Das Milizsystem
Die rechtliche Verankerung des Milizsystems in der Wehrrechtsordnung.
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der veranlassten verfassungsgesetzlichen Verankerung des Milizprinzips für das Bundesheer wurde die entsprechende wehrrechtliche Ausgestaltung eines Milizsystems auf einfachgesetzlicher Ebene durchgeführt.
Formung des Milizsystems
Das vom Nationalrat am 26. Mai 1988 beschlossene Bundesgesetz, mit dem das Wehrgesetz 1978, das Heeresgebührengesetz 1985, das Heeresdisziplinargesetz 1985, das Gehaltsgesetz 1956 und das Vertragsbedienstetengesetz 1948 geändert werden (Wehrrechtsänderungsgesetz 1988), BGBl Nr. 342/1988, enthält somit in seinem Schwerpunkt und dem überwiegenden Teil seiner Bestimmungen die für die Formung des Milizsystems notwendigen gesetzlichen Grundlagen; doch auch die anderen Wehrrechtsänderungen in diesem Bundesgesetz weisen Zusammenhänge mit der Milizstruktur des Bundesheeres auf, die insgesamt eine deutliche Entwicklung des Wehrrechts zu einem dem Milizprinzip entsprechenden Normensystem erkennen lassen.
Status des Milizstandes
Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz 1988 wurden die Bestimmungen über das Wehrsystem insofern verändert, als der verfassungsgesetzliche Auftrag zur Einrichtung des Bundesheeres nach den Grundsätzen eines Milizsystems - ebenso wie schon bisher die verfassungsgesetzliche Aufgabenstellung des Bundesheeres - im einfachgesetzlichen Kontext wiederholt, zwischen einer Friedensorganisation und einer Einsatzorganisation unterschieden und neben dem Präsenz- und Reservestand der neue Status des Milizstandes geschaffen wurden.
Die Einsatzorganisation ist maßgebend
Die Friedensorganisation umfasst die ständig erforderlichen Organisationseinrichtungen des Bundesheeres, sie ist für die Vorbereitung von Einsätzen und die Abschlussmaßnahmen nach einem Einsatz sowie die Ausbildung verantwortlich.
Die Einsatzorganisation bildet den für den Einsatz notwendigen Organisationsrahmen. Der personelle und materielle Organisationsrahmen wird durch die Bundesregierung mit der jeweiligen Heeresgliederung bestimmt und mit den Organisationsplänen im Bundesheer im Detail umgesetzt.
Die Einsatzorganisation des Bundesheeres besteht überwiegend nicht aus ständigen Einrichtungen, sondern aus Truppen, die nur für bestimmte Zwecke, nämlich zu Übungen und Einsätzen zusammentreten. Der Einsatz des Bundesheeres ist daher nur über die Einsatzorganisation möglich. Eine darüber hinausgehende Inanspruchnahme ist nur als Hilfestellung im Rahmen der Ausbildung möglich, für die der Bedarfsträger eine Abgeltung bezahlen muss
Hinsichtlich der beiden genannten Organisationsbereiche ist im Sinne der Aufgabenstellung nach Art. 79 B-VG klargestellt, dass die Friedensorganisation der Einsatzorganisation zu dienen hat. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass sich System und Ausgestaltung der Friedensorganisation dieser Zweckbestimmung gemäß an den für die Einsatzorganisation maßgeblichen Kriterien zu orientieren haben.
Der Milizstand
Eine substantielle Änderung erfuhren die Bestimmungen über das Wehrsystem durch die schon erwähnte Schaffung des neuen Milizstandes, der neben den Präsenzstand und den Reservestand trat. Waren bisher für die Wehrpflichtigen nur die beiden zuletzt genannten Rechtsstellungen in Betracht gekommen, so bedingte die Ausprägung des Milizsystems einen weiteren Status, dessen Rechtsgehalt erst eine sachgerechte und rechtsstaatlich unbedenkliche Realisierung und Praktizierung dieses Systems erlaubt.
Der neue Milizstand bildet einen Rechtsstatus außerhalb des Präsenzstandes, der den Bedürfnissen des Milizsystems Rechnung tragt. Mit ihm wurden vor allem auch geeignete Rahmenbedingungen für freiwillige Leistungen geschaffen, von denen die Wirksamkeit eines Milizsystems in hohem Maße abhängig ist.
Versetzung in den Milizstand
Entsprechend dem Milizprinzip tritt grundsätzlich jeder Wehrpflichtige mit dem Abschluss seines vollständig geleisteten Grundwehrdienstes für die Dauer seiner Wehrpflicht kraft Gesetzes in den Milizstand über. Er wird aus diesem nur mangels Eignung oder mangels Bedarfs für die Einsatzorganisation in den Reservestand versetzt. Eine Versetzung aus dem Reservestand in den Milizstand kommt ohne Zustimmung des Wehrpflichtigen nur in den Fällen eines Einsatzes nach § 2 Abs. 1 lit. a bis c des Wehrgesetzes 2001 sowie zur unmittelbaren Vorbereitung eines solchen Einsatzes nach Maßgabe von Eignung und Bedarf in Betracht; ansonsten bedarf es für diese Versetzung in jedem Falle der Zustimmung des Wehrpflichtigen.
Einsatz in letzter Konsequenz
Die Verpflichtung zur Leistung von außerordentlichen Übungen und des Einsatzpräsenzdienstes in den Fällen des § 2 des Wehrgesetzes 2001 bleibt aber auch für die Wehrpflichtigen des Reservestandes in gleicher Weise wie bisher aufrecht. Diese Wehrpflichtigen bilden nämlich, ohne in einer Einrichtung der Einsatzorganisation unmittelbar eingeteilt zu sein, das Wehrpotential, das über den vorgesehenen Rahmen hinaus nach Maßgabe besonderer Bedarfssituationen eines Einsatzfalles zusätzlich bzw. ersatzweise heranzuziehen ist.
Im Hinblick auf das neue System von Milizstand und Reservestand wurde aber letzterer weitgehend von den bisher für die Reserve geltenden besonderen Verpflichtungen entlastet.
Die rechtliche Verankerung des Milizsystems in der Wehrrechtsordnung
Pflichten und Befugnisse im Milizstand
Hinsichtlich der Pflichten und Befugnisse im Milizstand wurden daher mit dem neuen Milizstand gesetzliche Verpflichtungen nur insoweit verbunden, als sie unbedingt notwendig erschienen.
Diese Verpflichtungen entsprachen im Wesentlichen dem schon bisher für die Reserve geltenden Pflichtenkreis, der sich in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam mit anderen wehrrechtlichen Strukturen der Milizkomponente des Bundesheeres entwickelt hatte. Der Schwerpunkt der Milizaktivitäten sollte jedoch in freiwilligen Leistungen der Wehrpflichtigen liegen.
Absicherung der Wehrpflichtigen
Das Wehrrechtsänderungsgesetz 1988 schuf gesetzliche Grundlagen für eine zweckmäßige und koordinierte Erfüllung militärischer Aufgaben im Milizstand, insbesondere im Verhältnis zu den ständig eingerichteten Kommanden und sonstigen Dienststellen sowie gegenüber Dritten, und zur notwendigen Absicherung Wehrpflichtiger hinsichtlich allfälliger gesundheitlicher Schädigungen bei solchen Tätigkeiten.
Im Einzelnen wurde diesbezüglich ein begrenztes System von Anordnungsrechten und Gehorsamspflichten für den Milizstand bzw. im Verhältnis zum Präsenzstand normiert. So wurde eine spezielle Regelung über die Möglichkeit, Anordnungen in Angelegenheiten einer Übungs- oder Einsatzvorbereitung bereits im Milizstand zu erteilen, aufgenommen; damit kann der für bestimmte Maßnahmen innerhalb einer Übung oder eines Einsatzes notwendige Zeitaufwand beträchtlich verkürzt werden.
Weisungsbefugnis
Durch eine weitere neue Regelung kann ein Soldat auf Grund eines Befehles des ihm vorgesetzten, für die Mobilmachung verantwortlichen Kommandos verhalten werden, den Anordnungen eines mit einer Kaderfunktion betrauten Wehrpflichtigen des Milizstandes Folge zu leisten; dies bewirkt insofern eine Unterstellung des Soldaten unter die Weisungsbefugnis (mit Befehlswirkung im Präsenzstand) des Wehrpflichtigen des Milizstandes.
Mitwirkungsmöglichkeiten
Für das breite Spektrum der "Freiwilligen Milizarbeit" wurden Bestimmungen geschaffen, die den Wehrpflichtigen des Milizstandes ein hohes Maß an Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Planung, Vorbereitung, Durchführung und beim Abschluss militärischer Übungs- und Einsatzmaßnahmen sowie bei der militärischen Fortbildung einräumen.
Maßnahmen der Freiwilligen Milizarbeit
Maßnahmen der Freiwilligen Milizarbeit sind im Hinblick auf eine entsprechende Koordinierung und Eingliederung der einschlägigen Planungen und Programme in übergeordnete Konzepte durch das für die Mobilmachung verantwortliche Kommando schriftlich festzulegen, wobei den Einheitskommandanten und höheren Kommandanten hinsichtlich ihres jeweiligen Befehlsbereiches ein Informations- und Vorschlagsrecht zukommt, sowie Inhalt, Zeit, Ort und Dauer der Freiwilligen Milizarbeit zu bestimmen sind.
Darüber hinaus haben die Wehrpflichtigen in Angelegenheiten der Freiwilligen Milizarbeit allgemein die Befugnis, Vorschläge zu erstatten und Informationen einzuholen. Entsprechend den schon mehrfach erwähnten Bedürfnissen einer Milizorganisation sind ferner Wehrpflichtigen des Milizstandes, die mit bestimmten Kommandantenfunktionen betraut sind, in Personalangelegenheiten der ihnen in der Einsatzorganisation unterstellten Wehrpflichtigen Beförderungs- und Bestellungsbefugnisse sowie Informations- und Vorschlagsrechte eingeräumt.
Benützung und Verwahrung von Heeresgut
Wesentliche Bedeutung als gesetzliche Grundlage für eine zweckmäßige und effektive Besorgung militärischer Aufgaben im Rahmen eines Milizsystems, insbesondere auch hinsichtlich der dargelegten Regelungen, kommt den Bestimmungen des Wehrrechtsänderungsgesetz 1988 über die Inanspruchnahme, Benützung und Verwahrung von Heeresgut durch Wehrpflichtige des Milizstandes zu.
Bei der Ausführung der nunmehr gesetzlich geregelten Miliztätigkeiten ist den Wehrpflichtigen des Milizstandes neben der Benützung der zur Verwahrung übergebenen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände auch die Benützung von sonstigem Heeresgut - wenn militärische Rücksichten es erfordern - gestattet.
Das für die Mobilmachung verantwortliche Kommando kann nach den zitierten Kriterien den Wehrpflichtigen zur Ausführung der erwähnten Miliztätigkeiten Heeresgut (insbesondere auch dienstliche Unterlagen) zur Verfügung stellen.
Eine besondere Bestimmung verpflichtet die Wehrpflichtigen, dieses Heeresgut mit Sorgfalt zu behandeln und gegen einen Zugriff Unbefugter ausreichend zu sichern sowie diesbezüglich im übrigen die Vorschriften über die Verwahrung von Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen in sinngemäßer Anwendung zu beachten.
Medizinische Betreuung
Auf dem Gebiet der medizinischen Betreuung wurde für die Wehrpflichtigen des Milizstandes im Heeresgebührengesetz 1985 (nun Heeresgebührengesetz 2001) eine unmittelbare Betreuung durch heereseigene Sanitätseinrichtungen bei Milizaktivitäten im notwendigen Umfang vorgesehen.
Haftung für allfällige Schäden
Im Zusammenhang mit den Regelungen über die Pflichten und Befugnisse der Wehrpflichtigen des Milizstandes ist im Wehrrechtsänderungsgesetz 1988 ausdrücklich normiert, dass Wehrpflichtige die angeführten Tätigkeiten in Vollziehung militärischer Angelegenheiten ausüben und damit als Organe des Bundes Aufgaben der Hoheitsverwaltung erfüllen.
Hinsichtlich der Haftung für allfällige Schäden, die von den Wehrpflichtigen in dieser Eigenschaft verursacht werden, gelten daher das Amtshaftungsgesetz, BGBl Nr. 20/1949, bzw. das Organhaftpflichtgesetz, BGBl Nr. 181/1967.
Die Organstellung der Wehrpflichtigen des Milizstandes bei Besorgung der gesetzlich geregelten Milizaufgaben als Aufgaben der Hoheitsverwaltung ließen es geboten erscheinen, diesbezüglich ein Verbot parteipolitischer Betätigung gleich der für Soldaten geltenden Verbotsnormen festzulegen.
Neue Präsenzdienstart
Neben den neuen Bestimmungen, mit denen das System von Präsenz-, Miliz - und Reservestand geschaffen und die gegenwärtige Milizstruktur ihre notwendigen rechtlichen Grundlagen für die weitere Entwicklung erhalten hat, zählten zum wesentlichen Inhalt des Wehrrechtsänderungsgesetzes 1988 vor allem
* die Schaffung der neuen Präsenzdienstart "Funktionsdienste" analog zu den freiwilligen Waffenübungen als eine dem Milizprinzip entsprechende Einrichtung zur Nutzung freiwilliger Leistungsbereitschaft für die Besorgung militärischer Aufgaben auch ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ausbildungszweck sowie
* eine Ausgestaltung der gesetzlichen Vertretung der Zeitsoldaten, die dem Charakter dieser besonderen Präsenzdienstart von längerer Dauer unter dem Gesamtaspekt des Milizgefüges entspricht.
Milizlaufbahnen für Frauen
Mit 1. Jänner 2001 trat eine umfassende Novelle zum Wehrgesetz 1990 (WG) in Kraft. Die Kundmachung erfolgte am 29. Dezember 2000 im BGBl. I Nr. 140/2000.
Neben zahlreichen legistischen und systematischen Verbesserungen, die der Vorbereitung einer noch in diesem Jahr erfolgten neuerlichen Wiederverlautbarung des Wehrgesetzes als Wehrgesetz 2001 dienten, wurde u.a. die gesetzliche Öffnung von Miliztätigkeiten für Frauen festgeschrieben.
Auf Grund der bis dahin geltenden Rechtslage konnten Frauen Wehrdienst ausschließlich im Rahmen eines Ausbildungsdienstes bzw. in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis als Militärperson leisten. Durch die Neuregelung stehen ihnen sämtliche freiwillige militärische Dienstleistungen uneingeschränkt offen, die auch für Männer "in der Miliz" vorgesehen sind.
Daher können Frauen freiwillige Waffenübungen und Funktionsdienste nach den selben rechtlichen Bedingungen wie Männer leisten.
Rechte der Frauen
Während solcher Wehrdienstleistungen gelten die gleichen mutterschutzrechtlichen Bestimmungen wie im Ausbildungsdienst. Weiters genießen Frauen ebenfalls das Recht zur Verrichtung Freiwilliger Milizarbeit sowie das allgemeine Vorschlags- und Informationsrecht zu entsprechenden militärischen Angelegenheiten.
Bei derartigen Tätigkeiten kommt ihnen die "Stellung als Organ des Bundes in Vollziehung militärischer Angelegenheiten" zu. Sie sind berechtigt, die militärische Uniform außerhalb einer Dienstleistung als Soldatin in gleichem Umfang wie Männer zu tragen und können die erforderlichen militärischen Güter unter den selben rechtlichen Bedingungen wie für wehrpflichtige Männer des Milizstandes zur Verfügung gestellt bekommen.
Alle diese zusätzlichen militärischen Verwendungsprofile werden unter dem gemeinsamen Begriff "Miliztätigkeiten" zusammengefasst.
Einschränkungen
Obwohl durch die Normierung der Miliztätigkeiten für Frauen eine möglichst weitgehende Angleichung der für die diversen militärischen Tätigkeiten von Männern "in der Miliz" geltenden gesetzlichen Bestimmungen angestrebt wurde, kam eine vollständige Übernahme aller einschlägigen für Männer geltenden Bestimmungen nicht in Betracht.
Diese Bestimmungen, insbesondere auch das Rechtsinstitut des Milizstandes beruhen nämlich auf der im Verfassungsrecht verankerten allgemeinen Wehrpflicht für Männer und sehen daher nur für diese Personengruppe sowohl freiwillige als auch gesetzlich verpflichtende militärische Tätigkeiten "in der Miliz" vor.
Für Frauen ist jedoch die ebenfalls verfassungsrechtlich normierte absolute und jederzeitige Freiwilligkeit jeglicher militärischer Tätigkeit zu beachten. Deshalb müssen alle Rechtsinstitute, die auf verpflichtenden Tätigkeiten beruhen wie z.B. die Einbeziehung der Frauen in den Milizstand oder das Anordnungsrecht der mit einer Kommandantenfunktion betrauten Wehrpflichtigen des Milizstandes an in der Einsatzorganisation Unterstellte für Frauen au-ßer Betracht bleiben.
Qualifizierung der Frauen
Obwohl Frauen auf Grund des für sie herrschenden absoluten Freiwilligkeitsprinzips gesetzlich nicht dem Milizstand zugerechnet werden können, stehen die einschlägigen Bestimmungen des Wehrgesetzes 2001 einer allfälligen Ausbildung von Frauen zu Offiziers- oder Unteroffiziersfunktionen im Hinblick auf eine künftige Ausübung dieser Funktion im Rahmen einer Wehrdienstleistung nicht entgegen.
Als einzige gesetzlich geregelte Formalvoraussetzung für alle Miliztätigkeiten von Frauen wurde deren vorherige Leistung eines Ausbildungsdienstes – unabhängig von dessen Dauer - vorgesehen.
Damit soll die grundsätzliche Eignung der Betroffenen und ein Mindestmaß an militärischen Kenntnissen und Fähigkeiten sicher gestellt werden.
Die konkreten Regelungen für die Durchführung der freiwilligen "Miliztätigkeiten" von Frauen sowie deren mögliche Eingliederung in die Einsatzorganisation des Bundesheeres wurden in entsprechenden Durchführungsbestimmungen bzw. Erlässen des Bundesministeriums für Landesverteidigung getroffen.
Mag. Christoph Ulrich, ELeg