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Taktische Lehren aus der Operation "IRAQI FREEDOM"

Mehr als ein Jahr ist seit Beendigung des Irak-Krieges vergangen. Die militärische Führung der USA hat begonnen, die Erfahrungen aus dieser Operation aufzuarbeiten und die Lehren daraus in die zukünftige Ausbildung der Soldaten einfließen zu lassen. Ebenso wird es zu Veränderungen in der Ausstattung mit Führungs- und Informationssystemen sowie bei Waffen und Gerät kommen.

Es ist noch zu früh, um mit Bestimmtheit sagen zu können, ob der Irak-Krieg im Frühling des Jahres 2003 tatsächlich die erste beinahe ausschließlich mit High-Tech-Mitteln geführte Kampfhandlung war. Auf taktischer Ebene wurden jedoch zum ersten Mal Kämpfe mit den modernsten Führungsmitteln geführt, welche die Technik des beginnenden 21. Jahrhunderts zu bieten hat.

Nicht immer funktionierten technische Systeme reibungslos, und in vielen Fällen konnten die Möglichkeiten, die sie dem Benutzer boten, nicht voll ausgenutzt werden. Aber die eindrucksvollen Erfolge der "nur" 27 Tage dauernden Gefechte und die "relativ" niedrigen Verluste an Menschenleben und Material (auf der Seite der Allianz) zeigen auf, wie die zukünftige Kampfführung aussehen könnte bzw. wird.

Lehren, welche die amerikanischen Streitkräfte aus der Kampfführung im Irak gezogen haben, müssen weitergegeben werden. Besonders bei der Truppe, auf Kompanie- und Bataillonsebene, waren es neue taktische, technische und logistische Erfahrungen, die im Kampf gewonnen wurden. Diese Lessons Learned bilden die Grundlage für Änderungen in den US-Kampfdoktrinen, besonders in den "Urban Low Intensity"-Kampfhandlungen, als Teil der US "Global Contingency Mission".

Analysen der US-Kampfführung

Die meisten Beobachter, welche die amerikanische Kampfdoktrin vor dem Golf-Krieg analysierten, stellten kritisch fest, dass die amerikanischen Truppen und deren Führung für einen Kampf im verbauten Gebiet nur ungenügend ausgebildet und ausgerüstet waren. Weiters wurde von Analysten erkannt, dass die US-Soldaten dem psychischen Druck eines Orts- oder Häuserkampfes kaum standhalten könnten. Das Negativbeispiel der massiven Probleme, welches den russischen Elitetruppen der Kampf um Grozny bereitete, wurde in den amerikanischen Medien und der militärischen Fachpresse intensiv behandelt. Das machte diese Art von Kriegführung für die Truppenführung und die Soldaten noch weniger attraktiv.

Letztendlich wurden dennoch Lehren aus den russischen Schwierigkeiten bei den Kämpfen in Tschetschenien gezogen. Die amerikanische Kampfdoktrin erlebte eine Anpassung in der Form, dass die Probleme, die der Kampf um eine Großstadt wie Bagdad bringen könnte, erkannt und Lösungsansätze angeboten wurden. Die neue Devise lautete daher: "... dem blutigen Häuserkampf ist aus dem Weg zu gehen, die Stadt ist zu isolieren und die Verteidigung ist mit Präzisionswaffensystemen, die gegen die wichtigsten Ziele in der Stadt eingesetzt werden, entgültig niederzukämpfen ...".

Die bereits erwähnten kritischen Beobachter zeigten eine Reihe weiterer Mängel bei den US-Streitkräften auf:

- Die Fähigkeit, rasch zu schießen und auch noch zu treffen war bei weitem nicht auf höchstem Standard. Lediglich die US-Spezialkräfte waren für den urbanen Kampf entsprechend ausgerüstet und ausgebildet. Deren Zahl war jedoch zu gering für ein so genanntes "High Intensity Combat", wie es den Soldaten in Bagdad und den anderen Großstädten des Irak bevorstand.

- Das Problem des "Friendly Fire" (siehe auch TRUPPENDIENST 4/2003, S. 356 ff.) war und ist weiterhin virulent. Lösungsansätze zu dessen Verhinderung sind für den Irak-Krieg nur teilweise vorhanden und im Kampf noch nicht getestet.

- Die Panzerwaffe war zwar mit dem fortschrittlichsten Gerät ausgerüstet, litt jedoch unter logistischen Mängeln, wie z. B. der schleppenden Versorgung mit Kraftstoffen. Das hatte sich bereits 1991 während der Operation "DESERT STORM" als schwerwiegender Nachteil herausgestellt.

- Ein weiteres noch ungelöstes Problem bestand darin, dass es bis heute noch nicht gelungen ist, die mangelnde Kompatibilität in den elektronischen Führungs- und Kommunikationssystemen zwischen den US-Truppenteilen einerseits und den Verbündeten andererseits zu beheben. Auch das war bereits eine erhebliche Schwierigkeit im Golf-Krieg von 1991.

Erfahrungen auf (US) Kompanie- und Bataillonsebene

John Keegan (britischer Militärhistoriker, geb. 1934) meint: "Das (die Operation "IRAQI FREEDOM", Anm.) war ja gar kein Krieg, sondern ein Zusammenbruch. Das waren keine Schlachten und keine großen Gefechte, sondern militärische Aufräumaktionen gegen Gruppen von Schurken. Das war weder der letzte klassische Krieg der Vergangenheit noch der erste revolutionär neue Krieg des 21. Jahrhunderts ..." Kampfbetrachtungen der Kompaniekommandanten

Die taktischen Kommandanten mussten gemäß der Absicht des übergeordneten Verbandes unter Berücksichtigung von Auftrag, Ziel und Gelände weitestgehend selbstständig handeln, was im Grunde kein Problem darstellen sollte. Befehle wurden meist als so genannte mündliche FRAGOs (fragmentary orders) unter voller Ausnutzung der Auftragstaktik an die Unterstellten gegeben. Die Kompaniekommandanten bekamen nur das Allernotwendigste befohlen, ihnen selbst war die detaillierte Ausführung beinahe völlig freigestellt. Abgestützt war diese Art der Befehlsübermittlung auf das Verfahren des "Net Centric Warfare" (NCW), in dem alle Kommandoebenen über den selben (Echtzeit-)Wissensstand verfügen.

Doch nur wenige Kommandanten der mittleren Führung sind bereit, ihren Untergebenen so viel Handlungsfreiheit zu gewähren, und ihnen im Falle eines Fehlers die erforderliche Rückendeckung zu geben. Besonders in den so genannten Kleinkriegen, in denen die modernen Massenmedien beinahe in Echtzeit vom Kampfgeschehen berichten, stehen die höheren Befehlsstellen ständig unter politischem Druck. Durch die Nutzung des NCW kann der Kommandant den Kampfablauf beinahe lückenlos verfolgen und durch seine größere Lageübersicht einer kritischen Entwicklung bereits frühzeitig durch ein rasches Eingreifen entgegenwirken.

Die Kompaniekommandanten legten besonderen Wert darauf, dass ihre Unterführer, die selbstständig im Rahmen des Auftrags handelten, den Funkverkehr nicht mit Banalitäten blockierten und nur das Wichtigste kurz meldeten. Ein weitgehend freies Funknetz war für die Kommandanten in Krisensituationen beinahe eine Überlebensfrage, um rasch eingreifen zu können und den Kampfverlauf zu beeinflussen.

Als besondere psychische Belastung wurde der Kampf im verbauten Gebiet angesehen. Der Feind lauert beinahe hinter jeder Ecke. Die Hauptlast des Kampfes wird dabei von jungen Gruppen- und Zugkommandanten getragen, und auf deren Schultern liegt die Verantwortung über Leben und Tod ihrer Männer.

Blue Force Tracking

Eine besonders wichtige Komponente, die im Irak erstmals bei der Truppe eingesetzt wurde, ist das so genannte Blue Force Tracking (BFT-)System. BFT bietet bisher kaum vorstellbare Möglichkeiten zwischen den Kommanden und den Truppen im Bereich der vertikalen und horizontalen Kampfinformationstechnik. Den Anwendern dieses Systems werden die Lageinformationen auf Monitoren mit Kartenausschnitten dargestellt; Eigene in blau und der Feind in rot. Die Daten über die Positionen der Kräfte werden mit Hilfe des GPS ermittelt und an die verschiedenen Kommandozentralen übertragen. Danach werden die Daten automatisch durch Satellitenkommunikation an die Verbände und Einheiten weitergegeben. Im gesamten Netzwerk werden die Daten laufend aktualisiert, wodurch der Informationstand auf allen Ebenen gleich ist.

Das BFT-System bietet den Kommandanten auch die Möglichkeit, Aufträge rasch an die Truppenteile zu übertragen. Darüber hinaus kann damit die Luft- und Bodenunterstützung gegen Feindziele koordiniert werden. Als weiterer Pluspunkt ist zu verzeichnen, dass mit Hilfe dieses Systems die Navigation unter schlechten Sichtverhältnissen vereinfacht wird. Aufklärungskräfte können ihre Feindlageberichte über vorformatierte Meldungsformulare sofort durch die so genannte "chat capability" übermitteln.

Bisher wurde das System nur im HMMWV "Hummer", dem Schützenpanzer M-2/-3 "Bradley", dem Kampfpanzer M-1 "Abrams" und in Kampfhubschraubern eingebaut. Zwei der wichtigsten Kommandozentralen in Kuwait führten das Gefecht vorrangig über BFT, wenn die normalen Funkverbindungen ausgefallen waren. Auch das Pentagon (Verteidigungsministerium) in Washington überwachte den gesamten Ablauf der Operation, weil dort dasselbe Datenmaterial zur Verfügung stand wie bei der Kampftruppe.

Der "Alleskönner" BFT hat natürlich auch einen gravierenden Nachteil, nämlich den, dass die Freund-Feind-Erkennung nicht voll funktionsfähig ist, weil die verwendete Technik zwar rasch, aber nicht in "Sekundenechtzeit" (real-time) arbeitet. Um aber Unfälle durch Friendly Fire weitestgehend zu verhindern, braucht die Truppe eine rasche und fehlerfreie Freund-Feind-Erkennung. Eine Verbesserung hat das BFT-System auf jeden Fall gebracht, denn alle Truppenteile, die damit ausgerüstet waren, verzeichneten im Krieg gegen den Irak (zumindest offiziell) keine Ausfälle durch Friendly Fire.

Die Weiterentwicklung bei der BFT-Technik zielt auf die Verkleinerung des Gerätes ab. Die Erfahrungen mit den ersten tragbaren Prototypen werden bereits ausgewertet. Diese waren bei den leicht beweglichen Sondereinheiten und Spezialtruppen im Einsatz. Die "location-monitoring"-Geräte haben die Größe einer Zigarettenpackung und senden automatisch im fünf- bis zehn-Minutentakt den aktuellen Standpunkt des Trägers durch Übermittlung der GPS-Koordinaten zu den Kommandozentralen. Weiters ist für die Zukunft geplant, BFT über eine gesonderte Schnittstelle in das "airborne warning and control"-System (AWACS) zu integrieren.

Funktionsfähigkeit von Waffen und Gerät

Die Truppe war mit dem neuen Gewehr Colt M-4A1 sehr zufrieden. Es funktionierte auch unter anspruchsvollen Gefechtsbedingungen gut, besonders bei Verwendung des reichlich vorhandenen Zubehörs wie verschiedene Optiken, Laserpointer etc. Im Vergleich zum Standardgewehr M-16A2 wurde das M-4 von der Truppe übereinstimmend als besser beurteilt. Als negativ wurde die für den Wüstenkampf ungenügende Reichweite des M-4 bezeichnet. Im offenen Gelände der Wüste liegt die Einsatzschussweite bei 500 Metern und darüber!

Besonders geschätzt wurde von der Truppe das M-1014 "Joint Service Shotgun/breaching kit", welches sich im Häuserkampf (zum Durchbrechen von Türen und dünnen Mauern) sehr gut bewährt hatte. Aber es fehlte eine auseichende Anzahl an derartigen Geräten, nur sechs dieser Waffen waren im Bataillon vorhanden.

Als wenig zufriedenstellend wurde von der Infanterie und besonders von den Marines das Panzerabwehrlenkwaffensystem "Javelin" bewertet. Das Gerät war zu schwer, um von zwei Teams längere Zeit getragen zu werden. Es wurde vorgeschlagen, den "Javelin" auf einen HMMWV zu montieren, um ihn mobil und rascher einsetzbar zu machen. Aber nicht nur die mangelnde Beweglichkeit wurde kritisiert. Die Vorbereitung der Lenkwaffen für den Abschuss erfordert einen erheblichen Zeitbedarf und dadurch ist das System für den offensiven Infanterie-Kampfeinsatz ungeeignet. Zweieinhalb Minuten werden benötigt, um "Javelin" gefechtsbereit zu machen (zehn Sekunden Kühlung des "seekers", zehn bis 30 Sekunden, um das Gerät zur Zielverfolgung einzustellen und zwei Minuten zur Vorkühlung des Wärmebildgerätes).

Kritik zur PAL "Javelin" kam jedoch nicht von allen Truppenteilen. Das 3rd Battailon/75th Ranger Regiment, ein Eliteverband der US Army, fand z. B. nur positive Worte über diese Waffe. Die Rangers schossen mit dem "Javelin" auf 1 800 m Entfernung gut getarnte und eingrabende Panzer ab. Besonders geschätzt wurde die "Command Launch Unit" (CLU), ein Gerät, das eigentlich für die Gefechtsfeldüberwachung vorgesehen war. Die CLU bewährte sich vor allem bei Dunkelheit und während der häufigen Sandstürme besser als das Wärmebildgerät.

Eine weitere Erfahrung aus dem Irak-Krieg betraf die Änderung der traditionellen Rolle des Scharfschützen. Zwar gilt der bekannte Grundsatz: "Ein Schuss, ein Treffer - und weg" weiterhin, aber immer öfter liegt der Scharfschütze gut getarnt im feindlichen Gebiet. Sieht er mehrere Ziele gleichzeitig, ist natürlich sofortiger Handlungsbedarf gegeben. In solchen Fällen wird ein halbautomatisches Scharfschützengewehr, wie etwa das SR-25 (7,62 mm) oder das bereits ältere, aber immer noch wirkungsvolle M-14 (ebenfalls Kaliber 7,62 mm) eingesetzt.

Das SR-25 soll die beste derartige Waffe sein. Mit einer speziellen Munition, der M-118LR 175GR-Patrone ("Long Range"-Patrone mit einem Geschossgewicht von 175 grains/11,34 Gramm) kann auch auf 800 m Entfernung noch eine beachtliche Wirkung erreicht werden.

In kritischen Situationen, wie z. B. im Ortskampf, wird das Feuer oftmals auf nächste Entfernung eröffnet. Hier kommt ebenfalls die Scharfschützentechnik mit dem halbautomatischen Scharfschützengewehr zum Einsatz. Um den Nahkampf unter solchen Umständen effektiv zu führen, sollten so viele der besten Schützen wie nur möglich in der Scharfschützentechnik ausgebildet werden, ohne die gesamte, teuere Ausbildung zum "Sniper" absolvieren zu müssen.

Auf weite Entfernungen wurde die Barret .50 (12,7 mm) "Long Range Sniper Rifle" verwendet. Die offizielle Bezeichnung lautet XM-107. Zur Waffe gehöret ein Zwei-Mann-Team, der "Spotter" (Beobachter/Aufklärer) und der Schütze. Im Irak wurden Ziele auf 1 400 m Entfernung erfolgreich bekämpft. Die "Spotter" benützen die bewährte Leupold M-4 Tageslichtoptik, um Ziele zu orten.

Die durchschnittliche Einsatzschussweite für einen Scharfschützen betrug im Irak-Krieg zwischen 100 bis 300 m, da die meisten Kampfhandlungen im bebauten Gebiet stattfanden. Für diese Art von Gefecht würde die Truppe mehr Pistolen benötigen (mindestens zwei pro Gruppe). In vielen Nahkampfzwischenfällen bewährte sich die Pistole als lebensrettende Waffe besser als das Sturmgewehr.

Während der Operation "IRAQI FREEDOM" stellte sich auch heraus, dass die NATO-Standard-Munition vom Kaliber 5,56 mm in vielen Fällen in Durchschlagsleistung und Wirkung zu schwach war. Vielfach wurde deshalb eine leistungsfähigere Munition gefordert.

Die "Squad Automatic Weapon" (SAW) M-249, die im Gruppenrahmen eingesetzt wurde, erwies sich als klassische, einwandfrei funktionierende Waffe. Der kurze Lauf ermöglichte den optimalen Einsatz im Ortskampf. Die Patronenzufuhr erfolgte aus Beuteln, wobei jene mit 100 Stück denen mit 200 Stück Inhalt vorgezogen wurden, da sich die Munition in den größeren Beuteln oft verklemmte. Das Maschinengewehr M-240B war bei der Truppe ebenfalls beliebt. Nur die Munitionszufuhr durch die leichten Nylonsäcke erwies sich als nachteilig, weil diese durch die Hitze beim Kontakt mit dem Lauf schmolzen.

___________________________________ ___________________________________ Autor: Lieutenant Colonel David Eshel (retd) (Israel) wurde 1928 in Dresden geboren und emigrierte 1939 nach Palästina. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er 1948 einer der Begründer des israelischen Panzerkorps und diente 26 Jahre bei den israelischen Streitkräften. Nach seiner militärischen Ausbildung in Saumur (Frankreich) war er in verschiedensten Kommando- und Stabsfunktionen tätig, kämpfte in allen Arabisch-Israelischen Kriegen bis 1967 und war zuletzt Taktiklehrer im "Command and Staff College". Er studierte Geschichte an der Universität in Tel Aviv und war zwölf Jahre lang Herausgeber einer israelisch-deutschen Zeitschrift. Er arbeitet derzeit als freier Journalist und Analytiker in Sicherheitsfragen für mehrere europäische und amerikanische Militärpublikationen.

Die hier geübte Kritik ist auf keinen Fall gegen den Ablauf der Kampfhandlungen oder das Verhalten der US-Army im Irak-Krieg gerichtet. Vielmehr sollen vorhandene Mängel an Gerät und an der Führung hervorgehoben werden, um Erkenntnisse in den Bereichen Technik und Kampfführung für die Zukunft zu gewinnen. (Anmerkung des Autors)

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