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Psychologie: Was ist Sicherheit wert?

In den jüngsten Medienberichten liest man, dass gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation oder gar Rezession so manche Länder Veränderungs- und Einsparungspotential im Bereich der Sicherheit orten. Gespart wird v. a. bei der Sicherheit nach Außen, also beim Militär. Von Umstellungen auf ein Berufsheer, Verkürzung der Wehrpflicht oder Aussetzen der Wehrpflicht und einschneidenden Etatkürzungen in Ländern wie der Schweiz, Schweden, Deutschland, Österreich etc. ist die Rede.

Diese Reaktion der Verantwortungsträger im öffentlichen wie auch im privaten Bereich folgen fast gewohnten Automatismen - denn Kürzungen in Systemen mit höheren Sicherheitsansprüchen wie der Luftfahrt, der Autoindustrie aber auch des Militärs lassen sich vermeintlich rasch, einfach und vielfach über eine gewisse Zeit ohne bemerkbare Auswirkungen für die Sicherheit umsetzen.

Bei einem Lehrgang bei der deutschen Bundeswehr hatte ich Gelegenheit, mich mit deren Divisions- und Brigadepsychologen über die "Psycholage" der deutschen Soldaten in Afghanistan zu unterhalten. Dabei war zu hören, dass kaum mehr ein Tag vergeht, wo nicht die Meldung TIC (Troops in Contact; Feindkontakt) an die Einsatzzentralen gefunkt wird, und vielfach kleinere Gefechte kein mediales Interesse mehr hervorrufen bzw. nicht mehr berichtet werden. Es wurde auch diskutiert, wie sehr medial einsatzrelevante Versäumnisse in der Vergangenheit aufgrund der jahrelangen Einsparungen in der Bundeswehr offengelegt werden. In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Juli 2010 werden die unzulängliche Ausbildung der Soldaten an den Waffen und Geräten und die drastische Reduktion der Flugstunden für Hubschrauberpiloten durch einen Wehrbeauftragten moniert. Man präsentierte Zahlenmaterial, das die Vorfallhäufigkeit im Flugdienst um das fast fünffache gestiegen wäre. Als Ursachen dafür werden die Reduktion des Verteidigungsetats, die laufenden strukturellen Veränderungen und die damit einhergehenden teilweise unklaren Kompetenzzuschreibungen angeführt. Diese Versäumnisse werden gerade jetzt im Einsatz der Soldaten in Afghanistan, egal ob in Kunduz, Kabul oder Masar-i-Scharif sichtbar und gefährden das Leben jedes betroffenen Soldaten und das seiner Kameraden.

Inwieweit welche Defizite in welchem Ausmaß bei den verschiedenen Vorfällen einen Beitrag leisten, ist schwer einschätzbar. Jedenfalls wurden und werden Fehler auf allen Ebenen gemacht. Es wäre in der Ursachen- und Fehlerforschung zu kurzsichtig, zu sagen, dass z. B. die zu hohe Fahrgeschwindigkeit eines Einsatzfahrzeuges im Einsatzraum zu einem tödlichen Unfall geführt hat. Das Festmachen an einem so genannten aktuellen Fehler, nämlich der überhöhten Geschwindigkeit, der unmittelbar sichtbar wird und sofort auf den Fahrer umgelegt werden kann, ist zwar üblich aber unzureichend. Auch die Frage, ob die Handlung des Fahrers eine bewusste Verletzung bestehender Vorschriften darstellt, erklärt den Vorfall meist nicht. Vielmehr wäre auch der kausale Zusammenhang der latenten Faktoren zu hinterfragen, wie z. B. der Auftrag des Fahrers, dessen Auswahl, Ausbildung, der Typ und die Ausstattung des Fahrzeuges, die physischen und psychischen Belastungen, die Straßenverhältnisse etc. Diese Faktoren sind organisatorischer Natur, basieren auf Entscheidungen übergeordneter Ebenen und sind bedingende Aspekte für nachfolgende unsichere Handlungen und letztendlich von Vorfällen oder Unfällen.

Einsparen bei der Sicherheit heißt primär Reduktion von Personal, von Material, von Ausbildung, Auflösung von Organisationselementen, Verlust von Know-how und von Erfahrungswissen. Insgesamt kommt es zum Verlust von bestehenden funktionierenden Systemen. Aus organisationspsychologischer Sicht sind gerade das Bedingungen, die die Zuverlässigkeit eines Systems sehr anfällig machen lassen, denn bewährte Regulationsmechanismen für ein robustes System wie das ÖBH gehen verloren und müssen langsam wieder aufgebaut werden. Eindeutige Aufträge und Ziele, standardisierte Abläufe, Handlungssicherheit der Soldaten, einsatzorientierte Ausbildung, der offene Umgang mit Fehlern und die Motivation der Soldaten werden als Schlüsselfaktoren für Robustheit eines Systems hervorgehoben. Im Vergleich besonders sicherheitsrelevanter Einrichtungen wies ein Flugzeugträger gegenüber Flugverkehrskontrolleinrichtungen und Nuklearanlagen die größte Zuverlässigkeit auf.

Die jüngst vergangenen und bevorstehenden drastischen Einsparungen und Veränderungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Zuverlässigkeit, und es wäre zu wünschen - und empfehlenswert, wenn jede Entscheidung für die Organisation unter diesem Blickwinkel getroffen würde. Fehler auf jeder Ebene sind in einem System möglich und passieren, allerdings nur die Erkenntnis daraus kann für zukünftige Einsätze Menschenleben retten.

Autor: Oberst dhmfD Mag. Christian Langer

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