Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

"Diese Nation hat sich nicht aufgegeben"

Öffentlicher Auftritt von Efrem Cattelan, dem Chef der P 26 - Details zur Geheimorganisation

Am 25. Februar 2006 referierte in Zürich Oberst i. Gst. Dr. Efrem Cattelan über das Projekt 26 (P-26), das er von 1979 bis 1990 geleitet hatte. Er sprach dabei nicht von einer "Geheimarmee". Vielmehr verwendete er den Begriff "Kaderorganisation für den Widerstand im feindbesetzten Gebiet".

Efrem Cattelan, der spätere Chef der Widerstandsorganisation P-26, wurde im Jahre 1931 geboren. Er besuchte das Gymnasium in Basel und studierte dort an der Universität Rechtswissenschaften. Nach der Promotion zum Dr. iur. diente er von 1958 bis 1965 in der Infanterieschule Liestal als Instruktor. Bis 1972 war Dr. Cattelan dann an der Offiziersschule in Bern tätig. Von 1972 bis 1979 gehörte er dem Direktorium der Nationalversicherung an. Von 1979 bis 1990 führte er das Projekt 26 unter dem Codenamen "Rico". Sein Büro an der Freiestraße in Basel lief unter der Tarnfirma Consec AG für Personal- und Kaderschulung. Als Milizoffizier führte Oberst i. Gst. Dr. Cattelan das Baselbieter Infanterieregiment 21.

Der 75-jährige Dr. Cattelan trat in beeindruckender Frische im Rahmen einer Tagung auf, welche die Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen (GMS) organisiert hatte. Rund 250 Personen kamen in den Genuss der detaillierten Darstellung eines Geheimprojektes, das 1990 die Gemüter heftig bewegt hatte, nachdem es bekannt geworden war.

Recht auf Widerstand

Einleitend hielt Dr. Cattelan das Recht auf Widerstand fest: "Die widerrechtliche Besetzung eines Landes ist Gewaltanwendung. Die natürliche Reaktion ist Widerstand. Folgerichtig haben deshalb auch die Vereinten Nationen in ihrer Charta im Artikel 51 das Recht auf Widerstand als Naturrecht bezeichnet." Ebenso anerkenne die Genfer Konvention Widerstandsorganisationen im Rahmen des Kriegsvölkerrechts als rechtsmäßig: Die Konvention verleihe den Mitgliedern unter klar definierten Voraussetzungen den Status von Kombattanten.

Hoher Stellenwert

Der Schweizer Bundesrat habe - führte Dr. Cattelan weiter aus - am 27. Juni 1973 in seinem Bericht zur Sicherheitspolitik in Ziffer 426 ausdrücklich postuliert: "Eine Besetzung des Landes darf nicht das Erlöschen jeden Widerstandes bedeuten. Alle Möglichkeiten, den aktiven Widerstand vorzubereiten, müssen frühzeitig wahrgenommen werden. Ebenso hat der gewaltlose Widerstand der Bevölkerung einen hohen moralischen Stellenwert."

Dreifacher Auftrag

Solange das Projekt 26 bestand, änderte sich der Auftrag grundsätzlich nicht. Er wurde lediglich im Januar 1980 und im September 1981 überarbeitet. Laut Dr. Cattelan lautete dieser Auftrag immer: 1. Aufbau einer Kaderorganisation, ergänzt mit Fachspezialisten.

2. Beschaffung sowie Bereitstellung von Ausrüstung und Material.

3. Sicherstellung der Führung und der Verbindungen, eventuell auch aus dem Ausland.

Das Ziel lautete: Die Wiederherstellung der Schweiz in freiheitlicher Ordnung und in ihren bisherigen Grenzen.

Wie der Fisch im Wasser

Widerstand richtet sich, so Dr. Cattelan, gegen die Besetzungsmacht und ihre Helfer, gegen die neue Regierung, gegen die Verwaltung und gegen Kollaborateure. Widerstand entsteht dann aber auch gegen die Widerstandsorganisation, gegen Sympathisanten und Gesinnungsfreunde. Zwischen diesen beiden Polen liegt die schweigende Mehrheit. Um den Einfluss in ihr ringen die beiden Lager. Gemäß Mao Tse-tung muss sich der Widerstandskämpfer im Volk bewegen können "wie der Fisch im Wasser".

Politik und Militär

Für Dr. Cattelan findet Widerstand inmitten der Bevölkerung statt, nicht in einem Réduit: "Widerstand ist primär kein militärischer Auftrag, sondern eine politische Aufgabe. Politische und militärische Fragen sind nicht zu trennen. Es liegt eine Einheit vor - mit Priorität der Politik." Laut Dr. Cattelan steht die psychologische Kampfführung im Vordergrund: "Ohne das innere Engagement fehlt die psychische Voraussetzung und die Kraft zum Handeln aus Überzeugung. Die Menschenführung ist aber vorrangig keine militärische, sondern eine politische Aufgabe. Widerstand ist ein strategisches Mittel in der Hand der politischen Führung, wenn auch das schwierigste und letzte."

Rund 400 Mitglieder

Die P-26 war in Urzellen gegliedert, die über das ganze Land verteilt waren. Ihre Mitglieder wurden nach dem Wohnortprinzip rekrutiert. Die Urzellen hielten unter sich aber keine Verbindung. Jede arbeitete für sich, koordiniert durch den Führungsstab. Die Urzellen waren in Kleingruppen organisiert. Nur in diesen Gruppen kannten einander die Mitglieder. Lediglich der Chef einer Kleingruppe kannte seinen nächsten Vorgesetzten.

Die Kader wurden durch Fachspezialisten ergänzt, deren Ausbildung unter einer Besatzung nicht mehr möglich gewesen wäre. Dr. Cattelan bildete zwei identische Führungsstäbe. Der erste hätte so lange wie möglich von Standorten in der unbesetzten Schweiz aus geführt. Der zweite hielt sich bereit, im Ausland dort einen Standort zu beziehen, wo es die legitime politische Führung für zweckmäßig erachtete. Das alles ergab einen Plan-Soll-Bestand von etwa 800 Mitgliedern. Davon waren 1990 bei der Auflösung rund 400 rekrutiert und teilweise oder ganz ausgebildet.

Die P-26 beschaffte Mittel wie Funkausrüstung, Waffen, Munition, Sprengstoff, Geld und Sanitätsmaterial. Das Material wäre erst auf Befehl des Generalstabschefs an die Urzellen abgegeben worden.

Wahl des Chefs

Den Chef, "eine Person von charismatischer Bedeutung", hätte der Bundesrat gewählt. Wie Dr. Efrem Cattelan in Zürich betonte, wäre nicht er das gewesen.

Die Ausweitung der Kaderorganisation in die operative Widerstandsorganisation wäre erst auf Befehl der politischen Führung im Besetzungsfall erfolgt. Laut Dr. Cattelan hätte dieser Schritt eine Zeitdauer von mehreren Monaten beansprucht.

Wie Cattelan ausführte, hätte das Führen des Widerstandes einen zweiten Befehl der politischen Führung erfordert: "Dieser zweite Befehl hätte zeitlich nicht unbedingt mit dem ersten zusammenfallen müssen."

Eine Art Hydra-System

Zur Struktur hielt Cattelan fest, es gebe nur wenige Möglichkeiten, eine Widerstandsorganisation aufzubauen: "Es braucht Verbindungen zwischen den Führungsstäben und der politischen Führung einerseits und den Widerstandsgruppen anderseits. Die Gruppen, der Führungsstab und die politische Führung benötigen Nachrichten. Koordiniert mit der Information und der Propaganda wird der psychologische Kampf geführt. Meldungen, Material und Menschen müssen transportiert werden können. Erst in einer späteren Phase kann gewaltsamer Widerstand, also Sabotage, verantwortet werden, will man nicht ein zu großes Risiko der Kontraproduktivität eingehen. Notwendig sind personelle Reserven: eine Art Hydra-System." Nach Dr. Cattelans Worten bestand eine strenge Finanzkontrolle. Im Gefolge der Bachmann-Schilling-Affäre wurden die Kontrollen verfeinert und verschärft: "Diese Anstrengungen zeitigten Früchte. So konnte verlorenes Vertrauen wieder aufgebaut werden. Und auch die Kontrollen bei der Liquidation des Projektes förderten keine Unregelmäßigkeiten zu Tage." Für die P-26 seien nur "in jeder Hinsicht unauffällige, vertrauenswürdige, besonders aber selbstständige und belastbare Personen" in Frage gekommen: "Sie sollten weder charakterlich, beruflich, gesellschaftlich, politisch, sportlich oder militärisch auffällig sein. Wir suchten geeignete, unauffällige Durchschnittsbürger."

Heikle Gratwanderung

So seien Parlamentarier, Heereseinheitskommandanten, Wirtschaftsführer, Funkamateure, aber auch Alkohol- und Drogengefährdete sowie Ich-Bezogene und Selbstdarsteller aus der Wahl gefallen. Die Mitglieder mussten am Ende ihrer Dienstpflicht stehen oder dienstfrei sein.

Wie Dr. Cattelan ausführte, bewährte sich das System, dass jeder Vorgesetzte seine Mitarbeiter selbst auswählte. Die Projektleitung unterstützte die Chefs mit Sicherheitsabklärungen und graphologischen Gutachten. Bei ihr lag auch die Schlussentscheidung. Die Rekrutierung sei aber stets eine heikle Gratwanderung gewesen: "Nur schrittweise konnte der Schleier des Geheimnisses gelüftet werden. So vermieden wir, dass bei abgebrochenen Rekrutierungen Wissen diffundieren konnte." Dr. Cattelan schloss mit den Worten: "Es wäre eine Illusion zu glauben, 1 000 Leute könnten erreichen, was 100 000 nicht verhindern konnten. Aber de Gaulle und Tito wiesen uns den Weg." Im Widerstand gehe es darum zu beweisen: "Diese Nation hat sich nicht aufgegeben." ___________________________________ ___________________________________ Autor: -fo- Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen für den österreichischen Leser aufbereiteten Nachdruck des gleichnamigen Beitrages über die Schweizer Geheimorganisation P-26 aus der Zeitschrift Schweizer Soldat, Heft 4/2006.

___________________________________ ___________________________________

Hintergründe zur Geheimorganisation P-26

In der Zeit des Kalten Krieges vertraute auch die Schweiz - trotz Neutralität - nicht darauf, im Falle eines Angriffes des Warschauer Paktes verschont zu bleiben. Für den Fall einer feindlichen Besatzung bestand daher der Plan, sich nicht einfach dem Schicksal zu fügen, sondern Widerstand zu leisten. Dafür war unter anderem die Geheimorganisation P-26 (Projekt 26) als "Kaderorganisation für den Widerstand im feindbesetztem Gebiet vorgesehen". Sie sollte primär in der Schweiz, notfalls aber auch von einem anderen Land aus, von wo es die legitime politische Führung für zweckmäßig erachtete, den Widerstand in der besetzten Schweiz organisieren und führen.

Der Name der Geheimorganisation P-26 (Projekt 26) leitet sich laut Korpskommandant Jörg Zumstein, Generalstabschef der Schweizer Armee in den Jahren 1981 bis 1985, von der entsprechenden Ziffer im Sicherheitspolitikbericht 1973, Absatz 426, ab. Darin sind der Wille und der Auftrag zum bewaffneten Widerstand im feindbesetzten Gebiet festgeschrieben. Als Vorläuferorganisation der Geheimorganisation Projekt 26 (P-26) gilt der streng geheime Spezialdienst D, der seit 1976 von Oberst Albert Bachmann von der Untergruppe Nachrichtendienst (UNA) der Schweizer Armee geführt wurde. Im Gefolge der Bachmann-Schilling-Affäre geriet der Spezialdienst D aber in die Schlagzeilen und musste deshalb grundlegend reorganisiert werden.

Im November 1979 wurde der Betriebsberater Kurt Schilling in der Nähe von Wien verhaftet, nachdem er - mit Feldstecher und Fotoapparat ausgerüstet - im Manövergebiet eine Raumverteidigungsübung des Österreichischen Bundesheeres ausgespäht und sich dabei sehr auffällig verhalten hatte. Als Auftraggeber nannte er Oberst Bachmann. Schilling wurde verurteilt und in die Schweiz abgeschoben, wo er - aufgrund seines Geständnisses über den streng geheimen Spezialdienst D gegenüber den Österreichern - gleich noch einmal verurteilt wurde.

Dadurch wurde bekannt, dass Oberst Bachmann einen privaten Geheimdienst aufgezogen und über Tarnfirmen Hotels in Irland und Grundstücke in Kanada gekauft hatte. Sie waren im Besatzungsfall für eine Schweizer Exilregierung vorgesehen. Unter dem Decknamen "Schwarze Hand" gab es auch einen intensiven Informationsaustausch des Spezialdienstes D mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Die damit verbundene Neutralitätsverletzung machte Oberst Bachmann vollends untragbar.

Nach der Bachmann-Schilling-Affäre wurde die Organisation nicht mehr als Privatarmee geführt, sondern wegen der entstandenen Vertrauenskrise direkt dem Generalstabschef Korpskommandant Jörg Zumstein unterstellt und damit in die staatlichen Machtstrukturen eingebunden. Die Führung über die Geheimorganisation übernahm 1979 Oberst i. Gst. Dr. Efrem Cattelan, der sie bis zur Auflösung 1990 führte.

Neben der P-26 existierte auch noch eine Geheimorganisation P-27, die ein außergewöhnliches Beziehungsnetzwerk zu ausländischen Persönlichkeiten unterhielt.

-si-

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle