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Psychologie des Einsatzes - Die NATO-Arbeitsgruppe

Die Rolle von Kommandanten hinsichtlich der Einsatzbereitschaft ihrer Soldaten und die Auswirkungen von Stressfaktoren und Belastungen auf die Einheit

Vertreter der österreichischen Militärpsychologie nahmen von 2002 bis 2006 an einer NATO-Arbeitsgruppe zum Thema "Stress and Psychological Support in Modern Military Operations" teil. Der Beitrag basiert auf den Ergebnissen dieser NATO-Arbeitsgruppe.

Das erste Opfer

"Nach drei Monaten, bei einem einjährigen Einsatz, wurde eine Nachtpatrouille in einen Hinterhalt gelockt und ein Transportfahrzeug durch eine Granate getroffen. Ein Soldat wurde dabei unter dem Fahrzeug eingeklemmt. Die Militärpolizei führte einen halbstündigen Feuerkampf, während der eingeklemmte Soldat die ganze Zeit schrie. Wir holten ihn schließlich raus, doch er starb trotz der Wiederbelebungsversuche vor Ort. Der Vorfall traf alle zutiefst. Zur Basis zurückgekehrt, ließen manche Soldaten ihren Gefühlen freien Lauf, während andere sie unterdrückten. Für viele war dies das erste Gefecht gewesen. In jener Nacht war keine psychologische Betreuung verfügbar. Viele standen unter gewaltigem Stress" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Kommandant zu sein, stellt eine große Herausforderung dar. Neben dem Erreichen von taktischen Zielen haben sich Kommandanten einer Einheit um viele Probleme zu kümmern, die sich auf die Einsatzbereitschaft der Einheit auswirken. Während der Großteil des militärischen Personals im Einsatz keine Schwierigkeiten hat, ist es Aufgabe des Kommandanten, psychologische Unterstützung zu gewährleisten, wenn einzelne Soldaten von einsatzbedingten Stressfaktoren betroffen sind. Kommandanten können genötigt sein, Lösungen zu finden, wenn sie mit Krisen wie dem Tod eines Angehörigen der Einheit konfrontiert werden. Sie müssen sich aber auch mit weniger dramatischen Angelegenheiten beschäftigen, wie etwa um Konfliktbeilegung innerhalb ihrer Einheit. Die Art wie Kommandanten diesen Herausforderungen begegnen, hat große Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft und das Leistungsvermögen der Truppe.

Fertigkeiten, Verantwortung und Autorität der Kommandanten versetzen sie in die einzigartige Lage, wesentlichen Einfluss darauf zu nehmen, wie die Angehörigen der Einheit mit Stress im Einsatz umgehen.

Anforderungen im Einsatz

Notsituationen, Krisen jedweder Art, traumatische Erlebnisse (z. B. Verletzung oder Verwundung), Verlust eines Freundes, Kollegen, Kameraden oder Ähnliches werden individuell sehr unterschiedlich verarbeitet und es kann zu Stressreaktionen führen, die für den Einzelnen oft nicht erklärbar oder unverständlich sind. Was dem einen Stress verursacht, kann für einen anderen unbelastend sein. Ebenso kann die Auswirkung der verschiedenen Stressfaktoren unterschiedlich sein. So können einige die Konzentrationsfähigkeit einer Person beeinträchtigen, während andere Stressfaktoren den Gemütszustand beeinflussen. Es gibt jedoch gewisse grundlegende Charakteristika, die sich mit äußerst starken Stressereignissen assoziieren lassen.

Diese Ereignisse können empfunden werden als:

  • bedrohlich: bei einem Feuerkampf unter Beschuss geraten;
  • überwältigend: mit dem Tod eines Kameraden konfrontiert werden;
  • unerwartet: während des Auslandseinsatzes mit schlechten Nachrichten von zu Hause überrascht werden;
  • unsicher: bei einem Einsatz über das genaue Rückkehrdatum im Unklaren sein;
  • zweideutig: auf einen Vorfall reagieren müssen, wenn die Einsatzrichtlinien unklar scheinen.

Wenn ein Vorkommnis mindestens eines dieser Charakteristika aufweist, wird es sehr wahrscheinlich als belastend empfunden. Die Angehörigen einer Einheit können viele verschiedene Arten solcher Belastungen erfahren. Um Stressreaktionen zu minimieren und die einsatzbedingten Stressfaktoren zu reduzieren, sollen sich Kommandanten mit den Belastungen, denen Soldaten vor Einsatzbeginn und speziell im Einsatzraum ausgesetzt sind, beschäftigen. Diese müssen sehr ernst genommen und die Sensibilität dafür immer wieder nachjustiert werden.

Alltägliche Stressfaktoren im Einsatz können sein:

  • das Fehlen von Familie und Freunden,
  • das Leben in einer nicht vertrauten und kulturell fremden Umgebung,
  • im sozialen Umfeld eingeschränkt sein,
  • jederzeit alarmbereit und
  • einsatzbereit sein zu müssen.

Andere Quellen von chronischem Stress, die mit dem Leben im Einsatz zusammenhängen, können je nach Einsatz sehr unterschiedlich sein, umfassen jedoch folgende Faktoren:

  • Mangel an Privatsphäre;
  • sexuelle Enthaltsamkeit;
  • Widrigkeiten bei der Hygiene;
  • extreme Wetterbedingungen und verändertes Klima;
  • monatelang in einem Camp eingesperrt zu sein.

Dienstliche Anforderungen können durch Häufigkeit oder/und Intensität zu einem subjektiven Stressempfinden führen. Diese Anforderungen umfassen Arbeitsbelastung in der Einheit (Camp), zwischenmenschliche Probleme und einsatzbedingte Faktoren, wie z. B. Langeweile, Deprivation (vom natürlich gewohnten Umfeld getrennt zu sein und auf Vieles verzichten zu müssen) und Ähnliches mehr.

Für sich alleine genommen, mögen die Mühen des Alltags zwar erträglich sein, doch fordert deren geballte Wirkung, wenn man ihnen ständig ausgesetzt ist, von den Truppen im Einsatzgebiet ihren Tribut. Deshalb liegt es an den Kommandanten, den Kombinationseffekt (kumulierter Stress) der alltäglichen Mühen von Soldaten in der Einheit zu erkennen, richtig zu bewerten und gegebenenfalls dem entgegen zu wirken.

Leben im Einsatz

"Probleme können durch die Trennung von Familie und Freunden und dem engen Zusammenleben ohne häuslichen Komfort entstehen. Der Psychologe und der Militärgeistliche waren während des Einsatzes zwar anwesend, jedoch wandten sich die Soldaten lieber an Unteroffiziere oder Offiziere, statt mit "spezialisiertem" Personal zu sprechen. Die Kommandanten müssen sich bemühen, die Bedeutung und Notwendigkeit des Einsatzes hervorzuheben und versuchen, den Soldaten ein Maximum an Kommunikationsmöglichkeit mit Freunden und Familie einzuräumen" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Aus den Erkenntnissen der Einsätze geht hervor, dass Soldaten oft nicht über ihre Probleme sprechen können oder wollen. Nur wenn hohes Vertrauen und große Akzeptanz vorhanden sind, können Soldaten über ihre Erlebnisse und Probleme sprechen. Wenn der Militärgeistliche oder der Psychologe vielen Soldaten persönlich unbekannt ist, fällt es den Soldaten meist sehr schwer mit diesen Personen über sehr intime und sensible Themen zu sprechen. Diese urmenschliche Verhaltensweise (Skepsis und Distanzhaltung gegenüber Fremden) kommt vor allem im Einsatz zu tragen, denn einem Fremden erzähle ich erst recht nicht, was meine Psyche belastet. Daher ist es für Psychologen immens wichtig, den Kontakt zu den Soldaten zu suchen und sie so oft als möglich im Dienst zu begleiten. Das Ziel ist es, den Psychologen nicht mehr als "Fremdkörper", sondern als Teil der Truppe und als kompetenten Ansprechpartner zu empfinden. Wenn es gelingt, dass der Psychologe als "einer von ihnen" gesehen und akzeptiert wird, aber dennoch als Spezialist in Erscheinung tritt, dann sinkt auch die Hemmschwelle, mit ihm über belastende Situationen zu sprechen und Stressreaktionen im Entstehen zu minimieren.

Der Dienst im Auslandseinsatz kann Soldaten unterschiedlichen stressbelastenden und traumatischen Ereignissen aussetzen. Diese Stressfaktoren variieren je nach Einsatz, Auftrag und Waffengattung. So fliegen z. B. Flugzeugbesatzungen oft von relativ sicheren rückwärtigen Gebieten in hochintensive Gefechte und zurück. Dieser ständige Übergang von einem sicheren Gebiet in ein Gebiet höchster Bedrohung ist eine typische Anforderung an Flugzeugbesatzungen. Bodentruppen können über andere Arten von Stressfaktoren berichten, wie z. B. vom Umgang mit unkontrollierten Massen, der Ablehnung durch die ortsansässige Bevölkerung oder das Mitansehen von Zerstörungen durch regionale Konflikte. Soldaten können bei einer Patrouille von Heckenschützen angegriffen werden, oder auch eine Leiche entdecken. Diese und ähnliche Situationen werden von den Soldaten unterschiedlich verarbeitet und bewertet.

Der Psychologe oder Peer (psychologisch ausgebildeter Soldat) soll diese stressbelastenden Situationen erklärbar machen und das subjektive Empfinden einer Belastungsreaktion normalisieren, um eine positive Verarbeitung zu ermöglichen.

Ein Kommandant auf Patrouille

"Der schwierigste Moment, dem ich ausgesetzt war, war kein Kampfereignis! Wir patrouillierten in einer Ortschaft. Ich war geschockt, die Armut, in der die Leute lebten, zu sehen, ihre Häuser, den Ausdruck ihrer Gesichter, die kranken Kinder und es war erschreckend mit ansehen zu müssen wie Frauen behandelt wurden. Es war eine völlig andere Gesellschaft als jene, die ich gewohnt war. Ich hatte von Kameraden viele Geschichten gehört, die das Leben dieser Leute beschrieben, doch die Realität war nur schwer zu ertragen. Außerdem dachte ich ständig daran, dass jederzeit einer dieser Menschen eine Waffe auf mich richten könnte, so dass da ständig dieses Gefühl der lauernden Gefahr war. Ich hatte Mitleid mit diesen Leuten, wollte ihnen helfen und sie besser verstehen. Ich war nicht darauf vorbereitet, so viel Leid zu sehen, und brauchte lange, um damit klarzukommen. Gespräche mit anderen Soldaten, Übersetzern und Ansässigen halfen mir bei dieser Anpassung" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Schwere Verletzungen oder Tod bzw. der Gefahr von schweren Verletzungen oder dem Tod ausgesetzt zu sein, werden als potenziell traumatische Ereignisse bezeichnet, aber auch Hilflosigkeit, das Leid anderer ertragen zu müssen, können Belastungsreaktionen herbeiführen und zu psychischen und physischen Stressreaktionen führen.

Mit einer Bedrohung konfrontiert werden

"Einige Male befand ich mich in der Situation, eine Einheit gegen eine aufgebrachte Menschenmenge führen zu müssen. Es wäre gut gewesen, einen Spezialisten dabei gehabt zu haben oder zumindest jemanden, der über eine einschlägige Ausbildung verfügt und gewusst hätte, was zu tun ist, wenn Soldaten mit Leichen konfrontiert werden" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Potenziell traumatische Ereignisse haben mit großer Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf Einzelne sowie auf Einheiten. Während die meisten Soldaten damit gut klarkommen werden, kann sich das Verhalten einzelner Soldaten durch solche Erfahrungen während des Einsatzes ändern, weil Einsätze

  • die Art und Weise beeinflussen können, in der die Leute ihre Prioritäten setzen,
  • die Art der Selbsteinschätzung und Weltsicht ändern können,
  • den Soldaten ein Gefühl von Leistungserbringung und Stolz geben können.

Aufgabe des Kommandanten ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen eine positive Anpassung an potenziell traumatische Ereignisse und alltägliche Mühen optimiert wird.

Erwartungen an den Kommandanten

Während der Erfüllung eines Auftrages hat der Kommandant die Aufgabe, sicherzustellen, dass sich die Truppe auf ihr unmittelbares Ziel konzentriert. Nach Auftragserfüllung ändert sich seine Rolle dahingehend, dass er Bedingungen zur Rückführung in die Normalität zu schaffen hat. Kommandanten werden zu jeder Zeit extrem gefordert und es wird von ihnen erwartet, jede Situation zu beherrschen, für ihre Untergebenen zu sorgen und in jeder Lage souverän zu handeln. Diese Erwartungen stellen Kommandanten an sich und es wird teilweise auch von ihren Soldaten gefordert, diesem Druck standzuhalten. Das kann ebenfalls zu Stressreaktionen führen, die sich in vielfacher Art zeigen können (Burnout, Angst- oder Panikattacken, Depression, Überforderung u. Ä.).

Zeitliche Festsetzung von Führungstätigkeiten

Die Spezialeinheit war bis zu diesem Zeitpunkt nur geringfügig in Kämpfe mit dem Feind verwickelt und war daher meiner Meinung nach überzeugt, dass sie natürlich so gut trainiert, fit und aufmerksam war und alles nicht schwieriger als eine Übung zu Hause wäre. Als sie sich aber aus einem Hinterhalt befreiten, war ihnen klar, dass sie um ihr Leben kämpfen mussten. Sie hatten viel von Tod und Zerstörung gesehen und sich damit auseinandergesetzt und waren mehrmals wie durch ein Wunder davongekommen. Es waren einige dabei, die ihre Gedanken nicht klar äußern konnten, manche standen immer noch unter Schock oder legten ein irrationales Verhalten an den Tag. Wir standen unter starkem Stress" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Obwohl hier von einer Spezialeinheit berichtet wird, erlebten diese sehr gut ausgebildeten und für einen heiklen Einsatz vorbereiteten Soldaten ebenfalls Situationen, die zu traumatischem Stress führen können. Keine Einheit im Einsatz ist dagegen völlig geschützt. Soldaten auf Kampf vorzubereiten ist nur teilweise möglich, denn in einer Extremsituation (vor dem Feind zu stehen und das Feuer auf ihn zu richten) reagiert jedes Individuum unterschiedlich. Daher kann niemand vor einem Einsatz sagen, ob und wie er mit unvorhersehbaren Situationen umgehen und wie er sie bewältigen wird.

Der Kommandant

Wir hatten eine Aufgabe zu erfüllen; andere brauchten dringend unsere Hilfe und die Männer bedurften der Führung. Mein Herangehen an die Sache war ohne Mitgefühl, grob und rein professionell, und diese Reaktion war genau das, was ich brauchte. Sie fügten sich sofort der Ordnung und machten sich daran, alles zu bekämpfen, was ihre Kameraden bedrohte. Sie gewöhnten sich so daran, alles zu tun, was erforderlich war, dass ich nach zehn Tagen von Räumungen und Patrouillen bis zum Schluss des Einsatzes nur mehr wenig zu tun hatte.

Als wir fertig waren, oder vielleicht eine Stunde später, ging ich zu den meisten Gruppen und meine Truppkommandanten und mein Spieß taten dasselbe. Die meisten der Männer machten einfach mit der Ausbildung weiter, reinigten Waffen, bewaffneten sich wieder, aßen etwas und gingen schlafen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine weiteren Befehle, so dass wir keine Ahnung von der nächsten Aufgabe hatten. Alle verstanden, dass wir dorthin zurückkehrten, wo wir gerade gewesen waren. Die Männer wurden mit dem Stress alleine fertig, mit Humor und Diskussionen, und sie besprachen alles, was passiert war. Einige hatten aus weniger als zehn Meter auf den Feind geschossen und begannen, darüber nachzudenken. Andere waren auf fast unglaubliche Weise davongekommen. Mein Beitrag war es, sie zu ermutigen, darüber zu sprechen und sich keine weiteren Sorgen darüber zu machen, froh zu sein, dass sie sich selbst und ihre Kameraden gerettet hatten. Einen gelenkten Stressabbau brauchten sie nicht wirklich, sie machten das selbst; alles was wir (die Befehlskette) beisteuerten, war, ihnen das Gefühl von Sinnhaftigkeit, Problemlösung und die Rückversicherung zu geben, dass alles, was sie getan hatten völlig in Ordnung war … Ich habe kein Wunderheilmittel, außer dass es notwendig ist, mit anderen Kommandanten darüber zu sprechen" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Wie der Bericht des Kommandanten zeigt, reagierten die Angehörigen der Einheit unterschiedlich. Bewältigung ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Solange die Bewältigungsmethode hilft und nicht zerstörerisch ist, sollte man die Soldaten ermutigen, das zu tun, was für sie am besten funktioniert. Gut zusammengeschweißte militärische Einheiten bieten oft automatisch ein Umfeld, das eine gesunde Bewältigung unterstützt. Sie tun dies durch Scherzen, Bildung enger Freundschaften und gegenseitiges Erzählen von Erlebnissen. Das sind normale Reaktionen von normalen Menschen, die Extremsituationen ausgesetzt waren.

In vielen militärischen Verbänden gibt es auch Traditionen, die es den Soldaten erleichtern, vom zivilen Leben auf den Einsatz und wieder zurück zu schalten. Manchmal brauchen die Kommandanten auch gar nichts Besonderes tun. Wie oben beschrieben, können Kommandanten die Einheit lenken, um sicherzustellen, dass die natürlichen Prozesse stattfinden. Funktionieren diese Prozesse jedoch nicht, wird der Kommandant eingreifen müssen. Kommandanten müssen beurteilen, wie es den Soldaten ihrer Einheit geht und ein geeignetes Klima für eine gesunde Stressbewältigung schaffen.

Kommandanten können auf zweierlei Weise einschreiten:

  • informell und
  • formell.

Im NATO-Leaders Guide werden beide Arten von Unterstützung angesprochen.

Um den informellen Prozess zu erleichtern, können Kommandanten ein Klima der gegenseitigen Unterstützung in der Einheit fördern, ein Gefühl des Zusammenhalts entwickeln und der Kameradenhilfe Vorrang geben. Sie können dabei auch erfahrene Soldaten ihrer Einheit bestimmen, die weniger Erfahrene anleiten und unterstützen.

Es kann auch sein, dass Kommandanten formell eingreifen müssen. Formelle Mechanismen umfassen strukturierte Beurteilungen der psychologischen Fitness und der Einsatzbereitschaft, sowie die Abstützung auf Fachpersonal für psychologische Unterstützung. Um formelle Mechanismen effektiv nutzen zu können, müssen Kommandanten die Unterstützungskette kennen. Diese Kette kann verschiedene Experten für psychologische Unterstützung (siehe unten) umfassen, die dem Kommandanten zusätzliche Expertisen liefern. Kommandanten werden davon profitieren, wenn sie vor der Verlegung ins Einsatzgebiet wissen, wie sie mit diesen Leuten zusammenarbeiten können. Die Einsatzvorbereitungsphase ist ein idealer Zeitpunkt, ein starkes, widerstandsfähiges Klima zu schaffen, und der beste Weg dafür ist ein effektives Training.

"Fachleute für psychologische Unterstützung" sind:

  • Psychologen;
  • Psychiater;
  • Sozialarbeiter;
  • Psychiatrisches Pflegepersonal;
  • Militärgeistliche;
  • Militärärzte.

Diese Experten unterstützen Einheiten in Einsätzen und arbeiten oft als Team zusammen.

Die Rolle der Ausbildung

Durch militärische Übungen können sowohl die informellen als auch die formellen Unterstützungsmechanismen verbessert werden. Die formellen Unterstützungsmechanismen werden gestärkt, wenn Fachleute für psychologische Unterstützung in der Ausbildung bei Übungen (Angriff auf ein Patrouillenfahrzeug, Leichenfund, Tod eines Kameraden usw.) eingesetzt werden. Der informelle Mechanismus kann ebenfalls mit ausgebildeten Fachleuten (Psychologen, Peers, Ärzten usw.) trainiert werden, um in Extremsituationen durch den kameradschaftlichen Umgang und durch professionelle Abarbeitung des Erlebten eine Reduktion von Stressreaktionen zu erzielen. Besonders gefördert wird dies durch eine gemeinsame Ausbildung.

Hartes, realistisches Training fördert das Selbstvertrauen der Einheit und schafft untereinander Kameradschaft und realistische Erwartungen. Eine solche Ausbildung ist für Einheiten immens wichtig, die zuvor noch nie zusammengearbeitet haben. Aber auch Soldaten die für einen Einsatz zugeteilt werden (oft als Fülltruppe bezeichnet) können dadurch gut eingegliedert werden. Die Integration dieser Soldaten ist eine Kernaufgabe, und Kommandanten sollten besonderes Augenmerk darauf richten, um damit den Zusammenhalt der Einheit zu stärken. Denn eine nicht homogene Einheit kann ihr eigenes Handeln und den Einsatz erschweren oder sogar gefährden.

Die beste Vorbereitung!

"Das beste Heilmittel ist die Erfahrung, aber in Ermangelung von Erfahrung ist es die Ausbildung im Ausbildungszentrum oder in der Einsatzvorbereitung, die es ermöglicht, Situationen zu schaffen, die im Einsatz auftreten und bewältigt werden müssen. Disziplin, Kameradschaft und Zusammenhalt durch alle Dienstgrade hindurch und über alle Normen hinweg (Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade werden gemeinsam ausgebildet und vorbereitet) müssen trainiert und gefestigt werden, um die Gruppen zu homogenisieren. Dadurch wird eine hohe Einsatzbereitschaft geschaffen und es kann in weiterer Folge auf Extremsituationen professionell und auf die Situation bezogen adäquat reagiert werden. Denn nur das Zusammenspiel der gesamten Einheit verringert das Gefahrenpotenzial und beugt vor, physisch wie psychisch verletzt zu werden" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Gut ausgebildete Soldaten berichten, dass ihre Ausbildung eine solide Grundlage für erfolgreiche Bewältigung von Stresssituationen vor allem unter schwierigen Umständen war. Eine gute Ausbildung erhöht das Selbstvertrauen und das Vertrauen in Kameraden und Kommandanten. Genau deshalb ist es wichtig, dass Kommandanten in der Vorbereitung bei ihrer Truppe sind und aktiv mit ihren Soldaten trainieren. Dadurch wird das Vertrauen der Untergebenen erhöht und sie können sich von der Kompetenz ihrer Kommandanten überzeugen und mit einem guten Gefühl in den Einsatz gehen. Dieses Vertrauen hilft den Soldaten, sich vor den negativen Stressauswirkungen zu schützen. Die Ausbildung in der Einheit stellt einen Eckpfeiler bei der Schaffung eines positiven Klimas in der Einheit dar.

Ausbildung macht sich bezahlt

Vor kurzem war ich Stabsoffizier in einem Kriegseinsatz im Nahen Osten. Wir erhielten die Information, dass wir unmittelbar vor der Bedrohung eines Raketenangriffs standen. Die Lage war sehr stressbelastend. Wir wussten, wo die Raketen aufschlagen würden, aber nicht, ob sie chemische Gefechtsköpfe haben und was der Fallout sein würde. Eine halbe Stunde lang wussten wir nicht, ob diese Waffen den halben Gefechtsverband auslöschen würden. Der ganze Vorfall dauerte ein paar Stunden. Ich zitterte vor Erleichterung, das Richtige getan zu haben - die Ausbildung machte sich bezahlt" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Harte, realistische Ausbildung hilft den Kommandanten ihre Soldaten geistig vorzubereiten. Sie können lernen, was sie für Stressfaktoren im Einsatz zu erwarten haben und eine Vorstellung davon erhalten, wie sie unter schwierigen Umständen reagieren könnten. Aber auch Kommandanten müssen an ihre eigene psychologische Vorbereitung denken. Sie sollten auf eine harte Wirklichkeit vorbereitet sein. Diese Wirklichkeit kann in "zehn Fakten" zusammengefasst werden:

  • Angst im Gefecht ist üblich;
  • Soldaten der Einheit können verletzt oder getötet werden;
  • Geschehnisse im Gefecht wirken sich in mentaler und physischer Hinsicht auf alle aus;
  • Soldaten werden sich scheuen zuzugeben, dass sie ein psychologisches Problem haben;
  • Angehörige der Einheit erkennen Führungsversagen;
  • Zusammenbrechen der Kommunikation kommt häufig vor;
  • Auslandseinsätze stellen eine ungeheure Belastung für Familien dar;
  • Das Umfeld im Einsatz kann sehr hart und fordernd sein;
  • Zusammenhalt und Stabilität der Einheit können gestört werden;
  • Einsätze sind eine moralische und ethische Herausforderung.

Während gute Ausbildung die Grundlage einer effektiven Einheit ist, können sich tatsächliche Einsatzgeschehnisse sehr von den Ausbildungsszenarien unterscheiden. Genau während und nach diesen Augenblicken - in der Lücke zwischen Erwartung und Wirklichkeit - wird von Kommandanten größtmögliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert.

Die Ausbildung kann niemals auf alles vorbereiten

Ich war an sehr stressbelastenden Kämpfen im verbauten Gelände beteiligt. Die Einheit musste einige Gegner töten und brauchte anschließend eine Weile, um sich zu stabilisieren. Die erste Erfahrung mit einer solchen Situation ist sehr stressig und ist Außenstehenden schwer zu erklären, die eine solche Lage selbst nie erlebt haben. Ausbildung kann einen niemals vollständig darauf vorbereiten, persönlich in so eine Situation zu kommen. Nach dem traumatischen Vorfall litten einige Untergebene an Schuldgefühlen und die meisten Probleme zeigten sich etwa einen Monat nach dem Vorfall (verzögerte Stressreaktion). Viele der Erzählungen glichen einander, was eine gewisse therapeutische Wirkung hatte, denn wenn ich nicht alleine mit meinen Erfahrungen bin, sondern mehrere von ähnlichenen Belastungen sprechen, kann das zu einer Reduzierung der persönlich empfunden Belastung führen. Einige Soldaten stellten sich die Frage, ob sie am Tod von Feinden oder sogar unschuldigen Zivilisten schuld waren und durch die Unterstützung und Bestätigung durch ihre Kameraden wurden diese Erlebnisse auf eine geringere Bedrohungsstufe reduziert, erklärbar und in die momentane Situation integrierbar gemacht. Die letzte Entscheidung, ob man den Abzug betätigen und einen anderen Menschen damit töten soll oder nicht, wird immer eine persönliche bleiben, weil Kommandanten zwar befehlen, aber ihre Soldaten nicht (völlig) kontrollieren können. Daher ist es eine wichtige Verantwortung des Kommandanten, die Soldaten zu unterstützen, wenn sie eine solche Entscheidung treffen müssen: d. h. nicht den Soldaten zu entschuldigen, dass er eine Entscheidung getroffen hat, sondern ihm beistehen, damit er über die getroffene Entscheidung hinwegkommt" (Beispiel aus dem "NATO-Leaders Guide").

Anforderungen von Kommandanten an die NATO-Arbeitsgruppe

In einer Umfrage unter 16 Nationen wurden 172 militärische Kommandanten aus NATO- und PfP-Ländern nach ihren Erfahrungen und über den Umgang ihrer Untergebenen mit den Belastungen und Stressfaktoren im Einsatz befragt. Die überwältigende Mehrheit, quer durch alle Ränge vom Unteroffizier bis zum Bataillonskommandanten, sagte, dass sie gern genaue Informationen darüber hätten und bräuchten, wie sie mit Problemen, die auf psychologischen Stress zurückzuführen sind, umgehen sollten. Sie wollten Informationen darüber, wie Probleme zu beurteilen und die Auswirkungen von einsatzbedingtem Stress auf das militärische Personal während des gesamten Einsatzzyklus zu minimieren wären. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden benützt, um die behandelten Themen der NATO-Arbeitsgruppe nach den Bedürfnissen und Wünschen der Kommandanten und Soldaten zu gestalten. Die folgende Zitatenauswahl zeigt, was sich die Kommandanten von der Arbeitsgruppe erwarteten.
  • "Verwendet reale Situationen!"
  • "Stellt Informationen über Stress bereit und darüber, wie man vorbeugende Maßnahmen treffen kann!"
  • "Stellt praktische Hilfsmittel für die psychologische Unterstützung während des Einsatzzyklus bereit!"
  • "Erläutert die Probleme, die auftreten können, wenn man Szenarien verwendet!"
  • "Beratet die militärischen Kommandanten darüber, wie sie die Einsatzbereitschaft der Einheit verbessern können!"
  • "Behandelt den Umgang mit familiären Problemen!"
  • "Hebt hervor, womit Kommandanten zurechtkommen müssen - sie nehmen einen großen Teil der Last auf sich und werden oft übergangen!"
  • "Inkludiert die Nachbehandlung von Geschehnissen!"

Als Ergebnis der Arbeitsgruppe ist der "NATO Leaders Guide" geschaffen worden, um den Anforderungen der Kommandanten gerecht zu werden und eine Hilfestellung zu bieten, Stress und Belastungen im Einsatz besser begegnen zu können.

(wird fortgesetzt)


Autor: Mag. phil. Helmut Auer, Jahrgang 1974. Grundwehrdienst 1993 in Absam, BRG Wr. Neustadt 1995, EF 1999 im Versorgungsregiment1 in Graz; 2003 nebenberufliches Studium Psychologie in Klagenfurt; 2007 bis 2010 Brigadepsychologe/7. Jägerbrigade , seit 2010 Brigadepsychologe/6. Jägerbrigade; Auslandsverwendung bei KFOR 18/19 und 21 als Kontingentspsychologe.

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