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Psychologie: Helfer oder Kämpfer?

Das soldatische Selbstverständnis in Friedenseinsätzen

Nächstes Jahr (2011) beteiligt sich Österreich erstmals mit eigenen Soldaten an einer Europäischen Battle Group. Der EU-Vertrag von Lissabon sieht für diese ein breites Spektrum von humanitären über friedenserhaltenden Einsätzen bis zu Kampfeinsätzen vor. Es stellt sich die Frage, ob sich dadurch das soldatische Selbstverständnis, die Einsatzmotivation und daraus resultierenden Verhaltensweisen im Umfeld von (Auslands-)Einsätzen unterschiedlicher Intensität (von "Peacekeeping" bis "Peacemaking") ändern werden.

Erste psychologische Untersuchungen von Soldatentypen wurden bereits während des Zweiten Weltkrieges von General Samuel Lyman Atwood Marshall (Chefhistoriker der U.S. Army) betrieben. Dieser stellte fest, dass nur etwa 15 Prozent der Soldaten jeder Kompanie während des Kampfes auf den Feind geschossen hatten. Marshall wollte damit aber keine Bewertungen (Mut, Feigheit usw.) verbinden, er wollte lediglich - zum besseren Verständnis - psychologische Unterschiede der Typen "Kämpfer" und "Nichtkämpfer" aufzeigen. In weiterer Folge wurden durch entsprechende Auswahl- und Ausbildungsmethoden effizientere Verhältnisse zwischen "Kämpfern" und "Nichtkämpfern" erreicht.

In Österreich ist in den letzen Jahrzehnten eine neue Generation von Soldaten entstanden, die sich über die traditionellen militärischen Aufgaben hinaus, mehr als "Konfliktschlichter", "Ordnungshüter" oder "Humanitäre Helfer" verstehen, und Kampf und Krieg nur mehr im Sinne der Friedenssicherung gerechtfertigt sehen.

Die Soldaten müssen, sich an rasch wechselnde Gegebenheiten und Anforderungen anpassen können, und das nicht nur zwischen unterschiedlichen Einsatzräumen sondern auch innerhalb eines Einsatzraumes. Der Auftrag kann je nach Lage sein, "den Konfliktparteien zu helfen", "polizeiähnliche Aufgaben wahrzunehmen", "zu beobachten", "zu kämpfen" oder hinsichtlich des eigenen Erscheinungsbildes bewusst "die schwere Bewaffnung zur Schau" zu stellen oder aber "die sichtbare Präsenz von Waffen zu minimieren".

Von Soldaten wird dabei verlangt, sich auf rasch ändernde Anforderungen einzustellen. Aus rollentheoretischer Sicht ist aber ein Rollenwechsel mit derart unterschiedlichen Anforderungen und Denkmustern (Mindsets) wie die des Helfers oder des Kämpfers nicht einfach. Dieser Wechsel wird mitunter durch eigene Persönlichkeitsanteile erschwert, die einem dieser Rollentypen besonders unähnlich sind. Einfacher ist es, wenn das eigene Rollenverständnis (z. B. Peacekeeper) im Einklang mit dem Charakter einer Mission (Peacekeeping) steht. Was ist aber, wenn Selbstverständnis und Charakter der Mission nicht zusammenpassen? Dies kann beim Soldaten zu Rollenkonflikten mit Auswirkungen auf die Motivation und die Einsatzbereitschaft führen.

Dieses Spannungsfeld führt zu Fragen auf mehreren Ebenen (politisch, strategisch, taktisch), die miteinander in Verbindung stehen und einander beeinflussen. Hier ein paar Beispiele:

Politisch: Wie lautet die Sicherheitsdoktrin eines Landes ("Neutralität")? Welche Auslandseinsätze werden von der Bevölkerung ("Heimatfront") unterstützt? Wie erleben dies Soldaten, wenn Sie merken, dass Ihr Einsatz zu Hause wenig Rückhalt hat?

Strategisch: An welchen Missionen und mit welchem Ziel beteiligt man sich überhaupt (Peacekeeping vs. Peacemaking)?

Taktisch: Wie geht man damit um, dass es innerhalb einer Mission Einheiten mit unterschiedlichem Charakter gibt (CIMIC, Special Forces usw.)? Werden diese Teilkontingente von der Bevölkerung vor Ort als getrennt oder zusammengehörig wahrgenommen? Wie reagiert die Bevölkerung, wenn dieselbe Einheit einmal in polizeiähnlicher Funktion auftritt und kurz darauf in einer ganz anderen "Rolle"? Was ist, wenn sich der Charakter einer Mission während des Einsatzes ändert? Wie glaubwürdig wird das neue Erscheinungsbild von den Einheimischen wahrgenommen und wie von den Soldaten selbst innerlich vollzogen?

All diese Fragen hängen nicht nur vom einzelnen Soldaten ab, sondern auch von Gruppennormen, vom Gruppenzusammenhalt und von der Gruppenleistung. Im Einsatz rücken die Leute zusammen und die Gruppe wirkt normierend, so dass persönliche Einstellungsunterschiede anfänglich zurücktreten. Aber wie lange benötigt ein Soldat, um sich anzupassen? Und wie nachhaltig wirkt die Umstellung, wenn sie nicht in der Persönlichkeit verankert ist, oder wenn die eigene Einstellung im Widerspruch zur Gruppennorm steht? Hier kann es passieren, dass anfänglich motivierte Soldaten nach wiederholtem Widerstand zynisch und kontraproduktiv werden.

Es wäre naheliegend, diese Fragen schon bei der Rekrutierung und beim Personalmarketing zu berücksichtigen. Ideal wäre natürlich der situationsflexible Soldat mit flexibler Mehrfachidentität (Helfer, Kämpfer usw.). Aber mehrere Identitäten "in einer Brust zu vereinen" scheint fast unmöglich - und das nicht erst seit Faust.

Autoren: Dr. Christoph Kabas und Mag. Maria Schadler

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