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Evaluierung - Einsatzbereitschaft im Bundesheer

Armeen verschiedener Staaten, die miteinander Aufgaben und Einsätze bewältigen, benötigen die gleichen Standards, um kompatibel zu sein. Dies gilt hinsichtlich ihrer personellen und materiellen Ausstattung, aber auch im Bereich ihrer Fähigkeiten. Evaluierungen nach international festgelegten Kriterien überprüfen diese Standards und stellen die Basis für eine Zusammenarbeit sicher.

Evaluierung - Benchmarking

"Evaluierung" ist ein, im internen Sprachgebrauch des Bundesheeres, häufig verwendeter Begriff. Ganz allgemein bedeutet Evaluierung oder Evaluation (von lateinisch valere "stark bzw. geeignet sein") eine sach- und fachgerechte Bewertung. Im Österreichischen Bundesheer (ÖBH) wird das Wort "Evaluierung" gemäß dem Militärlexikon folgendermaßen definiert: "Evaluierung ist eine auf empirische Belege gestützte Bewertung von Prozessen und Ergebnissen einschließlich der Darstellung der Anpassungserfordernisse".

Vergleichbar ist der Begriff "Evaluierung" mit dem Begriff "Benchmarking", bei dem es sich um ein Management-Werkzeug der Wirtschaft handelt. Unter Benchmarking versteht man einen kontinuierlichen Prozess, bei dem Produkte (bzw. Dienstleistungen) des eigenen Unternehmens mit denen des stärksten Mitbewerbers gemessen und verglichen werden. Diese werden anhand objektiver Faktoren (Struktur, Wissen, Eigenschaften etc.) bewertet. Das Ziel dabei ist es, die Konkurrenzfähigkeit des eigenen Unternehmens zu erhöhen.

Die Benchmark hingegen ist ein festgelegter Bezugswert (ein Standard), der als Maßstab für den Vergleich von Leistungen und Produkten gilt. Sie ist entweder das Ergebnis oder die Grundlage des Benchmarking-Prozesses.

Auch für Streitkräfte ist es von wesentlicher Bedeutung, Benchmarks zu definieren. Werden diese nicht erreicht, ist eine Einsatzdurchführung eventuell gefährdet oder die beteiligten Soldaten werden einem unzumutbaren Risiko ausgesetzt. Die Verfügbarkeit und Anwendung akzeptierter und international etablierter Standards ist eine Grundvoraussetzung für jedes Bewertungsverfahren.

Entwicklungen bei den Vereinten Nationen

Seitens der Vereinten Nationen (VN), als derzeitiger "Marktführer" im Bereich der internationalen Friedensmissionen mit rund 128 000 zivilen und uniformierten Kräften in 39 Missionen auf vier Kontinenten im Einsatz, wurde festgestellt, dass komplexere Konfliktszenarien die Anforderungen an VN-geführte friedenserhaltende Operationen grundlegend geändert haben. Das Überwachen von Waffenstillständen ist einem dynamischen, proaktiven und somit risikoreicheren Peacekeeping gewichen, bei dem die Missionen mit robusten Mandaten ausgestattet sind.

Ausführliches Grundlagenmaterial (für friedenserhaltende Operationen) beschreibt die Aufgaben, Kernfähigkeiten, Standards und Kriterien von Truppen in Checklistenform. Pre-Deployment-Visits (Erkundung im Einsatzraum vor einem Ersteinsatz; Anm.) stellen die Voraussetzungen für den Einsatz von Verbänden und Einheiten abschließend fest.

Insgesamt gibt es zurzeit mehr als 120 Staaten (potenzielle Troop Contributing Countries) bei denen die Bereitschaft besteht, an friedenserhaltenden Operationen teilzunehmen. Die Forderung nach einer standardisierten und praxisnahen Überprüfung der militärischen Fähigkeiten wurde zuletzt im Zusammenhang mit der Schaffung einer "Intervention Brigade", die innerhalb der UN Mission MONUSCO (Mission der Vereinten Nationen zur Stabilisierung des Kongo; Anm.) auch für offensive Einsätze vorgesehen ist, erhoben.

Operational Capabilities Concept Evaluation and Feedback Program (OCC E&F)

Am 10. Februar 1995 erfolgte, dem Beispiel auch anderer neutraler Staaten folgend, der Beitritt Österreichs als 25. Mitglied zur Partnerschaft für den Frieden (PfP - Partnership for Peace). OCC E&F wurde 1999 auf dem NATO-Gipfel in Washington als Teil der weiterentwickelten PfP durch die Staats- und Regierungschefs der NATO beschlossen und ist neben dem "Partnership Action and Review Plan" (PARP) zurzeit wahrscheinlich das erfolgreichste und vor allem effektivste Partnerschaftsprogramm der NATO. Der PARP bietet einen strukturierten Ansatz zur Erweiterung von Fähigkeiten und der Interoperabilität und ergänzt damit die nationale Streitkräfteplanung.

Der OCC-Prozess bietet die unverzichtbaren Benchmarks bei der Überprüfung der Einsatzbereitschaft durch die Verfügbarkeit der NATO Task List (NTL) im Hinblick auf die Interoperabilität (mögliches Ergebnis: interoperable, partially interoperable, not interoperable) und durch die Verfügbarkeit der Allied Force Standards (AFS) hinsichtlich militärischer Fähigkeiten (mögliches Ergebnis: combat ready, not combat ready).

Neben den Ländern, die an der "NATO Partnerschaft für den Frieden" teilnehmen, haben seit dem NATO-Gipfel in Istanbul im Jahr 2004 auch die Länder des "Mediterranean Dialogue" (MD), der "Istanbul Cooperation Initiative" (ICI) und der "Partners Across the Globe" (PatG) Zugang zum Programm. Derzeit nutzen 14 der 22 PfP-Staaten (darunter auch Österreich) sowie Jordanien OCC E&F.

Beim Evaluierungsprozess werden zwei Formen unterschieden. Die Selbstevaluierung (Self Evaluation -SEL) erfolgt in nationaler Verantwortung und unter einer Beobachtung durch die NATO. Die NATO Evaluation (NEL) erfolgt grundsätzlich unter Führung der NATO. Neben den ausbildungsmäßigen und materiellen Voraussetzungen ist für ein positives Ergebnis eine mehr als 90-prozentige Verfügbarkeit des Personals und Materials erforderlich. Beide Evaluierungsprozesse haben die gleichen Kriterien und den gleichen Ablauf.

Unterscheidung: NEL 1 - NEL 2

Die Level 1-Evaluierung (NEL 1) dient der Herstellung der Inter-operabilität multinationaler Truppen (im Einsatzraum) vor allem in den Bereichen Ausrüstung, Strukturen, Organisation, Ausbildung und Training. Praktische Beispiele der Evaluierung sind die Überprüfung der Sprachkenntnis bzw. des Funksprechverkehrs sowie die Durchführung von Patrouillen, der Dienst an Kontrollpunkten und Ähnliches.

Die Level 2-Evaluierung (NEL 2) dient der Überprüfung der militärischen Fähigkeiten (Capabilities) und der Fähigkeit zur Auftragserfüllung (Mission Accomplishment). Die Level 2-Evaluierung ist mit einer Alarm- oder Formierungsübung vergleichbar, in der schriftliche Grundlagen, Abläufe sowie die Erfüllung von Gefechtsaufgaben überprüft werden. Für ein Infanteriebataillon bedeutet dies z. B. die Durchführung eines Marsches im Gefecht, das Beziehen eines Verfügungsraumes oder die Durchführung einer taktischen Aufgabe nach eigener Wahl (z. B. Angriff, Verteidigung oder Verzögerung).

(Siehe TD Heft 3/2010)

Kaderpräsenzeinheiten

2005 erhielt das OCC-Engagement des ÖBH eine neue Qualität. Mit der Schaffung von Kaderpräsenzeinheiten (KPE) als personell und materiell strukturierte, rasch verfügbare Einheiten für In- und Auslandseinsätze konnte der längerfristige und kontinuierlich aufbauende OCC-Evaluierungsprozess erstmals im vollen Umfang genutzt werden. Jene nationalen Einheiten, die für die Teilnahme am internationalen Krisenmanagement vorgesehen sind, werden zunächst in den sogenannten OCC - Pool of Forces (PoF) gegenüber der NATO eingemeldet. Dem Prinzip "Single Set of Forces" (einmalige Möglichkeit zur Verfügbarkeit/Einmeldung von Kräften; Anm.) folgend, sind diese österreichischen Einheiten auch im "Force Catalogue" gegenüber der EU bzw. im "UN Standby Arrangement System" (UNSAS) gegenüber der VN angezeigt. Derzeit hat Österreich ein Bataillon und 13 weitere Einheiten bzw. Teileinheiten in der Stärke von rund 1 500 Mann in den PoF eingemeldet.

Nach einem erfolgreichen Durchlauf des Evaluierungsprozesses ist der abschließende Schritt einer NEL 2 (siehe Seite 379) alle drei Jahre (im Bereich "Luft" alle fünf Jahre) zu wiederholen. Auslandseinsätze, in denen die geforderten Fähigkeiten erbracht wurden, ersetzen unter gewissen Voraussetzungen eine neuerliche Evaluierung. Mittlerweile ist jede KPE in ausbildungsmäßiger Hinsicht in der Lage, ohne Vorbereitung eine NEL 2 zu bestehen. Das Erreichen der personellen und materiellen Voraussetzungen bleibt dennoch eine Herausforderung.

Das erfolgreiche Bestehen im Einsatz ist die "ultimative" Form einer Evaluierung und die bestmögliche Einsatzvorbereitung hierfür die Aufgabe aller involvierten Stellen. Die zwingende Folge ist die Anwendung des Evaluierungsprogrammes auch auf die Auslandseinsatzkontingente. Die NATO-Standards werden dabei um Zielvorgaben in den jeweiligen Formierungsbefehlen ergänzt. Das softwarebasierte Evaluierungsprogramm ermöglicht ohne großen Aufwand die Erstellung von einem "maßgeschneiderten Mix" aus NEL 1 bis NEL 2, einsatzraumspezifischen und nationalen Zielen.

Evaluatorenpool

Die Ausbildung und Fortbildung von Evaluatoren ist durch die Abteilung für Militärpartnerschaft beim Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa (Supreme Headquarters Allied Powers Europe/Military Partnership Directorate - SHAPE/MPD) geregelt und umfasst drei Stufen unter Abstützung auf die NATO-Schule in Oberammergau unddie Partnernationen.

Eine jährliche nationale Fortbildungsmöglichkeit oder die Teilnahme an Evaluierungen im In- oder Ausland in einem Abstand von maximal drei Jahren stellen den Qualifikationserhalt der Evaluatoren sicher. Die Frist zum Qualifikationserhalt beginnt mit der Absolvierung des ersten Ausbildungsschrittes. Dabei handelt es sich um einen Basiskurs für Evaluatoren (Evaluator Training Course - ETC). Der zweite Ausbildungsschritt, der die Einsatzbereitschafts- und Taktische Evaluierung beinhaltet (Combat Readines Evaluation - CREVAL und Tactical Evaluation - TACEVAL), wird je nach Verfügbarkeit von Kursplätzen durchgeführt.

Derzeit verfügt das ÖBH über 77 CREVAL- und zwölf TACEVAL-Evaluatoren. Als Zielsetzung gelten 110 CREVAL- sowie 24 TACEVAL-Evaluatoren, um auch hinkünftig alle Evaluierungserfordernisse abdecken zu können. Aktuell wird jedes EUFOR und KFOR Kontingent zweimal jährlich evaluiert - KPE-Elemente alle drei Jahre.

Weitere Schritte

Zur elektronischen Bearbeitung der Evaluierungsprozesse wird derzeit das OCC-Evaluierungstool (Version 4.0) in einem eigenen offenen, seitens der NATO zertifizierten Sondernetz mit ca. 40 Rechnern plus zwei Servern betrieben. Mit der Umstellung auf Windows 7 und der Ausrollung wird die hinkünftige Nutzung des OCC-Evaluierungstools direkt in der 3. VE durch die Verbände möglich sein. Eine Verwendung bei "Großübungen" wird damit wesentlich erleichtert.

Das in diesem Bereich festgelegte Partnerschaftsziel G1000 "Capabilities Evalution und Certification" (Fähigkeits-Evaluierung und Zertifizierung; Anm.) gilt nach diesem Schritt als implementiert.

Auf einen Blick

"Training without evaluation is a waste of time and ressources" stellt ein U.S. Field Manual fest. "OCC can be used to transform units or to transform defence forces", so das Mantra des OCC Programm Direktors bei den Jahreskonferenzen. Der erste Schritt "transform units" (Umformung/Anpassung aufgrund geänderter Rahmenbedingungen - hier: von Einheiten; Anm.) wurde erreicht und muss erhalten bleiben.

Der zweite Schritt "transform defence forces" bleibt als Zielsetzung bestehen. Mit OCC E&F steht dem ÖBH ein international anerkanntes und standardisiertes Evaluierungsverfahren zur Einsatzvorbereitung zur Verfügung, welches sich bisher sehr gut bewährt hat. Die Softwarelösung, die regelmäßig aktualisiert wird, basiert auf internationalen Standards und Kriterien. Darüber hinaus bietet sie einen Handlungsspielraum in der Erweiterung auf spezifische nationale Überprüfungsziele. Damit ist OCC E&F auch die geeignete Basis für die hinkünftige Überprüfung der Einsatzbereitschaft im Österreichischen Bundesheer.

Gesamtheitlich betrachtet ist der sicherheitspolitische, transformatorische und operationelle Nutzen, den das ÖBH aus seinem Engagement im OCC E&F Bereich zieht, weit höher einzuschätzen als die dafür zu leistenden nationalen, finanziellen und personellen Aufwendungen.


Autor: Oberst Karl-Heinz Gutschi, Jahrgang 1963. Einrückungstermin September 1983, Theresianische Militärakademie, 1988 Ausmusterung als Fliegerabwehroffizier zum Fliegerabwehrbataillon 3in Salzburg, Verwendung als Zugs-, Ausbildungs- und Batteriekommandant; 1992 Fliegerregiment 2, Verwendung als S2 und S3; 1993 Versetzung zum Überwachungsgeschwader, Verwendung als S1, S2 und S5; ab 2007 als Luftzeugoffizier; 2013 Referent in der Abteilung Einsatzvorbereitung im BMLVS.

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