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Wetter wie am Spieltag

In vielen Einsätzen stellen die Umfeldbedingungen eine größere Herausforderung für die Kampfführung dar als die Konfliktparteien. Mit der Beurteilung der Gebirgslage entwickeln die 6. Jägerbrigade und das Gebirgskampfzentrum der Heerestruppenschule ein Instrument zur realitätsnahen und aktuellen Darstellung und Bewertung von Umfeldbedingungen.

"… Dieser Weg war vollends unbegehbar. Denn da über dem alten, noch nicht geschmolzenen Schnee Neuschnee von mäßiger Höhe lag, konnte man, wenn man über den weichen und nicht sehr tiefen Neuschnee ging, zwar leicht festen Fuß fassen. Sobald aber durch das Auftreten so vieler Menschen und Zugtiere der Schnee geschmolzen war, mussten sie über das nackte Eis unten und über den zerfließenden Schneematsch gehen. Da spielte sich nun ein schreckliches Ringen ab, da das glatte Eis den Tritt nicht festhielt und auf dem abschüssigen Gelände zu rasch die Füße ausgleiten ließ. Wenn sie daher bei dem Versuch sich aufzurichten, sich auf ihre Hände oder Knie stützten, glitten eben diese Stützen aus, und so stürzten sie zum zweiten Mal. Und es gab keine Stämme oder Wurzeln ringsum, an denen man sich mit den Füßen oder Händen hätte anstemmen können. So rutschten sie, da nichts als glattes Eis und matschiger Schnee war, auf diesem hinunter …"1) "… Im aufgeweichten, steilen Schneehang konnten wir uns mit der schweren Schutzausrüstung und Bewaffnung nur mühsam bewegen. Ständig versanken die Männer bis zur Unbeweglichkeit oder sie rutschten mehrere Meter zurück. Schließlich entledigten wir uns eines Teils unserer Ausrüstung, da mit diesem Gewicht an ein Weiterkommen nicht zu denken war. Für uns bestand jedoch Zeitdruck, um den am Gipfel eingeschlossenen Kameraden zu helfen und wir mussten jederzeit mit Feindberührung rechnen …"2) Zwischen der Überschreitung der Alpen durch Hannibal und der Operation "Anaconda" (Afghanistan - 2. bis 16. März 2002) liegen ca. 2 500 Jahre. Beide Zitate zeigen, dass sich militärische Führer seit Anbeginn mit der Thematik der Umfeldbedingungen intensiv auseinandersetzen mussten. Der taktische und operative Verlauf zahlreicher militärischer Auseinandersetzungen der Kriegsgeschichte wurde durch den Kampf im Gebirge und dessen extreme Umfeldbedingungen nachhaltig beeinflusst. Viele sicherheitspolitische Konfliktzonen der Gegenwart (z. B. Kaukasus, Kaschmir, Afghanistan, Balkan, Tibet) und wahrscheinlich auch der Zukunft liegen in gebirgigen Regionen.

Aufgrund des technologischen Fortschrittes und der erwartbaren Entwicklung von Streitkräften wird das zukünftige Konfliktbild zunehmend von asymmetrischen Formen der Konfliktaustragung geprägt. Das Gebirge bietet, ebenso wie urbane Regionen, irregulär kämpfenden Kräften die Möglichkeit, die technologische Überlegenheit konventioneller Streitkräfte zu unterlaufen. Ein entscheidender Baustein in der Auftragserfüllung von Streitkräften im Gebirge oder in gebirgsähnlichem Gelände ist der Umgang mit den jeweiligen Umfeldbedingungen - der Gebirgslage.

Die Gebirgslage

Die Gebirgslage betrifft nicht nur die Gebirgstruppe, sondern alle Kräfte, die in irgendeiner Form in diesem schwierigen Gelände eingesetzt werden könnten.

Sie umfasst die Gesamtheit von Umfeldfaktoren im Gebirge oder gebirgs­ähnlichen Gelände, die sich in einem bestimmten Raum zu einer bestimmten Zeit auf das militärische Handeln nachhaltig auswirken. Man unterscheidet zwischen meteorologischen, schneekundlichen, geografisch-geologischen, glaziologischen, hydrologischen, botanischen und zoologischen Teilbereichen. Viele dieser Erscheinungen gibt es auch in anderen Regionen, aber im schwierigen Gelände wirken sie sich durch Isoliertheit und lange Versorgungswege schwerwiegend aus. Diese Besonderheiten wirken natürlich nicht für sich allein, sondern greifen ineinander. Im modernen Gefecht laufen einzelne Phasen sehr rasch und komplex ab, insbesondere im Kampf der verbundenen Waffen. Dies erfordert einerseits bestens ausgebildete, abgehärtete und erfahrene Soldaten, entsprechende Mittel und Ressourcen und andererseits schnell verfügbare und genaue Beurteilungsgrundlagen. Durch die zunehmende Internationalisierung der Einsätze des Österreichischen Bundesheeres gilt es, bisher als "exotisch" eingestufte Bereiche der Gebirgslage (z. B. Vulkanismus), mit einzubeziehen. Die Gebirgslage sollte nie als Nachteil, sondern immer als Vorteil vor allem für gebirgsbewegliche Kräfte gesehen werden. So wird schon in der Vorschrift "Truppenführung" darauf hingewiesen, dass überlegene Beweglichkeit im Gebirge mehr als im Flachland eine technische und materielle Überlegenheit des Gegners ausgleichen kann.

Im Rahmen der Übungen "PEACE SUMMIT 2006", der Übungsserie "CAPRICORN"3) und den internationalen Gebirgsjägerwettkämpfen "EDELWEISS RAID" wurde und wird die Gebirgslage in der Brigade bewusst als Teil des Führungsprozesses wahrgenommen. Aus diesen Erfahrungen heraus hat die 6. Jägerbrigade im Zusammenwirken mit dem Gebirgskampfzentrum der Heerestruppenschule als Beitrag zum Führungsverfahren den "Plan zur Gebirgslage" entwickelt.

Der Plan zur Gebirgslage

Der Plan zur Gebirgslage ist die für die jeweilige Führungsebene zusammengefasste Darstellung gebirgsspezifischer Erscheinungen und der daraus resultierenden Maßnahmen. Der Plan zur Gebirgslage wird erstellt, wenn der Verantwortungsbereich der eingesetzten Truppe, umgebendes (Nachbar-) Gelände oder Teile davon gebirgiges Gelände umfasst. Hiezu werden unter Verantwortung von qualifiziertem Gebirgspersonal4) und von Spezialisten (z. B. Meteorologen, Geologen, …) alle verfügbaren militärischen und zivilen Daten ausgewertet (z. B. Wetterdaten, amtlicher Lawinenlagebericht, hydrologische Messdaten). Stehen keine ausreichenden zivilen Daten zur Verfügung, werden diese durch qualifiziertes Gebirgspersonal mit eigenen Verfahren gewonnen (z. B. MISTA - Methode5)). Dabei muss auch die eingesetzte Truppe vor Ort mit einfachen Verfahren Daten ohne Unterstützung durch qualifiziertes Gebirgspersonal liefern können. In besonders sensiblen Bereichen darf diese Datengewinnung nur durch qualifiziertes Gebirgspersonal erfolgen. Die Auswertung erfolgt durch eine Zelle mit qualifiziertem Gebirgspersonal als Teil der Führungszentrale, die den Plan erstellt, laufend aktualisiert und im Führungsverfahren bei der Beurteilung der Umfeldbedingungen einbringt. Dazu verfügt die Zelle Gebirgslage über ein stationäres Element sowie über mobile Elemente zur Beurteilung und zur Unterstützung der Truppe bei besonderen Aufgaben.

Die Farben in der Prinzipskizze oben bedeuten:

  • keine Farbe: noch nicht beurteilte Räume;
  • Rot: gesperrt, Betreten nur nach Genehmigung des jeweils verantwortlichen Kommandanten (Regelung in den SOP) unter Führung von Heeresbergführern, aber auch durch andere Spezialisten (z. B. bei hydrologischen Erscheinungen durch Pionierfachpersonal);
  • Gelb: Betreten/Befahren nur unter Führung von qualifiziertem Gebirgspersonal;
  • Grün: frei begeh- bzw. befahrbar.

Dieses Ampelsystem gilt gleichermaßen in der Ausbildung wie auch im Einsatz. Die Kriegsgeschichte hat eindrücklich gelehrt, dass ein Ignorieren der Gebirgslage fatale Folgen haben kann. Gebirgskampfausbildung und Gebirgsausbildung ist immer Einsatz! Die im Kasten angeführten Faktoren sind beispielhaft und variieren je nach Führungsebene im Detaillierungsgrad. Entscheidend ist nicht die Darstellung, sondern sind die daraus abgeleiteten Folgerungen und Maßnahmen für die Kampf-, die Einsatz- und Führungsunterstützung und den Einsatz an sich.

Faktoren zur Beurteilung der Gebirgslage

Meteorologische Faktoren

  • M1 Sichtweiten von … bis …
  • M2 erhöhte Blitzschlaggefahr
  • M3 Windspitzen
  • M4 Temperatur
  • M5 Luftfeuchte
  • M6 Luftdruck

Schneekundliche Faktoren

  • N1 Lawinengefahrenstufen 1 - 5
  • N2 Begehen nur mit Schi oder Schneeschuhen
  • N3 Befahren nur mit Überschneefahrzeugen (max. Fahr­zeugbreite …,max. Fahrzeug­länge …)
  • N4 Befahren nur mit Schnee­ketten
  • N5 Lawinensprengen von … bis …
  • N6 Schneehöhen

Geografisch-geologische Faktoren

  • GG1 max. Fahrzeugbreite …, max. Fahrzeuglänge …
  • GG2 Sicherungsanlage
  • GG3 Steinschlag
  • GG4 vulkanische Erscheinung

Hydrologische Faktoren

  • H1 Überflutung
  • H2 Überflutung von … bis …
  • H3 Wassertiefe
  • H4 Fließgeschwindigkeit
  • H5 Vereisung
  • H6 Eisschlag
  • H7 Eisdecke - befahrbar
  • H8 Muren

Glaziologische Faktoren

  • G1 Gletscher
  • G2 Gletscherspalten
  • G3 Eisschlag
  • G4 Moränen mit hoher Geröllbewegung

Botanische Faktoren

  • B1 Waldbrandgefahr
  • B2 Unterholz

Zoologische Faktoren

  • Z1 Dichte Wildpopulation (Herden, Schwärme)

Fallbeispiele

In einer internationalen Lage (PSO-Szenario) ist ein Jägerbataillon zum Schutz wichtiger Infrastruktur im schwierigen Gelände gegen irregulär kämpfende Kräfte eingesetzt. Der angenommene Gegner besitzt beste Geländekenntnis, ist hochgebirgsbeweglich und kämpft je nach Lage in Gruppen- bis maximal Kompaniestärke. Er geht handstreichartig vor, und in seinem Waffenarsenal befinden sich Sturmgewehre, Maschinengewehre, schwere Scharfschützengewehre, leichte Granatwerfer, Panzerfäuste und Fliegerfäuste (leichte Fliegerabwehrlenkwaffen, z. B. "Stinger"). Seine Absicht ist es, durch Zerstörung bzw. Unterbrechung der lebenswichtigen Infrastruktur den Einsatz der multinationalen Kräfte nachhaltig zu stören. Das Schwergewicht des Bataillons ist dabei ein leistungsfähiger hochalpiner Übergang (Tunnel) und lebenswichtige Kraftwerksanlagen, die durch eine hochgebirgsbewegliche Kompanie geschützt werden. Der verstärkte I. Zug der 1. Kompanie/Jägerbataillon 26 ((+)I/1/26) hat in einem isolierten Einsatzraum, der sich durch die Lage des Hochtales ergibt, mehrere Übergänge zu überwachen bzw. eine Stauanlage mit Druckstollen zu verteidigen. Ein Zusammenwirken der Kräfte und Mittel ist durch den Höhenunterschied, die Steilstufen und den überdehnten Gefechtsstreifen nur bedingt möglich. Der Kompaniekommandant hat sich zu einer möglichst beweglichen Einsatzführung entschlossen, um entsprechend auf das Verhalten des Gegners und die Gebirgslage reagieren zu können.

Auswirkungen der Gebirgslage auf den Einsatz (+)I/1/26 Winterbeispiel)

Im Laufe des Führungsverfahrens wird durch das Bataillon ein Plan zur Gebirgslage erstellt. Die erforderliche Detaillierung muss über die Kompanie bis zur Führungsebene Zug und bei isoliert eingesetzten Teilen bis auf Gruppenebene erfolgen. In der Abbildung (Seite 52 unten) wurden der Einsatzplan des Zuges und der Plan zur Gebirgslage übereinander gelegt.

Abgebildet ist ein Hochwinterszenario nach einem Kaltfrontdurchgang mit intensiven Schneefällen und niedrigen Temperaturen. Aktuell ergibt sich eine Aufteilung von ca. 50 Prozent roten, ca. 30 Prozent gelben und ca. 20 Prozent unbeurteilten Flächen. Die Folgerung daraus ist, dass die Hälfte des Einsatzraumes nur nach ausdrücklicher Genehmigung unter der Führung von Heeresbergführern betreten werden darf, 20 Prozent müssen erst erkundet bzw. aufgeklärt werden, und in nur knapp einem Drittel kann man sich unter der Führung von sonstigem qualifizierten Gebirgspersonal (Heereshochalpinist, Heeresbergführergehilfe) frei bewegen. Lediglich die Zufahrt zu den Versorgungseinrichtungen ist "grün" geschaltet.

Exkurs: Auswirkungen der Gebirgslage auf die Einsatzunterstützung (+)I/1/26
Man hört immer wieder das Argument, dass im Zeitalter des modernen Lufttransportes antiquierte Elemente wie Seilbahnen oder Tragtiere nichts mehr verloren hätten. Hiezu ist anzumerken, dass gemäß Erfahrungswerten der NATO aus den vergangenen Konflikten ca. 50 Prozent aller Lufteinsätze aufgrund des Wetters ausfallen. In dieser Lage kommt für den Lufttransport noch die latente Bedrohung durch den irregulär kämpfenden Gegner (Fliegerfaust) dazu. Dieser Zug, der mit einer Verstärkung durch eine PAL-Gruppe und einen schweren Scharfschützentrupp angenommen wurde, benötigt folgende Erstausstattung, um seinen Auftrag erfüllen zu können:

  • OrgPlanGerät: 3 974 kg
  • Gebirgsausrüstung: 928 kg
  • 3 DOS Munition: 3 000 kg
  • 3 DOS Verpflegung: 477 kg
  • 3 DOS Wasser: 2 838 kg
  • davon am Mann: 1 476 kg (KAZ 03/3, Rucksack klein, Einsatz im Winter)
  • Summe: 9 741 kg (also rund zehn Tonnen!)

Der Soldat trägt bei seiner täglichen Auftragserfüllung rund 36 kg Ausrüstung am Körper. Die Folgeversorgung beträgt täglich 1 750 kg und eine Transportkapazität für drei bis vier Personen sitzend bzw. liegend. Nicht berücksichtigt sind in dieser Berechnung sonstige Maßnahmen zur Force Protection wie Kugelschutzweste und andere Ausrüs­tungsteile. Die Widerstandsnester auf der Amertaler Scharte und am Schöppmanntörl benötigen davon täglich je 350 kg und eine Transportkapazität für ein bis zwei Personen liegend. Das heißt, dass bei nicht verfügbarer Luftunterstützung auf andere Mittel zurückgegriffen werden muss, um durchhalte- bzw. durchsetzungsfähig zu sein. Sondertransportmittel wie "All Terrain Vehicles" (z. B. Bv206D6) oder Quad7)) stellen eine wesentliche Kampfkraft- und Kampfwertsteigerung dar, können aber aufgrund ihrer technischen Spezifikation nur in bestimmten Geländesegmenten eingesetzt werden. Im gegenständlichen Fall müssen die roten Zonen vor allem im Bereich des Kessels ausgespart werden. Das bedeutet, dass die Fahrzeuge mit anderen Mitteln in die nächste Geländekammer transportiert werden müssen, um dort wirksam zu werden. Aufgrund der Geländegegebenheiten kann daher die Amertaler Scharte nur durch Träger, Tragtiere oder Seilbahn, das Schöppmanntörl nur durch Träger oder Seilbahn versorgt werden. Für die Erstversorgung des Zuges wären 40 Träger, die im Durchschnitt maximal 40 kg (inkl. 10 kg persönlicher Ausrüstung zum Überleben) tragen könnten, für etwa drei bis vier Tage notwendig. Hinzu kämen drei Spur- und Sicherungstrupps (1/3). Besonders sperrige Güter wie Aggregate usw. müssten im Mannschaftszug bewegt werden. Diese Kräfte fehlen bei den kämpfenden Teilen. Die Folgeversorgung mit Trägern würde permanent einen Zug binden. Der Zeitfaktor, die Versorgung und die Regeneration der tragenden Teile sind dabei noch nicht berücksichtigt. Soldaten als Träger sollten daher nur eine Ausnahme sein. Die Einsatzunterstützung bedarf einer Parallelplanung und die eingesetzten Mittel (Transporthubschrauber, All Terrain Vehicles, Tragtiere, Seilbahn, Träger) ergänzen einander, weil der Grad der Verfügbarkeit, die Kapazität, Leistungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und Witterungsanfälligkeit sehr unterschiedlich sind. Die Ausphasung nur eines Elementes würde die Möglichkeiten der Truppe massiv beeinträchtigen.

Auswirkungen der Gebirgslage auf den Einsatz einer Gruppe des (+)I/1/26

Der Plan der Abbildung (Seite 55 oben) ist wie folgt zu lesen:

  • H7+: Der kleine Bergsee hat eine entsprechend dicke Eisdecke und kann als Hubschrauberlandeplatz oder Umschlagpunkt verwendet werden.
  • TT Weg: Der Tragtierweg ist gespurt und kann frei begangen werden. Allfälliges gefährliches Angelände wurde z. B. durch Lawinensprengungen entschärft.
  • N1/3: Die gelbe Zone kann unter qualifizierter Führung genutzt werden. Die Lawinengefahrenstufe wird mit drei bewertet. Die Stufe 3 (erheblich) heißt, dass die Lawinenauslösung bereits durch einzelne Soldaten und tief fliegende Luftfahrzeuge vor allem in den angegebenen Steilhängen möglich ist. Fallweise sind spontan einige mittlere, vereinzelt auch große Lawinen möglich.
  • H5, H6, N1/4: Die beschriebenen Räume bedürfen zum Begehen einer Genehmigung des verantwortlichen Kommandanten und der Führung durch Heeresbergführer. Es besteht Vereisung, Eisschlaggefahr und Lawinengefahr der Stufe 4 (groß). Die Lawinenauslösung ist bereits bei geringster Zusatzbelastung möglich und an den angegeben Steilhängen wahrscheinlich. Fallweise sind spontan viele mittlere, mehrfach auch große Lawinen zu erwarten.
  • GG2, H6: Die Sicherungsanlage darf nur unter qualifizierter Führung betreten werden. Die Verwendung von Steigeisen ist erforderlich.
  • GG2: Die Sicherungsanlage ist so errichtet, dass diese ohne zusätzliche Maßnahmen begangen werden darf.
  • G2, N1/4: Diese Zone darf nur nach Genehmigung des verantwortlichen Kommandanten unter Führung von Heeresbergführern begangen werden. Es besteht große Lawinen- und Spaltensturzgefahr.
  • Erkundung: Diese Räume sind noch nicht beurteilt. Ein Ausnutzen des Raumes für die eigene Einsatzführung ist erst nach einer qualifizierten Erkundung möglich.

Je nach Entschluss des Kommandanten und dem Leistungsvermögen der Truppe kann ein Einsatz durchgeführt werden. Ein Problembereich ist jener der roten Zonen, wo sich möglicherweise der taktische Entschluss des Kommandanten und Sicherheitsbedenken des qualifizierten Gebirgspersonals überschneiden. Das kann nur durch den eingeschlagenen Weg - nämlich konsequent die Gebirgsausbildung und die Gebirgskampfausbildung zusammenzuführen - verhindert werden. Der kritische Leser mag jetzt anmerken, dass die Handlungsfreiheit in dieser Lage stark eingeschränkt ist. Man darf bei dieser Momentaufnahme nicht vergessen, dass die Beurteilung nahezu stündlich erfolgen muss. Das Farbenspiel der "Ampel" zur Gebirgslage kann sich je nach Wind und Temperaturverlauf ständig ändern. Die NATO arbeitet in Norwegen mit einem Auslaufzonenmodell bei Lawinengefahr. Wenn so eine Zone "rot" geschaltet ist, besteht ein ausnahmsloses Zutrittsverbot.

Die Auswirkungen der Gebirgslage gelten für Gegner und Eigene gleichermaßen und können die eigene Einsatzführung auch durchaus positiv beeinflussen. So begünstigen z. B. Nebel und Sturm einerseits die Annäherung gebirgstauglicher Kräfte, können aber andererseits den Zusammenhang der Kräfte gefährden. Jeder geschickte Führer wird versuchen, einige dieser Naturerscheinungen künstlich herbeizuführen und taktisch auszunützen. Ein wirksames Mittel in dieser Lage ist unter anderem auch das gezielte Absprengen von Lawinen (Schnee, Eis, Steine), um gegnerische Kräfte in ihrer Bewegung zu hemmen bzw. diese zu vernichten.

Solche Maßnahmen müssen im Führungsverfahren exakt in ihrer Machbarkeit, aber auch in den Auswirkungen (Kollateralschäden) beurteilt werden. Faktoren wie möglicher Zeitpunkt, Beschaffenheit und Höhe der Schneedecke, geologische Besonderheiten (Untergrund), aber auch die Wahl der Auslösemittel (Sprengmittel, Granatwerfer, schweres Flachfeuer usw.) müssen genau geplant werden. Die Anwendung dieser "Waffe" bzw. allfällige Einschränkungen werden in den Einsatzregelungen (Rules of Engagement) zu berücksichtigen sein. Die richtig eingesetzte taktische Lawine ist ein kostengünstiges, sehr effizientes Mittel, das einerseits hohe psychologische Wirkung erzielt und andererseits Kräfte des Gegners für die Bergung von Verschütteten bindet. Die Auswirkungen betreffen aber nicht nur den einzelnen Soldaten, es können auch nachhaltige Schäden bei Gerät und Systemen verursacht werden.

Auswirkungen der Gebirgslage auf den Einsatz der (+)4/26 als Bataillonsreserve (Sommerbeispiel)

Das vorhin angenommene Bataillon hat auch eine Reserve an einer Drehscheibe eingesetzt. Als Drehscheiben bezeichnet man Geländeabschnitte, von denen man Kräfte entlang mehrerer Bewegungslinien ansetzen kann. Die verstärkte Kompanie gliedert sich bei dieser Lage in die entsprechenden Kommando- und Versorgungsteile sowie in zwei Grenadierzüge und zwei Jägerzüge auf Bv206D.

Der Großteil des Geländes ist "grün" geschaltet. Lediglich im Bereich der Schlucht und des felsdurchsetzten Steilgeländes wäre eine qualifizierte Führung bzw. Beratung erforderlich. Für den verantwortlichen Kommandanten ergeben sich soweit keine maßgeblichen Einschränkungen. Nach dem Durchzug eines Tiefdruckgebietes mit langen intensiven Regenfällen könnte sich aber das Bild wie in der Grafik rechts unten dargestellt verändern.

Der Plan der Abbildung ist wie folgt zu lesen:

  • H1, H8: Aufgrund der intensiven Regenfälle ist ein Hochwasser entstanden, das am Zusammenfluss der Bäche den gesamten Talboden überflutet hat. Aus dem Angelände besteht durch die aufgeweichten Hänge hohe Murengefahr. Die Benutzung der roten Zonen ist verboten bzw. bedarf einer Genehmigung bzw. qualifizierter Führung.
  • GG3, H8: Zur Murengefahr kommt im felsdurchsetzten Waldgelände noch eine große Steinschlaggefahr. In den gelben Zonen ist eine qualifizierte Führung notwendig.

Die Aufteilung von ca. 20 Prozent roter, ca. 40 Prozent gelber und ca. 40 Prozent grüner Flächen erscheint auf den ersten Blick nicht so dramatisch. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber, dass die dort eingesetzte Reserve nachhaltig in ihrer Einsatzführung eingeschränkt ist. Konsequenterweise müsste hier noch eine unterschiedliche grafische Darstellung für die Züge erfolgen, weil die Jägerzüge mit ihren schwimmfähigen Fahrzeugen im überschwemmten bzw. durchfeuchteten Gelände beweglicher wären als die Grenadiere.

Als Folgerung daraus gilt es durch den Kommandanten alle Maßnahmen zu ergreifen, um seine Kräfte wieder mobil zu machen. Das sind pioniertechnische Maßnahmen bei Brücken und Wegen (Verstärkungen, Aufschüttungen, Ableitungen, …), Errichtung von Fangnetzen gegen den Steinschlag sowie Absprengungen und ständige Beobachtung des Geländes. Sollte dieser Mitteleinsatz nicht möglich oder unverhältnismäßig hoch sein, so wäre eine Verlegung der Reserve anzudenken. Mitzubeurteilen ist auch die Lage der Bevölkerung im Einsatzraum.

Auf einen Blick

Die laufende Beurteilung und die grafische Darstellung der Umfeldbedingungen (Gebirgslage) sind ein wesentliches Element des Führungsverfahrens. Einerseits kann die gebirgskampftaugliche Truppe bewusster ihre besonderen Fähigkeiten und Stärken ausnutzen. Andererseits dient sie allen Truppen und - wenn vorhanden - auch der Bevölkerung im Einsatzraum als Schutz. In der Regel haben gerade gebirgsungewohnte Truppen die höchsten Ausfälle beim Einsatz im schwierigen Gelände zu verzeichnen. Diese bedürfen daher besonders sorgfältiger Beratung und Führung. Die 6. Jägerbrigade bietet diese Beratung mit ihrer Zelle zur Beurteilung der Gebirgslage sowie ihre speziellen Erkundungstrupps auch anderen Verbänden des Bundesheeres an. Das hier dargestellte Verfahren ist kein fertiges Produkt. Es wird gemeinsam mit den Experten des Gebirgskampfzentrums laufend weiterentwickelt.

Endnoten

1) Livius, Römische Geschichte. Der Zweite Punische Krieg, RECLAM 1959, S. 51.

2) Operation Anaconda 3. - 4. März 2002, Battle of Takur Ghar (sinngemäße Übersetzung eines N24-Berichtes).

3) In der Übungsserie "CAPRICORN" (Steinbock) der 6.JgBrig(HGeb) wurde 2011 der Angriff, und werden 2012 die Verteidigung und 2013 das Thema Schutz behandelt.

4) Heereshochalpinisten, Heeresbergführergehilfen sowie als "Meisterstufe" der Heeresbergführer.

5) Ermittlung der mittleren Schneedeckenstabilität nach Werner Munter.

6) Der Bandvagn 206 (Bv206) ist ein vom schwedischen Unternehmen BAE Systems Hägglunds, einer Tochter der britischen Rüstungsfirma BAE Systems, für schwieriges und schweres Gelände konzipiertes, schwimmfähiges Mehrzweckgelände- und Überschneefahrzeug. Es ist mit über 11 700 gebauten Exemplaren weltweit im Einsatz und wird zivil wie auch militärisch genutzt. Das schwedische Wort Band für Laufbänder und Vagn für Wagen war namensgebend und kennzeichnet die Konstruktionsweise des Fahrzeuges. In den Streitkräften der EU werden vor allem die zivile Version Bv206D und die gehärtete Version Bv206S verwendet.

7) Quad leitet sich vom lateinischen quartus - vier ab, also Vierrad.

Hinweise auf Abbildungen beziehen sich auf die Seiten in der Printausgabe.


Autor: Oberst Johann Gaiswinkler, Jahrgang 1961. 1981 bis 1984 Theresianische Militärakademie. Ab 1984 Zugskommandant beim Landwehrstammregiment 71 sowie Lehroffizier für Panzerabwehr und Jäger an der Sperrtruppenschule, ab 1988 Lehroffizier an der Theresianischen Militärakademie, ab 1989 Ausbildungsoffizier und Kompaniekommandant beim Jägerbataillon 26. Ab 1994 Lehroffizier für qualifizierte Alpinausbildung an der Jägerschule; Abteilungsleiter sowie Hauptlehroffizier für Gebirgs- und Winterkampf. 2008 bis 2010 Evaluierer Infanterie in der Kontrollabteilung A des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Seit 2010 stellvertretender Brigadekommandant der 6. Jägerbrigade. Heeresbergführer, Heeresschilehrer, staatlich geprüfter Berg- und Schiführer, sowie Sachverständiger für Alpinistik. Auslandseinsätze bzw. - verwendungen als ACOS G2 bei EUFOR, Austauschoffizier an der Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald (Deutschland), Projektoffizier Gebirgskampf (Montenegro) und Bataillonskommandant bei KFOR.

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