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Führen ist mehr als ein Job

Eine der Hauptaufgaben militärischen Kaders ist das Führen. Dies bedeutet aber nicht nur, Ziele vorzugeben. Kommandanten müssen den von ihnen geführten Menschen die nötigen Ausbildungsinhalte vermitteln und ihnen den Sinn ihres Handelns klar machen. Denn Führung bedarf des Vertrauens der Geführten. Militärisches Führen ist deshalb ein laufender Prozess, der Autorität, Herzens- und Gewissensbildung erfordert. Auch das unterscheidet die Kommandantentätigkeit von vielen anderen Berufen.

Rekruten wurden gefesselt, bekamen einen Sack über den Kopf gestülpt und landeten danach im Schlamm. Im Zuge der Ausbildung zum Thema "Verhalten bei Geiselnahme" brachten u. a. in Freistadt einige Vorgesetzte sichtlich falsche Methoden zur Anwendung. Der so genannte "Bundesheerskandal" rund um diese Ausbildungsmethoden ist inzwischen Geschichte. Das darf - bezogen auf das Führungsverhalten - aber nicht dazu verleiten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, und einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Die gestellten Geiselnahmen fallen zwar nicht unter Folter, waren aber zum Teil Verstöße gegen gültiges Recht sowie gegen pädagogische und didaktische Grundsätze (siehe Kasten) - auch wenn Betroffene all das freiwillig über sich ergehen ließen. Derartige Übergriffe waren Einzelfälle - Gott sei Dank. Doch gerade deshalb ist zu hinterfragen, warum es dazu kam. Die Ursache ausschließlich beim beteiligten Kader zu suchen, wäre zu einfach, denn es besteht doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das Kaderpersonal in guter Absicht gehandelt hat und überzeugt war, eine richtige Methode zur Erreichung eines Ausbildungszieles anzuwenden.

Entspricht also unser Führungsverhalten (auch in der Ausbildung) den Anforderungen? Sind uns die Dimensionen des Führens noch hinreichend bewusst? Oder blieben Defizite, Mängel und Versäumnisse in der Kadererziehung verborgen? Haben wir Veränderungen der Gesellschaft realisiert, oder handeln wir am Ende bereits an den derzeitigen Bedürfnissen der Gesellschaft vorbei?

Oberflächlichkeit und Heroismus als Verhaltensmuster?

Anscheinend kam es in Freistadt und in anderen Garnisonen zu oben beschriebenen - potenziell gefährlichen (siehe Kasten Gefahr Panikreaktion) - Methoden, ohne dass diese ausreichend hinterfragt bzw. dagegen eingeschritten wurde. Es muss demnach eine Haltung Platz gegriffen haben, die dieser Vorgangsweise entgegenkam und die nicht zuletzt in der Gesellschaft zu liegen scheint. Der Mensch in der heutigen "Fun-Gesellschaft" ist oberflächlich geworden. Er ist sich in vielen Fällen der Tragweite seines Handelns kaum bewusst und macht sich auch keine weiteren Gedanken darüber. Zusätzlich werden mit zunehmendem Wohlstand und Lebensstandard gesellschaftliche, ethisch-moralische Wertvorstellungen, die bislang im Konsens anerkannt waren und als unumstrittene Orientierung galten, rasant abgebaut. Beinahe um jeden Preis wird rationalisiert, umstrukturiert, effektiviert und leistungsoptimiert. Auftrags- und Leistungsorientierung lassen den Menschen glauben, er müsse "auf Knopfdruck funktionieren", weil ansonsten z. B. seine Karriere in Frage gestellt sein könnte. Auch das Österreichische Bundesheer als Teilsystem der Gesellschaft kann sich diesen Tendenzen kaum entziehen.

Der junge Mensch stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens und sucht nach Werten, an denen er Orientierung finden kann. Viele übernehmen dabei Verhaltensmuster, die ihrem seelischen Zustand entgegenkommen, aber keineswegs wirkliche Antworten auf ihre Fragen sind, sondern diese nur verdrängen. Diese Verhaltensmuster erscheinen auf den ersten Blick plausibel und vermitteln das Gefühl eigener Stärke sowie Selbstbewusstsein. In Filmen und Spielen frei nach "Rambo", "Terminator" und "Herr der Ringe" wird ein "Heldentum" vermittelt, das zwar durchaus den Werten des humanistischen Menschenbildes entspricht: Ehre, Mut, Tapferkeit, Treue und Selbstaufopferung. Nur werden diese im Handlungsverlauf nicht sonderlich reflektiert, vielmehr stehen die Mittel im Vordergrund, mit denen die Werte durchgesetzt werden. Das sind in erster Linie Macht und Gewalt, die so dargestellt werden, als wären sie in jedem Fall für den "guten Zweck" legitim. Das wird als "cool" empfunden, als "richtiges" Verhalten übernommen und nachgeahmt.

Dem Soldaten von heute ist daher - deutlich mehr als früher - der Sinn seiner Aufgabe klar zu machen. Ein Befehlen - im Irrglauben, damit bereits motiviert und überzeugt zu haben - reicht nicht! An das Führen und Erziehen werden demnach höhere Anforderungen gestellt. Ob der Kader hiezu ausreichend ausgebildet wurde, ist zu hinterfragen.

Grundlagen des Führens

Führen hat seine Grundlage im Verhältnis von Autorität und Freiheit. Das Menschenbild, auf das sich unsere Gesellschaft beruft und das auch im Österreichischen Bundesheer vertreten wird, ist ein humanistisches. Der Mensch wird als ein eigenständiges, mit Vernunft ausgestattetes Wesen verstanden, frei und für sich einzigartig. Seine Freiheit ist allerdings keine absolute "Freiheit von …" sondern eine "Freiheit zu …". Das heißt, sie orientiert sich an Zielen, die (sich) Menschen gesetzt und akzeptiert haben, die sie aber auch wieder ablehnen oder ändern können. Das bedeutet: Autorität und Freiheit bedingen einander. Gefragt ist Gefolgschaft aus innerer Zustimmung und nicht nur Konformität, welche primär aus Angst vor Sanktionen zu einem bestimmten Verhalten führt.

Durch Führungsverhalten, Kommunikation, Motivation und Vertrauensbildung beeinflusst der Führer die Geführten. Wirkung wird aber nur dann erzielt, wenn die Geführten diesen Einfluss annehmen. Einfluss ist in diesem Fall in zweifacher Hinsicht zu verstehen: - als das Einwirken des Führers auf die Geführten und - als das Annehmen dieses Einflusses durch die Geführten.

Fehlt einer der beiden Bereiche, wird nicht bzw. niemand geführt.

Anerkannte Autorität und Gehorsam aus innerer Zustimmung müssen allerdings erst erworben werden. Das gilt auch für das Vertrauen als Bindeglied zwischen beiden.

Jeder neue Kommandant ist kraft des Gesetzes zunächst bloß Vorgesetzter, ausgestattet mit der nötigen Macht, seinen Willen durchzusetzen. Er führt formal, und die Untergebenen verhalten sich konform. Das heißt, sie handeln und gehorchen, weil sie wissen, dass ihnen ansonsten Sanktionen drohen. Um Autorität zu erlangen, müssen die Geführten bewegt werden, aus innerer Zustimmung zu handeln. Sie sollen gehorchen, weil es der bestimmte Vorgesetzte ist, der auf sie Einfluss nimmt. Deshalb muss der Führer seinen Geführten Respekt zollen und ihnen die Freiheit zur inneren Zustimmung gewähren. Er soll ihnen das Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden, ein Mitglied in der Gruppe zu sein, dessen Meinung ernst genommen wird und das auch seine eigenen Ideen einbringen kann. Der Geführte wird so dem Vorgesetzten im Laufe der Zeit das nötige Vertrauen entgegenbringen. Dies ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein laufender Prozess - Autorität muss beinahe täglich erkämpft werden.

Führen, Erziehen, Ausbilden

Im Wesentlichen lassen sich aus dem Führungsbegriff im Österreichischen Bundesheer (vgl. Dienstvorschrift für das Bundesheer, Militärische Begriffe - MiB, Pkt. 258) drei grundlegende Elemente herauslesen: - Das Element Führen, um Menschen Ziele zu setzen und sie zu veranlassen, diese gemeinsam zu erreichen. Über die funktionale Sichtweise hinaus bedeutet Führen Verantwortung, Vorbildwirkung, moralischer Charakter, Verhalten, Haltung, Stil und nicht zuletzt Bildungsaufgabe am Menschen.

- Das Element Erziehen, um Menschen zu Haltung, Bildung und selbstständiger Handlungsfähigkeit hinzuführen und zu verantwortungsbewusstem Handeln anzuhalten. Unter diesem Aspekt schließt Führen, ob man sich dessen bewusst ist bzw. das will oder nicht, immer auch pädagogisches Handeln ein.

- Das Element Ausbilden, um Wissensinhalte zu vermitteln, die zur Auftragserfüllung (vor allem im Einsatz) notwendig sind. Wissensvermittlung hat mit Persönlichkeitsbildung zu tun und lässt sich von dieser nicht trennen. Ausbilden ist daher immer auch Erziehen und somit pädagogisches Handeln.

Diese Elemente hängen wechselseitig voneinander ab und wirken aufeinander ein. Ihre sinnvolle Verknüpfung führt zu drei Dimensionen, die - durchaus flexibel - zusammenhängen (vgl. Royl, Wolfgang: Zur erziehungswissenschaftlichen Rekonstruktion der Militärpädagogik. In: Royl, Wolfgang und van Trotsenburg, Edmund A. (Hrsg.), Studien zur Verteidigungspädagogik, Militärwissenschaft und Sicherheitspolitik. Band 1 Militärpädagogik, Verlag Peter Lang, Frankfurt 1989, S. 44 ff).

- Die Identitätsdimension verbindet Führen mit Erziehen und soll soldatische Identität entwickeln. Der Soldat soll letztlich aus freien Stücken zu seiner Aufgabe stehen und nicht einfach seinen Dienst mehr schlecht als recht absolvieren. Der militärische Führer wird gerade aus dieser Sicht erlebt, denn der Soldat erkennt rasch, ob dieser eine integere Führerpersönlichkeit ist oder seine Rolle nur halbherzig ausführt. Sollen Führen und Erziehen gelingen, muss sich der zu Führende mit dem Führer identifizieren und ihn annehmen können.

- Die Gegenstandsdimension soll das zur Zielerreichung notwendige Wissen und Können vermitteln. Diese sind (Stichworte: Fach, Gegenstand, Lehrinhalte, …) eindeutig zu beschreiben und zu definieren. Über die zu vermittelnden verbindlichen Lehr- und Lerninhalte kann es keinen Diskurs geben.

- Die Zieldimension verbindet Führen und Ausbilden als Konsens bzw. als die legitimationsstiftende Basis, als Richtschnur und als gemeinsame Spielregel, an der sich alle Handlungen im Ordnung stiftenden Sinn zu orientieren haben.

Anders dargestellt bedeutet das: - Führen und Erziehen bedürfen stets eines Zieles und müssen auf etwas Bestimmtes hin ausgerichtet sein. Der Führer muss sich klar darüber sein, wie sein Geführter sein soll. Das ist die Zieldimension.

- Diese führt zur Frage, was sich der Geführte dazu an Wissen und Können anzueignen hat bzw. welche Gegenstände wie vermittelt werden müssen, um ihn zum Ziel hinzuführen. Das ist die Gegenstandsdimension.

- Das alles wird nicht möglich sein, wenn die Vertrauensbasis fehlt, der Vermittelnde als Führer und Erzieher nicht anerkannt ist und sich der "Schüler" mit ihm nicht identifizieren kann. Der "Schüler" muss ihm, kurz gesagt, glauben können. Das ist die Identitätsdimension.

Führen bezieht sich keineswegs nur auf die organisatorischen Gegebenheiten. Auch die Geführten sind Persönlichkeiten. Führen muss sich daher letztlich auf deren gesamten Lebensbereich erstrecken. Die Führer haben ihre Geführten demnach nicht nur durch den militärischen Alltag, sondern auch durch das Leben zu führen, zumindest solange sie ihnen anvertraut sind.

Die Ereignisse von Freistadt lassen nicht ausschließen, dass diesbezüglich Defizite vorhanden sind. Sie sollten Anlass sein, wieder mehr in die oben beschriebene Richtung zu denken, denn heute hört man von Erziehen nur mehr wenig. Führen hat dem rationellen Managen Platz gemacht und Ausbilden wurde weitgehend durch Improvisieren ersetzt.

Erzieherische Maßnahmen

Erziehen bleibt ein wesentlicher Teil des Führens, denn es reicht nicht, die Ziele vorzugeben, man muss auch den Sinn des Handelns klar machen und demgemäß die nötigen Lerninhalte vermitteln. Manche Maßnahmen dazu sind gerechtfertigt, andere nicht.

Stets gerechtfertigt sind erzieherische Maßnahmen wie das Einfordern von Disziplin, das Einfordern des Prinzips von Befehl und Gehorsam sowie Maßnahmen zur Motivation. Die Lerninhalte sind zielorientiert festzulegen und deren Vermittlung hat nach den Grundsätzen der Didaktik zu erfolgen, z. B. nach dem Grundsatz der Angemessenheit der Methode.

Man kann nicht ausbilden oder erziehen, ohne zu wissen wozu. Das Militär und seine Führungskräfte müssen sich daher fragen "Welchen Soldaten wollen wir?" und "Was muss er dazu können?" Danach wird überlegt, wie man das am besten verwirklicht. Dazu braucht man Ziele und eine entsprechende Methode, im Bundesheer "Ausbildungsmethodik" genannt. Diese muss in einem vernünftigen Verhältnis zur Zielerreichung stehen und angemessen sein. Man kann Menschen zu dem, was sie erreichen sollen, überspitzt formuliert, "hinprügeln". Man kann es aber auch mit Einsicht und Motivation versuchen.

Im Militär ist Disziplin nötig. Eine Armee, die schlagkräftig und rasch einsetzbar sein soll, braucht Regeln, die allgemein anerkannt sind und die befolgt werden müssen. Um z. B. das Prinzip von Befehl und Gehorsam durchzusetzen, sind entsprechende erzieherische Maßnahmen gerechtfertigt. Diesbezüglich scheint es allerdings ein Defizit zu geben: Anscheinend wird heute Gehorsam nicht mehr geleistet, weil eine bestimmte Person etwas anordnet, sondern weil ansonsten Sanktionen drohen. Das aber ist lediglich "konformes Verhalten". Ein Dienstbetrieb und eine Unternehmenskultur, die weitgehend auf das "Funktionieren" ausgerichtet zu sein scheinen, fördern das offenbar.

Es gibt allerdings auch Maßnahmen wie Anzipf, Schikane und Misshandlung.

"Der" oder "Das zipft mich heute schon wieder ganz schön an!" hat wohl jeder Kadersoldat irgendwann einmal geflucht und somit selbst einen Anzipf erlebt. (Wahrscheinlich hat er selbst ebenfalls gelegentlich "gezipft".) Ein Anzipf richtet sich gegen die Befindlichkeit des anderen, ist aber keine Dienstverletzung und an sich nichts Böses. Man will etwas Bestimmtes erreichen, ohne gleich "massive" Maßnahmen anzuwenden, und wird dem anderen einfach lästig.

Schikane hingegen ist es, wenn in Rechte des anderen eingegriffen wird oder wenn eigene Rechte missbraucht bzw. überschritten werden. Einem ganzen Zug die Ausgangserlaubnis zu verweigern, weil sich ein Soldat falsch verhalten hat, fällt z. B. unter Schikane. Denn Kollektivstrafen sind verboten. Sie entsprechen nicht dem Prinzip gerechter Behandlung. Schikane muss nicht unbedingt gegen das Strafgesetz verstoßen, sie ist jedoch immer eine Verletzung von Dienstpflichten.

Misshandlung liegt vor, wenn jemandem (vorsätzlich oder fahrlässig), etwa im Zuge einer Schikane, körperlicher oder seelischer Schaden zugefügt wird. Misshandlung ist immer ein Verstoß gegen das Strafgesetz, ebenso die Verletzung der Menschenwürde oder menschenunwürdige Behandlung. Deshalb sind diesbezügliche Befehle auch nicht auszuführen, sondern zur Meldung zu bringen.

Auch das, was scheinbar ungefährlich aussieht, ist oftmals keineswegs harmlos. Hat jemand einen Sack über dem Gesicht, kann man z. B. nicht mehr erkennen, ob ihm schlecht wird. Der Soldat könnte bewusstlos werden oder einen Kreislaufkollaps erleiden, und niemand würde es rechtzeitig bemerken. Auch eine - im Extremfall lebensgefährliche - Panikreaktion ist möglich.

Gefahr Panikreaktion

Die zu Recht beanstandete Ausbildung in Freistadt lässt sich, wie jede Übung, mit einem psychologischen Experiment vergleichen. Versuchspersonen, hier die Soldaten, wurden durch Testpersonen, hier die Ausbilder, in eine (Körper und Psyche außerordentlich belastende) Stresssituation versetzt - hier allerdings durch Laien und ohne Versuchsanordnung, das heißt ohne klare Regeln, wann die Aktion abzubrechen ist. Weil man nie sicher weiß, wie der Einzelne, vor allem der unerfahrene Ausbilder, reagiert, und es z. B. aufgrund der übergestülpten Säcke nicht erkennbar war, wie es um den physischen und psychischen Zustand der teilnehmenden Soldaten stand, war diese Vorgangsweise zumindest potenziell gefährlich. Muss so etwas dennoch durchgeführt werden, dann nur mit erfahrenen Ausbildern (Spezialkenntnisse) und mit einem erfahrenen Arzt bzw. Psychologen, der die Aktion jederzeit beenden kann.

Warum das? Die menschliche Psyche und der Körperorganismus unterliegen einer engen wechselseitigen Abhängigkeit. Alles, was mit dem Körper geschieht oder was dieser tut, hat Auswirkungen auf Gehirn und Psyche - und umgekehrt. Kommt jemandem z. B. ein Geisterfahrer entgegen, so führt dies in Gehirn und Psyche zu "Erschrecken und Angst". Der Körper reagiert daraufhin mit der Ausschüttung des Hormons Adrenalin und erhöht damit den Erregungszustand und die Aufmerksamkeit. Der Kreislauf wird beschleunigt und Angstschweiß bricht aus. Daraufhin reagiert nun wieder das Gehirn, indem es diesen Zustand interpretieren bzw. erklären und die Adrenalinausschüttung beenden kann. Dazu braucht das Gehirn die Wahrnehmung der Außenwelt bzw. den Kontakt zu ihr.

Wird dieser jedoch unterbrochen, etwa durch Überstülpen eines Sackes, kann das Gehirn möglicherweise den Adrenalinausstoß bzw. den Erregungszustand nicht mehr erklären. Dann kann es zu einer so genannten "Panikreaktion" kommen: Der bereits erfolgte Adrenalinausstoß ist gleichsam der Auslösereiz für einen weiteren Ausstoß, weitere Körpererregung sowie zur Kreislaufbeschleunigung. Dieser Vorgang - ebenso wenig erklärbar wie der vorhergehende - führt zu einer weiteren Adrenalinausschüttung. Das kann sich im schlimmsten Fall solange fortsetzen, bis es das Herz nicht mehr aushält und der Tod eintritt. Die dabei entstehenden Ängste führen beim Betroffenen zu einer nicht mehr beherrschbaren Panik und Lähmung. Er ist somit nicht mehr in der Lage, sich entsprechend bemerkbar zu machen. Besonders gefährlich ist es, wenn der Betroffene - es ist dabei ziemlich unerheblich, ob es sich hiebei um Rekruten oder um einen Freiwilligen handelt - von der Kindheit her ein Trauma oder eine Phobie hat, die er bislang vielleicht selbst nicht kannte. Niemand kann das von sich aus ausschließen.

Herzens- und Gewissensbildung

Es genügt nicht, zu sagen, der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen. Zu leicht kann dann seine Objekthaftigkeit in den Vordergrund gerückt und er so der Willkür von "Managern" preisgegeben werden. Kommandanten müssen ihre Soldaten in ihrer vollen Persönlichkeit annehmen und diesen einen zu ihrer Weiterentwicklung notwendigen Freiraum belassen.

Aufgrund neuer Bedrohungen und den damit verbundenen Einsatzanforderungen kann es aber notwendig werden, Ausbildungsmethoden anzuwenden, die an die Grenze des menschlich Mach- und Zumutbaren reichen. Gerade weil künftige militärische Erfordernisse es verlangen, Härten auf sich zu nehmen, Spannungen und hohe Belastungen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit zu ertragen, müssen diese - etwa unter dem Motto "Train as you fight!" - auch in der Ausbildung abverlangt werden. Aber mit Maß und Ziel und immer so, dass die Soldaten dem gewachsen sind und damit zu Rande kommen können. Ausbildungen in Grenzbereichen dürfen aber nur durch dafür eigens ausgebildete Fachkräfte erfolgen.

Militärische Führer müssen sich stets des Menschenbildes, auf das ihr pädagogisches Handeln bezogen sein soll, bewusst sein. Sie müssen prüfen, ob sich ihr Handeln (noch) im Rahmen dieses Menschenbildes bewegt. Die von Kant gestellte Frage "Was ist der Mensch?" ist entscheidend, wenn es darum geht, mit Autorität und Freiheit richtig umzugehen. Auch wenn der Einzelne diese Frage kaum erschöpfend beantworen kann, enthebt ihn das nicht davon, nach der Antwort zu suchen und sein Handeln dementsprechend auszurichten. Er muss sich u. a. um das bemühen, was eine Autorität (die Freiheit erwartet und braucht) ausmacht, nämlich - Gerechtigkeit, - Verlässlichkeit, - Berechenbarkeit, - Sachlichkeit, - Maßgeblichkeit, - Glaubwürdigkeit, - Respekt und - Achtung vor dem Menschen.

Darüber hinaus sind das Bemühen um Haltung, Vorbildwirkung und Einfühlungsvermögen sowie die eigene Zurücknahme im Interesse der Geführten, aber auch Demut, Bescheidenheit und nicht zuletzt so etwas wie soziale Liebe erforderlich.

Es geht, wie es der Volksmund ausdrückt, um Herzenswärme, um Herzensbildung, die der militärische Führer ausstrahlen muss, will er den Ansprüchen der Autorität gerecht werden. Der Kommandant wird erst dann verantwortlich handeln, wenn er sich aus freien Stücken für die Freiheit des anderen entscheidet. Erst dadurch kann er sich in dessen Gedanken- und Gefühlswelt versetzen. Dieses Hineinversetzen ermöglicht ihm, die Geführten ernst zu nehmen, auf ihre Vorstellungen einzugehen, ihnen zuzuhören und für sie Geduld aufzubringen. Nur so wird seine Autorität berechenbar! An dieser Herzensbildung darf es nicht fehlen - militärisches Können und der Wille zur Leistung ist zu wenig. Menschen, denen die erforderliche persönliche Autorität abgeht, sollten nicht zum Führen eingesetzt werden.

Je höher der Dienstgrad, desto bescheidener sollten militärische Führer sein. Umso mehr sollten sie "über den Dingen stehen" und andere Meinungen gelten lassen. Autorität darf sich nicht gegen die Geführten richten, sondern muss für sie da sein. Das ist an sich nichts Neues. Gerade deshalb ist die Frage, warum oft nicht danach gehandelt wird, brandaktuell.

Das Prinzip der Freiwilligkeit und demokratische Beschlüsse alleine sind für internationale militärische Einsätze und die dort verlangten Handlungsweisen noch lange keine ausreichende ethisch-moralische Rechtfertigung. Der Soldat der Zukunft wird daher mehr denn je auf sein eigenes Gewissen achten müssen. Es ist daher auch nicht gleichgültig, wie Menschen mit Führungsverantwortung sich selbst und andere verstehen, nach welchen Kriterien sie Entscheidungen treffen und Befehle geben. Vieles mag im System geregelt sein, vieles liegt aber - gerade in einer modernen Armee - in der Eigenverantwortung der Führenden, z. B.

- "Was ist gut und demnach zu tun?" und - "Was ist böse und demnach zu unterlassen?" Das wichtigste Kriterium hiezu ist die Achtung vor dem eigenen Leben und dem Leben der anderen Menschen, und zwar als menschenwürdiges Leben in Freiheit.

Begriffe wie Gut, Böse, Menschenwürde, Freiheit, Gewissen, Person und Verantwortung scheinen aber kaum in die heute so verbreiteten "wertfreien", "formalen", "funktionalen" und "erfolgsorientierten" Denkschemata zu passen. Dies geht so weit, dass manchmal Tugenden, wie Gerechtigkeit oder Wohlwollen, nur hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für andere Ziele, etwa die Motivation zur Leistungssteigerung und Effizienz der Auftragserfüllung, anerkannt sind, aber nicht mehr als wertvolle, gute und daher sittlich gebotene Haltungen an sich.

Der Soldat darf nicht zur "Maschine" verkommen, die ausschließlich "funktioniert". "Rambos" und "Universal Soldiers" entsprechen nicht dem im Österreichischen Bundesheer angestrebten Menschenbild; diesbezügliche Tendenzen sind falsch. Gefragt sein sollten vielmehr kritisch urteilende, nach ihrem Gewissen handelnde Soldaten mit einer entsprechenden Gewissensbildung. Führungskräfte sollten das vorleben, ihren Mitarbeitern den dazu nötigen Freiraum belassen und sie entsprechend unterstützen.

_______________________________ ______________________________ Autor: Oberst Mag. Bernhard Meurers, Jahrgang 1949. Nach der Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie 1974 zum Stabsbataillon 7 (Klagenfurt) ausgemustert. Verwendungen als Zugs- und Kompaniekommandant sowie als Lehrgruppenoffizier an der Theresianischen Militärakademie. Ab 1989 Mobilmachungsoffizier im Landwehrstammregiment 73 (Villach) und Kommandant des Stabsbataillons 7 (mob); ab 1991 Lehroffizier und stellvertretender Referatsleiter des Hauptreferates III (Stabsdienst, Führungs- und Organisationslehre) an der Lehrabteilung der Landesverteidigungsakademie (Wien), seit 1997 Kommandant des Stabsbataillons 7. Informationsoffizier, Schulungsleiter für Rhetorikkurse sowie Studium der Pädagogik und Psychologie an der Universität Wien.

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