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Skorbut, Segel, Seegefecht

Leben und Sterben an Bord englischer, preußischer und österreichischer Schiffe Mitte des 19. Jahrhunderts

Unter dem Motto "150 Jahre Seegefecht vor Helgoland - 2. Deutsch-dänischer Krieg" fand vom 12. bis 16. Mai 2014 das Treffen des Jahrganges "Tegetthoff" in Wilhelmshaven statt. Das begleitende wissenschaftliche Programm wurde im Deutschen Marinemuseum durchgeführt. Es hatte neben politischen und militärischen Gesichtspunkten, die die damaligen Ereignisse in den historischen Kontext setzten, auch Aspekte des täglichen Lebens an Bord zum Thema. In diesem nach dem Vortrag erstellten Beitrag werden die hygienische und medizinische Situation auf Kriegsschiffen europäischer Nationen erläutert sowie Momente der Infektiologie und Kriegschirurgie, mit denen die Besatzungen dieser Zeit konfrontiert waren, vorgestellt.

Seefahrt und Medizin um 1850

Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich sowohl die Seefahrt als auch die medizinische Wissenschaft in grundlegenden Umbruchphasen. Das Zeitalter der Segelschifffahrt ging zu Ende, die Maschine hielt als neue Antriebsart unaufhaltsam Einzug in das System Schiff. Der Stahlrumpf löste die hölzerne Bauweise ab. Zudem verbesserten neue technische Errungenschaften die Lebensverhältnisse für die Besatzungen.

Auch die Medizin stand an der Schwelle zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor epochalen Änderungen. Neben der Einführung der Äther- bzw. Chloroformnarkose 1846/47 durch J. Y. Jackson (1805-1880), W. T. G. Morton (1819-1868) und C. T. Simpson (1811-1870), den von Friedrich v. Esmarch (1823-1908) erstmals 1873 publizierten blutleeren Operationen (Unterbindung des arteriellen Blutflusses bei Operationen der Gliedmaßen), sollten insbesondere die Erkenntnisse der von Robert Koch (1843-1910) ab 1876 begründeten Infektiologie und die Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) nachhaltige Einflüsse auch auf den Sanitätsdienst an Bord haben.

In diesen Zusammenhang müssen ebenfalls die Bemühungen Henri Dunants (1828-1910) nach der Schlacht von Solferino 1859 und die im Jahre 1863 gegründeten Rot-Kreuz-Gesellschaften gesetzt werden. Sie bilden als Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung des humanitären Völkerrechtes einen ethisch-moralischen Rahmen für die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Zeit. Im Deutsch-dänischen Krieg 1864 gab es erstmals Beobachter des Internationalen Roten Kreuzes bei den Kontrahenten der Gefechte an Land.

Ebenso ging die Umsetzung der Fortschritte in Forschung und Wissenschaft in den Sanitätsdiensten der Marine mit der Sammlung und Bewertung schiffsärztlicher Erfahrungsberichte einher. Während hier die Royal Navy als Vorreiter schon seit Ende des 18. Jahr- hunderts auf die Krankenjournale ihrer Schiffsärzte zurückgreifen konnte, hatte der preußische Marinearzt Dr. Carl Gustav Anton Friedel (1833-1889) sein auf der Übersetzung englischer "Health Reports", aber auch auf jahrelangen eigenen Recherchen beruhendes deutschsprachiges Standardwerk "Die Krankheiten in der Marine" im Jahre 1866 veröffentlichen können.1) Die erste erhaltene Medizinalstatistik in der preußischen Marine umfasst die Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse auf deutschen Kriegsschiffen in Ostasien 1859-1875. Regelmäßige Sanitätsberichte mit detaillierten statistischen Angaben gab die Kaiserlich Deutsche Kriegsmarine seit 1873 heraus.

Die Kaiserlich Österreichische Fregatte SMS "Novara" und ihre Schiffsärzte

Die von 1843 bis 1850 in Venedig gebaute Kaiserlich Österreichische Fregatte SMS "Novara" wurde Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts für eine wissenschaftliche Weltumseglung ausgerüstet. Sie stand damit in der Tradition großer wissenschaftlicher Entdeckungs- und Vermessungsfahrten, die das Ziel hatten, neue Erkenntnisse in Botanik, Zoologie, Anthropologie und Meereskunde zu gewinnen. Als das Schiff am 26. August 1859 nach über zweijähriger Fahrt unter dem Kommando von Kommodore Bernhard von Wüllerstorf-Urbair (1816-1883; siehe TD-Heft 6/2013, S. 534 ff.) wieder zurückkehren sollte, brachten die eingeschifften Wissenschafter eindrucksvolles Material aus den genannten Fachgebieten mit. Zudem konnten die Ergebnisse dieser Weltreise bis 1876 in zahlreichen Bänden mit einer Unmenge von Tabellen und wissenschaftlichen Einzelheiten veröffentlicht werden. Einer dieser Bände widmete sich ausschließlich medizinischen Erkenntnissen und wurde von dem zusätzlich als botanischen Experten an Bord eingeschifften Korvettenarzt Dr. Eduard Schwarz (1831-1862) verfasst.2) Schwarz, ein Schüler der bedeutenden Wiener Medizinprofessoren Joseph Hyrtl (1810-1894) und Karl von Rokitansky (1804-1878), war aus über 300 Bewerbern für diese Position ausgewählt worden. Neben ihm befanden sich zeitweise weitere drei Ärzte an Bord der "Novara", eine vergleichsweise hohe Zahl an medizinischer Fachkompetenz, auch wenn die Kollegen z. T. mit der Durchführung der wissenschaftlichen Untersuchungen befasst waren. Es handelte sich um Fregattenarzt Dr. Franz Seligmann, den Schiffsarzt Erster Klasse Dr. Karl Ruziczka und den Korvettenarzt Dr. Robert Lallemand, ein ausgebildeter Tropenarzt, der persönlich von dem damals in höchsten akademischen Würden stehenden Alexander von Humboldt (1769-1859) für diese Unternehmung empfohlen worden war.

Infrastruktur und Leben an Bord

Wie bei den Segelschiffen dieser Zeit üblich, befanden sich auch auf der "Novara" im Achterschiff großzügige und repräsentative Räumlichkeiten für Kommandant und Offiziere. Besonders fortschrittlich war der neben den Einzelkammern der Offiziere angelegte Bibliotheksraum im Batteriedeck, der dem Studium, der Muße sowie der Kommunikation zwischen den Offizieren diente. Im übrigen Teil des Batteriedecks mit seinen 30 Geschützen lebte die nahezu 300-köpfige Mannschaft, die dort nachts ihre Hängematten gespannt hatte und für die, abgesehen vom Oberdecksbereich, kein weiteres Logis vorgesehen war. In den Tropen schliefen nicht wenige Soldaten auch an Oberdeck. Die knappe persönliche Habe musste in Seesäcken verstaut werden. Das Essen wurde an Klapptischen und Bänken eingenommen, die nur zu den drei Mahlzeiten von ihrem Aufbewahrungsort, d. h. der Decke des Schiffsraumes, heruntergeklappt wurden.

Für die Unteroffiziere standen Kammern und Lasten (Vorratsräume) im Vorschiffsbereich zur Verfügung. Gerade bei längeren Seefahrten ohne mögliche Hafenaufenthalte kam es auf großzügig dimensionierte Laderäume in den unteren Bereichen des Schiffes an. Dort lagerten neben der Munition in speziellen Depots auch Brot, Reis, Hülsenfrüchte, Pökelfleisch und last but not least auch Rum und Wein. Für die an Bord dienenden Besatzungsangehörigen war der allgemeine Dienstablauf genauestens in einer Bordroutine geregelt. Sie sah ein Zweiwachsystem vor, mit vierstündlicher Ablösung. Tagsüber hatte die jeweilige Freiwache Verrichtungen an Oberdeck vorzunehmen, zudem gab es bei schlechtem Wetter "Alle-Mann-Manöver". Der Tagesablauf war streng strukturiert, 0600 Uhr Wecken, 0700 Uhr Reinschiff, danach Frühstück, Musterung und Gefechtsdienst. Der Nachmittag, unterbrochen durch eine einstündige Mittagspause, gestaltete sich ähnlich. Nur sonntags gab es Abwechslung - morgens die Messe im Zwischendeck und am Abend spielte die Bordkapelle zur Unterhaltung. Dieser strenge tägliche Rhythmus trug durchaus auch zur Erhaltung der psychischen Konstitution der Crew bei, ein Moment, das auch den österreichischen Offizieren sehr wichtig gewesen ist.

Schiffslazarette und Verbandplätze

Noch im 18. Jahrhundert war das Schiffslazarett der "fürchterlichste Raum"3) an Bord. Im vordersten Teil des Schiffes im Zwischendeck gelegen, hatte es weder Licht noch Luft, die Kranken lagen dicht gedrängt in Hängematten und erstickten hier nicht selten. Der britische Novellist Tobias Smollett (1721-1771) schrieb nach dem Besuch einer derartigen Gesundheitseinrichtung: "Als ich ihm aber in’s Lazareth folgte, und die Lage der Kranken sah, wunderte ich mich weniger darüber, daß die Leute an Bord stürben, als vielmehr darüber, dass irgend ein Kranker wieder gesund werden könnte! Hier sah ich etwa fünfzig elende, verkommene Menschen derart enge in Reihen hängen, daß für jede Hängematte nicht mehr als 14 Zoll [ca. 30 cm] breit Raum war, und sowohl der frischen Luft als auch des Tagelichts beraubt, nichts weiter zum Atmen als eine widrige Atmosphäre von ekelhaften Dünsten, die von ihren eigenen Exkrementen und kranken Leibern ausstiegen."4) Ab Mitte des 19. Jahrhunderts unterlagen die medizinischen Behandlungseinrichtungen an Bord deutlichen Innovationsschüben. Kranke sollten nicht mehr nur von der übrigen Besatzung abgesondert werden, um den Betrieb an Bord nicht zu behindern, sondern ihre Behandlung sollte durch den Schiffsarzt besser strukturiert werden können. Die preußische Admiralität regelte erstmals am 25. März 1858 Ort und Infrastruktur von Schiffslazaretten.5) Danach boten sie Raum für drei Prozent der Besatzung, etwa zwölf Personen. Die Größe des Hospitals betrug etwa 20 Quadratmeter, unter Verzicht auf die bis dahin üblichen Segeltuchabtrennungen grenzten verschiebbare Bretterwände den Bereich nach außen ab. Windsegel und Röhren sorgten für eine gewisse Ventilation, Decks- und Seitenlichter ermöglichten den Lichteinfall. Der Verwendung von Petroleumlampen an Bord waren freilich enge Grenzen gesetzt. Die von ihnen ausgehende Brandgefahr war auf Holzschiffen sehr gefürchtet. Auch das Schiffslazarett der "Novara" befand sich noch im Bereich des Vorschiffszwischendecks, zusätzlich war eine Art Isolierstation vorgesehen, falls auf der Reise ansteckende Krankheiten ausbrechen sollten. Für liegende Kranke standen Hängematten zur Verfügung. Die Lage der Lazarette im Vorschiffsbereich erwies sich aber nicht nur wegen der erhöhten Auswirkungen des Seeganges als nachteilig, sondern auch wegen des hygienisch bedenklichen Zustandes, dass im räumlichen Zusammenhang die Galions-Klosetts verortet waren. Erst mit Aufkommen gepanzerter Schiffe und weiterer hygienischer Erkenntnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Lazarette geschützt in den Mittschiffsbereich verlegt und feste Schlingerkojen (spezielle Krankenbetten in Schiffskrankenräumen, die durch entsprechende Aufhängung den Schiffsbewegungen nicht folgen und dadurch den Kranken oder Verletzten Erleichterung bieten können) verplant.

Vorbildlich und auf der Höhe der Zeit waren die Utensilien der Schiffsapotheken und das zur Verfügung stehende chirurgische Instrumentarium. Für die Krankenpflege nahm man auf der "Novara" erstmals einen Lehnstuhl für geschwächte Patienten mit, regelte Extra-Weinrationen für Rekonvaleszente und sah sogar Pantoffeln für gehfähige Erkrankte vor. Die Mannschaft bewegte sich ansonsten barfuß an Oberdeck, um schnell und sicher in der Takelage zu entern.

Unabhängig von den relativ engen Schiffslazaretten warf man an Bord größere Räumlichkeiten als Gefechtsverbandplätze aus. Zumeist im Zwischendecksbereich gelegen, wurde den oft zahlreichen Verwundeten der Seegefechte hier die erste medizinische Versorgung zuteil. Seekisten waren aneinandergestellt und gaben von einer Persenning (imprägniertes Gewebe) bedeckt, einen einigermaßen standfesten Operationstisch ab. Auf der britischen HMS "Victory", dem Flaggschiff Admiral Horatio Nelsons (1758-1805) in der Seeschlacht vor Cap Trafalgar 1805, mussten beispielsweise über 100 verwundete Soldaten in relativ kurzer Zeit behandelt werden. Bis heute gibt es auf Kriegsschiffen solche mit erforderlichem Instrumentarium eingerichtete Gefechtsverbandplätze, zumeist Offizier- und Unteroffiziermesse, in denen Tische und Einrichtungen kurzzeitig entfernt werden und in denen entsprechendes Sanitätsmaterial gelagert ist.

Schiffshygiene

Die größte Herausforderung für die Schiffsführung, die sich für eine mehrjährige Unternehmung in tropischen Gewässern rüstete, bestand darin, an Bord erträgliche Lebensverhältnisse zu schaffen. Es galt zudem, seefahrtstypische Mangelerkrankungen mit ihren fatalen Auswirkungen auf die Mannschaft zu verhindern. So wurden auf der "Novara" erstmals Duschen im Vorschiffsbereich eingebaut, die von jedem Mann alle vier Wochen, von jedem Offizier alle vierzehn Tage genutzt werden konnten. Toiletten existierten für die Mannschaft noch in Form der in der Segelschifffahrt seit alters her üblichen Galions-Klosetts, auf der anderen Seite gab es erste Formen von "Leibstühlen" an Bord der "Novara".

Aus schiffshygienischer Sicht galt Mitte des 19. Jahrhunderts der Trinkwasser- und Proviantbereitstellung bei langen Seefahrten besonderes Augenmerk. Zusätzlich standen ab 1825 eiserne Wassertanks an Bord zur Verfügung. Auch auf der "Novara" wurden solche "Wasserkisten" mit einem Fassungsvermögen von insgesamt 86 Tonnen eingerüstet und ersetzten die bis dahin üblichen Holzfässer. Bereits im 18. Jahrhundert waren in der Royal Navy erfolgreiche Versuche mit Destilliergeräten an Bord durchgeführt worden. Der Frischwassererzeugung zum täglichen Bedarf diente eine moderne Destilliermaschine der Firma M. Rocher aus Nantes; in großem Stil war auch Mineralwasser einer deutschen Firma eingestaut. Nach korrosionsbedingtem Ausfall des Destillators reichte die verfügbare Trinkwassermenge an Bord der "Novara" immerhin für den 82 Tage langen Seefahrtstörn von Valparaiso (ca. 100 km nordwestlich von Santiago de Chile) zum südlichen Afrika.

Die Ernährung an Bord orientierte sich immer noch an traditionellen Anschauungen, einige moderne Erkenntnisse kamen hinzu. Nur wenige Lebensmittel wie Zwieback, Hülsenfrüchte, gesalzenes Fleisch oder getrockneter Fisch eigneten sich überhaupt zur Haltbarmachung, in den Häfen gebunkerter Frischproviant hielt nur wenige Tage.

Immerhin nutzte man erstmals neuartiges Email-Gesundheitsgeschirr, welches die bis dahin üblichen Holznäpfe ersetzte und zur Verbesserung der Hygiene beim Essen beitrug. Um der Verbreitung von Seuchen durch in den Tropen an Bord genommene Vorräte vorzubeugen, hatte die österreichische Marineintendantur zudem komprimiertes und getrocknetes Gemüse in luftdicht verschlossenen Blechbüchsen zur Mannschaftsverpflegung beschafft. Zu dieser "Melange d´Equipage" kam Büchsenfleisch hinzu. Kalorisch war die tägliche Kost durchaus ausreichend, allerdings schienen trotz Ausgabe von Sauerkraut, süßem Kraut, Kartoffeln sowie Wein und Bier nicht genug Vitaminträger verabreicht worden zu sein. Die regelmäßige Gabe von Zitronensaft als Vorbeugungsmittel gegen den gefürchteten Skorbut (Vitamin C-Mangelkrankheit), in der Royal Navy seit den napoleonischen Kriegen üblich, wurde in der k.k. Marine zu diesem Zeitpunkt nicht verfolgt. In Anbetracht solcher ernährungsphysiologischer Unzulänglichkeiten ist es nicht verwunderlich, dass es auf der Weltreise der "Novara" trotz häufiger Möglichkeit zur Bunkerung von Frischverpflegung in den angelaufenen Häfen zu zahlreichen Fällen von Skorbut und Nachtblindheit (Vitamin-A-Mangel) bei Besatzungsangehörigen gekommen ist. Erschwerend trat hinzu, dass den Ärzten - trotz aller Genauigkeit in den Beobachtungen der Symptome - die ätiologischen (Ätiologie: Lehre von den Ursachen [der Krankheiten]) und therapeutischen Abhängigkeiten dieser Mangelkrankheiten damals nicht bekannt waren. Man lebte wissenschaftlich in der Miasmen- und Krasenlehre (Lehre über die Ursachen chronischer Krankheiten und die Bedeutung der Körpersäfte in der Medizin) der Wiener Medizinschule Rokitanskys und führte meteorologische Beobachtungen als wesentliches Indiz für das Auftreten des Skorbutes auf, ohne die Erfahrungen englischer Schifffahrtmediziner aus dem 18. Jahrhundert zu berücksichtigen. "Allen Ernstes ist noch im medizinischen Teil des Novara-Berichts behauptet worden, dass die Schädlichkeit des Mondlichts bei der Nachtblindheit eine Rolle spielen könnte und daß deshalb neben der empirischen Therapie mit Hilfe von Ochsenleber eine absolute Lichtabschirmung bei Nacht erforderlich sei".6)

Krankheiten und ihre Behandlung an Bord

Obwohl bereits im 18. Jahrhundert bedeutende Fortschritte in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten an Bord gemacht werden konnten, stand man auch 100 Jahre später noch am Anfang wissenschaftlicher infektiologischer Erkenntnisse. 80 Prozent der Todesfälle an Bord englischer Kriegsschiffe gingen auf Krankheiten und Unfälle zurück. Während 1812 einer von elf Erkrankten an Bord starb, hatte die Mortalität 30 Jahre zuvor noch bei 30 Prozent gelegen. Auf der Weltumsegelung der österreichischen "Novara" berichtete der Schiffsarzt von acht schweren Stürzen aus dem Topp, zwei davon mit tödlichem Ausgang. Weitere Todesopfer waren Infektionskrankheiten wie Cholera, Durchfall, Fieber und Tuberkulose geschuldet.

In Abhängigkeit von Seegebiet und Jahreszeit litten die Seeleute auf den Segelschiffen in den nördlichen Gewässern vornehmlich an Erkältungen oder Krankheiten des rheumatischen Formenkreises. In den tropischen Regionen dominierten fieberhafte Infektionen, oft mit Durchfall einhergehend, wie Typhus, Ruhr oder Malaria, deren Ätiologie damals unbekannt war und die aufgrund ihrer Symptome meist deskriptiv als "Schiffsfieber" bezeichnet wurden. Ganze Flotten ausgerottet hat besonders eine Infektionskrankheit, das Gelbfieber. Der durch Flaviviren verursachte und von Stechmücken übertragene "Yellow Jack" war seit dem 16. Jahrhundert wegen seines schnellen und mörderischen Verlaufes insbesondere auf Schiffen und in den tropischen Hafenstädten des Atlantischen Ozeans gefürchtet. Noch Ende des 19. Jahrhunderts kam es auf einigen in Westindien operierenden Schiffen der Kaiserlich Deutschen Marine zu Gelbfieberfällen.7) Der Fatalismus, mit dem man an Bord dem zumeist unbeeinflussbaren und schicksalhaften Verlauf dieser Seuche gegenübertrat, wird eindrucksvoll von Friedel wiedergegeben. Er zitiert den englischen Steuermann eines vom Gelbfieber heimgesuchten Schiffes, der einem erkrankten Mitglied der Crew empfahl, "nur gleich in den zur Versenkung bestimmten Sack hineinzukriechen; denn sterben müsste er doch und wenn er erst nach seinem Tode hineingesteckt werden sollte, so machte das viel Mühe!"8) Bis in die Neuzeit hinein spielten Geschlechtskrankheiten an Bord und insbesondere Ansteckung wie Weiterverbreitung in den Häfen eine große Rolle in der militärischen wie zivilen Seefahrt. So waren Behandlung und Prophylaxe, z. B. der Syphilis in den Marinen, allgegenwärtig. Auf der "Novara" hielt sich während der gesamten Reise die Quote an venerischen Krankheiten überraschend gering. Von den insgesamt 37 derartig Infizierten hatte sich noch dazu die Mehrzahl bereits im heimatlichen Triest angesteckt.

Verwundungen und Kriegschirurgie an Bord

Die typischen Verletzungsmuster an Bord von Segelschiffen wie der "Novara" waren verursacht durch Stürze aus der Takelage. Wegen der ansonsten üblichen Quetsch-, Schürf- und Risswunden an Händen und Körper meldete sich hingegen kaum ein Seemann bei seinem Schiffsarzt.

Im Gefecht kamen Säbelhiebe und Lanzenstiche hinzu. Schussverletzungen durch Musketen- und Pistolenkugeln wurden ebenso bei Nahkämpfen, wie z. B. beim Entern, beobachtet. Berühmt geworden ist die tödliche Verwundung Admiral Horatio Nelsons am 21. Oktober 1805 an Bord seines Flaggschiffes "Victory" durch einen in der Takelage der französischen "Redoutable" postierten Scharfschützen. Nelson hatte bereits in der Seeschlacht vor Santa Cruz 1797 seinen rechten Arm bis zur Schulter verloren. Das tödliche Geschoss drang durch die Uniform in seine linke Schulter, streifte die Lungenarterie und zerstörte schließlich Wirbel und Rückenmark der unteren Brustwirbelsäule. Eine Möglichkeit zur Ersten Hilfe bestand für den Schiffsarzt William Beatty (1773-1842) nicht mehr, so dass er dem tödlich Getroffenen lediglich noch mitteilen konnte: "Unfortunately for our country, nothing can be done for you".

Die Bestückung der Kriegsschiffe mit weitreichenden Breitseitenkanonen führte zu den zunehmenden schweren Komplexverletzungen durch Granat- und Holzsplitter.

Bei Trafalgar führte eine einzige Breitseite der britischen "Temeraire", die im Batteriedeck der französischen "Redoutable" einschlug und zur Explosion von Munition und Geschützen führte, zu Hunderten von getöteten oder verwundeten Besatzungsangehörigen.9) Die Besatzungen versuchten, der zunehmenden artilleristischen Feuerkraft hilflos ausgesetzt, sich mit Brustwehren aus Hängematten zu schützen, bevor ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Panzerung von Schiffen aufkam.

Die Verletzungen an Bord der bei dem Seegefecht vor Helgoland am 9. Mai 1864 beteiligten Schiffe unterschieden sich noch kaum von denjenigen der 1805 bei Trafalgar beobachteten Verwundungen.

Auf österreichischer Seite gab es vor allem auf der schwer mit Artillerie getroffenen Fregatte "Schwarzenberg" herbe Verluste. Insgesamt waren zusammen mit den später in den Lazaretten Gestorbenen 51 Tote und 93 Leicht- und Schwerverwundete der k.k. Marine zu beklagen. Aus dem Beschuss mit Granaten resultierten oft verstümmelnde Verletzungen, die die überlebenden Besatzungsangehörigen psychisch sehr mitnahmen. Sie führten in ihren Briefen und Berichten zu drastischen Schilderungen des Erlebten. So schrieb der an Bord der "Schwarzenberg" als Offizier dienende Linienschiffsleutnant Josef Lehnert kurz nach dem Gefecht an seine Eltern: "Das Gefecht wird immer hitziger, Granaten schlagen ein und explodieren im beengten Kamine der Batterie, diese füllt sich mit Toten und Verwundeten, man geht nur auf Blut und die sonst schneeweißen Wände sind mit Blut und Saft noch zuckender Fleischstücke bedeckt, - eine Fleischbank ist ein Salon dagegen. … Eine andere Granate warf mir ein Stück Menschenhaut ins Gesicht und füllte meinen Säbelkorb mit Gehirn, welches ich ausschüttete."10) Eine derart missliche Szenerie erlebte auch der Seekadett Leonhard Bianchi: "Es gab fast ausschließlich nur grässliche Verstümmelungen und schwere Verwundungen. Von unserem Schiffsstabe wurde dem Hauptmann-Auditor Kleinert die Hüfte zerrissen, während dem Seekadetten v. Turkovitz ein Bein abgeschossen wurde, was aber doch nicht hinderte, dass er in seinem späterhin gegründeten glücklichen Familienkreise, noch über 30 Jahre der Bewirtschaftung seines Gutes bei Mödling obliegen konnte. Von der Mannschaft … wurde einem Mann von der Bordmusik das halbe Gesicht weggerissen, so dass ihm das Gehirn aus dem Schädel rann. Eine ebenso grässliche Verwundung war jene des Matrosen Renier. Diesem hatte eine mitgerissene Planke den Unterleib quer durchgeschnitten, so dass nur mehr das Rückgrat die beiden Körperteile zusammenhielt. Die Matrosen schauderten davor ihn anzurühren und Kadetten mussten ihn fortschaffen. … Auf Deck zurückkehrend begegnete mir ein Matrose, welcher einem beim Knie abgeschossenen, noch mit Beinkleid und Schuh bekleideten Fuß geschultert herantrug."11) Die schwerwiegenden Verwundungen an Bord führten zu einem konzentrischen Einsatz der drei Bordärzte der "Schwarzenberg", die durch preußische Marineärzte verstärkt wurden. Da sich die Dänen vor Helgoland auf die Bekämpfung der stärkeren österreichischen Schiffe beschränkt hatten, waren die kleineren preußischen Einheiten von Opfern verschont geblieben. Die preußischen Marineärzte konnten deshalb auch tatkräftig bei der Versorgung der Verwundeten helfen. Nach dem Gefecht kehrten die Schiffe nach Cuxhaven zurück, dort übernahm der Aviso (Verbindungsschiff) "Preußischer Adler" die Verwundeten und verbrachte sie - wie im entsprechenden Sanitäts-Reglement vorgesehen - schließlich elbaufwärts nach Altona zur Abgabe an das dortige Lazarett.

Zusammenfassend berichtete der einen Tag nach der Schlacht vor Helgoland am 10. Mai 1864 zum Konteradmiral beförderte Geschwaderkommandeur Wilhelm von Tegetthoff (1827-1871) an das k.k. Marineministerium über den Sanitätsdienst: "Auf S.M. Fregatte Schwarzenberg wurde von der Beendigung des Gefechtes bis zum nächsten Morgen um 4.00 Uhr amputiert, operiert und haben die beiden königlich preußischen Assistenzärzte Dr. Köster und Dr. Grithsel, den Schiffen "Preußischer Adler" und "Basilisk" angehörig, den Ärzten der k.k. Kriegsschiffe, den ersprießlichsten Beistand mit unermüdlichem Eifer geleistet."12).

Fußnoten:

1) Friedel, Carl: Die Krankheiten in der Marine. Berlin 1866.

2) Schwarz, Eduard: Reise der Österreichischen Fregatte "Novara" um die Erde in den Jahren 1857, 1858, 1859 unter den Befehlen des Commodore B. von Wüllerstorf-Urbair. Medizinischer Teil. 1. Band, Wien 1861.

3) Ruge, Reinhold: Geschichte der Schiffshygiene. In: Zur Verth et al. (Hrsg.): Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von Kriegsschiffen. Bd. 1, Jena 1914, S. 3-64, hier: S. 34.

4) Smollet, Tobias: The adventures of Roderick Random. Tauchnitz Edition 1845, zit. bei Ruge 1914, S. 35.

5) Steinberg, August: Über die Etablirung von Schiffslazaretten bei der preußischen Marine. Archiv der deutschen Medizinal-Gesetzgebung u. Öffentl. Gesundheitspflege für Ärzte, Apotheker und Beamte (1858), S. 147-149.

6) Schadewaldt, Hans: Die letzte Weltumsegelung alten Stils. Die medizinischen Erfahrungen auf der Weltreise der österreichischen Fregatte "Novara" von 1857 bis 1859. Schiff und Zeit 6 (1977), S. 13-25, hier S. 24.

7) Hartmann, Volker: Gelbfieber an Bord. Eine Tropenkrankheit in der Schiffahrts- und Marinegeschichte. Schiff und Zeit 41 (1995), S. 46-52.

8) Friedel 1866, S. 226.

9) Watt, James: Surgery at Trafalgar. Royal Naval Medical Service 2005, S. 83-91.

10) Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv, Nachlass Kontreadmiral Josef Lehnert, Nachlass Nr. B 185. Zit. bei Pawlik Georg: Tegetthoff und das Seegefecht vor Helgoland. Verlag Österreich GmbH, Wien 2000, S. 56.

11) Bianchi, Leonhard: "Als Seekadett vor 40 Jahren 1864-1904, als Manuskript gedruckt. Zit. bei Pawlik 2000, S. 54.

12) Pawlik 2000, S. 50.

Literatur

Friedel, Carl: Die Krankheiten in der Marine. Berlin 1866.

Hartmann, Volker: Gelbfieber an Bord. Eine Tropenkrankheit in der Schiffahrts- und Marinegeschichte. Schiff und Zeit 41 (1995), S. 46-52.

Pawlik Georg: Tegetthoff und das Seegefecht vor Helgoland. Verlag Österreich GmbH, Wien 2000.

Ruge, R.: Geschichte der Schiffshygiene. In: Zur Verth et al. (Hrsg.): Handbuch der Gesundheitspflege an Bord von Kriegsschiffen. Band 1, Jena 1914, S. 3-64.

Schadewaldt, Hans: Der Schiffsarzt.

CIBA-Zeitschrift 76 (1955), S. 2502-2534.

Schadewaldt, Hans: Die letzte Weltumsegelung alten Stils. Die medizinischen Erfahrungen auf der Weltreise der österreichischen Fregatte "Novara" von 1857 bis 1859. Schiff und Zeit 6 (1977), S. 13-25.

Schwarz, Eduard: Reise der Österreichischen Fregatte "Novara" um die Erde in den Jahren 1857, 1858, 1859 unter den Befehlen des Commodore B. von Wüllerstorf-Urbair. Medizinischer Teil. 1. Band, Wien 1861.

Steinberg, August: Über die Etablirung von Schiffslazaretten bei der preußischen Marine. Archiv der deutschen Medizinal-Gesetzgebung u. Öffentl. Gesundheitspflege für Ärzte, Apotheker und Beamte (1858), S. 147-149.

Watt, James: Surgery at Trafalgar. Royal Naval Medical Service 2005, S. 83-91.


Autor: Flottenarzt Dr. med. Volker Hartmann (Deutschland), Jahrgang 1960. Seit 1984 Marinesanitätsoffizier; fünfjährige Verwendung als Schiffsarzt auf Schnellbooten und auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock", mehrjährige klinische Tätigkeit in einem Bundeswehrkrankenhaus, Einsatz im Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine in Kiel, im Stab des Admiralarztes der Marine in Wilhelmshaven und im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn. 2002 - 2009 Leiter des Sanitätsdienstes der Zerstörerflottille (jetzt Einsatzflottille 2) in Wilhelmshaven. 2010 - 2014 stellvertretender Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr und Kommandeur Lehrgruppe A in München, seit 2014 Abteilungsleiter Lehre Gesundheitsversorgung an der Sanitätsakademie der Bundeswehr; Facharzt für Arbeitsmedizin. Auslandseinsätze: 2002 Senior Medical Officer (SMO) bei der "Operation Enduring Freedom" am Horn von Afrika, 2005 Leiter des Marineeinsatzrettungszentrums (MERZ) an Bord des Einsatzgruppenversorgers (EGV) "Berlin" für "Humanitäre Hilfe Südostasien" vor Banda Aceh/Indonesien, 2005 Einsatz bei der Militärischen Evakuierungsoperation vor der Elfenbeinküste; 2006 - 2007 SMO des maritimen UNIFIL-Verbandes vor der Küste des Libanon, 2009 SMO des ESVP-Einsatzes "Atalanta" vor der Küste Somalias an Bord des EGV "Berlin", 2009 - 2010 Kommandeur Sanitätseinsatzverband KFOR im Kosovo. 2012 Kommandeur Sanitätseinsatzverband ISAF in Afghanistan. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen (Themenbereiche: Schifffahrtmedizin, Geschichte der maritimen Medizin, Marinesanitätsdienst, Sanitätsdienst der Deutschen Kriegsmarine). 1995 Paul-Schürmann-Preis der Deutschen Gesellschaft für Wehrpharmazie und Wehrmedizin.

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