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Friendly Fire - weiterhin ein Problem

Lehren aus dem Irak-Krieg 2003

Auch wenn der diesjährige Krieg gegen Saddam Hussein wenig Ähnlichkeit mit jenem von 1991 hatte, zeigte er dennoch ein - noch immer bestehendes - gravierendes Problem für die Führung aller Ebenen auf: die Verluste durch Friendly Fire.

In der Operation Desert Storm 1991 war beinahe ein Viertel aller Verluste der Koalition auf Friendly Fire zurückzuführen! Nach offiziellen Angaben amerikanischer und britischer Stellen wurden 35 amerikanische und neun britische Soldaten durch die Waffenwirkung eigener Kräfte getötet.

Auch in anderen Konflikten, wie z. B. Anfang 2002 in Afghanistan, kamen vier kanadische Soldaten durch die Rakete eines US-Kampfjets ums Leben, dessen Pilot das automatische "Nicht Feuern" Signal ignoriert hatte.

Gedanken zum Thema Friendly Fire

Fehlerquellen

Fehlgeleitete Waffensysteme, mangelnde Beherrschung von elektronischem Gerät, Fehlfunktionen oder einfach der Risikofaktor Mensch können Gründe für solche tragischen Unfälle sein, die bei Kampfhandlungen immer vorkommen können. Die Verantwortung zur Reduktion dieses Gefährdungspotenzials liegt vor allem bei der operativen und der oberen taktischen Führung. Diese haben bei den Kommandanten aller untergeordneten Ebenen dafür das Bewusstsein zu schärfen, dass die Sicherheit der Truppe im Kampf nicht ausschließlich durch Feindeinwirkung, sondern auch durch persönliches Fehlverhalten, mangelnde Feuerdisziplin sowie Orientierungs- und Erkennungsschwierigkeiten gefährdet ist.

"Situational Awareness"

Die Kenntnis des genauen Standpunktes der eigenen Truppe, der Nachbarn, von Verbündeten und Neutralen (Zivilisten) sowie der Feindlage sind unabdingbare Voraussetzungen für ein friktionsfreies Führen des Gefechtes. Alle diese Faktoren sind bei der Planung und Ausführung von Operationen im so genannten METT-T (Mission, Enemy, Troops, Terrain and Time available; also Auftrag, Feind, [eigene] Truppe, Gelände und verfügbare Zeit) zu berücksichtigen.

Positive Erkennung

Die unmittelbare, fehlerfreie und zuverlässige Unterscheidung zwischen eigenen Kräften oder eigenem Gerät und Feindzielen durch dafür geeignete Mittel sind die Voraussetzung, um Friendly Fire zu verhindern. Dabei ist auf dem heutigen Gefechtsfeld diese Freund-Feind-Kennung auf die größtmögliche Entfernung einzusetzen, da der Einsatz weit reichender Waffensysteme ansonsten schwerwiegende Folgen für die eigenen Kräfte nach sich ziehen könnte.

Ursachen für Friendly Fire

Mangelnde Koordination der Truppe bei der Einweisung in die Kampfführung, was sich besonders fatal bei einem Ausfall der Führungsmittel im Laufe der Gefechtshandlungen auswirkt bzw. wenn sich die Lage durch Feindreaktionen wesentlich ändert.

Fehlende Übersicht über die Truppenbewegungen im Kampf - manchmal verstärkt durch schlechte Sicht oder Orientierungsschwierigkeiten - kann dazu führen, dass eine vorgeplante Feuerunterstützung auf das falsche Ziel abgegeben wird oder ein geleitetes Feuer auf eigene Kräfte gelegt wird.

Falsche oder zu spät kommende Meldungen, hervorgerufen durch Überlastung der Fernmeldemittel oder durch elektronische Störmaßnahmen können dazu beitragen, dass der aktuelle Standpunkt der eigenen Kräfte nicht immer exakt bekannt ist und dadurch die Truppe durch eigenes Feuer gefährdet wird.

Versagen der Freund-Feind-Kennung. Die Technik auf diesem kritischen Gebiet entwickelt sich nur langsam, und die bisher vorhandenen Geräte sind noch nicht leistungsfähig genug, um das Problem des Friendly Fire endgültig aus der Welt zu schaffen. Diese Systeme müssen auch unter den schwierigsten klimatischen Bedingungen funktionieren und unter allen Kampf- und Einsatzbedingungen wirksam bleiben.

Bis eine leistungsfähige und verlässliche elektronische Freund-Feind-Kennung verfügbar ist, muss weiterhin mit Notlösungen gearbeitet werden.

Gefechtsbeispiele zum Thema Friendly Fire

"Desert Storm" 1991

Neun britische Soldaten wurden in ihrem Mannschaftstransportpanzer von einer Fairchild A-10 der US-Streitkräfte angegriffen und kamen dabei ums Leben. Das machte fast die Hälfte der britischen Verluste in der gesamten Operation aus.

Bei einem besonders tragischen Zwischenfall im Februar 1991 schossen zwei im Gefecht stehende US-Panzer der 2nd Armored Division aufeinander. Granaten einer irakischen Panzerabwehrkanone hatten nicht mehr als einige Funken verursacht, als sie vom Kampfpanzer M1A1 "Abrams" abprallten. Die Besatzung deutete die Treffer als Einschläge von Panzergeschossen, darüber hinaus sah sie in ihren Wärmebildgeräten das Feuer von Panzerkanonen und schoss sofort zurück. Die DU-Munition (Depleted Uranium/Abgereichertes Uran) traf den anderen Panzer voll. Alle Besatzungsmitglieder waren auf der Stelle tot.

In Summe ging beinahe ein Viertel aller Verluste der Koalition auf das Konto von Friendly Fire.

"Iraqi Freedom" 2003

Bereits in den ersten Tagen der Kampfhandlungen im Irak wurde ein "Tornado" GR4 der Royal Air Force bei der Rückkehr von einem Einsatz, kurz vor der Landung auf einem Flugfeld in Kuwait, durch eine "Patriot"-Rakete abgeschossen. Die Besatzung wurde getötet. Experten äußerten sich dahin gehend, dass dieser Unfall durch ein Versagen der "Patriot"-Software hervorgerufen worden sein könnte.

Bereits am Tag darauf ereignete sich ein zweiter Zwischenfall im Raum Najaf. Eine F-16 der U.S.-Luftwaffe wurde von einem mobilen "Patriot"-Radar aufgefasst; der Pilot reagierte automatisch und schoss das Radargerät mit einer HARM-Rakete (Highspeed Anti-Radar Missile) ab, dadurch rettete er wahrscheinlich sein Leben. Bei einer Untersuchung dieses Vorfalles stellte sich heraus, dass die "Patriot"-Bedienung unter Granatwerferbeschuss gelegen und deshalb in Deckung gegangen war. Das Gerät war im Automatikbetrieb weitergelaufen und hatte aufgeschaltet, als der Jet in den Überwachungsbereich einflog. In beiden Fällen versagte wahrscheinlich die automatische Freund-Feind-Erkennung (Identification Friend-Foe - IFF).

Ein britischer Soldat verlor sein Leben, als einige leicht gepanzerte Fahrzeuge der "Blue and Royals Cavalry" bei Basrah von einer A-10 irrtümlich angegriffen wurden.

Aber nicht nur aus der Luft gerieten die Koalitionstruppen ins "Blue on Blue", wie es die Truppe seit "Desert Storm" zu umschreiben pflegt. In der Nacht auf den 25. März schossen in der Schlacht vor Basrah zwei britische Panzer des Typs "Challenger" 2 aufeinander. Beide gehörten zum Panzerregiment "Queens Royal Lancers", einer Eliteeinheit der "Royal Fusilier"-Kampfgruppe. Die "Challenger" waren mit Spezial-Erkennungsplatten ausgerüstet, die eine klare Identifikation bei Verwendung von Wärmebildgeräten erlauben. Darüber hinaus besaßen beide zusätzliche Infrarot-Marker und selbstleuchtende Erkennungszeichen. Doch all diese Maßnahmen halfen nicht. Eine einzige DU-Granate durchschlug die schwere Panzerung des einen "Challenger". Die Bordmunition explodierte; mit dem Resultat, dass zwei Mann tot und zwei schwer verwundet waren.

Am 27. März wurde beim 2nd Battalion, 8th US-Marines, bei Nasiriyah ein Funkausfall gemeldet. Kurz danach lag auf dem vorgeschobenen Bataillonsgefechtsstand schweres Granatwerferfeuer, das 31 Marines verwundete. Die Einheit hatte zwar technisches Gerät, um das Feuer zu orten, jedoch keine Funkverbindung zum Brigadestab, um sich zu vergewissern, ob sie unter irakischem oder gar amerikanischem Feuer lag. Erst nach 90(!) Minuten, nach Wiederherstellung einer Fernmeldeverbindung, wurde das Feuer eingestellt. Die U.S.-Artillerie hatte, bedingt durch falsche Feuerleitung, das falsche Ziel angegriffen!

Technische Erkennungsmaßnahmen

In Zukunft sollen Bodentruppen und Kampffahrzeuge, dabei besonders Panzer und Schützenpanzer, mit Warneinrichtungen ausgerüstet werden. Dazu zählen die so genannten Call Sign Boards (Rufzeichenmarkierungen), wie sie z. B. auch die israelischen Streitkräfte verwenden. Das sind weiße, geometrische Zeichen, die auf den im Funkspruch verwendeten Decknamen oder Kennungen basieren. So wird im Panzerzug der Kommandant mit A, seine beiden dazugehörigen Panzer mit A1 bzw. A2 bezeichnet. Die A-Kompanie beispielsweise wird mit einem - v - , die B-Kompanie mit einem - ^ - und die C-Kompanie mit - - usw. gekennzeichnet. Führungsfahrzeuge erhalten Ziffern als Erkennungsmerkmal. Diese Zeichen sind bei klaren Sichtverhältnissen bis auf ca. 400 Meter Entfernung zu erkennen.

Weitere Möglichkeiten sind: die so genannte "Phoenix"-Leuchte, die Lichtblitze aussendet, welche nur mit Spezialgeräten sichtbar sind; Panzerfahrzeuge können mit Wärmeschilden ausgerüstet werden, die vom Boden und aus der Luft mit Infrarotsichtgeräten zu erkennen sind.

Das Department of Defense investierte innerhalb der letzten 10 Jahre über 175 Millionen Dollar für die Entwicklung des Battlefield Combat Identification Systems (BCIS). BCIS arbeitet im Millimeterwellenbereich auf der Basis eines elektronischautomatischen "Anfrage und Antwort"-Systems. Das System erkennt Bodenziele auf 50 bis 5 500 m und Luftziele auf 150 bis 8 000 m Entfernung. Die automatische Auslösung erfolgt z. B. durch Aktivierung des bordeigenen Laser-Entfernungsmessers eines Gefechtsfahrzeuges. Das System richtet eine verschlüsselte Anfrage an das anvisierte Ziel. Je nachdem, wie die Antwort des anvisierten Zieles ausfällt, erhält der Richtschütze des Gefechtsfahrzeuges eine "shoot" oder eine "don’t shoot" Entscheidung durch das System. Wegen fehlender finanzieller Mittel köchelt das Projekt seit 2001 auf Sparflamme. Bisher wurde nur die 4th Infantry Division (mech), die so genannte "US Digital Division", mit BCIS ausgerüstet. Diese Division hat leider viel zu spät in das Gefecht im Irak eingegriffen, um die Leistungsfähigkeit des Systems voll ausloten zu können.

Die amerikanischen und britischen Bodentruppen verließen sich im Irak daher weiterhin auf die bekannte Global-Positioning-Technologie (GPS), welche sich ebenfalls nur als begrenzt tauglich herausgestellt hat. Ein neues System, "Force XXI Battle Command Brigade and Below" (FBCB2), soll dieses Problem in Zukunft endgültig lösen. FBCB2 ermöglicht dem taktischen Führer, die Position seiner Truppe - und auch die des Feindes - genau auf einem Bildschirm zu überwachen. Nach inoffiziellen, unbestätigten Angaben sollen bereits etwa 1 000 Stück dieser Geräte im Einsatz sein. Ob sie sich bei den kämpfenden Einheiten im Irak befanden, ist ebenfalls unklar. Deshalb ist es derzeit noch nicht möglich abzuschätzen, wie sich dieses System in Krisenfällen bewährt.

Individualschutz gegen Friendly Fire

Auch der einzelne Soldat ist durch Friendly Fire gefährdet. Ein besonders schwerer Zwischenfall ereignete sich am 27. August 2000 im Zuge einer routinemäßigen Anti-Terror-Operation im Westjordanland. Dabei wurden drei Soldaten eines israelischen Eliteverbandes durch das Feuer von Kameraden getötet. (Eine ausführliche Schilderung dazu siehe TRUPPENDIENST-Heft 1/2001 S. 51-56). Die israelische Armee forderte daraufhin nicht nur eine gründliche Untersuchung des Vorfalles selbst sowie der taktischen Mängel, die bei diesem Einsatz zu Tage traten, sondern beauftragte die Industrie, ein passendes Gerät zu entwickeln, um solche Unfälle in Zukunft zu vermeiden.

Eine israelische Firma lieferte ein solches Gerät unter dem Namen Combat Identification Device (CID). Es benutzt einen Infrarot-Sender, der in einer festen, lichtdurchlässigen Kunststoffkapsel eingebettet ist, um im Gefecht ohne Beschädigung zu funktionieren. Hochleistungs-Infrarot-Leuchtdioden (IRLD) können im Nachsichtgerät erkannt werden. Das Modell Army des CID verfügt über zwei IRLD in der Größe von ca. 2,5 cm, die vorne und hinten am Kampfhelm angebracht werden. Die hinten am Helm montierte Leuchtdiode kann auch auf normales Licht umgeschaltet werden; sie dient so zur leichteren Orientierung bei Nachtmärschen.

Die Vereinigten Staaten verfolgen ein Projekt namens JEDI ( Joint Expeditionary Digital Information). Dieses System, das auf Basis der Satellitennavigation funktioniert, besteht aus einem Fernglas mit Laser-Entfernungsmesser, einem Satellitentelefon mit Text-Funktion (SMS) sowie einem Palmtop (Kleincomputer, der üblicherweise in eine Handfläche passt). Der Bediener verfolgt im Fernglas ein Fahrzeug; die Position, Entfernung, Fahrrichtung und der Fahrzeugtyp werden auf den Palm übertragen. Durch das Betätigen einer Taste am Palmtop wird über eine Satellitenverbindung von der Kommandostelle die Information übermittelt, ob es sich um einen Freund oder Feind handelt. Der gesamte Ablauf dauert nicht länger als drei Sekunden. Die Frage ist nur, ob ein so kompliziertes Gerät, vollgestopft mit Mikroelektronik, auch unter schwierigen Gefechtsbedingungen reibungslos funktioniert.

Zusammenfassung

Auch bei Verwendung der besten und modernsten Geräte ist ein Feuer auf die eigenen Kräfte vermutlich nie ganz auszuschließen. Es bleibt immer ein Restrisiko, und dieser Faktor ist der Mensch; insbesondere jener, der das erste Mal inmitten eines Feuergefechtes steht.

Ferner ist in Betracht zu ziehen, dass auch das beste technische Gerät im Gefecht ausfallen kann. Dann muss die Truppe auf einfache Notmaßnahmen ausweichen können. Sich nur auf die Technik zu verlassen, kann schwerwiegende Folgen im Kampf nach sich ziehen, wenn die Soldaten nicht genügend gedrillt werden, um bei Versagen der Technik Alternativlösungen anwenden zu können.

Friendly Fire hat schwerwiegende Folgen für die Moral der Truppe. Es kann dazu führen, dass die Truppe das Vertrauen in die Führung verliert und mit Zögern im Kampf reagiert. Dieses Verhalten führt unweigerlich zu Krisen im Gefecht und kann den gesamten Auftrag gefährden. Um dies zu verhindern, liegt es in der Verantwortung der Führungsorgane aller Ebenen, alle verfügbaren Mittel auszuschöpfen, um derartige Vorfälle zu vermeiden.

Autor: Lieutenant Colonel David Eshel (retd) wurde 1928 in Dresden geboren und emigrierte 1939 nach Palästina. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er 1948 einer der Begründer des israelischen Panzerkorps und diente 26 Jahre bei den israelischen Streitkräften. Nach seiner militärischen Ausbildung in Saumur (Frankreich) war er in verschiedensten Kommando- und Stabsfunktionen tätig, kämpfte in allen Arabisch-Israelischen Kriegen bis 1967 und war zuletzt Taktiklehrer im "Command and Staff College". Er studierte Geschichte an der Universität in Tel Aviv und war zwölf Jahre lang Herausgeber einer israelischdeutschen Zeitschrift. Er arbeitet derzeit als freier Journalist und Analytiker in Sicherheitsfragen für mehrere europäische und amerikanische Militärpublikationen.

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Friendly Fire/Fratricide

Die beiden Begriffe bedeuten: Abschuss eigener Kräfte durch eigenes Feuer. Die wörtliche Übersetzung des Begriffes "fratricide" hingegen bedeutet Brudermord oder Geschwistermord. In U.S.-Schriften finden sich dafür verschiedene Definitionen:

Fratricide

The employment of friendly weapons and munitions with the intent to kill the enemy or destroy his equipment or facilities, which results in unforeseen and unintentional death and injury to friendly personnel. (Field Manual [FM] 100-5) Fratricide/friendly fire

A circumstance applicable to persons accidentally killed or wounded or equipment accidentally or mistakenly damaged in military action by friendly forces actively engaged with the enemy while directing fire at a hostile force or what is thought to be a hostile force. (FM 100-23) In diesem Beitrag wurde aus Gründen der Verständlichkeit der Begriff Friendly Fire verwendet.

-Red-

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