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Fallujah - Kampf um eine irakische Stadt (II)

Die zweite Offensive der Amerikaner in Fallujah im November 2004 kann aus militärischer Sicht als gelungene Operation beurteilt werden. Die Tatsache, dass bei relativ geringen eigenen Verlusten mit sechs Bataillonen eine Stadt mit 280 000 Einwohner erobert wurde, kann - allen gegenteiligen Berichten der Medien zum Trotz - als Erfolg gesehen werden. Den Kampf haben die Amerikaner nicht im Felde, sondern an der Medienfront verloren.

Die Fallujah-Brigade

Um das Problem Fallujah zu lösen, ließen sich die Amerikaner auf Verhandlungen mit ehemaligen irakischen Offizieren ein. Einer davon, Col Muhammad Latif, sicherte den Amerikanern zu, die Aufständischen unter Kontrolle zu bringen. Die Amerikaner müssten lediglich die Iraker mit eigenen Verbänden der Nationalgarde in Fallujah einmarschieren lassen. Diese Idee schien Erfolg versprechend und so wurde die Ausbildung von irakischen Einheiten beschleunigt.

Col Latif brachte einen weiteren irakischen Offizier ins Spiel: MajGen Jasim Saleh, einen Einwohner Fallujahs und ehemals hoher Offizier der irakischen Armee. Beide versprachen, die Aufständischen in Fallujah durch den Einsatz irakischer Einheiten der Nationalgarde zu befrieden und in eine eigens gebildete Fallujah-Brigade zu integrieren.

In Anbetracht dessen, dass vier amerikanische Bataillone - immerhin die Hälfte der 1st Marine Division - seit mehreren Wochen in Fallujah hinhaltenden Kämpfen ausgesetzt waren, stimmten die Amerikaner zu. Col Latif und MajGen Saleh erhielten Waffen, Munition und Geld, um ihre vier- bis fünfhundert Mann auszurüsten und auf einen Einsatz in Fallujah vorzubereiten.

Am 30. April 2004 zogen MajGen Saleh und Col Latif mit einigen Hundert Mann in Fallujah ein und am nächsten Tag wurde der geplante Einsatz der Iraker von LtGen Conway der internationalen Presse präsentiert.

MajGen Saleh wurden von Vertretern der schiitischen Glaubensgruppe Verbrechen unter dem Saddam-Regime vorgeworfen. Nach seiner Absetzung verblieb Col Latif als alleiniger Kommandant der Fallujah-Brigade. Diese sollte nun auch durch die beiden bereits seit Februar im Raum Fallujah stationierten Bataillone der irakischen Nationalgarde unterstützt werden.

Am 11. Mai begannen die vier Bataillone der Marines mit ihrem Rückzug aus den Außenbezirken der Stadt Fallujah. Die Situation schien gerettet. Der Blick der Weltöffentlichkeit fiel nun auf Abu Ghuraib, wo sich Anfang Mai die Vorfälle im dortigen - von den Amerikanern betriebenen - Gefängnis zum Skandal entwickelt hatten.

Erstarken der Widerstandsbewegung

Fallujah stand jedoch schon bald wieder im Blickpunkt des Medieninteresses. Wenige Tage nach dem Abzug der Amerikaner wurde auf Al-Zarqawis Website des Widerstandes Al-Ansar ein Video veröffentlicht. Darin zu sehen: Die Enthauptung der amerikanischen Geisel Nicholas Berg, welcher Mitte April in Bagdad verschleppt und nach Fallujah gebracht worden war.

Weitere Berichte aus der Stadt ließen erkennen, dass sich die Aufständischen nicht zurückgezogen hatten, sondern im Gegenteil immer offensiver auftraten. Schwer bewaffnete Vermummte errichteten Checkpoints und kontrollierten Zivilisten, während die Angehörigen der Fallujah-Brigade tatenlos zusahen oder sogar die Aufständischen unterstützten. Die Imame in den Moscheen hetzten in ihren Reden, dass der Kampf gegen die Amerikaner das oberste Ziel sei.

Die beiden wichtigsten Moscheen in Fallujah, Saad ibn Abi Wakkas und Al-Hydra al Mohammadiya wurden von den Imamen Al-Janabi und Al-Obeidi geleitet. Während Al-Janabi gleichzeitig der Führer der neu gegründeten Mujahideen Shura war, leitete Al-Obeidi gemeinsam mit Sheikh Tarlub Abdel Karim Al-Alusi den weltlichen Rat, d. h. die politische Shura von Fallujah. Diese Männer hatten sich neben Al-Zarqawi zu den Führern der Aufstandsbewegung entwickelt.

Weitere Berichte von Gräueltaten aus der Stadt und Filme über Enthauptungen von Geiseln gelangten in die Medien. Mitte Juni war es offensichtlich: Der Einsatz der Fallujah-Brigade war gescheitert. Ihre Angehörigen waren zum Großteil zu den Aufständischen übergelaufen oder desertiert. Col Latif selbst hatte sich aus Fallujah nach Bagdad zurückgezogen. Auch die Angehörigen der beiden Bataillone der Iraqi National Guard (ING), welche sich bisher zumindest neutral verhalten hatten, desertierten großteils, als ihre Anführer LtCol Suleiman und LtCol Jabar von den Aufständischen ermordet wurden.

Da für amerikanische Truppen eine Bewegung in der Stadt nahezu unmöglich geworden war, versuchte man nun mit gezielten Luftschlägen, basierend auf Geheimdienstinformationen, die Aufständischen zu schwächen. Doch diese Schläge schienen ins Leere zu gehen, und jeder noch so kleine, von den Amerikanern verursachte Kollateralschaden schien den Zulauf zu den Aufständischen nur zu verstärken.

Auch im übrigen Irak standen die Zeichen weiter auf Sturm. Die radikalen Anhänger von Al-Sadr provozierten am 5. August einen erneuten Aufstand in der Stadt Najaf. Erst am 20. August konnten diese Unruhen von den amerikanischen Truppen niedergeschlagen werden.

Die Coalition Provisional Authority (CPA) unter Botschafter Bremer war im Juni aufgelöst und ihre Agenden an die irakische Interimsregierung unter Premier Allawi übergeben worden. Die Aufgaben Bremers hatte der neue Botschafter John Negroponte übernommen.

Den Aufständischen in Fallujah gelang es währenddessen von Juli bis Oktober 2004, ihre Positionen ungestört weiter auszubauen. Bei zwei Selbstmordanschlägen im September und Oktober wurden in Fallujah einmal sieben und einmal neun Marines getötet. Die Angriffstechniken der Aufständischen hatten sich zusehends verbessert, und man war dazu übergegangen, auch Selbstmordattentäter einzusetzen. Die in und um Fallujah eingesetzten Bataillone der 1st MEF (Marine Expeditionary Force) verlegten - beginnend mit August - am Ende ihres siebenmonatigen Einsatzes wieder nach Amerika und wurden durch neue Verbände ersetzt. Es sollte nun an ihren Nachfolgern liegen zu beenden, was ihre Vorgänger begonnen hatten.

Vorbereitung einer neuen Offensive

Nachdem Präsident Bush die Wiederwahl gewonnnen hatte, schien auch die politische Führung in Washington wieder bereit zu sein, sich ungelösten Problemen zu widmen. Im Irak stand dabei die Stadt Fallujah an oberster Stelle; erneut der Schwerpunkt der irakischen Widerstandsbewegung. Bereits vier Tage nach der Wiederwahl von Bush gab der irakische Premierminister Allawi grünes Licht für eine erneute Offensive zur Einnahme von Fallujah. Die Einheiten der beiden Großverbände der 1st Marine Division, das RCT-1 und das RCT-7 (RCT - Regimental Combat Team), waren mit frischen Bataillonen aufgefüllt worden. Auch auf Seiten der irakischen Nationalgarde standen nun besser ausgebildete Soldaten und ausreichende Verbände zur Verfügung. Die Zeit schien gekommen, um zum alles entscheidenden Gegenschlag antreten zu können.

Die britischen Verbündeten wurden mit einem Trick an Bord geholt: Gen George Casey, der Kommandant der neuen Mutinational Force im Irak, bat die Briten, ihm eines ihrer Bataillone zur Außensicherung von Fallujah zur Verfügung zu stellen. Eine derartige Bitte ihrer Verbündeten konnten die Briten schwer ablehnen und stimmten zu. Das Kalkül der Amerikaner: Bei einer britischen Beteiligung an der Offensive würden sich die Briten auch mit Kritik zurückhalten.

Auch andere Lehren aus dem April-Desaster wurden umgesetzt: Um eine Verwicklung der Zivilbevölkerung in die bevorstehenden Kampfhandlungen möglichst zu vermeiden, wurden die Einwohner von Fallujah aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Dieser Aufforderung kamen die meisten auch tatsächlich nach. Viele waren zunehmend über das Verhalten - vor allem der ausländischen Kämpfer in der Stadt, welche die Einführung der Sharia forderten - verstört. Anfang November waren von den einst 280 000 Einwohnern nur noch etwa 10 000 in der Stadt verblieben.

Bei der letzten Offensive hatte sich weiters gezeigt, dass die Aufständischen die Moscheen als Ausgangspunkte ihrer Angriffe, als Stellungen für Scharfschützen und als Waffenlager benutzt hatten. Die Amerikaner waren vor dem Dilemma gestanden, die Aufständischen gewähren zu lassen oder die Moscheen anzugreifen. Bei dem neuerlichen Angriff sollten daher die Moscheen von irakischen Einheiten eingenommen werden. Erkannte Stellungen von Scharfschützen sollten hingegen ohne Rücksicht bekämpft werden.

Die Zivilbevölkerung in Fallujah hatte sich verringert, die Anzahl der Kämpfer jedoch hatte sich erhöht. Der harte Kern war in den letzten Monaten auf zirka 1 000 Mann angewachsen. Diese wurden von weiteren rund 2 000 gewaltbereiten Gelegenheitskämpfern und von Einwohnern, welche sich weigerten, die Stadt zu verlassen, unterstützt.

Die Kämpfer hatten sich in einer Vielzahl von Widerstandsgruppen organisiert. Diese waren wiederum in Kleingruppen von vier bis zwanzig Mann, unter dem Kommando jeweils eines eigenen Führers, unterteilt worden. Von diesen Führern wurden sie vor allem spirituell auf den bevorstehenden Kampf vorbereitet. Die Kämpfer, die den Amerikanern in der erneuten Offensive gegenüberstehen sollten, ließen sich speziell in zwei Gruppen unterteilen: In Aufständische, die nach erfolgreicher Hit and Run-Taktik versuchten auszuweichen, und in Aufständische, die nach Fallujah gekommen waren, um den Tod als Märtyrer zu sterben.

Operation "PHANTOM FURY"

Der neue Kommandant der 1st MEF, Gen John F. Sattler, wusste, dass der bevorstehende Angriff um ein Vielfaches schwieriger sein würde als die Offensive im April. Die Aufständischen hatten genug Zeit, um sich auf einen Angriff vorzubereiten. Berichte aus Fallujah gaben Anlass zur Sorge: Wichtige Stadtteile waren zur Verteidigung eingerichtet worden. Satellitenaufnahmen und die Aufklärungsdaten der Unmanned Aerial Vehicles (UAVs) zeigten: Von den Aufständischen waren Straßensperren, Schützengräben und Schießscharten angelegt sowie Sprengfallen vorbereitet worden.

Die Zahl der angreifenden amerikanischen Kräfte musste also ungleich höher sein als im April. Zusätzliche Verbände der US Army sollten daher die Marines unterstützen. Je ein Bataillon der US Army wurde dazu dem RCT-1 und dem RCT-7 unterstellt. Der neue Kommandant der 1st Marine Division, MajGen Richard F. Natonski, entschloss sich, den Angriff auf die Stadt vom Norden aus einzuleiten. Ingesamt vier Bataillone des United States Marine Corps (USMC) und zwei Bataillone der US Army sollten gemeinsam entlang der gesamten Breite des nördlichen Stadtrandes von Fallujah in Richtung Süden angreifen.

Der äußere Sicherungsring sollte von vier Bataillonen des Brigade Combat Team 2-1 (BCT 2-1, 2nd Brigade "The Black Jack" der 1st Cavalry Divison) gestellt werden. Das BCT 2-1 bekam weiters ein Bataillon des britischen Royal Regiment of Scotland "The Black Watch" zugeteilt. Zusätzliche Aufklärungs-, Artillerie- und Logistikverbände sowie umfangreiche Fliegerkräfte sollten den Angriff unterstützen. Die Operation "PHANTOM FURY" war geboren.

Auf Druck der irakischen Regierungsbehörden wurde die Operation in "AL FAJR" (das arabische Wort für Morgendämmerung) umbenannt. Die Amerikaner behielten jedoch inoffiziell die Bezeichnung "PHANTOM FURY" bei. Von der irakischen Nationalgarde bzw. der Armee waren insgesamt sechs Bataillone sowie einige Sondereinheiten der Polizei zum Einsatz vorgesehen. Deren Kampfmoral schien in den letzten Monaten entscheidend gestärkt worden zu sein. Sie sollten während des Angriffs zur Erstürmung und Besetzung der Moscheen herangezogen werden bzw. nach der Einnahme von Fallujah die Stadt nachhaltig sichern. Ungefähr 10 000 amerikanische und 2 000 irakische Soldaten standen bereit. Als Angriffstermin wurde der 7. November 2004 festgelegt.

Der Angriff

Bei der letzten Offensive hatten sich die Fernsehbilder aus dem Spital von Fallujah negativ auf die öffentliche Meinung ausgewirkt. Dem wollte man nun zuvorkommen. In der Abenddämmerung des 7. November stürmten irakische Soldaten des 36th Commando Battalion, unterstützt von USMC-Einheiten des 3rd LAR (Light Armored Reconnaissance Battalion) des RCT-1, das Spital auf der Halbinsel am westlichen Ufer des Euphrats. Nach einem kurzen Gefecht war das Gelände erfolgreich gesichert. Bereits einen Tag zuvor hatte man alle elektrischen Leitungen nach Fallujah unterbrochen und den Ring um die Stadt enger gezogen. Für die letzten Zivilisten, welche noch unschlüssig gewesen waren, ob sie die Stadt verlassen sollten, war dies das Signal zur Flucht gewesen. Die Stadt lag völlig im Dunkeln und amerikanische UAVs hatten mit ihrer Suche nach lohnenden Zielen begonnen. Unterstützt wurden sie dabei von schwerer Artillerie und Flugzeugen vom Typ F-16, F-15, AV-8 sowie A-10. Darunter auch einige der schwer bewaffneten, bei den Aufständischen gefürchteten AC-130 "Spectre", welche erkannte Ziele mit ihrer umfangreichen Feuerkraft ausschalten konnten. Diese Luftangriffe setzten sich von nun an bis in die Morgenstunden fort.

Nach Mitternacht bezogen die für den Angriff vorgesehenen Bataillone ihre Bereitstellungsräume nördlich von Fallujah. Kurz vor Tagesanbruch, am Morgen des 8. November, begann der Angriff auf die Stadt. Nach vorgestaffelter Aufklärung der geplanten Einbruchstellen durch Einheiten der Navy SEALs (Sea, Air, Land) und der Force Reconnaissance des USMC, brachten Pioniereinheiten Räumladungen zum Einsatz, welche Gassen durch das verminte Vorfeld und durch die erste Häuserreihe des nördlichen Stadtrandes von Fallujah schlugen. Durch Feuer von unterstellten M-1 "Abrams"-Kampfpanzern unterstützt, überwanden die Kompanien nach dem Absitzen von ihren amphibischen Transportpanzern AAVP-7 die Schneisen und brachen in die ersten Häuser ein. Empfangen wurden sie dabei von heftigem Feuer der Aufständischen, die unter anderem massiv Leuchtmittel verschossen, um die Nachtsichtgeräte der amerikanischen Soldaten zu blenden. Der geschlossene Angriff der Amerikaner auf breiter Front war erfolgreich, und im Laufe des 8. November gelang es allen sechs Bataillonen, in den nördlichen Stadtbezirken Fuß zu fassen. Dahinter folgten die irakischen Verbände. Sie sollten in der ersten Phase vor allem die Nachschublinien sichern. Das Vorgehen der irakischen Soldaten wurde jedoch als nicht sehr angriffslustig beurteilt. Ihre amerikanischen Ausbilder der amerikanischen Special Forces konnten sie oft nur knapp davor bewahren, sich unabsichtlich gegenseitig zu bekämpfen.

Scharfschützen, Bulldozer und Panzer

Bereits in der Nacht vom 8. auf den 9. November kam es zu ersten heftigen Gegenangriffen der Aufständischen, und die Verluste stiegen am 9. November auf zehn getötete Marines und einen Soldaten der US Army sowie Dutzende Verletzte. Zum Ausleuchten des Gefechtsfeldes setzte die amerikanische Artillerie Phosphorgranaten ein. Ein Umstand, der bald auch in den Medien seinen Niederschlag fand, in denen berichtet wurde, dass amerikanische Truppen in Fallujah chemische Waffen zum Einsatz bringen würden. Die US-Soldaten wurden bald in verlustreiche Häuserkämpfe verwickelt. Um zu vermeiden, dass sich Aufständische überrollen ließen und dann die Angreifer von hinten attackierten, waren die Amerikaner gezwungen, jedes einzelne Haus entlang der Vormarschstraßen zu durchsuchen.

Nun zeigten sich die unterschiedlichen Charaktere ihrer Gegner. Während die einen, nach kurzen Feuerüberfällen mittels AK-47 und Panzerabwehrrohren vom Typ RPG das Weite suchten, verbarrikadierten sich andere in ihren Häusern, um bis zum Tod zu kämpfen. Gegen Erstgenannte half der gezielte Einsatz von Scharfschützen entlang der Straßenzeilen, gegen die Märtyrer half oft nur die Zerstörung ihres Unterschlupfes. Auch hier griff man auf Erfahrungswerte anderer Armeen zurück. Wie schon die israelische Armee in ihren Kämpfen gegen die Palästinenser, verwendeten auch die Amerikaner in Fallujah Bulldozer vom Typ D-9. War die Gegenwehr aus einem der Häuser zu heftig, wurde es entweder durch Luft- oder Artillerieunterstützung dem Erdboden gleichgemacht oder durch Bulldozer zum Einsturz gebracht. Bei der Wahl der Waffen waren die Amerikaner nicht wählerisch. Gegnerische Scharfschützen und Widerstandsnester wurden unter anderem mit TOW-Panzerabwehrraketen ausgeschaltet.

Vorstoß zum Highway 10 Am 9. November nahm das Bn 1-8 unter LtCol Gary Brandl im Zentrum des Angriffs eines der ersten wichtigen Zwischenziele ein, die Al-Hydra al Mohammadiya-Moschee. Die Erstürmung erfolgte - wie vereinbart - durch irakische Einheiten. Die Art und Weise, wie der Bataillonsangriff des Bn 1-8 vorgetragen wurde, entsprach auch den Ansätzen der anderen Bataillone. Im jeweiligen Gefechtsstreifen war den Bataillonen ein Straßenzug als Angriffslinie zugewiesen worden (im Falle des Bn 1-8 war es die Route ETHAN). LtCol Brandl setzte hiezu je eine Kompanie links (Charlie-Company) und rechts (Bravo-Company) des Straßenzuges ein, während die unterstellten M-1 "Abrams"-Kampfpanzer entlang der Straße vorrückten. Je eine weitere Kompanie wurde in der Tiefe bereitgehalten (Alpha-Company) oder für den Verwundetentransport (Weapons-Company) eingesetzt.

Route ETHAN führte das Bn 1-8 direkt zum Highway 10, wo die nächsten Zwischenziele des Bataillons lagen. Links von Bn 1-8 hatte sich das Bn 1-3 unter LtCol Michael Ramos im ostwärtigen Stadtteil auf die gleiche Weise vorgearbeitet. Dort war die Mujahereen-Moschee nördlich des Highway 10 ebenfalls eingenommen worden.

Gegnerische Scharfschützen, welche sich auf Dächern und in den Türmen von Moscheen verschanzt hatten, erzielten mehrere Erfolge, dennoch war es dem Bn 3-5 unter Col Pat Malay im Nordwesten von Fallujah gelungen, durch den im April heftig umkämpften Jolan-Friedhof vorzustoßen. Links vom Bn 3-5 befand sich das Bn 3-1 unter Col Buhl auf der gleichen Höhe. Bis zum Abend des 10. November gelang es den Spitzeneinheiten der USMC-Bataillone, bis zur Phaseline (PL) FRAN, dem wichtigen Highway 10, vorzustoßen. Dort nahmen irakische Einheiten, unterstützt vom Bn 1-8, die Moschee Saad ibn Abi Wakkas ein. Der Erfolg des raschen Vorstoßes hatte auch seinen Preis: Acht Marines wurden am 10. November getötet. Die beiden US Army-Bataillone waren hingegen in ihren Gefechtsstreifen ohne Verluste planmäßig vorgerückt.

Nächstes Angriffsziel im Zentrum war nun das Government Center, welches am 11. November vom Bn 1-8 eingenommen wurde. Hier sollten nun ein vorgeschobener Gefechtsstand der 1st Marine Division sowie ein Hauptverbandplatz zur rascheren Verwundetenversorgung eingerichtet werden. Doch das Bn 1-8 lag unter starkem Gegenfeuer aus den Häuserblocks südlich des Government Center. In dem dortigen keilförmigen Häuserblock hatten sich mehrere Scharfschützen und RPG-Schützen verschanzt.

Die Alpha-Company vom Bn 1-8 bekam den Auftrag, den Häuserblock einzunehmen. Dazu wurden sie aus der Tiefe mit Fahrzeugen nachgezogen. Beim anschließenden Ansatz erlitten die Marines der Alpha-Company erhebliche Verluste. Allein beim 1st Platoon waren am Abend von 46 Marines nur noch 21 einsatzbereit.

Schon das Überwinden des Highway 10 hatte trotz Feuerunterstützung mehrere Verwundete gefordert. Am Abend des 11. November waren schließlich alle sechs Bataillone des RCT-1 und des RCT-7 bis zum Highway 10 vorgestoßen. Der nördliche Teil von Fallujah war in amerikanischer Hand. Der Vorstoß lag weit über den Erwartungen. Vor allem der Einsatz der - den Kompanien unterstellten - Kampfpanzer M-1 "Abrams" hatte sich bewährt. Eingesetzt wie Sturmgeschütze, schossen sie den vorrückenden Einheiten den Weg frei oder schossen mittels Mehrzweckgranaten Einbruchstellen in die Häuserblocks. Vom 8. bis zum 11. November - also innerhalb von drei Tagen Kampf - waren 29 US-Soldaten getötet worden. Die Verluste auf Seiten der Aufständischen lagen aber ungleich höher.

Angriff Richtung Süden

Nach der Einnahme des Government Center im Stadtzentrum galt es nun, den südlichen Teil von Fallujah in Besitz zu nehmen. Dieses Gelände gliederte sich in Industrieanlagen im Südosten und in ein weniger dicht bebautes Gebiet im Süden sowie Südwesten. Das urbane Gelände verjüngte sich dabei trichterförmig in Richtung Süden. Aufgrund der Schussentfernungen und der Einsehbarkeit erforderte der Raum südlich des Highway 10 im Erstansatz eher den Einsatz von gepanzerten Verbänden als den von abgesessenen Marines.

Die beiden Bataillone der US Army wurden daher noch weiter nach vorne gezogen. Bn 2-7 unter Col Rainey und Bn 2-2 unter Col Newel bekamen nun den Befehl, den Higway 10 zu überqueren und in Richtung Süden vorzustoßen. Unterstützt wurden sie dabei vom Bn 3-1 und vom Bn 1-8, welche den Auftrag hatten, mit den beiden gepanzerten Verbänden der US Army vorzurücken und erkannte Widerstandsnester gezielt zu bekämpfen. Als Grenze zwischen den Bataillonen wurde dabei die Phaseline HENRY festgelegt.

Nördlich des Highway 10 bekamen das Bn 3-5 und das Bn 1-3 inzwischen den Befehl, gewonnenes Gelände zu halten und nicht weiter vorzurücken. Der Ansatz der vier Bataillone in Richtung Süden verlief erfolgreich, und am 13. November wurde schließlich Phaseline GRACE, der südliche Stadtrand von Fallujah, erreicht. Beim Vorstoß am 12. und 13. November wurden weitere elf Marines und fünf Soldaten der US Army getötet. Mittlerweile waren 45 Amerikaner tot und Hunderte verwundet.

Pockets of Resistance

Am 13. November wurde die Operation "AL FAJR" von der irakischen Übergangsregierung offiziell für beendet erklärt. Tatsächlich gingen die Kämpfe aber weiter. Nun ging es darum, Pockets of Resistance, also verbliebene Widerstandsnester, zu neutralisieren. Die Stadt wurde dazu in Sektoren, und diese wurden wiederum in einzelne Häuserblocks unterteilt. Jedes Bataillon bekam einen Sektor zugewiesen und begann mit der systematischen Säuberung. Dabei wurden zum ersten Mal auch zahlreiche Gefangene gemacht. Versprengte Aufständische, vor allem jene der Personengruppe der Märtyrer, bewirkten jedoch weitere Verluste und heftige Kämpfe.

Am 15. November stand Fallujah erneut im Blickpunkt der Medien, als ein Film veröffentlicht wurde, der zeigte, wie ein Marineinfanteristen einen am Boden liegenden, schwer verletzten Iraker erschoss.

Die heftigen Häuserkämpfe und der Verlust von Kameraden hatten viele Marines in emotionale Ausnahmesituationen gebracht. Zu oft hatten vermeintlich getötete Aufständische trotz schwerer Verwundungen zur Handgranate gegriffen und sich in unmittelbarer Nähe der US-Soldaten in die Luft gesprengt. Die Säuberungen innerhalb von Fallujah dauerten schließlich bis zum 27. November. Die Verluste stiegen während dieser Zeit von 45 getöteten US-Soldaten vom 13. November auf insgesamt 76 bis zum 27. November. Von den Aufständischen und Kämpfern dürften bis zu diesem Zeitpunkt etwa 2 000 getötet worden sein. Hinzu kam noch eine unbekannte Anzahl toter und verletzter Zivilisten, welche zuvor zwischen die Fronten geraten waren.

Erfolg und Misserfolg

Durch die Operation "PHANTOM FURY" war die Verlustrate der amerikanischen Soldaten im Irak erneut - wie bereits zuvor im April - empfindlich angestiegen. Im November waren im Irak 137 amerikanische Soldaten getötet worden (davon zwölf durch Unfälle): 94 starben in der Provinz Al-Anbar, 76 davon während der Operation "PHANTOM FURY". Weitere 1 425 Soldaten erlitten leichte bis schwere Verletzungen. Dies zeigt, dass jede größer angelegte offensive Operation der Amerikaner sofort zu einer Verdoppelung bis Verdreifachung der durchschnittlichen monatlichen Verlustrate führte. Technologische Überlegenheit und Selbstschutzausrüstung auf hohem Niveau verringerten zwar die Anzahl der Toten, nicht aber zwangsläufig die Zahl der Verwundeten.

Durch die Einnahme von Fallujah war es der amerikanischen Armee für die nächsten Monate gelungen, diese ehemalige Hochburg der Aufständischen in eine der "friedlichsten" Städte des Irak zu "verwandeln". Der Führer der Aufstandsbewegung in Fallujah war man jedoch nicht habhaft geworden.

Was man hingegen entdeckt hatte, waren einige der Orte, an denen die von den Medien oft berichteten schrecklichen Folterungen und Hinrichtungen der Geiseln stattgefunden hatten. Darunter auch Al-Zarqawis Folterkammer. Al-Zarqawi selbst war - ebenso wie die radikalen Imame Al-Janabi und Al-Obeidi - rechtzeitig entkommen. Al-Zarqawi sollte die Amerikaner bis zu seinem Tod in Atem halten. Al-Janabi vermutete man mittlerweile in Ramadi. Im Jänner 2005 tauchte ein Video von ihm auf, in dem er einen Sprengstoffgürtel trug und schwor, bis zum Letzten zu kämpfen.

Die Stadt Fallujah war bei der zweiten Offensive weitaus heftiger in Mitleidenschaft gezogen worden als bei der ersten. Im November wurden etwa 450 Luftangriffe auf Fallujah geflogen und rund 14 000 Artillerie- sowie 2 500 Panzergranaten verschossen. Von den 39 000 Häusern Fallujahs waren zirka 18 000 zerstört. Nur langsam kehrten die Einwohner in die Stadt zurück. Dabei musste sich vor allem die männliche Bevölkerung einer speziellen Registrierung unterwerfen.

Die zweite Offensive der Amerikaner in Fallujah im November 2004 kann aus militärischer Sicht als Erfolg beurteilt werden. Die Tatsache, mit sechs Bataillonen eine Stadt mit 280 000 Einwohnern zu erobern und dies - allen gegenteiligen Berichten der Medien zum Trotz - mit relativ geringen Verlusten, kann als Erfolg gesehen werden. Auch, dass die Aufständischen bei Weitem nicht über die technologischen Fähigkeiten, über die militärischen Mittel sowie über den Ausbildungsstand der Amerikaner verfügten - und somit offensichtlich unterlegen waren - schmälert den Erfolg nicht.

Den Kampf hatten die Amerikaner nicht im Felde, sondern an der Medienfront verloren. Doch war der militärische Sieg in Fallujah von Dauer? War es den amerikanischen Truppen gelungen, der Widerstandsbewegung im Irak einen entscheidenden Schlag zu versetzten? Die Antwort gaben sich die Amerikaner selbst. Ein Jahr später, am 26. April 2005 hielt Gen Myers, der Stabschef der amerikanischen Streitkräfte, im amerikanischen Verteidigungsministerium eine Pressekonferenz ab. Angesprochen auf die Aufständischen im Irak meinte er: "… ihre Fähigkeiten haben dasselbe Ausmaß erreicht, wie vor einem Jahr." Das sunnitische Dreieck des Irak und in dessen Zentrum die Provinz Al-Anbar blieben weiterhin "Heimat" der irakischen Aufständischen. Aber auch kleinere Städte in Al-Anbar wurden Rückzugsräume von Aufständischen und Kämpfern sowie Ausgangspunkte für neue Anschläge und Angriffe.

Alleine im November 2006, also ein Jahr nach der Offensive "PHANTOM FURY", wurden insgesamt 62 amerikanische Soldaten im Irak getötet (neun von ihnen durch Unfälle) - 28 davon starben in der Provinz Al-Anbar.

Aus den Ereignissen um die Stadt Fallujah lassen sich viele Lehren ziehen: beginnend mit gefechtstechnischen Lessons Learned, den Häuserkampf betreffend, bis zu politischen Lerneffekten, die Auswirkungen der Medienberichterstattung betreffend. Eines lehrt Fallujah jedoch in jedem Fall: Es zeigt, wie lokal begrenzte und im ersten Augenblick vernachlässigbar erscheinende Ereignisse rasch eine Eigendynamik entwickeln können, die sich schließlich nur noch schwer beherrschen lassen. Fallujah zeigt aber auch, wie ein Zögern in der Einsatzführung zu einer Stärkung des Gegners und steigenden eigenen Verlusten führen kann.


Autor: Oberleutnant Mag. (FH) Markus Reisner; Jahrgang 1978. 1997 Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung im Stabsbataillon 3 in Amstetten; 1999 bis 2002 Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie, Jahrgang Sachsen-Coburg. Ausmusterung zum Aufklärungsbataillon 2 nach Salzburg; Verwendung als Zugskommandant, stellvertretender Kompaniekommandant und Ausbildungsoffizier einer Aufklärungskompanie. 2003 Absolvierung des 34. Jagdkommandogrundkurses; Auslandseinsätze mit Entsendungen nach Bosnien, Afghanistan und in das Kosovo. Derzeit Verwendung als stellvertretender Kompaniekommandant und Ausbildungsoffizier der 2. Jagdkommandokompanie.

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