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Planspiel "Poppy Bird"

Die 4. Panzergrenadierbrigade führt regelmäßig Kaderfortbildungen für Kompaniekommandanten durch. Ziel bei dem Planspiel (Map Exercise - MAPEX) "Poppy Bird" war es, Vorschriften und Publikationen von anderen Streitkräften einfließen zu lassen, um eine einheitliche Lehrmeinung innerhalb der Brigade an die Kommandanten weiterzugeben.

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war durch die Konflikte im Irak und in Afghanistan geprägt. So unterschiedlich die militärischen Interventionen in diesen beiden Ländern auch waren, gab und gibt es gemeinsame Lehren, die auch Eingang in das "Gefechtsbild" des Österreichischen Bundesheeres gefunden haben. Diese Lehren basieren aber nur zum geringsten Teil auf institutioneller Erfahrung. Der größte Teil fand über Vorschriften und Publikationen der angelsächsischen Streitkräfte sowie der Deutschen Bundeswehr seinen Platz im Bewusstsein aller Waffengattungen. Diesen Trend zumindest in eine brigadeweite Lehrmeinung zu gießen, war das Ziel des Planspieles "Poppy Bird".

Die Herausforderung bei der Lageerstellung lag im Sichten der umfassenden Literatur und im Herausarbeiten von Werkzeugen für Kompaniekommandanten. Werkzeuge, die in der Lage sind, den Weg durch den undurchdringbaren Dschungel der sich scheinbar widersprechenden Aufgaben (zwischen "winning hearts and minds" und Kampf) in einem Umfeld wie Afghanistan oder dem Irak zu bahnen. Des Weiteren sollte die Gefechtsaufgabe klar auf das Handwerk des Kompaniekommandanten - das Führen im Gefecht - gelegt werden.

Altbekanntes, neu interpretiert

Die Übungslage selbst ist in Allentsteig angesiedelt. Diese fußt auf dem bestens aufbereiteten Material von Major Konstantin Oberleitner, dem stellvertretenden Kommandanten des Aufklärungs- und Artilleriebataillons 4 (AAB4), und der Tatsache, anschließend an die Lage eine Geländebesprechung zur Vertiefung der Ansätze durchführen zu können. Der einleitende Unterricht zur Lage dient der Konfrontation der Einheitskommandanten mit aktuellen Begriffen und Begrifflichkeiten. So wird ausgehend vom Konzeptpapier der EU (Finable Concept), das sich mit zukünftigen Landoperationen beschäftigt, die Konfliktintensität (Spectrum of Conflict) zugrunde gelegt, woraus der "Ganzheitliche Ansatz" (Comprehensive Approach) entwickelt wird. Als weiterer theoretischer Input folgen die drei Säulen für eine Stabilisierungsoperation: Sicherheit, Politik und Wirtschaft. Diese verdeutlichen die Zusammenhänge von militärischen und zivilverwaltungsgeprägten Handlungen in einem instabilen Land.

Full Spectrum Information Operation

Kernstück bildet der im Irak entwickelte Ansatz der US-Streitkräfte, um den Anforderungen im Umfeld einer aufstandsgeprägten (Nachkriegs-)Gesellschaft (Counter Insurgency Environment - COIN) zu begegnen. Die "Umfassende Informationsbasierte Operation" (Full Spectrum Information Operation) basiert auf fünf logischen Operationslinien (Logic Lines of Operation - LLO). Diese stehen sozusagen brüderlich nebeneinander und führen nur gemeinsam zum Ziel, nämlich zur raschen und nachhaltigen Stabilisierung von aufstandsgeprägten Gesellschaften. Die fünf Linen sind:

  • Kampf (Combat Operations);
  • Ausbildung der Sicherheitskräfte (Train & Employ Security Forces);
  • Grundversorgung, Grundversorgungsinfrastruktur (Essential Services);
  • Entwicklung der Verwaltung (Promote Governance);
  • Wirtschaftlicher Pluralismus (Economic Pluralism).

Die Anwendung aller Linien soll den Prozentsatz der unentschlossenen Bevölkerung in möglichst großer Zahl in kurzer Zeit auf die Seite der COIN-Kräfte bringen. Der rein militärische Ansatz, unter Anwendung des gesamten Gewaltspektrums, trieb in den meisten dokumentierten Aufständen des 20. Jahrhunderts einen Großteil der Bevölkerung in die Arme der Aufständischen.

In der Folge werden die fünf Linen kurz beschrieben, wobei auf die Essential Services im Besondern eingegangen wird. Dennoch bleiben Combat Operations weiter das Fundament jedes militärischen Handelns und müssen im Ansprechen, Auffinden und Besiegen des militärischen Gegners münden, um ihm den Einfluss auf die Bevölkerung zu entziehen.

Train & Employ Security Forces zielen darauf ab, so rasch wie möglich die Verantwortung der Kampfhandlungen den örtlichen staatlichen Behörden zu übergeben. Dabei ist es nicht das Ziel, die eigenen Strukturen zu klonen, sondern einen funktionierenden Sicherheitsapparat zu schaffen, der durchaus eigene Ansätze entwickeln kann und soll. Oberste Prämisse muss aber die Rechtsstaatlichkeit sein, um den anderen LLO nicht zuwiderzulaufen.

Promote Governance steht dafür, eine funktionierende und den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung dienende Verwaltung aufzubauen. Auch hier gilt es westliche Maßstäbe anzulegen, ohne sie zu kopieren. Auswüchse wie Selbstbereicherung und Korruption sind mit aller Strenge durch die internationalen Sicherheitskräfte zu unterbinden.

Economic Pluralism soll, unter Einsatz von finanziellen Mitteln, Arbeitsplätze schaffen. Ziel ist es, der Bevölkerung eine merkliche Verbesserung der Lebensumstände zu ermöglichen. Wer über Besitz verfügt, ist nur in den seltensten Fällen bereit, alles aufs Spiel zu setzen, um für eine vermeintlich bessere Zukunft zu kämpfen. Wer aber nichts hat, hat eben auch nichts mehr zu verlieren, außer sein entbehrungsreiches Leben.

Auf Essential Services ist, besonders zu Beginn einer Full Spectrum Operation, das Hauptaugenmerk auch des militärischen Handelns zu legen. Ergebnis muss die rasche (Wieder-)Herstellung der Grundversorgung der Bevölkerung sein. Dies umfasst im Besonderen die Ver- und Entsorgung von Trink- und Brauchwasser sowie die Versorgung mit Elektrizität, um den Grundstock für eine pluralistische Gesellschaft in einer funktionierenden Wirtschaft zu legen. Der Grad der Versorgung kann beispielsweise leicht in der Art der Versorgung mit Trinkwasser (Leitung, Brunnen, Tankwagen, Flaschenwasser - siehe Grafik) gemessen werden und dient als Indikator für die Lebensumstände der Bevölkerung und damit ihrer Zufriedenheit. Je zufriedener die Ortsansässigen sind, desto geringer ist die Bereitschaft, den Aufstand aktiv oder passiv zu unterstützen. Die Bewertung der Lebensumstände (Measurements of Effectivness - MOE) kann einfach mit den Ampelfarben "Rot", "Gelb" und "Grün" erfolgen. Die Bewertungskriterien hiezu müssen den örtlichen Umständen angepasst werden. Als Anhalt kann eine nicht vorhandene oder unter Kontrolle der Aufständischen stehende Versorgung immer mit "Rot" bewertet werden. Die Versorgung auf einem Vor-Konfliktsniveau kann mit "Gelb" und jede Verbesserung darüber hinaus mit "Grün" bewertet werden. Diese einfache Methode wurde in der Lage "Poppy Bird" (fiktiv) auf die Stadt Allentsteig angewandt. Durch das Übereinanderlegen der "roten Zonen" in Verbindung mit den aktuellen Anschlägen, kann so rasch ein klares Lagebild für den Einheitskommandanten veranschaulicht werden.

Die Umsetzung

Mit diesem Rüstzeug wurde den Teilnehmern nun die Aufgabe gestellt, als Kommandant einer Quick Reaction Force, einer hochmobilen mit Kampfpanzern verstärkten Reserve, eine unter Beschuss geratene Patrouille aus dem Stadtzentrum zu evakuieren. Im Sinne des zu bearbeitenden Themas liegt der Anschlagsort im zuvor besprochenen Teil der Stadt mit den meisten Anschlägen, wo sich die "roten Zonen" überlappen - also dort, wo die Bevölkerung am wenigsten zufrieden ist. Neben den gefechtstechnischen Grundsätzen waren von den jungen Offizieren auch die in den grundlegenden Unterrichten erhaltenen Informationen in das Führungsverfahren einzubinden. Ein Hauptaugenmerk in der Bewertung der Lösungsvorschläge lag daher darin, die zusätzlichen Informationen zu verarbeiten, sich aber in der Entschlossenheit des eigenen Handelns nicht beeinflussen zu lassen.

Auf einen Blick

Die Lage "Poppy Bird" wurde mehrmals als Kaderfortbildung innerhalb der 4. Panzergrenadierbrigade durchgeführt. Im Rahmen der Zusammenarbeit "Kampfpanzer und Infanterie" mit den Jägerbrigaden wurde sie ebenfalls mehrmals gespielt. Die Resonanz der Kompaniekommandanten innerhalb der 4. Panzergrenadierbrigade, aber auch der Gäste der 6. und 7. Jägerbrigade auf die Lage war positiv. Die regen Diskussionen und die Nachfrage nach weiteren Unterlagen zeigten, dass die Kaderfortbildung zur richtigen Zeit mit den richtigen Inhalten abgehalten wurde.

Die Lage "Poppy Bird" vertritt nicht die klassische Lehrmeinung innerhalb des ÖBH. Allerdings regt sie dazu an - gemeinsam mit dem zur Verfügung gestellten Basismaterial und der weiterführenden Literatur - sich mit aktuellen Gefechtstechniken westlicher Armeen zu beschäftigen. Damit dient "Poppy Bird" als ein Beispiel, wie schnell Entwicklungen aus aktuellen Konflikten in den Streitkräften aufgenommen und umgesetzt werden können. Die Durchdringung aller Ebenen des ÖBH oder sogar die Bündelung der Anstrengungen zur Umsetzung der Erfahrungen in den gesamten Streitkräften erfolgt aber aufgrund des geringeren Einsatzdruckes scheinbar nicht so schnell.


Autor: Major Mag.(FH) Jörg Loidolt, Jahrgang 1971. 1992 Matura an der Höheren Lehrsanstalt für Fremdenverkehrsberufe, anschließend Grundwehrdienst an der ABC-Abwehrschule; Ausbildung zum Unteroffizier im Rahmen des 6. Unteroffizierslehrganges, 2000 bis 2003 Absolvierung der Theresianischen Militärakademie, Ausmusterung als Kommandant eines Panzerzuges zum Panzerbataillon 10; weitere Verwendungen als stellvertretender Kommandant und Kommandant der 2. Kompanie/Panzerbataillon 10 sowie S2 bis zur Auflösung des Bataillons, ab 2007 Kommandant Stabskompanie/Panzerbataillon 14, 2007 Auslandseinsatz im Hauptquartier EUFOR "Althea" als Medienanalyst, 2008 Vertretung des S4/Panzerbataillon 14, seit 2010 S3/Panzerbataillon 14, seit 2011 Hörer des 2. FH-Masterstudienganges "Militärische Führung" an der Landesverteidigungsakademie.

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