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Das russische Kampfpanzerprojekt T-95

Bereits Ende der 1980er Jahre begannen in Russland die Planungen für eine völlig neue Panzergeneration. Grundlage für den neuen Panzertyp war das Projekt Objekt 195, das in weiterer Folge zur Entwicklung des T-95 führen sollte. Bis dato kam der mögliche Nachfolger des T-72 und T-80U nicht über das Planungs- und Prototypstadium hinaus.

Die Entwicklungsarbeiten am Panzerprojekt Objekt 195 (Obj. 195) sollen etwa ab dem Jahr 1988 im Konstruktionsbüro (KB) des Panzerwerkes Uralwagonsawod unter Führung von Wladimir Potkin in Nischnij Tagil (Stadt im östlichen Ural) begonnen haben. Wesentliche Entwicklungsziele des neuen Panzerkonzeptes waren dabei

  • die erhebliche Verbesserung der Überlebensfähigkeit der Besatzung,
  • die deutliche Reduktion der Verwundbarkeit des Gesamtsystems,
  • die Erhöhung der Feuerkraft und
  • die Begrenzung des Gewichtsanstieges.

Die ungünstigen Verwundbarkeitsmerkmale der Kampfpanzer (KPz) der T-Serien (Munition und Kraftstoff großflächig verteilt und offen im Kampfraum gelagert), die sich insbesondere in den beiden Irak-Kriegen (aber zuvor auch schon bei den israelisch/arabischen Kriegen) gezeigt haben, waren mit großer Wahrscheinlichkeit der Anstoss für die o. a. Auslegungsziele des zukünftigen Kampfpanzers der russischen Streitkräfte. Ursprünglich war geplant, dass die eingeführten Typen T-72 und T-80U etwa Mitte der 1990er Jahre durch den T-95 sukzessive abgelöst werden sollten.

Erreicht wurden diese Entwicklungsziele beim Objekt 195 im Wesentlichen durch konzeptionelle Maßnahmen - d. h. durch eine separate Unterbringung von Besatzung, Kraftstoff und Munition (Abschottung - Compartmentalization). Um bei weiter gestiegenen Schutzforderungen und höherem Gewicht für eine größere Waffe inklusive Munition den Anstieg des Gefechtsgewichtes zu begrenzen, wurde der Weg zu einem Kampfpanzer mit scheitellafettierter Hauptwaffe beschritten. Man musste sich allerdings bewusst sein, dass das neue Konzept damit zahlreiche funktionelle und technologische Risiken beinhaltete.

Die Arbeiten an dem Zukunftspanzer wurden lange Zeit geheim gehalten. Dennoch berichtete bereits am 11. April 1988 der "Daily Telegraph" über die Entwicklungsaktivitäten eines revolutionären Kampfpanzers in Russland (damals noch unter der Bezeichnung "FST-1" (Future Soviet Tank 1). Die beigefügte Skizze enthielt grundsätzliche Merkmale des Fahrzeuges, wie die scheitellafettierte Hauptwaffe, den Kompaktkampfraum und das Hecktriebwerk.

Die russische Fachpresse bestätigte die Arbeiten an einem neuen Panzerprojekt erstmals im März 2000 offiziell. Zu diesem Zeitpunkt besichtigte der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew die ersten Prototypen des Objektes 195 in Nischnij Tagil. Dabei wurden auch erste, spärliche Informationen über das Fahrzeug selbst bekannt. Jedoch sind bis zur o. a. Veröffentlichung im Internet keine Bilder der Prototypen publiziert worden. Allenfalls eine Darstellung im russischen Fernsehen aus dem Jahr 2000 gab erste Hinweise auf die mögliche Gestaltung eines neuen Kampfpanzers, des T-95.

Das im Fernsehen gezeigte Konzept bestätigte sich dann auch später, bei dem auf einer russischen Internetseite (www.btvt.naro.ru) gezeigten Vorführmodell (Demonstrator) bzw. Prototyp.

In den Skizzen ist der grundsätzliche Aufbau des Fahrzeuges ersichtlich. In der Draufsicht ist die klare Raumaufteilung und Abschottung zwischen Kampfraum, Munitionsraum, Tankraum und Triebwerksraum deutlich erkennbar.

Nach russischen Informationen im Internet sollen insgesamt zwei Demonstratoren/Prototypen gebaut worden sein.

Merkmale des Prototyps Objekt 195

Feuerkraft

Für den zukünftigen russischen Kampfpanzer wurde die 152-mm-Glattrohrkanone 2A83 in der Waffenfabrik Nr. 9 in Jekaterinburg (ehemals: Swerdlowsk) als Hauptwaffe (HW) neu entwickelt. Bei diesem Kaliber muss (je nach Rohrrücklauf) mit einer maximalen Bremskraft von 120 bis 130 Tonnen gerechnet werden! Nach russischen Angaben gab es anfänglich bei der Entwicklung der neuen Waffe erhebliche Probleme z. B. hoher Rohrverschleiß infolge der hohen Wärmeentwicklung). Für die Waffe wurde eine neue KE-Munition (Kinetic Energy - Pfeilmunition) mit angeblich überragender Durchschlagsleistung entwickelt.

Neben der Waffe soll als Sekundärwaffe eine 30-mm-Maschinenkanone (MK) vom Typ 2A42 (MK des BMP-2) auf dem Dach der Oberlafette installiert sein. Die MK soll unabhängig von der Hauptwaffe gerichtet werden können und ist in zwei Achsen stabilisiert. Als führendes Zielgerät käme ein Periskop (mit Wärmebildgerät) auf dem Dach der Oberlafette in Frage.

Da offenbar keine Heckauslage bei der Oberlafette vorgesehen ist, dürfte sich aufgrund des großen Gewichtes der Waffe ein beachtliches Unwuchtmoment ergeben. Um unter diesen Rahmenbedingungen eine ausreichend hohe Stabilisierungsgüte (das ist der Grad der Präzision, mit der die stabilisierte Waffe - trotz Störanregungen auf das Fahrzeug - ihre Lage im Raum beibehält) zu erzielen, hätte der Seitenrichtantrieb über eine entsprechend hohe Antriebsleistung verfügen müssen.

Die Munition der Hauptwaffe wird in einem Karusselllader in der Unterlafette gelagert. Im Gegensatz zu den früheren Kampfpanzermodellen sind beim Objekt 195 sowohl der Geschoßteil als auch der Treibladungsteil senkrecht angeordnet. Während beim Zuführer das Prinzip der rückensteifen Kette in einem Spiralgehäuse (ähnlich T-72) beibehalten wurde, ist die Mechanik der Munitionszuführung völlig neu gestaltet worden. Beibehalten wurde auch das Kassettenprinzip ähnlich wie beim T-72). Damit sind - im Gegensatz zum Knickarmlader des T-64 und T-80 - pro Schuss zwei Ansetzvorgänge erforderlich, was zu einer leichten Verlängerung der Schussfolgezeit bzw. Reduzierung der Kadenz führt.

Feuerleitung

Für die Waffenführung sollen Zielgeräte mit Tag- und Nachtkanal zur Verfügung stehen. Aus den vorliegenden Bildern des Originalfahrzeuges ist nicht ersichtlich, ob sich die Zielgeräte im Bereich der Besatzungsstände auf dem Wannendach oder an der Oberlafette montiert sind. Nach russischen Angaben soll sich auf dem Dach der Oberlafette ein Wärmebildgerät (WBG) befinden.

Das Beobachtungsgerät des Kommandanten (Rundblickperiskop, 2-Achsen-stabilisiert mit Tag- und Nachtkanal) sollte sinnvoller Weise auf dem Dach der Oberlafette installiert sein. Die Bildübertragung per Video-Signal ist hier bei schlechterem Auflösungsvermögen als kritisch zu bewerten, wenn (getarnte) Ziele in großer Entfernung entdeckt und identifiziert werden müssen.

Nach russischen Angaben gab es bei der Entwicklung erhebliche Fertigungsprobleme bei

  • den optronischen Komponenten (WBG mit hoher Auflösung),
  • den Komponenten der digitalen Datenverarbeitung,
  • den elektronischen Komponenten und deren Kühlung und
  • den feinmechanischen Elementen.

Zu den Fertigungsproblemen kamen in den 1990er Jahren aufgrund des Zerfalls der Sowjetunion und der aufkommenden Wirtschaftskrise noch Probleme der Finanzierbarkeit der Entwicklung hinzu. Offenbar bestand für den Kampfpanzer T-95 das Ziel, eine optronische Ausstattung und ein Feuerleitsystem zu realisieren, das (nach Auswahl eines Zieles) einen weitgehend automatischen Bekämpfungsablauf ermöglichen sollte, u. a. mit Hilfe eines Zielverfolgungssystems (Target-Tracking-System).

Während bei anderen russischen Panzerprojekten im Falle von Fertigungsproblemen der heimischen Industrie relativ problemlos die notwendige Technologie im westlichen Ausland eingekauft wurde (wie das WBG für den Export-BMP-3), geschah dies beim Objekt 195 aus Gründen der Geheimhaltung nicht.

Die Adaption eines achsparallelen MGs in der Oberlafette neben der Hauptwaffe wäre vorstellbar. Um für Versuchszwecke das Waffensystem beweglich zu machen, könnte die Oberlafette (mit Turm) z. B. auch auf ein Fahrgestell des KPz T-72 aufgesetzt werden.

Wenn dies auch ein Hinweis sein dürfte, dass sich die Drehkranzdurchmesser des T-72 und des Objektes 195 sehr ähneln, so erscheint es unwahrscheinlich, dass der Ladeautomat in der nur knapp 800 mm hohen Wanne des T-72 untergebracht werden kann.

Antriebsbedingte Beweglichkeit

In der Internet-Veröffentlichung wird ein Turbinen- oder Dieseltriebwerk mit einer Leistung von 1 500 PS erwähnt. Der Einsatz einer Gasturbine (z. B. GTD 1 400) kann aufgrund der Einsatzerfahrungen der russischen Armee (z. B. in Grozny; hier zeigte der T-80 wegen des hohen Kraftstoffvorrates - 1 840 Liter Kerosin - sehr ungünstige Verwundbarkeitsmerkmale) ausgeschlossen werden. Auch die Gestaltung des Wannenhecks weist beim Objekt 195 eher auf die Verwendung eines Dieselmotors hin.

Laut russischen Angaben soll im Objekt 195 der neue Motor vom Typ A-85-3 des Tscheljabinsker Motorenwerkes eingebaut sein. Es handelt sich vermutlich um einen 16-Zylinder-Dieselmotor in X-Bauweise mit einer Nennleistung von 1 500 PS. Gleiche Quellen berichteten, dass es anfänglich erhebliche Probleme mit der Integration einer ausreichend leistungsfähigen Kühlanlage gab.

Laufwerksbedingte Beweglichkeit

Einige Quellen im Internet bemängelten die schlechten fahrdynamischen Eigenschaften der Kampfpanzer T-72 und T-90: Beim Fahren auf panzertypischen Kursen ergaben sich hohe Aufbaubeschleunigungen aufgrund großer Dämpferkräfte, während Wannenbewegungen bei kleinen Einfedergeschwindigkeiten (z. B. Bremsnicken) nur unzureichend gedämpft wurden. Beim T-95 sollte durch ein neuartiges semi-aktives-Fahrwerk (Einsatz von Dämpfern mit rheologischer - fast fester, zäher - Flüssigkeit) eine bessere Vorstabilisierung der Wanne erzielt werden. Der im Internet dargestellte Prototyp verfügt über ein drehstabgefedertes 7-Rollen-Laufwerk mit hydraulischen Rotationsdämpfern an den Laufrollen 1, 2 und 7. (Skizze im Beitrag hat sechs Laufrollen; der Prototyp hat sieben Laufrollen!). Ein günstigeres Nickverhalten wird a priori durch die größere Kettenauflagelänge und die größeren Hebelarme der Dämpfungsmomente) erreicht.

Schutz/Überlebensfähigkeit

Aus öffentlich zugänglichen Quellen sind verständlicherweise keine Angaben zur Schutztechnologie verfügbar. Es ist davon auszugehen, dass die Bugpartie über eine moderne Mehrschicht-Verbundpanzerung mit einem adaptierten Modul für Reaktiv-Panzerungselemente verfügt. Durch den im Bugbereich platzierten Kompakt-Kampfraum ergibt sich für den Schutzsektor 0 bis +/- 30 Grad ein minimaler Aufwand für den Flankenschutz.

Die wesentlichste Verbesserung der Überlebensfähigkeit der Besatzung wird bei dem vorgestellten Konzept durch die Anordnung der Besatzung in einem separaten Kompakt-Kampfraum erreicht. Damit ergeben sich folgende Vorteile:

  • Minimierung des Kampfraumvolumens und der Seitenflächen;
  • Günstige Anordnung der Besatzung in einem Gebiet geringerer Trefferdichte;
  • Trennung der Besatzung von Munition und Kraftstoff und gegebenenfalls Hydraulikelementen;
  • Optimale Rahmenbedingungen für ABC-Belüftung und Klimatisierung des Kampfraumes - ein ebenso guter Brandschutz ist realisierbar.

Die Trennung des Kampfraumes zum Wannensegment mit dem Ladeautomaten erfolgt durch eine entsprechende Schottwand. Aufgrund der großen Fläche muss die Schottwand ausreichend stabil ausgelegt werden, um bei Treffern im Munitions-Compartement einen Druckanstieg verkraften zu können. In diesem Zusammenhang bleibt die Frage offen, wie bei Treffern im Munitions-Compartement und bei der Deflagration (ein schneller Verbrennungsvorgang, bei der Explosionsdruck nur durch die entstehenden und sich ausdehnenden Gase hervorgerufen wird) der Treibladungen ein Druckabbau erfolgen soll. Die Anordnung von Druckabbauflächen wäre allenfalls im Bereich der Seitenteile sowie im Dachbereich der Oberlafette denkbar.

Bezüglich der Überlebensfähigkeit für die Besatzung wirkt sich die senkrechte Anordnung der Geschoßteile positiv aus; eventuell gezündete Hohlladungs-Geschoße würden ihren Strahl in den Dachbereich schießen. Interessanterweise wurde im Internet darauf hingewiesen, dass unter dem Ladeautomaten ein ausreichender Freiraum zum Beulen der Wanne infolge der Explosionswirkung von Minen vorgesehen ist.

Sonstige Eigenschaften

Das Fahrzeug soll über ein umfangreiches internes Prüfsystem verfügen, das in Verbindung mit dem digitalen Bordnetz eine kontinuierliche Prüfung und Überwachung des Systemzustandes ermöglicht.

Bewertung des vorgestellten Konzeptes

Das im Internet vorgestellte T-95-Konzept weist eine klare Trennung der Funktionsräume für Besatzung, Munition und Kraftstoff/Triebwerk auf. Grundsätzlich ergibt sich damit eine starke Reduzierung der Verwundbarkeit. Allerdings muss es gelingen, bei Treffern im Munitionsraum einen entsprechenden Druckabbau zu erzielen. Die Unterbringung der Besatzung hinter der starken Bugpanzerung ist optimal und führt bei entsprechenden Schutzforderungen (frontal, Neigung von +/- 30 Grad) zu einem minimalen Gewichtsaufwand (insbesondere sehr kurzem Flankenschutz).

Sofern bei dem Konzept das russische Eisenbahn-Verlademaß eingehalten wurde (3 415 mm), kann bei einer angenommenen Kettenbreite (Standard) von 580 mm eine Wannenbreite von 2 680 mm zur Verfügung stehen. Nach einer ersten Abschätzung würde dieser Raum zur Unterbringung von ca. 18 Schuss der 152-mm-Munition ausreichen. Vermutlich werden weitere (18?) Schuss am Fahrzeug (Kettenschultern; im Heckbereich) als Vorrat mitgeführt. Ein Umladen kann durch die Besatzung, aber nur unter Aufgabe des Panzerschutzes in Gefechtspausen erfolgen.

Die Wahl des (Artillerie-)Kalibers von 152 mm erfolgte möglicherweise unter dem Eindruck der in den 1980er Jahren quadrolateral (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland) entwickelten 140-mm-Panzerkanone. Hier sollte gegenüber dieser Waffe wiederum eine Überlegenheit erreicht werden. Bei Einsatz eines entsprechend leistungsfähigen Treibladungspulvers kann bei der russischen Waffe die Mündungsenergie auf etwa 20 MJ (Megajoule) geschätzt werden.

Bemerkenswerterweise weist auch der Panzerabwehrlenkflugkörper "Kornet-E" (AT-14) einen Durchmesser von 152 mm auf. Ob diese Gemeinsamkeit ein Grund für die Kaliberwahl beim Objekt 195 war, ist nicht bekannt. Das größere Kaliber führt auf jeden Fall zu einer deutlichen Erhöhung der Durchschlagsleistung des Hohlladungs-Gefechtskopfes. Interessanterweise wurde aus diesem Grund bereits in den 1960er Jahren für eine Kombinationsbewaffnung des Kampfpanzers 70 ebenfalls ein Kaliber von 152 mm gewählt. Bei der Hauptwaffe muss gegenüber einem Turmkonzept bei seitlichem Beschuss für die Waffenteile hinter der Blende eine erhöhte Verwundbarkeit in Kauf genommen werden.

Die vom T-90 bekannte Laderkonzeption (waagerechte Lage der Geschoßteile) erlaubte unter Einhaltung des Eisenbahn-Verlademaßes keine Unterbringung von KE-Penetratoren mit einer Länge von über 800 mm. Bei dem vorgestellten T-95-Konzept wurden die Geschoße nunmehr senkrecht gestellt. Damit beeinflusst die Länge der KE-Penetratoren nun die Bauhöhe des Fahrzeuges (kritischer Bereich unterhalb der Wiegenlagerung). Bei einer angenommenen Geschoßteil-Länge von 1 100 mm wird beim T-95 somit eine Wannenhöhe von ca. 1 730 mm erreicht - das sind ca. 300 mm mehr als beim T-90. Mit der Oberlafette, für die eine Bauhöhe von ca. 1 000 mm vermutet wird, erreicht das Scheitelkonzept damit eine Gesamtbauhöhe von mindestens 2 700 mm (siehe Abbildung oben; vgl. T-90: 2 230 mm). Diese Tatsache dürfte bei der russischen Panzertruppe wenig Gefallen gefunden haben. Eine zeichnerische Darstellung des Fahrzeuges im Vergleich zum US-Kampfpanzer M-1 "Abrams" lässt ebenfalls die beachtliche Bauhöhe des Objektes 195 erkennen.

Nach Angaben aus dem Buch "Panzer und Panzertruppen" wird bei russischen Kettenfahrzeugen ein maximaler spezifischer Bodendruck von 0,83 kg/cm2 (82 Kilopascal - kPa) angestrebt. Geht man bei dem vorgestellten 7-Rollen-Laufwerk von einer Kettenauflagelänge von ca. 5 000 mm aus, so ergäbe sich bei einer Kettenbreite von 580 mm ein Gefechtsgewicht von 48,2 Tonnen. Vermutlich stellt dieser Wert eine Untergrenze dar. Realistischerweise dürfte das Gewicht dieses großen Fahrzeuges eher bei 50 Tonnen liegen.

Mögliche Gründe für die Einstellung des Projektes T-95

Noch Anfang 2010 kündigte die Führung des russischen Panzerwerkes Uralwagonsawod in Nischnij Tagil publikumswirksam an, dass auf der im September 2010 ebenfalls in Nischnij Tagil geplanten Heeresmaterialausstellung "Russian EXPO Arms 2010" erstmals ein Kampfpanzer des Typs T-95 ausgestellt werden sollte. Überraschenderweise gab im April 2010 der russische Vizeverteidigungsminister Wladimir Popowkin die Einstellung der Entwicklungsarbeiten am Projekt KPz T-95 bekannt. Anstelle des T-95 soll die russische Armee kurzfristig mit dem modernisierten KPz T-90AM ausgerüstet werden; langfristig haben die Arbeiten an einer neuen Kampffahrzeuggeneration ("Armata") begonnen. Über die tatsächlichen Gründe für die Einstellung des T-95-Projektes kann im Moment nur spekuliert werden - denkbar wäre Folgendes:

  • Der Stückpreis des Fahrzeugs wurde als zu hoch bewertet.
  • Das Fahrzeug hätte zu hohe Folge-/Nutzungskosten verursacht.
  • Auch nach 23 Jahren ergab sich noch immer eine unzureichende Zuverlässigkeit des Gesamtsystems (insbesondere aufgrund des hohen Automatisierungsgrades und der damit verbundenen hohen Komplexität).
  • Die Bedienung und die Materialerhaltung hätten zu hohe Anforderungen an das verfügbare Personal gestellt.
  • Eine Serienproduktion hätte zu hohe Anforderung an die Präzision/Fertigungsqualität einzelner Baugruppen gestellt.
  • Möglicherweise wird eine objektive Bedrohung des Landes durch hochgerüstete Gegner, die eine Einführung eines derart komplexen Waffensystems gerechtfertigt hätten, als relativ gering eingeschätzt.
  • Der Bedarfsträger/Nutzer war mit vielen Eigenschaften und Funktionalitäten des neuen Konzeptes nicht einverstanden (Größe und Bauhöhe, Notbetriebsmöglichkeiten, Ummunitionierung, Sichtkonzept; "Situational Awareness" für Besatzung etc.).
  • Die Exportaussichten des revolutionären Konzeptes auf dem internationalen Markt sind langfristig als ungünstig beurteilt worden.

Es sollte dem Bedarfsträger aber auch klar gemacht werden, dass ein traditionelles Turmkonzept

  • mit dieser großkalibrigen Waffe,
  • mit dem notwendigen Raum für die größere Munition und
  • mit der hohen Überlebenswahrscheinlichkeit für die Besatzung,

vermutlich in einem Gewichtsbereich von 70 bis 75 Tonnen hätte liegen müssen!

Bemerkenswerterweise kündigte im Juli 2010 der Minister für Industrie und Wissenschaft der Region Swerdlowsk (Alexander Petrow) an, dass Uralwagonsawod an dem Projekt T-95 eigenständig weiter arbeiten werde, da es Interessenten für das Fahrzeug auf dem internationalen Markt geben würde.

Abschließende Bemerkungen

Der Übergang vom Turm- auf ein Scheitelkonzept trägt sicherlich zu einer deutlichen Verbesserung der Überlebensfähigkeit und der ergonomischen Rahmenbedingungen für die Besatzung bei. Damit verbunden sind aber neue Probleme, die ein Turmkonzept nicht aufweist, wie

  • die hohe Lage der Waffe (gegebenenfalls über den Beobachtungs- und Zielmitteln) erfordert z. B. beim Beziehen von Hinterhangstellungen ein anderes taktisches Verhalten,
  • die exponierte Lage der Waffe und der begrenzte Flankenschutz, woraus sich eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit unter Gefechtsbedingungen ergibt,
  • die Führung des Feuerkampfes, da es kein Notbetriebskonzept gibt, d. h. keine manuellen Back-up-Funktionen),
  • ein Umladen der Munition, da dies unter Schutz nicht mehr möglich ist, und
  • eine deutlich höhere Gesamthöhe als bei einem Turmkonzept (gilt insbesondere für russische Turmpanzer).

Die Betrachtung der Projektentwicklung des Objektes 195 zeigt, wie schwierig es ist, im Panzerbau ein revolutionäres Konzept durchzusetzen. Das zeigte die Erfahrung in Deutschland Ende der 1970er Jahre mit den Doppelrohr-Kasemattpanzern, und es wiederholte sich in den Konzeptvorschlägen mit scheitellafettierter Hauptwaffe. Scheitelkonzepte wurden in den 1970er und 1980er Jahren intensiv in den USA, in Großbritannien, Frankreich und Deutschland untersucht. Es wurden teilweise sogar Gesamtsystem-Versuchsträger gebaut - letztlich konnte sich in keinem der genannten Länder das neue Konzept gegenüber den bekannten Turmpanzern durchsetzen. Bemerkenswert sind die Versuche in Jordanien mit dem "Falcon" II. Auch hier ist nach knapp zwölfjähriger Entwicklungszeit (nur für die Scheitellafettierung) das Fahrzeug bis heute noch nicht über das Prototypstadium hinausgekommen. Lediglich vom "Stryker" MGS (Mobile Gun System; kein KPz, sondern ein Kampffahrzeug, das der unmittelbaren Infanterieunterstützung dient) wurden - nach Überwindung zahlreicher technischer Probleme (insbesondere im Munitionsfluss) - 80 Fahr­zeuge produziert (Gesamtbedarf: 204 Fahrzeuge; Einsatz im Irak-Krieg).

Man wird zum russischen KPz-Projekt T-95 möglicherweise auch in den nächsten Jahren nicht die offiziellen Gründe für die Einstellung dieses Prestigeprojektes für den russischen Panzerbau erfahren.


Autor: Rolf Hilmes, Jahrgang 1948. Ausbildung zum Reserveoffizier in der Panzertruppe der Deutschen Bundeswehr an den Kampfpanzern M-48A2, "Leopard" 1 und "Leopard" 2, Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Darmstadt und ziviler Gasthörer an der damaligen Fachhochschule 1 des Heeres (Darmstadt); nach Referendariat-Tätigkeit u. a. als Referent für Panzertechnologie im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) in Koblenz, Wechsel zur Bundesakademie für Wehrverwaltung und Wehrtechnik in Mannheim; dort Tätigkeit als Dozent und Leiter des Fachgebietes "Systemtechnik Land", Autor zahlreicher Publikationen sowie Fachbücher.

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