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Going International: "Pralinengipfel", strukturierte Zusammenarbeit und der Stellenwert Europas

Die Diskussion um den so genannten Pralinengipfel vom 29. April dieses Jahres ist zu einer fixen Größe der Berichterstattung über das Befinden der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) geworden. Das auch als "Gipfel der Vier" bezeichnete Zusammentreffen, das so massiv die Kritik mancher europäischer Mitglieds- und Kandidatenstaaten, vor allem aber der USA auf sich gezogen hat, diente der Definition gemeinsamer Projekte für die beschleunigte Weiterentwicklung der Europäischen Verteidigungspolitik. Frankreich und Deutschland zogen dabei Vorschläge heran, die sie schon Anfang Februar präsentiert hatten. Beide gründeten dabei auf dem damaligen Diskussionsstand im EU-Ver­fassungskonvent. Belgien und Luxemburg hatten sich den Vorschlägen angeschlossen.

Die Wahl des Zeitpunktes setzte Signale: Einen Monat zuvor hatten die Kampfhandlungen im Irak eingesetzt. Die Kritik Deutschlands und Frankreichs am US-Vorgehen hatte einen Höhepunkt erreicht. Die USA standen kurz vor der dem Abschluss der intensiven Phase der Kampfhandlungen. Die Anberaumung eines Treffens in Europa, in dem die selbstständige Hand­­lungs­fähigkeit der EU in Fragen des Krisenmanagements ausgebaut werden sollte, wurde von den USA, aber auch von Großbritannien als eine Botschaft interpretiert, die den Bestand der trans­atlantischen Beziehung gefährdete.

Die Zusammensetzung der Gruppe irritierte viele Europäer. Auch jene, die dem Gedanken einer europäischen Entscheidungsautonomie in Fragen der Krisenbewältigung positiv gegenüberstanden, bemängelten das Fehlen Großbritanniens in dieser Gruppe. Nur ein Zusammenwirken aller großen europäischen Akteure kann Wirkung entfalten. Viele Kandidatenländer, aber auch Italien und Spanien sahen darüber hinaus die ausgewogene Funktionsweise der EU gefährdet. Man sprach von der Herausbildung eines deutsch-französischen Direktoriums, dem sich die weitere Entwicklung von Schlüsselbereichen der politischen Integration unterzuordnen hätte.

Der Kritik an Format und Zeitpunkt kann aber entgegengehalten werden, dass sich nahezu sämtliche Vorschläge der "Vier" im Entwurf zum EU-Ver­fassungsvertrag abbildeten und im Grunde auch weithin akzeptiert waren. Der italienische EU-Vorsitz hat diese Punkte auch in sein Arbeitsprogramm aufgenommen. Strittig war hingegen die Bildung eines eigenen strategischen Hauptquartiers der EU, das nach belgischem Vorschlag in einer Vorstadt von Brüssel, in Tervueren, angesiedelt werden sollte. Auf diesen Punkt kristallisierte sich die Kritik, vor allem mit dem Hinweis auf "Du­plizierung". Viele NATO-Staaten in der EU wiesen darauf hin, dass sie nicht bereit wären, für ein weiteres Hauptquartier zu bezahlen und Personal bereit zu stellen, das mit dem Strategischen Hauptquartier der NATO in Europa, SHAPE, ohnehin schon vorhanden sei. SHAPE stünde der EU im Rahmen der sogenannten Berlin-Plus-Abkommen zur Verfügung, es sei daher überflüssig, ein zusätzliches Hauptquartier aufzubauen.

Ausgeblendet wurde bei dieser Kritik, dass die EU eben auch in die Lage versetzt werden sollte, Operationen ohne Rückgriff auf die Führungsstrukturen der NATO zu führen. Die Operation "Ar­temis" im Sommer dieses Jahres war ein gutes Beispiel da­für. Allerdings hatte die EU in diesem Fall französische Führungseinrich­tungen benützt. Die Operation lief klaglos, doch wurde klar, dass die EU ohne nationale Angebote eine derartige Operation auf strategischer Ebene gar nicht planen könnte. Von dieser Feststellung bis zur Frage, ob es über­haupt erwünscht ist, dass die EU Operationen ohne Einbindung der NATO durchführt, ist es nur ein kleiner Schritt. Aus Sicht der USA und Großbritanniens sowie anderer EU-Staaten und Kandidaten ist die Antwort darauf offensichtlich negativ.

Seit Ende September gibt es nun Signale aus London, dass bestimmte Formen autonomer strategischer Pla­nungs­ka­pazitäten der EU vorstellbar sein könnten. Besorgte Fragen aus Washington folgten prompt. Die Diskussion geht weiter. Sie betrifft auch Österreich. Das Feld, das hier zu betrachten ist, umfasst mehr, als die Frage des strategischen Hauptquartiers. Wenn es Bewegung in der ESVP geben soll, dann müssen bestimmte Fähigkeiten geschaffen werden, die der­zeit nur im Rückgriff auf die NATO verfügbar sind, und dort häufig auch nur durch die USA bereitgestellt werden können. Der Aufbau solcher Fähigkeiten ist Zweck und Hintergrund der so genannten "Strukturierten Zusammenarbeiten", einer Gruppe heftig umstrittener Artikel im EU-Ver­fas­sungs­entwurf. Kleinere Staaten befürchten zu Recht, dass die Kriterien für eine Teilnahme an diesen Kooperationen zu hoch gesteckt sein könnten und sie dadurch ausgeschlossen würden. Andererseits besteht die Gefahr, dass die großen Staaten das Interesse an strukturierten Zusammenarbeiten im Verfassungsrahmen der EU verlieren, wenn es weiterhin nicht möglich ist, Teilnehmer zu aktiver Beitragsleistung zu bringen. Dann könnten Staaten­gruppen ihre Zusammenarbeit außerhalb des EU-Verfas­sungsrahmens stellen, was der EU gestaltende Einwirkung praktisch verwehren würde. Die politische Integration der Union und die Chance auf eine wirksame weltweite Rolle wären schwer beeinträchtigt. Österreich hat ein Interesse an einer starken EU. Zu diesem Interesse gehört auch die Bereitschaft, anspruchsvollere Kriterien für die militärische Zusammenarbeit zu akzeptieren.

Brigadier Wolfgang Wosolsobe

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