Im Mittelpunkt steht der Mensch: Die Fliegerpsychologie im Österreichischen Bundesheer
"Übungsraum Hohe Tauern, rund 13 000 Fuß über Hinterstoder. In den letzten fünf Minuten haben wir die Strecke von Hörsching hierher zurückgelegt (60 km) und beginnen nun mit der Übung VF11 (Kunstflug im Verband). Während kurz darauf beim Ausleiten eines Loopings mein Körper mit dem 5,9-fachen meiner Masse in den Sitz gepresst wird, mein Gehirn und Innenohr die ungefähre Lage im Raum zu eruieren versuchen, erläutert der Pilot die umliegenden Berggipfel und Ortschaften. Hier wird eindrucksvoll demonstriert, dass, trotz - oder auch wegen - rasanter technischer Entwicklungen, das Individuum im komplizierten Mensch-Maschine-(Luftfahrzeug-)System die wesentliche Rolle spielt und nur ein kleiner Teil der Bevölkerung mit besonderen geistigen und körperlichen Fähigkeiten für den Beruf des Militärpiloten geeignet ist ..." Eine der Hauptaufgaben der Fliegerpsychologie ist die Auswahl geeigneter Personen mit psychologischen Testverfahren und einem ausführlichen Explorationsgespräch. In einer mehrstufigen Selektion werden grundlegende Fähigkeiten (z. B. Raumvorstellung) sowie wesentliche Aspekte der "Airmanship" (Pilotenpersönlichkeit) überprüft. Um wissenschaftlich aktuell zu bleiben und technische Weiterentwicklungen berücksichtigen zu können, werden Erfahrungen mit in- und ausländischen Universitäten und fachlich einschlägigen Einrichtungen ausgetauscht. Den Bezug zur Praxis gewährleistet die Kooperation mit unseren Piloten. So stellt die geplante Einführung des Eurofighter Typhoon nicht nur für den Flugbetrieb, sondern auch für uns Psychologen eine Herausforderung dar. Wir erarbeiten derzeit mit dem Hersteller und fliegerpsychologischen Diensten anderer Betreibernationen das Anforderungsprofil für die neuen Abfangjägerpiloten, um unsere Untersuchung darauf abstimmen und aktualisieren zu können.
Auch für unseren zweiten Hauptaufgabenbereich, der Ausbildung des fliegerischen und technischen Personals, ist die Verknüpfung wissenschaftlicher Theorien mit praktischem Know-How bedeutsam. Das Spektrum der vermittelten Inhalte, welche mit Beginn der Grundschulung laufbahnbegleitend angeboten werden, reicht von lernpsychologischen Grundlagen (Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Lernen etc.) über gesundheitspsychologische Inhalte (Stressprävention, Ernährung etc.) bis zum Thema Mensch-Maschine-Interaktion. Wir erstellen dabei nicht nur theoretische Vortragsreihen, sondern auch praktisch durchführbare Ausbildungsprogramme. Exemplarisch sei das gemeinsam mit erfahrenen Piloten entwickelte typenspezifische "Crew Ressource Management Program" genannt. Dieses soll einen produktiven und friktionsfreien Arbeitsalltag auch unter den geänderten Arbeitsbedingungen für Piloten in den neuen Fluggeräten sichern. Ein weiteres aktuelles Projekt ist die in Kooperation mit dem Zentrum Jagdkampf erstellte "Combat Search and Rescue"-Ausbildung, in der das fliegende Personal für das Überleben in Extremsituationen vorbereitet werden soll. Diese Projekte werden auf der Basis internationaler wissenschaftlicher Standards gemeinsam mit dem Bedarfsträger konzipiert, in der Praxis erprobt und weiterentwickelt.
Militärpiloten müssen hohen körperlichen und psychischen Belastungen gewachsen sein. Dafür stellen wir ihnen, aber auch den Technikern sowie dem Flugsicherheitspersonal ein umfangreiches Betreuungssystem zur Bewahrung und Förderung ihrer Fitness zur Verfügung. In dessen Rahmen kommen psychologische Methoden zur Vorbeugung und auch Behandlung von Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Anwendung. Als Beispiele seien unser Stressmanagementprogramm (Entspannungstechniken, mentales Training, Biofeedback etc.) und unsere Betreuung bei der fliegerischen Ausbildung (Lernschwierigkeiten, -techniken etc.) angeführt. Unser Anliegen dabei ist, Problemlösungen gemeinsam mit dem Betroffenen und seiner beruflichen und privaten Umgebung zu erarbeiten. Nach einem Flugvorfall oder Flugunfall werden wir als Betreuer, aber auch als Untersuchungspersonal tätig. Dabei stehen weniger eventuelles Verschulden, sondern die Unfallursache und daraus ableitbare Erkenntnisse zur Unfallprävention im Mittelpunkt.
"... 42 unbeschreiblich eindrucksvolle Flugminuten später landen wir wieder in Hörsching. Die gesammelten Erfahrungen und die gemeinsamen Gespräche erhöhen die gegenseitige Akzeptanz. Sie liefern wichtige Erkenntnisse und Grundlagen für zukünftige Betreuungs- und Ausbildungsprogramme, so dass unsere Serviceeinrichtung weiterhin ihren Beitrag zum Leitspruch "Glück ab - Gut Land" leisten kann".
Mag. Christian Czihak