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Grundprobleme der Erziehung oder: In der Verfremdung liegt die Motivation

Nach Prüfung des rosa Passierscheines mit dem Vermerk "Gastlehrer", lässt mich der Wachposten mit knappem "Weg frei!" an sich vorbei. Die schmale Durchfahrt eröffnet mir den Eintritt in meine Parallelwelt. Quer über den Appellplatz, der den Befehl zum aufrechten Gang entgegenbrüllt, über die weit ausschwingende Freitreppe, hinein in Räume, die Geschichte leben und lehren. Begleitet von den kritisch-strengen Blicken hochdekorierter Militärs, die den mühevollen Aufstieg des Zivilisten aus schweren Bilderrahmen überwachen auf der Suche nach Custoza, Daun oder … Wie friedlich, ja beinahe beschaulich, gestalten sich die Begegnungen mit den realen Gestalten des martialischen Gebäudes: "Guten Morgen, Grüß Gott …", Kaffee und Zigarette in der Kommunikationsecke, Damen des Reinigungsdienstes bei der Arbeit, hohe Offiziere im Normalbetrieb, Fähnriche auf ihren Lernpfaden. Die Innenwelt verfremdet die beherrschenden Strukturen und schafft Studienatmosphäre.

Der volle Hörsaal - ein "Alles auf!" als Ankündigungssignal (jedes Mal wieder elektrisierend) - die Meldung, die zunächst mit einem schlichten "Danke" entgegengenommen wird, um sogleich die absolute Folgenlosigkeit dieser zivilen Höflichkeitsfloskel erkennen zu müssen. "‚Setzen lassen‘ müssen sie sagen!" wird mir geflüstert. "Jawoll, setzen lassen!" Und dann kooperatives und kommunikatives Eintauchen in die "Grundprobleme der Pädagogik". Grundprobleme nicht für die gewohnten Adressaten, nicht für künftige Lehrer/innen und Erzieher/innen, für Studierende der Pädagogik, nein, Grundprobleme der Erziehung für künftige Offiziere … Der Wechsel gewohnter Perspektiven, das Verlassen eingefahrener Bahnen des Denkens haben mich seit jeher wachgerüttelt, irritiert und motiviert: Welche Bedeutung hat "meine Wissenschaft" für Fähnriche, denen ich eher sportliche, strategische oder waffentechnische Interessen zubillige? Welche Motive könnten intentionale und funktionale Formen der Erziehung, Diskurse pädagogischer Zielbildungen oder pädagogische Interaktionsforschung im Spannungsfeld zwischen Absicht und Erfolg für eine problemorientierte Auseinandersetzung bieten?

Es gilt die Grunderkenntnis: Ohne adäquate Motivation keine adäquate Lerntätigkeit - und darin liegt meine größte Herausforderung… Geht man davon aus, dass die ursprüngliche Triebkraft der Tätigkeit Bedürfnisse sind, welche erst im Prozess der Tätigkeit ihren Gegenstand "finden", der dann als das eigentliche Tätigkeitsmotiv fungiert, muss die Pädagogik für Offiziere gemeinsam "erfunden" werden. Und zwar in jeder Vorlesung und jedes Mal als Akt der Kooperation und Kommunikation. Tätigkeit - hier Lern- und Lehrtätigkeit - wird vorrangig durch ihr Motiv bestimmt, während Handlungen, aus denen sich diese Tätigkeit zusammensetzt, vorrangig durch das jeweilige Lehrziel bestimmt werden. Damit wird der unmittelbare Zusammenhang zwischen Motiven und Zielen unterstrichen. Alle Komponenten der Tätigkeit - Gegenstand, Mittel, Bedingungen, Partner, Verlauf und Ergebnisse - werden, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlicher Differenziertheit, subjektiv erfasst und bewertet und können deshalb motivationale Wirkungen entfalten.

Es gilt zu prüfen: Welche problemorientierten Zugänge zum Thema bieten sich für die Zuhörer an? Denn nicht die pädagogische Absicht entscheidet über die Wirkung einer Lehrveranstaltung, sondern deren subjektive Bewertung und Verarbeitung.

Es gilt zu prüfen: Welchen Beitrag kann das Thema leisten den Lernenden zu helfen, sich in Gegenwart und Zukunft ihres beruflichen Lebens und Lernens zurechtzufinden, das heißt ihre Persönlichkeit zu entwickeln? Denn in der Ermittlung der Erschließungskraft liegt die subjektive Bedeutung.

Es gilt zu prüfen: Welche fächerübergreifenden bzw. fächerverbindenden Aspekte sind im Thema enthalten? Denn nur die selbstgeschlagene Brücke zum Berufsbild schafft Nachhaltigkeit im Denken und Handeln.

All das - pädagogische und didaktische Herausforderungen die mich zwingen, gewohnte Bezugssysteme zu verlassen und neue Orientierungen einzuholen - ist Motivation genug, um die "eigene Wissenschaft" immer wieder motivierend und neu zu erleben … Nach Beendigung der "Lehrtätigkeit" entlässt mich der enge Durchgang zum Akademiepark wieder in meine Welt.

Für sie benötige ich keinen rosa Passierschein.

Autor: Univ. Doz. Prof. DDr. Karl Klement

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