Hotline war zunächst bis Sonntag geplant. Aufgrund der großen Akzeptanz der Hotline wurde sie bis Mittwoch den 8. Dezember verlängert. Insgesamt waren 14 Militärpsychologen im Schichtdienst eingesetzt.
Die Häufigkeit der Anrufe war sehr unterschiedlich, von über 100 Anrufen pro Tag bis lediglich etwas mehr als zehn. Auch das Anspruchsniveau war sehr unterschiedlich, von der versuchten Beleidigung bis hin zum intensiven Betreuungsgespräch.
Neben der telefonischen Tätigkeit arbeiteten mehrere Militärpsychologen und Peers in der persönlichen Betreuung. Nicht nur bei den Einvernahmen vor der Untersuchungskommission, sondern auch bei den Kompanien des Jägerbataillons 15 in Freistadt wurden über 20 Kadersoldaten in Gruppen sowie einzeln betreut. Zweimal wurden Militärpsychologen als Fachorgane für Psychologie in die Untersuchungskommissionen berufen. Für schwere Fälle stand das "Traumazentrum" des Militärspitals 2 in Innsbruck in Bereitschaft. Dieses versucht seit Monaten, das Defizit einer fehlenden organisatorischen Einrichtung zur Betreuung von traumatisierten Soldaten auszugleichen. Allerdings hat keiner der betroffenen Rekruten, die sich bei der Bundesheer-Hotline telefonisch meldeten, eine militärpsychologische Betreuung in Anspruch genommen.
Nicht immer wird das reichen ...
Stellen wir uns aber einmal Folgendes vor: In einem Krisengebiet, in dem z. B. Kräfte für Internationale Operationen/Kaderpräsenzeinheiten (KIOP/KPE) eingesetzt sind, kommt es zu einem Feuergefecht mit Verletzten und Toten oder auch "nur" zu einer Notlandung einer voll besetzten C-130. Darüber würden unverzüglich Medienberichte, vielleicht sogar Sondersendungen erfolgen, und bereits kurz nach den ersten Medienberichten würden viele besorgte, aufgeregte Menschen anrufen, die Auskünfte haben wollen. Dabei stellt sich bereits das erste Problem: Wer sorgt konkret und rechtzeitig für die - zum Errichten und Betreiben einer Hotline größeren Ausmaßes nötigen - Strukturen? Welche Vorkehrungen, Einrichtungen und Erfahrungen im Bundesheer können bzw. sollen dafür genutzt werden? Eine Hotline mit zwei Telefonen wird dafür jedenfalls nicht reichen.Die Militärpsychologie hat aus diesem Einsatz - trotz der Anerkennung und des Dankes - kritisch ihre Lehren gezogen, hoffentlich tun dies andere hinsichtlich des Krisenmanagements ebenfalls.
Obstlt dhmfD Mag. Christian Langer