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Clash of Cultures im Biedermeier

"Bei so beschaffenen Verhältnissen kann nur von zweckmäßiger Gewalt der Waffen eine vollständige Genugtuung für das Vergangene und zureichende Sicherheit für die Zukunft erwartet werden". Nicht aus einem CNN-Report, sondern aus einem Befehl des k.k. Hofkriegsrates an das k.k. österreichisch-venezianische Marinekommando aus dem Jahre 1828.

Adressat der angedrohten Waffengewalt waren Marokko und sein Herrscher, Sultan Muley Abd el-Rahman.

Marokko wurde gemeinsam mit den Gebieten von Algier, Tunis und Tripolis zu den so genannten "Barbareskenstaaten" gezählt, deren Kaperschiffe im frühen 19. Jahrhundert eine ständige Beeinträchtigung des Seehandels im Mittelmeerraum darstellten. Diese Kaper waren nicht "Piraten" im landläufigen Sinne, d. h. "freie Unternehmer", sondern mit Kaperbriefen der jeweiligen Herrscher in deren Auftrag agierende Söldner.

Die Truppen der "Heiligen Allianz" als europäischer Ordnungsmacht waren im Vormärz immer wieder mit der Bekämpfung der Barbaresken-Kaper befasst. (Als "Vormärz" wird die Epoche der deutschen Geschichte bezeichnet, die zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Märzrevolution 1848 liegt.) 1816 hatte ein britisch-holländischer Flottenverband unter Admiral Edward Pellew Viscount of Exmouth Algier angegriffen und die dort befindlichen Schiffe nahezu restlos zerstört.

Der Aachener Kongress (1818) forderte neuerliche Maßnahmen, die 1819 und 1821 durch britische und französische Seestreitkräfte umgesetzt wurden. Jedoch konnten diese Interventionen immer nur kurzfristig Abhilfe schaffen.

Dieser Umstand beeinträchtigte die österreichischen Handelsinteressen. Die vielversprechenden neuen Routen nach Brasilien (ab 1817/18) und Ostasien (ab 1820/21) waren durch die um die Enge von Gibraltar operierenden marokkanischen Kaper naturgemäß gefährdet.

Österreich hatte bereits im Jahr 1783 einen - 1805 neuerlich bestätigten - Friedensvertrag mit Marokko abgeschlossen. Dessen wesentlichsten Punkte waren: Gegenseitiger Verzicht auf Seeraub, Strandraub und Sklaverei (Punkte 1 bis 6) und Eröffnung von Handelsrouten zwischen Marokko und Österreich sowie die Errichtung eines österreichischen Konsulates (Punkte 7 bis 9). Die marokkanischen Interessen dabei waren der Tausch der Einnahmen aus dem Kaperkrieg gegen gesteigertes Geldaufkommen aus Hafenzöllen, Handelsabgaben und periodischen Geschenken durch die Konsuln und Handelsagenten. Diese Einnahmen gebührten zu einem hohen Maß dem Sultan. Derartige Beträge machten im­merhin 46 Prozent des jährlichen Ge­samtaufkommens des Sultans aus!

Diesen Interessen Marokkos wurde Österreich nicht gerecht, es wurden keine Konsuln bestellt und dementsprechend auch keine regelmäßigen Geschenke überbracht. Die österreichische Regierung förderte auch nicht den Handel, obwohl eine Kommission vor Ort günstige Möglichkeiten dafür beurteilt hatte. Nach den Berichten des Handelsdelegierten Franz Dombay bestand ein hoher Bedarf an Eisenwaren, Quecksilber, Leinen, Waffen und Holz, der durch Österreich kostengünstiger zu decken gewesen wäre, als von den bisherigen Handelspartnern Marokkos. Auch günstige Gegengeschäfte waren in Aussicht. Der Sultan war auch bereit, speziell für Österreich eine Ausfuhrsperre für Lebensmittel, konkret für Datteln und Mandeln - die in Triest stark nachgefragte Güter waren - aufzuheben. Als signifikant für die Haltung der öster­reichischen Regierung kann die Aussage eines Sachverständigen gelten, nach der: "der Absatz von Industrieerzeug­nissen bei jenem halbnackten Volke unbedeutend sey".

1824 übernahm ein neuer Sultan die Regierung Marokkos: Muley Abd el-Rahman.

Das islamische Rechtsverständnis hätte erfordert, zu diesem Anlass den Vertrag durch eine Gesandtschaft und die Übergabe entsprechender Freund­schafts­­­­­geschenke neuerlich zu bekräftigen. Dies wurde Seitens Österreichs verabsäumt. Schiffsfähnrich (SchFhr) Ludwig von Kudriaffsky, in die Ereignisse involvierter Zeitzeuge, berichtet darüber: "So oft ein neuer Sultan den Thron bestieg, pflegte Österreich ihn durch eine besondere Gesandtschaft zu begrüßen und Geschenke zu überreichen; dem im Jahre 1824 auf den Thron gelangten Sultan widerfuhr diese Ehre nicht. Der Staatskanzler Fürst Metternich scheint dies absichtlich unterlassen zu haben. Verdrossen hierüber ließ der Sultan mehr­mals durch den in Tanger wohnenden Vertreter Österreichs, den dänischen Konsul Schoosboe, bei dem in Lissabon accreditierten österreichi­schen Geschäftsträger von Pflügel urgieren. Fürst Metternich ignorierte diese Urgenzen." Der Sichtweise Kudriaffskys wäre hinzuzufügen, dass Sultan el-Rahman nicht nur die Ratifizierung, sondern - wieder einmal - die Einhaltung der Vertragspunkte 7 bis 9 urgierte und dass Metternich hier nichts anderes tat, als die Politik seiner Vorgänger fortzusetzen. Überdies wurde die Meinung der Regierung aktenkundig, dass die Entsendung einer Abteilung der Kriegs­­­­marine billiger käme, als die dauernde Bestellung eines Konsuls und die fälligen Geschenke. Die erfolglosen Ur­genzen dauerten immerhin vier Jahre an, bis Sultan el-Rahman der Diplomatie müde wurde. Die Kaperkapitäne erhielten konkrete Aufträge.

Am 29. Juli 1828 lief die österreich­i­sche Handelsbrigantine "Il Veloce" (Kapitän Gasparo Blazinich), mit einer Ladung Wein und Oliven aus Triest kommend, von Gibraltar nach Rio de Janeiro aus. Am 30. Juli wurde sie, etwa 30 Seemeilen südlich von Cadiz, durch die marokkanische Brigg "Rab­bia el Gheir" (Kapitän Abd el-Rhaman Bargas) gekapert. Ein Prisenkom­mando kam an Bord und die "Veloce" segelte mit in Schau wehenden Flaggen nach Rabat. Beim Hissen der marokkanischen Flagge an Bord musste das Schiff einen 21schüssigen Ge­schütz­salut abgeben. Die Mannschaft hatte mit abgenommenen Kopfbedeckungen an Land zu gehen. Mehrere Tage wurde sie im Triumph durch die Stadt und weiter zu den Residenzen des Sultans in Mechinez bzw. des Gouverneurs von Sales geführt. Die Matrosen wurden beschimpft, mit Steinen beworfen und auch körperlich misshandelt. Die Mannschaft übergab man schließlich dem Vorsteher der Judengemeinde von Fez, und dieser inhaftierte sie im Ghetto. Die Ladung der Brigantine wurde beschlagnahmt.

Erst nach Interventionen des dänischen Konsuls Schoosboe und über Weisung des Sultans wurden die Män­ner nach Tanger gebracht und dort unter dem Schutz des Sultans interniert. Dies bedeutete auch eine gewisse Bewegungsfreiheit in der Stadt, die für den weiteren Verlauf der Dinge wichtig werden sollte.

Der sardische Generalkonsul in Tanger übermittelte die Nachricht über den Vorfall nach Madrid, die dortige österreichische Botschaft alarmierte die Zentralstellen in Wien. Gleichzeitig meldete der österreichische Konsul in Gibraltar, dass weitere Handelsschiffe erwartet würden, für die eine unmittelbare Gefährdung bestand, und schließ­lich stellte das Gubernium (etwa: Amt der Landesregierung) in Triest einen Antrag um Schutz der österreichischen Handelsschifffahrt an das Marinekom­mando Venedig, der ebenfalls nach Wien weitergeleitet wurde.Und nun reagierten die Zentralstellen, und zwar - wie bereits festgestellt, aus Kostengründen - nicht durch Maßnahmen zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes, sondern durch den Befehl zum Einsatz von Marinekräften: eben der schon erwähnten "zweckmäßigen Gewalt der Waffen".

Der Hofkriegsrat stellte in seinem Grundsatzbefehl für das Marokko-Unternehmen die grundlegenden Fragen dementsprechend selektiv dar: "Die österreichische Regierung hat keinen der im Traktat enthaltenen Punkte im mindesten verletzt; denn dass sie von dem im Punkt 9 ihr eingeräumten Recht, eigene Konsuln in den Seehäfen Marokkos zu bestellen, bisher noch nicht Gebrauch gemacht hatte, kann in keiner Weise als eine Verletzung der Übereinkunft angesehen werden.

Wohl aber hat die marokkanische Regierung nicht nur ohne allen haltbaren Grund, sondern im grellsten Widerspruch mit den klaren Bedingungen des Artikels 11 und mit Unterlassung der vereinbarten sechsmonatigen Kündigung des Vertrages, durch die gewaltsame Wegnahme der österreich­ischen Handesbrigantine "Il Veloce" sich eines nicht zu rechtfertigenden Friedensbruches schuldig gemacht und damit bewiesen, dass ihr weder das allgemeine Völkerrecht noch feierliche Traktate heilig sind." Im bewussten Gegensatz dazu können wir jedoch aus heutiger Sicht festhalten, dass Österreich von 1783 bis 1828, also 45 Jahre lang (!), die Punkte 7 bis 9 des Vertrages nicht erfüllte, während Marokko seinerseits die Punkte 1 bis 6 einhielt und immer wieder auf diplomatischem Wege die Erfüllung des Traktates einmahnte.

Zur Durchführung der "zweckmäßigen Gewalt" waren, im Ermessen des Kommandanten der Levanteeskadre, Schiffskapitän (SchKpt, Oberstenrang) Sylvestre Graf Dandolo, Schiffe aus seinem Befehlsbereich heranzuziehen. Der Hofkriegsrat wollte ursprünglich den Seebezirkskommandanten von Venedig, SchKpt Michael Accurti, mit der neugebauten Fregatte "Medea" als Kommandanten der Marokkoex­pe­dition einteilen. Accurti war jedoch sowohl als Kommandant wie auch als Seemann umstritten. Dandolo betraute schließlich Korvettenkapitän (KKpt) Francesco Bandiera mit dem Kommando über das Unternehmen. Bandiera hatte bereits 1805 an Bord der Brigg "Oreste" an einer Kreuzung gegen die marokkanische Küste teilgenommen und galt daher als ortskundig. Auch war er bei Einsätzen während des griechischen Freiheitskrieges durch Initiative und energisches Vorgehen höheren Ortes aufgefallen.

Die neu aufgestellte "Divisiona Marittima del Ponente" bestand nun­mehr aus Bandieras Flaggenschiff, der Korvette "Carolina", der Korvette "Adria" unter Schiffsleutnant (SchLt) Karl Borromäus Zimburg, der Brigg "Veneto" (SchLt Domenico Rocco) sowie der Goelette "Enrichetta" unter dem Kommando von Fregattenleutnant (FregLt) Pietro Logotethi.

Obwohl der grundlegende Eskadre­kommandobefehl schon am 16. September 1828 in Smyrna ergangen war, dauerte es noch Monate, bis er voll­ends wirksam wurde. So waren erst mal Bandiera und sein zukünftiges Flaggenschiff, die "Carolina", in Smyrna gar nicht verfügbar. Sie musste nach Einrücken in Smyrna am 20. Oktober in die Werft und wurde erst am 15. November für weitere vier Jahre diensttauglich erklärt.

Am 17. November, also fast genau zwei Monate nach Auftragserteilung, lief "Carolina" in Begleitung der Goe­lette "Enrichetta" aus Smyrna aus. Mit - vorerst - günstigen Winden segelnd, waren sie am 26. November auf der Höhe von Sizilien, am 1. Dezember sichtete man die Südspitze von Sardinien. Gegen Abend dieses Tages trübte sich der Himmel und düstere, hochgetürmte Wolkenfronten stiegen im Nordosten auf. Kudriaffsky, in dieser Nacht Wachoffizier, berichtet: "Gegen 10 Uhr abends trat heftiger Regen ein und auf dem Deck herrschte eine derartige Finsternis, dass nur sehr geübte Matrosen zu manövrieren verstanden. ... Das Reffen und Spannen der Segel im Sturmgeheule hatte ein Geschrei und eine Verwirrung zufolge, wie solches auf einem von Italienern bemannten Schiff in dererlei Augenblicken kaum zu verhindern ist. ... Alles war auf Deck. Der Wind pfiff durch das Tauwerk, gleich als ob tausend Teufel los wären, alles schrie aus Leibeskräften, um sich verständlich zu machen, man hörte jedoch sein eigenes Com­mando nicht; in Mitte dieses Höllenlärmes der schrille Ton der silbernen Pfeifen der Unteroffiziere, womit selbe die Signale gaben ... der Regen durchnässte die Besatzung bis auf die Haut, es musste Sand aufgestreut werden, um den Füßen auf dem glatten Deck einen Halt zu geben. ..." Ku­driaffsky, wie auch der Schiffskom­mandant hatten sich mit Seilen angebunden, den Freiwächtern, die sich mit den Decksgeschützen verzurrt hatten, gelang es sogar, ein wenig zu schlafen.

Bandiera war eben, in seinen Sicher­ungs­­seilen stehend, ein wenig eingenickt, als man die Goelette "Enri­chetta", schwer mit der See kämpfend, sichtete. Der Wachhabende, Kudri­affsky, "wollte den Ermüdeten (Ban­diera) nicht stören, manövrierte daher auf eigene Faust. Kaum hatte man sich der "Enrichetta" auf etwa drei Meilen genähert, so gewahrte man, dass sie Signale aufgeheißt hatte. ... erst nach langem Bemühen gelang es zu entdecken, dass das Signal ein Notsignal sei, welches andeutete, dass die "Enri­chetta" die See nicht mehr halten könne." Überdies war die Steueranlage des Schiffes schwer beschädigt. Die beiden Schiffe mussten daher nach Tunis abfallen und dort auf Reede ankern.

Nach vier Tagen - durch den Sturm fast ohne jede Verpflegung - wird während des Landfalles die volle Ver­pflegs­ration, und damit auch die vorschriftsmäßige Alkoholration ausgegeben - mit Folgen. Kudriaffsky: "sendete einen Schiffsjungen (mozzo) zum Proviantmeister (Dispensiere, ein dunkelhäutiger Brasilianer), um Sardellen und Zwieback. Der mozzo kehrte angsterfüllt mit der Meldung zurück, der Mohr liege todt unter der Treppe. Als der Steuermann den Befehl erhielt, nachzusehen, fand er den Mohren betrunken und schlafend. ..." Anderntags herrschte an Bord der Carolina große Aufregung, als ruchbar wurde, dass "ein Raketeur, Delle, ein Deutschböhme, von seinen betrunkenen Kameraden in den Bock gespannt und Kotzen (Decken) über ihn geworfen und dadurch erstickt worden sei. Die Schuldigen wurden in Eisen gelegt, der Leichnahm secirt und abends dem Meere übergeben." Nach viertägiger Reparatur konnten "Carolina" und "Enrichetta" die Fahrt Richtung Cartagena fortsetzen und den vorgesehenen Einsatzraum erreichen Inzwischen hatten, am 2. Dezember 1828 aus Smyrna auslaufend, auch die Korvette "Adria" und die Brigg "Veneto" mit den Operationen begonnen. Auch die Korvette "Adria" stieß schließlich am 30. Dezember, die "Veneto" am 16. Jänner 1829 zum Verband.

Ein beantragter Austausch der nicht atlantiktauglichen Goelette gegen eine Brigg wurde grundsätzlich genehmigt, konnte jedoch erst im November 1829 (gegen die Brigg "Us­saro") stattfinden und "Enrichetta" operierte bis dahin - oft mehr schlecht als recht, mit der Division.

Am 18. Jänner wurde die Kreuzung abgebrochen und Kurs auf das spanische Cadiz abgesteckt. Dort traf KKpt Bandiera am 31. Jänner auf den Legationssekretär Wilhelm von Pflügl, der Mitglied der österreichischen Gesandtschaft in Madrid war, und der Ponente­division als diplomatischer Berater zugeteilt worden war. Zusätzlich zog man den ehemaligen spanischen Generalkonsul in Tanger, Salmón, wegen dessen detaillierter Kenntnis der Landschaft und Gesellschaft Marokkos, zu den Beratungen hinzu.

Während dieser Beratungen konnte das dienstfreie Offizierskorps der Division nach 71 harten Seetagen unter ungünstigsten Witterungsver­hältnissen einen 24-stündigen Landurlaub genießen. Auch SchFhr von Kudriaffsky tat dies mit der ihm eigenen Obsession - auf dem Corso, im Theater und auf einem Ball - bis in die Morgenstunden. Das allerdings mit einem kryptischen Vorbefehl KKpt Bandieras im Hinterkopf, sich um sechs Uhr morgens an Bord der "Carolina" einzufinden. Und eben­so geheimnisvoll erschien ihm Bandieras Frage, ob er mit Zivilkleidung versehen sei ...

(wird fortgesetzt)


Autor: Klaus Bachmann, Jahrgang 1958. Insgesamt 16-jährige aktive Dienstzeit als Unteroffizier (LWR 101, LWSR 21, JgR 2), zuletzt als Lehrunteroffizier für Stabsdienst und Kanzleiwesen an der Heeresversorgungs-schule. Dienstführender Unteroffizier einer Milizkompanie. Lebt und arbeitet, als freiberuflicher Autor und Grabungstechniker im historisch-archäologischen Bereich, in Wien.

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