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Going International: Verfassungsvertrag oder Kerneuropa aus verteidigungspolitischer Sicht

Knapp vor der Jahreswende machte die EU viel diskutierte Schlagzeilen. Der Versuch, ihr eine Verfassung zu geben, war im ersten Ansatz gescheitert. Die Gründe für diesen Misserfolg lagen nicht in den Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicher­heitspolitik (GASP) oder der Europäischen Sicherheits- und Ver­tei­digungs­politik (ESVP), sondern in der Frage der Stimmengewichtung. Die im Vorfeld des Gipfels von Brüssel ausgehandelten Bestimmungen des Ver­fas­sungsentwurfes, die sich mit der Ver­teidigungspolitik auseinanderset­zen, sind nun allerdings auch nicht mehr gesichert. Es wird die schwierige Aufgabe des irischen EU-Vorsitzes ab Jänner sein, den bereits erzielten Konsens zu Fragen der Verteidigung zu bewahren und in die Fortsetzung der Verhandlungen zur EU- Verfassung überzuleiten.

Die Fortsetzung der Verhandlungen zum Verfassungsvertrag ist für eine positive Entwicklung der Union entscheidend. Der Zeitpunkt, zu dem es jetzt zu einer Verfassung kommen kann, ist offen. Wichtig ist zunächst, die Idee eines Kerneuropa nicht als echte Alternative zu einer EU-Verfassung erscheinen zu lassen. Das hängt sehr stark vom politischen Verhalten Frankreichs und Deutschlands ab. Waren die Aussagen der beiden Staats- bzw. Regierungschefs unmittelbar nach Scheitern des Gipfels drohende Rhetorik oder der Beginn eines konkreten Programms? Auch hier wird es vom Geschick des irischen Vorsitzes abhängen, der Idee der EU-Verfassung ausreichenden Raum zu bewahren. Aus diesem Grund sollte sich auch Österreich nicht vorschnell auf die Seite eines Kerneuropa begeben.

Selbstverständlich wäre der natürliche Platz Österreichs in einem solchen Kern­­europa. Es wäre das die logische Fortsetzung der Teilnahme an der Währungsunion. Es muss den Be­fürwortern einer Teilnahme Österreichs an Kern­europa allerdings bewusst sein, dass dieses auch in der Verteidigungspolitik direkt an den Vorschlägen im Entwurf zum Ver­fas­sungsvertrag anknüpfen wird. Über die Beistandsgarantie würde es dann mit Sicherheit zu einer neuen, wesentlich schärferen Diskussion kommen, da eine Nichtteilnahme der Allianz­freien an Kerneuropa für die Betreiber dieses Modells leichter zu verkraften wäre, als das Scheitern des Ver­fas­sungsvertrages für die gesamte Union. Man kann davon ausgehen, dass der nach dem Brief der vier europäischen Allianzfreien an den italienischen Vorsitz erzielte Kompromiss das Maximum des Erreichbaren darstellt. Es ist keinesfalls sicher, dass eine ähnliche Aufweichung der Beistandsgarantie auch in einem Kerneuropa möglich wäre. Es ist allerdings auch möglich, dass die Beistandsgarantie in einem Kern­europa deshalb in den Hintergrund tritt, weil die stärksten Be­fürworter dieses Modells ohnehin NATO-Staaten sind.

Die Bestimmungen über die so genannte "Strukturierte Zusammenarbeit" zielten darauf ab, es einer Staaten­gruppe zu ermöglichen, auf der Grund­lage untereinander vereinbarter Kriterien höhere militärische Fähigkeiten zu erreichen. Damit soll die EU in die Lage versetzt werden, bis 2007 rasch verfügbare Kräfte in einem anspruchs­­vollen Spektrum von Aufgaben, aller­dings in begrenztem Umfang, einzusetzen. Die "Strukturierte Zusammenarbeit" wäre für Österreich und das Österreichische Bundesheer eine Herausforderung mit realistischen Chancen auf Erfüllbarkeit. Das auch deshalb, weil darauf geachtet wurde, dass Staaten mit grundsätzlicher Bereitschaft zur Beteiligung nicht ausgeschlossen werden sollen, die Kriterien transparent entwickelt werden und auch die Möglichkeit zu einem späteren Einstieg besteht. Es ist wahr­schein­­lich, dass diese Prinzipien auch bei fortgesetzten Verhandlungen zum Ver­fassungsvertrag erhalten bleiben. Bei einer Entwicklung zu einem Kerneu­ropa ist das keineswegs sicher. Kern­europa würde aus Staaten bestehen, die schon jetzt hochwertige Fähigkeiten einbringen und diese im Sinne der ESVP verbessern und koordinieren wollen. Die Bereitschaft dieser Staaten, ihre Kriterien transparent zu gestalten, auf Teilnehmer mit geringeren Kapazitäten Rücksicht zu nehmen und "Nachzügler" zu akzeptieren, dürfte geringer sein.

Dennoch muss sich die politische Führung Österreichs mit dem Gedanken eines Kerneuropa auseinandersetzen. Bei der Sicherheits- und Ver­tei­di­gungs­politik ist zu berücksichtigen, dass Eu­ropa nur dann wirksame Kapazitäten bereitstellen kann, wenn es auch Großbritannien einbezieht. Über die Frage der militärischen Fähigkeiten hinaus ist die Beteiligung des Inselstaates auch die politische Voraussetzung für die Wahrung eines Dialoges zwischen der EU und den USA in Sicherheitsfragen. Der politische Wille und die Fähigkeit zu diesem Dialog ist eine Grundlage für jede Entwicklung globaler Hand­lungs­fäh­igkeit der EU, die über das bloß wirtschaftliche hinausreicht.

Abschließend sei auch auf einen wesentlichen Erfolg des EU-Rates von Brüssel hingewiesen. Es wurde dort die Europäische Sicherheitsstra­tegie beschlossen, die als politisches Fundament für die langfristige Entwicklung von GASP und ESVP besonderen Stellenwert hat. Auch die Analyse dieses Dokumentes muss vertieft und in die Überlegungen zur Fortsetzung des Weges zum gemeinsamen Europa einbezogen werden.

Brigadier Wolfgang Wosolsobe

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