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Die Detektion von chemischen Gefahrstoffen

Die Bedrohung durch chemische Kampfstoffe und Gefahrstoffe zivilen Ursprunges existiert für Streitkräfte seit Jahrzehnten. Die zuverlässige Bestimmung dieser Stoffe und ihrer Umwandlungsprodukte gewinnt darüber hinaus sowohl in der Umsetzung der Chemiewaffenkonvention (1997), als auch bei der Abschätzung des Gefährdungspotenzials von Rüstungsaltlasten an Bedeutung.

Die Fähigkeit, einen Angriff oder einen Anschlag mit chemischen Kampfstoffen oder toxischen Industriechemikalien schnell aufzudecken, ist eine lebenswichtige Voraussetzung und Notwendigkeit zum Schutz von Truppen und der Zivilbevölkerung.

Die ABC-Aufklärung im ÖBH

Die Aufgabe "ABC-Aufklärung" bildet sich in unterschiedlicher Qualität und Ausprägung in allen Führungsebenen des Österreichischen Bundesheeres ab. Das Ziel der ABC-Aufklärung ist es mitunter, eine Kontamination der Truppe durch ABC-Gefahrstoffe nach Möglichkeit zu vermeiden. Dabei werden Art und Umfang einer Kontamination festgestellt. Im ÖBH sind auf den verschiedenen Führungsebenen Geräte zur Detektion von chemischen Gefahrstoffen vorhanden.

ABC-Individualschutz

Auf der Ebene des ABC-Individualschutzes stehen jedem Soldaten das Kampfstoffnachweispapier (KNP) und der Nervengasanzeiger (NGA) zur Verfügung.

Das KNP dient zum Nachweis von flüssigen chemischen Kampfstoffen. Es ist in Blockform zu vier Blättern verfügbar, wobei ein Blatt durch seine Perforierung in zwei Teile getrennt werden kann. Das selbstklebende Papier wird in der Bewegung auf die Feldschuhe (Selbstkontrolle) oder hinten auf den Helm (Kontrolle durch Kameraden) geklebt. Es kann auch zur Kontrolle an anderen Oberflächen aufgebracht werden. Das Kampfstoffnachweispapier verfärbt sich bei direktem Kontakt mit flüssigen chemischen Kampfstoffen (siehe Abb. rechts).

Der NGA dient zur Feststellung von gasförmigen Nervenkampfstoffen in der Luft. Dazu muss der Nervengasanzeiger aus der Schutzhülle genommen werden. Danach wird die große Papierscheibe gründlich mit Wasser befeuchtet und zwei Minuten an der Luft geschwenkt. Im Anschluss wird die Halterung herausgenommen und für zwei Minuten in die Vertiefung auf das angefeuchtete Papier gedrückt. Nach Entfernung der Halterung wird die Papierscheibe auf Verfärbung überprüft.

Mit diesen Detektionsmöglichkeiten gelingt dem Soldaten eine rasche Detektion bestimmter chemischer Kampfstoffe, um rasch ABC-Individual­schutzmaßnahmen zu ergreifen und eigene Truppenteile zu alarmieren. Die Verfärbung des Kampfstoffnachweispapieres und die Anzeige des Nervengasanzeigers ermöglichen in einem ersten Ansatz auch das Treffen richtiger medizinischer ABC-Schutzmaßnahmen.

ABC-Abwehr aller Truppen

Auf der Ebene der ABC-Abwehr aller Truppen steht jedem kleinen Verband (Bataillon) das C-Spürgerät ECAM (Enhanced Chemical Agent Monitor) sowie der C-Kampfstoffwarngerätesatz zur Verfügung.

Das ECAM dient zur Detektion von Nerven- und Hautkampfstoffen in der Luft sowie von abdampfenden Kontaminationen an Oberflächen. Die Anzeige der gemessenen Stoffkonzentration erfolgt in Form einer Balkenanzeige, wobei jeder von insgesamt acht Balken einer bestimmten, im Gerät gemessenen, Stoffkonzentration (mg/m³) entspricht.

Auch die Überschreitung eines Grenzwertes für Blut- und Lungenkampfstoffe wird angezeigt. Das ECAM verfügt über zwei Betriebsarten. Im AUTO-Modus werden für max. 34 Sekunden alle drei Stoffgruppen "G", "H", und "Blood/Chooking" detektiert. Im SCAN-Modus ist eine längere Messung möglich, wobei wahlweise "G"-Stoffe oder "H"-Stoffe detektiert werden. Im "H"-Modus werden Blut- und Lungenkampfstoffe zusätzlich mitdetektiert.

Das ECAM ist Teil der Geräteausstattung der ABC-Aufklärungsgruppe der Stabskompanie des kleinen Verbandes.

Der C-Kampfstoffwarngerätesatz ist in der Lage, eine sichere und rechtzeitige Aussage über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein der chemischen Kampfstoffe Sarin, Soman, Tabun, VX, Lost (Yperit) und Lewisit zu machen.

Geringste Konzentrationen dieser Kampfstoffe (Dämpfe oder Aerosole) werden innerhalb kürzester Zeit (1 mg/m3 VX innerhalb von 5 Sekunden) akustisch und/oder optisch angezeigt. Weiters kann der C-Kampfstoffwarngerätesatz z. B. zur Überwachung der "reinen Zone" am Dekontaminationsplatz eingesetzt werden.

Der C-Kampfstoffwarngerätesatz wird auch zur Fernalarmübertragung eingesetzt. Dabei wird durch ein angeschlossenes Alarmgerät (mittels Zweidrahtleitung bis zu einer Entfernung von ca. 1 600 Metern) ein eventuell ausgelöster Alarm (Einsatz von chemischen Kampfstoffen) optisch bzw. akustisch angezeigt. Dadurch wird der alarmierten Truppe ein Zeitvorteil geschaffen, um rechtzeitig die persönlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Die quantitative Ausstattung der kleinen Verbände reicht aus, um im Bedarfsfall den C-Kampfstoffwarngerätesatz bis auf Einheitsebene zu verteilen. Diese Ausstattung ermöglicht ab Ebene Kompanie/Bataillon eine genauere Detektion eines chemischen Kampfstoffes und eine rechtzeitige Alarmierung betroffener Truppenteile.

ABC-Abwehrtruppe

Die ABC-Abwehrtruppe verfügt zusätzlich zu den bisher genannten Detektionsgeräten noch über das AC-Aufklärungsallschutztransportfahrzeug (ACAufklATF) "Dingo" 2. Ende 2008 wurden die ersten ACAufklATF an das ÖBH ausgeliefert. Insgesamt stehen der ABC-Abwehrtruppe zwölf ACAufklATF "Dingo" 2 zur Verfügung.

Es sind zwei verschiedene Versionen verfügbar: das Führungsfahrzeug und das Erkundungsfahrzeug. Die ABC-Abwehrkompanie verfügt im ABC-Aufklärungszug über eine ABC-Aufklärungsgruppe. Diese besteht aus je einem Führungsfahrzeug und zwei Erkundungsfahrzeugen.

Mit dem ACAufklATF "Dingo" 2 wurde das Einsatzspektrum von ABC-Aufklärungskräften entscheidend erweitert. Erstmals ist man auch in der Lage, eine große Bandbreite an chemischen Gefahrstoffen zivilen Ursprungs, von so genannten TIC (Toxic Industrial Chemical), zu detektieren.

Die Detektion von chemischen Gefahrstoffen zivilen Ursprungs wird durch zwei Komponenten sichergestellt. Die erste Komponente bildet das sogenannte "Dräger" Multisensorsystem (DMSS), welches insgesamt mit fünf Messgeräten bestückt ist. Zur Anwendung gelangen ein Photoionisationsdetektor, mehrere elektrochemische sowie Infrarot-Sensoren (insgesamt zwölf Stück) und ein Ionenmobilitätsspektrometer.

Durch die verschiedenen Sensoren kann das DMSS eine große Bandbreite an chemischen Gefahren detektieren. So ist beispielsweise die Feststellung von allen gängigen chemischen Kampfstoffen, aber auch chemischen Gefahrstoffen zivilen Ursprungs wie z. B. Kohlenwasserstoffen, Schwefelwasserstoffen, Ammoniak, Chlor oder explosionsfähigen Gasgemischen möglich.

Die zweite Komponente bildet das Gaschromatographie-Massenspektrometer (GC-MS). Dieses ist nur am Erkundungsfahrzeug vorhanden und kann Stoffgemische auftrennen und in Verbindung mit einer Datenbank über 60 000 verschiedene chemische Stoffe identifizieren. Das GC-MS ist tragbar, wird aber hauptsächlich fahrzeuggestützt eingesetzt. Die Probennahme zur Detektion erfolgt über den so genannten Stempel. Dies ist eine spezielle Vorrichtung zur Abdampfung von festen bzw. gefrorenen ABC-Gefahrstoffen an der Rückseite des Fahrzeuges.

Der Gaschromatograph dient zur Auftrennung von Stoffgemischen. Dabei wird für ca. zwei Minuten eine Gasprobe konzentriert und anschließend durch eine Röhre geblasen. Aufgrund verschiedener Eigenschaften (Dampfdruck) der Gase ergeben sich verschieden lange Verweilzeiten der Gase in der Röhre. Die Entnahme der Gasprobe dauert ca. zwei Minuten, die Auftrennung der Gase jedoch bis zu 20 Minuten.

Das Massenspektrometer dient zur Identifikation des Stoffes. Dabei wird das aus der Röhre des GC entweichende Gas ionisiert. Dabei zerbrechen die Gasmoleküle in Einzelfragmente. Die Zusammensetzung der Einzelfragmente ist charakteristisch für ein bestimmtes Gas. Durch Abgleich mit einer Datenbank kann das Gas identifiziert werden.

Ergänzend zu den bisher genannten Detektionssystemen können durch die ABC-Aufklärungsgruppe "Dräger"-Röhrchen zum Einsatz gebracht werden. Durch diese Röhrchen kann z. B. das Vorhandensein von sauren Gasen (Salzsäure), Ammoniak, Kohlenmonoxid und weiterer Schadstoffe festgestellt werden. Die "Dräger"-Röhrchen können sowohl innerhalb des Fahrzeuges (über das DMSS) als auch außerhalb des Fahrzeuges (mit der ACCURO-Handpumpe) verwendet werden. "Dräger"-Röhrchen würden im Anlassfall zur einfachen Detektion von speziell ausgewählten chemischen Gefahrstoffen zivilen Ursprungs eine sinnvolle Ergänzung der Messausstattung der ABC-Spürgruppe darstellen.

Bei "Brechen der ABC-Sammelschutzanlage" oder Sauerstoffmangel im Innenraum des ACAufklATF wird durch ein Mehrsensorsystem (CO, CO2, Methan) Alarm ausgelöst. Durch ein Notatemluftversorgungssystem kann die Mannschaft aus Pressluftflaschen (9 000 Liter Atemluft) über Schutzmasken mindestens 45 Minuten umgebungsluftunabhängig versorgt werden.

Am Führungsfahrzeug befindet sich heckseitig ein ausfahrbarer Mast mit einem digitalen Wettersensor. Dieser misst auf 5,4 Meter Höhe über Boden Temperatur, Windgeschwindigkeit und -richtung, Luftdruck, Niederschlag und relative Luftfeuchte und ermittelt auf diese Weise die notwendigen meteorologischen Daten am Einsatzort, um die Ausbreitung des Gefahrstoffes zu beurteilen und über die ABC-Beratung geeignete Maßnahmen zum Schutz davor anzuordnen.

Zur Kennzeichnung kontaminierter Geländeteile befindet sich an der Heckseite der Erkundungsfahrzeuge eine automatische Markiereinrichtung. Normierte Warntafeln werden mit einem Metallstab und einer mechanischen Aufrichthilfe - aus dem Innenraum gesteuert - abgeworfen.

Das Sammeln, Aufbereiten und Darstellen der Daten erfolgt auf zwei handelsüblichen gehärteten Notebooks (Hammerhead/10 Zoll) mit einem speziellen Datenkomprimierungsprogramm, welches es ermöglicht, gleichzeitig alle Sensoren inklusive (Differenzial-)GPS-Daten einzulesen und die Daten sowohl für den Systembediener ("Operator") als auch den Kommandanten zu visualisieren.

Die Fahrzeugbesatzung besteht aus einem Kommandanten, einem Kraftfahrer, einem Systembediener und einem Bordschützen/Probenentnehmer. Wenn es die Lage erfordert, kann pro Fahrzeug eines der Besatzungsmitglieder über ein Schleusensystem aussteigen, ohne den ABC-Schutz für die restliche Mannschaft aufgeben zu müssen. Jene Person, die das Fahrzeug verlassen hat, verbleibt nach Wiedereinstieg bis zum Erreichen des Dekontaminationsplatzes im Schleusenbereich.

Grundsätzlich wird die ABC-Aufklärungsgruppe im Rahmen der ABC-Erkundung geschlossen eingesetzt. Während die Erkundungsfahrzeuge Messtätigkeiten durchführen, sammelt das Führungsfahrzeug die Messergebnisse, vervollständigt diese und leitet sie an die ABC-Melde- und Auswertestelle des ABC-Aufklärungszuges weiter. Die Wetterdaten werden ebenfalls vom Führungsfahrzeug ermittelt.

Sind Tätigkeiten außerhalb des Fahrzeuges im kontaminierten Gebiet durchzuführen (darunter fallen unter anderen die ABC-Probenentnahme oder ABC-Erkundungstätigkeiten innerhalb von Gebäuden), so bildet die ABC-Aufklärungsgruppe durch Absitzen je eines Soldaten einen Außentrupp zur Durchführung des Auftrages. Dieser kann, wenn es die Lage erfordert, mit schwerem Atemschutz ausgestattet werden. Es sind dadurch auch Einsätze bei hohen Gefahrstoffkonzentrationen in sauerstoffarmer Umgebung und bei unbekannten Gefahrstoffen möglich.

Im Rahmen der ABC-Beobachtung können die Fahrzeuge auch einzeln, entweder stationär in ABC-Mess- und Beobachtungsstellen oder mobil entlang von Bewegungslinien, eingesetzt werden. Kommt es jedoch zu einem Einsatz oder einer Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen, so führt die ABC-Aufklärungsgruppe im Rahmen der ABC-Erkundung den Einsatz geschlossen durch, um möglichst rasch Kontaminationsgrenzen festzustellen und dadurch eine Kontamination der Truppe zu vermeiden.

Die Ausbildung am System ACAufklATF "Dingo" 2 beträgt drei Wochen und wird seit 2009 an der ABC-Abwehrschule durchgeführt. Die praktische Ausbildung mit chemischen Kampfstoffen erfolgt in der Tschechischen Republik auf dem Übungsplatz VOP-26 ©ternberk in der Nähe der Garnisonsstadt Vyskov.

Auf einen Blick

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die Geräteausstattung zur Detektion von chemischen Gefahrstoffen vor allem im Bereich der ABC-Abwehrtruppe sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr gut ist. Im Bereich der ABC-Abwehr aller Truppen fehlt die quantitative Ausstattung mit geeigneten Messgeräten (z. B. ECAM) auf der Ebene Einheit. Weiters ist die fehlende Möglichkeit zur Detektion von chemischen Gefahrstoffen zivilen Ursprungs im Bereich der ABC-Abwehr aller Truppen und der ABC-Spürgruppe eine Lücke, die es künftig zu schließen gilt.


Autor: Hauptmann Mag.(FH) Gernot Wurzer, MBA, Jahrgang 1976. Nach HTL-Abschluss und Absolvierung der Theresianischen Militärakademie Ausmusterung 2001 an die ABC-Abwehrschule. Nach verschiedenen Dienstverwendungen Tätigkeit in der Lehrabteilung als Hauptlehroffizier ABC-Aufklärung.

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