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Gender Mainstreaming im Bundesheer

Seit Längerem ist der Begriff "Gender Mainstreaming" im Österreichischen Bundesheer (ÖBH) vorhanden und hinterlässt bei vielen Soldaten und Soldatinnen offene Fragen. Wofür brauche ich als Soldatin oder Soldat Gender Mainstreaming? Es ist daher an der Zeit, Gender Mainstreaming im ÖBH aus militärischer Sicht zu betrachten.

Was bedeutet Gender Mainstreaming?

Woher kommt der Begriff Gender Mainstreaming (GeM) eigentlich, und was bedeutet dieser? Um diese Fragen beantworten zu können, sollen zuerst die zwei Wörter "Gender" und "Mainstreaming" im Einzelnen betrachtet werden.

Während es im Deutschen nur einen Begriff für "Geschlecht" gibt, existieren im Englischen differenzierte Begriffe. So unterscheidet man in der englischen Sprache zwischen dem biologischen Geschlecht "sex" und dem sozialen Geschlecht "gender". Gender als Begriff für das soziale Geschlecht einer Person bezieht sich somit auf den kulturellen Aspekt, wie sich Frauen und Männer verhalten, sowie auf die Zuweisung von spezifischen Rollen und Wertigkeiten. Typische und alltägliche Beispiele dafür, wie wir unser soziales Geschlecht leben, damit aufwachsen und somit selbst konstruieren sind z. B., dass zum Spielen ein Junge ein Auto bekommt und ein Mädchen eine Babypuppe, oder der Mann im Haushalt die handwerklichen Tätigkeiten übernimmt, während die Frau kocht und putzt. Diese konstruierten Rollen werden von Generation zu Generation weitergegeben und kaum hinterfragt, sondern als etwas Normales und Richtiges wahrgenommen.

Unter dem Begriff Mainstreaming versteht man einen Transferprozess, der ein Nebensystem in ein Hauptsystem integriert. Sinngemäß bedeutet das, dass eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird. Als Beispiel ist hier der Wandel der Bioprodukte genannt, die sich über die letzten 20 Jahre von einem Nischendasein hin zum Mainstream vorgearbeitet haben und heute nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken sind.

Fügt man nun diese zwei Begriffe zusammen, versteht man unter Gender Mainstreaming im Allgemeinen, dass bei allen Vorhaben die unterschiedlichen Fähigkeiten, Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen sind.

Gender Mainstreaming in militärischen Organisationen

Bis zum Jahr 1998 war es für die männlichen Soldaten des ÖBH nicht vorstellbar und ein unwirkliches Szenario, dass einmal Frauen Seite an Seite mit Männern gemeinsam Dienst versehen. Über Jahrhunderte hinweg bestand ein von Männern für Männer geschaffenes Betätigungsfeld, worin man sich noch als "Mann" beweisen durfte und wo für Frauen kein Platz war. Bis 1998 war im ÖBH auch keine Notwendigkeit gegeben, Gender Mainstreaming aus Sicht eines Soldaten zu betrachten. Man weiß jedoch, dass eine Organisation und die in ihr herrschende Organisationskultur keine starren und unveränderbaren Größen darstellen, sondern ständigen Veränderungen und Entwicklungen unterliegen. Die Öffnung des ÖBH für Frauen und die Möglichkeit für diese, in allen Waffengattungen und Fachrichtungen ihren Dienst zu versehen, haben es aber notwendig gemacht, dass sich nun auch die Soldaten mit Gender Mainstreaming auseinandersetzen müssen. Durch einen wertfreien und proaktiven Zugang zu Gender Mainstreaming kann die Integration von Soldatinnen in der Organisation gefördert und die Vorteile einer gemischtgeschlechtlichen militärischen Organisation auf allen Ebenen und Bereichen verstärkt werden.

Es ist unumstritten, dass sich Frauen und Männer in physischer und psychischer Hinsicht unterscheiden. Dieser Unterschied soll jedoch keine Kluft zwischen den Geschlechtern schaffen, sondern aufgrund des Gender Mainstreaming Ansatzes die Vorteile der unterschiedlichen Herangehensweisen der Geschlechter an Aufgabenstellungen aufzeigen und zu einer Steigerung der Effektivität der militärischen Organisation führen. Darüber hinaus soll eine Organisationskultur geschaffen werden, in der Soldaten unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung, ihren Dienst uneingeschränkt versehen können.

Während Gender Mainstreaming für das ÖBH noch ein neues Terrain darstellt, nutzen Streitkräfte aus den USA, Russland, Schweden und Finnland bereits seit Jahrzehnten erfolgreich die Umsetzung von Gender Mainstreaming in ihren Organisationen.

Einsatzerfahrungen

Die zwei folgenden Beispiele sollen die erfolgreiche Umsetzung von Gender Mainstreaming im Bereich der taktischen Führungsebene in Auslandseinsätzen sowie den Nutzen für die Soldatinnen und Soldaten aufzeigen.

Beispiel 1

Ein Kommandant, der ein gesamtes Lagebild erfassen möchte, erreicht dieses nicht durch den Ausschluss der weiblichen Bevölkerung im Einsatzraum. Ein möglichst lückenloses Lagebild verlangt auch die Wahrnehmung und Integration von Frauen im Prozess der Friedensschaffung. Durch die Integration von Frauen in militärischen Organisationen entstehen viele neue Möglichkeiten in der Einsatzführung wie auch im Bereich der Informationsbeschaffung. Während bis dato durch das Militär in den Einsatzräumen fast ausschließlich Männer als Kontaktpersonen zur Zivilbevölkerung verwendet worden sind, besteht nun die Möglichkeit, das Lagebild durch den Einsatz von Soldatinnen zu ergänzen.

Soldatinnen haben in den meisten Fällen einen einfacheren und besseren Zugang zu Frauen und können somit den Kontakt zur weiblichen Bevölkerung aufbauen und dadurch eine Lücke in der Informationsbeschaffung schließen. Der gezielte Einsatz von Soldatinnen im Bereich der National Intelligence Cells, Field HumInt Teams, Liaison and Observation Teams und Liaison and Monitoring Teams (Verbindungs- und Beobachtungsteams; Anm.) ermöglicht es dem Kommandanten, ein umfangreicheres Lagebild zu liefern, das dann direkten Einfluss auf die Einsatzführung und den Schutz der eigenen Truppen (Force Protection) hat.

Beispiel 2

In Bezug auf Force Protection und den Einsatz von militärischen Kräften zur Friedenssicherung kann die Sensibilisierung der Soldaten und Soldatinnen durch den Gender Mainstreaming Ansatz zur positiven Auftragserfüllung beitragen.

So waren vor allem französische Special Operations Forces (SOF) im Kongo an der Zusammenarbeit mit einem Gender Field Advisor (GFA) interessiert, um im Gebiet Gender und Cultural Awareness geschult zu werden.

Während der Patrouillen wurden diese Kräfte laufend mit Steinen beworfen, was zu Verletzungen bei den Soldaten und zu Schäden an den Fahrzeugen führte. Durch eine Umgliederung der SOF-Patrouillen in gemischtgeschlechtliche Patrouillen konnten die Aggressionen gegenüber den Soldaten und Soldatinnen deutlich und wirksam verringert und die Informationsbeschaffung verdichtet werden.

Somit wird ersichtlich, wie sich der Einsatz eines GFA und die Umsetzung von Gender Mainstreaming bei der Truppe positiv auf die Force Protection auswirken können.

Aufgaben und Organisation

Die Aufgaben des ÖBH bestehen nicht nur aus den Auslandseinsätzen und dem Ziel, die Fähigkeiten, Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern durch Gender Mainstreaming auf taktischer Ebene umzusetzen. Das Aufgabengebiet von Gender Mainstreaming im ÖBH ist umfangreich, das weit über die taktische Ebene hinausreicht und sich nicht nur auf Soldatinnen und Soldaten beschränkt, sondern auf alle Bediensteten des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport (BMLVS).

Am 13. August 2008 bestellte Verteidigungsminister Mag. Norbert Darabos Frau Amtsdirektorin Mag. Silvia Moosmaier zur Gender Mainstreaming-Beauftragten des BMLVS. Sie ist die Ansprechperson für alle Gender-Angelegenheiten sowohl für den internen als auch für den externen Bereich. Weiters berät sie die Ressortleitung in der Planung und Umsetzung von konkreten Vorhaben und Maßnahmen hinsichtlich gender-relevanter Erfordernisse und deren möglichen Auswirkungen. Daher ist sie auch in die strategischen Entscheidungsprozesse eingebunden.

Zur Seite stehen ihr als Stellvertreter Sektionschef Mag. Christian Kemperle, Oberrat Mag. Christoph Moser und als Stellvertreterin Frau Mag. Roswitha Mathes.

Die Umsetzung der Aufgaben erfolgt durch das Team Gender Mainstreaming.

Dieses Team gliedert sich zur Erfüllung der geforderten Vorgaben in neun Fachbereiche, wobei deren Fachbereichsleiter und Fachbereichsleiterinnen die Sachgebiete abdecken: Zu den aktuellen Projekten des Teams Gender Mainstreaming zählen die Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen 1325 und 1820 der Vereinten Nationen sowie die Ausbildungskooperation mit Schweden zur Ausbildung von österreichischem Gender Field Advisor-Personal für den Auslandseinsatz.

Im vorigen Jahr wurde ein Pilotprojekt hinsichtlich des Nationalen Aktionsplanes für Ernährung gestartet, das sich mit einer ausgewogenen Ernährung beschäftigt, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bediensteten zu fördern.

Resümee

In einer modernen und gemischtgeschlechtlichen militärischen Organisation, wie das ÖBH sie darstellt, darf für unsere Soldatinnen und Soldaten der Begriff Gender Mainstreaming kein Fremdwort sein, sondern muss im Sinne aller Bediensteten als Grundlage für eine positiv gelebte Organisationskultur stehen. Durch den proaktiven Zugang einer/eines jeden Einzelnen zur Thematik Gender Mainstreaming kann die Organisation die Produktivität, Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Chancengleichheit ihrer Angehörigen steigern.

Ziel ist es, dass sich die Bediensteten des ÖBH unabhängig vom Geschlecht in einer Organisationskultur wiederfinden, in der Toleranz, Akzeptanz und Kameradschaft/Kollegenschaft gelebte Werte darstellen. Sie sollen die Vielfältigkeit in der Organisation annehmen, bejahen und fördern, um die besten Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit der Menschen zu schaffen. Denn eines dürfen wir auf keinen Fall vergessen: "Die Menschen stehen im Mittelpunkt."


Autor: Hauptmann Mag.(FH) Dr. René Hudribusch, Jahrgang 1975. Juli 1993 Grundwehrdienst im Jagdpanzerbataillon 1. 1995 bis 2000 Unteroffizier im Jagdpanzerbataillon 1 und Frequentant im BRG/Schulbataillon der Theresianischen Militärakademie; 2000 bis 2004 Theresianische Militärakademie Jahrgang "Kaiserjäger"; Ausmusterung als Panzerabwehroffizier zum Panzerabwehrbataillon 1 als stellvertretender Kompaniekommandant und in weiterer Folge als Kompaniekommandant, seit 2006 Ausbildungsleiter für internationale Kurse im Austrian Armed Forces International Centre, Schwergewicht Liaison Negotiation Course sowie Combating Trafficking im Human Beings Course; seit 2009 Fachbereichsleiter Gender Mainstreaming für Sensibilisierung & Akzeptanz im ÖBH. Bis 2010 Doktoratsstudium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien. Auslandseinsätze: 2005 bis 2006 Kommandant eines Liaison Observation Teams EUFOR "Althea" und 2007 Kommandant der österreichischen Field HumInt Teams KFOR/Kosovo.

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