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Mehr Diplomat als Kämpfer

Seit 1947 stehen unbewaffnete Militärbeobachter der Vereinten Nationen in den Brennpunkten des Weltgeschehens. Ihre Aufgaben sind vielfältig und manchmal nicht ungefährlich. Die Vorbereitung für ihren Einsatz erfolgt in einem dreiwöchigen Militärbeobachterkurs.

Syrien 2012: Im umkämpften Krisengebiet haben knapp 300 Militärbeobachter der Vereinten Nationen versucht, in der unübersichtlichen Lage einen brüchigen Waffenstillstand zu überwachen. Nach dem Beschuss ihrer Fahrzeuge war die Sicherheit der Militärbeobachter nicht mehr gegeben. Der Auftrag war nicht mehr durchfürbar. Die Mission scheiterte.

Golan März 2013: Eine bewaffnete Gruppe syrischer Rebellen nahm 21 philippinische UN-Soldaten kurzfristig in Geiselhaft. Als Spielball der Rebellen wurden diese als Faustpfand in politischen Verhandlungen verwendet. Nach einigen Tagen erfolgte die Freilassung.

Golan Mai 2013: Abermals werden vier philippinische UN-Soldaten für kurze Zeit gefangen genommen.

UN-Soldaten im Allgemeinen und UN-Beobachter im Besonderen stehen aufgrund ihre Tätigkeit verstärkt im Kreuzfeuer.

Military Observer

Die drei Beispiele zeigen kritische Situationen einer Berufsgruppe, die in den Vereinten Nationen aus der Notwendigkeit der Krisenbewältigung entstanden ist: der Militärbeobachter. Obwohl sie ausschließlich aus erfahrenen Soldaten bestehen, ergibt sich auf dem zweiten Blick ein Widerspruch: Sie sind unbewaffnet. Dieser Umstand ermöglicht erst die Erfüllung ihrer oft heiklen und gefährlichen Aufgaben in den Einsätzen.

Die Blauhelme der Vereinten Nationen sind als Friedenssymbol in aller Welt bekannt. Derzeit stehen in rund 15 verschiedenen Missionen knapp 93 000 Soldaten und 17 000 Zivilisten im Dienst der Vereinten Nationen (UNO): Davon sind 1 970 unbewaffnete Militärbeobachter. Die Besonderheit von unbewaffneten Soldaten stellt sowohl für den einzelnen Soldaten als auch für die beteiligten Konfliktparteien vor Ort eine besondere Herausforderung und eine ungewohnte Situation dar.

Die Auswahl geeigneter Offiziere und deren intensive Ausbildung sollen auf ihre teilweise gefährlichen Aufgaben vorbereiten. In der Auslandseinsatzbasis des Österreichischen Bundesheeres in Götzendorf südlich von Schwechat wird in einem dreiwöchigen Kurs, der alle zwei Jahre stattfindet, durch erfahrene internationale Ausbilder das notwendige Rüstzeug vermittelt. Im Juni 2013 absolvierten 32 in- und ausländische Offiziere den 34. Military Observer Course.

Where it starts

11. Juni 2013: Ein heißer Sommertag in den Weiten nördlich des Leithagebirges. 32 Offiziere, davon fünf von ausländischen Armeen, rücken in die Kaserne nach Götzendorf ein. Die Internationalität ist ein Merkmal dieses Kurses. Schließlich sind in den Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen rund 115 Nationen vertreten. Der Vormittag ist mit administrativen Vorgängen eingedeckt. Am Nachmittag erfolgt die Englischüberprüfung. Vom ersten Tag an ist Englisch die Arbeitssprache. Für manche am Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig. Zudem wird die körperliche Leistungsfähigkeit getestet. Der Einsatz ist manchmal anstrengend, besonders in klimatisch ungewohnten Gebieten.

Für einen Einsatz als Militärbeobachter sind einige Grundvoraussetzungen nötig. Er/Sie muss

  • ein Offizier sein und eine abgeschlossene Ausbildung zum Kompaniekommandanten absolviert haben,
  • mindestens einen vorangegangenen Auslandseinsatz nachweisen,
  • einen Heeresführerschein der Klasse B besitzen und
  • Englisch der Leistungsstufe NATO Level 3 vorweisen.

Freiwilligkeit wird vorausgesetzt. Kein Offizier wird zu dieser Aufgabe gezwungen.

Die Regeln sind streng: Ein Kandidat hatte am Einstellungstag keinen Auslandseinsatz vorzuweisen. Mangelnde Erfahrung kann in einem Einsatz schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Er wird nach Hause geschickt. Die restlichen Kandidaten absolvieren alle Tests positiv. Drei fordernde Wochen liegen nun vor den Kursteilnehmern, bevor sie die internationale Zertifizierung in den Händen halten können.

Am Abend des ersten Tages wird in einem Grundsatzunterricht Sinn und Zweck der Friedensmissionen der Vereinten Nationen erklärt. Das blaue Barett verpflichtet nicht nur, sondern ist auch ein Symbol der Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen. Der erste Abend ist der Vorstellung des Ausbildungsteams und dem gegenseitigen Kennenlernen gewidmet. Teamarbeit ist die Voraussetzung, um in einem Einsatz seine Aufgaben erfüllen zu können. Einzelkämpfer sind nicht erwünscht. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Ohne Theorie bleibt die Praxis grau. Der zweite Tag gehört dem Unterricht. Power Point regiert den ganzen Tag. Zuerst wird den Kursteilnehmern nahegebracht, was eigentlich die Aufgabe von UN-Militärbeobachtern ist. Dass im Einsatz keine Waffen getragen werden, ist allen bereits im Vorfeld klar. Trotzdem ist es für Soldaten eine ungewohnte Situation. Wer damit nicht zurechtkommt, meldet sich erst gar nicht für diese Tätigkeit. Militärbeobachter haben keine Kampfaufgabe. Die Basis ihres Einsatzes ist ein Übereinkommen zwischen den beteiligten Konfliktparteien. Ohne diese Grundlage erfolgt kein Einsatz. Aber nicht alle halten sich daran. Dann wird es gefährlich. Die Haupttätigkeit erstreckt sich auf das Überwachen dieser Übereinkommen, die Untersuchung von Vorfällen, das Halten der Verbindung zwischen den Konfliktparteien, die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen vor Ort und die tägliche Berichterstattung. Die Bürokratie ist auch hier vorhanden.

Die Präsentation der gegenwärtigen Operationen der Vereinten Nationen gibt einen Überblick über das breite Feld an zukünftigen Einsatzmöglichkeiten, welche die Kursteilnehmer erwartet. Aber nicht nur die Aufgaben, sondern auch der geografische Raum ist breit gestreut. Von den Wüsten der Westsahara bis ins Bergland Nepals oder Georgiens ist es oft ein weiter Weg. Schnell wird klar: Luxus gibt es im Einsatz nicht. Die Unterkünfte und Büros sind oft spartanisch und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Der Betrieb wird durch die Militärbeobachter selbst aufrechterhalten. Kein Personal fürs Kochen, Schreiben oder Putzen - selbst ist der Soldat. Schon das schreckte einige ab. Doch die Kursteilnehmer wissen bereits, was sie erwartet.

Am Nachmittag wird den Kursteilnehmern ihre Ausrüstung übergeben. Für jeden eine Alukiste mit der Grundausrüstung: Schutzweste, Funkgerät, Erste-Hilfe-Ausrüstung, Karten, GPS-Navigationsgerät, Feldstecher und einiges mehr; pro Team ein Fahrzeug. Na gut, wenigstens nicht nur Fußpatrouillen. Beobachter sind oft den ganzen Tag im unwegsamen Gelände unterwegs. Da wird jeder Ausrüstungsgegenstand auf Vollzähligkeit und Funktionsfähigkeit überprüft. Außerhalb des Camps ist es zu spät. Teamarbeit wird immer wieder eingefordert, bis sie schon aus Eigenantrieb funktioniert.

Nach dieser Unterbrechung folgen noch einige Powerpoint-Vorträge. Die Kursteilnehmer gewöhnen sich bereits langsam an die militärische Fachterminologie. Sie werden sie bald brauchen. Einführungsunterrichte in Verhandlungsführung, Patrouilling und UN-Bürokratie runden den zweiten Tag ab, der erst um 2200 Uhr endet. Der erste theoretische Teil ist damit abgeschlossen.

Exercise

In den nächsten drei Tagen werden in einem Trainingsszenario die ersten Übungseinlagen durchgespielt. Alle nach einem bewährten Schema:

  • Erklärung der Situation;
  • Vorbereitung im Team;
  • Rollenspiel;
  • Nachbesprechung.

In Teams zu je drei Kursteilnehmer werden die einzelnen Situationen trainiert. Die erste Situation ist eine einfache Verhandlungsführung, so wie sie überall im Einsatz vorkommt: lokale einheimische Funktionsträger mit neutraler Haltung zu den Militärbeobachtern. Zu beachten sind die jeweiligen kulturellen Begebenheiten. Darauf wird jeder Einzelne während des gesamten Kurses sensibilisiert. Die Rollendarsteller sind alle einsatzerfahrene UN-Militärbeobachter; sie kommen für diesen Kurs sogar aus Kanada, Finnland, Deutschland, Schweiz und den Niederlanden. All dies ermöglicht eine ziemlich realitätsnahe Darstellung der jeweiligen Situation. Nach jeder Einlage erfolgt die Nachbesprechung durch das Ausbildungspersonal - "learning by doing" ist die Devise. Die Verhandlungsführung ist die Basis der Ausbildung und wird in den nächsten drei Wochen in den verschiedensten Situationen noch öfters durchgespielt.

Der Dienst auf einem Beobachtungspunkt gestaltet sich da schon einfacher - glauben die Kursteilnehmer. Besonders das unbeliebte Schreiben von Reports (Ereignisberichten) ist eine nicht zu unterschätzende Tätigkeit. Diese können die Grundlage für Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sein. Verhängnisvoll kann es sein, wenn es sich um unpräzise und falsche Informationen handelt. Durch diese Überlegungen wird die Sorgfalt aller Kursteilnehmer geschärft - auch bei derartigen Routinetätigkeiten. Um dieses Verständnis weiter zu fördern, werden die Struktur und Abläufe den einzelnen Teams, die Entscheidungsabläufe von den Hauptquartieren in den Einsatzräumen bis zur allerletzten Entscheidungsebene des UN-Sicherheitsrates anschaulich vermittelt.

Am Abend steht Orientierung im Gelände auf dem Programm. Die Handhabung des GPS-Gerätes ist für manche gewöhnungsbedürftig; kein Touchscreen wie bei einem Smartphone. Dafür ist es robust und zuverlässig und in der Wüste oft das einzige Orientierungsmittel. Da lernt man dieses Gerät und dessen Zuverlässigkeit schnell zu schätzen. Auch der dritte Tag endet offiziell um 2200 Uhr.

Der Vormittag des vierten Tages steht im Zeichen der Medienarbeit. Im Einsatz kann jeder Beobachter in die Situation eines Interviewten kommen. Pressesprecher gibt es keinen, und wenn, dann oft hunderte Kilometer weit entfernt. Als Vertreter der Vereinten Nationen wird jedes Wort in die Waagschale geworfen. Da ist ruhiges und überlegtes Auftreten gefragt. Die Interviews werden wie in einer Originalsituation von einer Kamera aufgenommen und dann einzeln im Gruppenrahmen nachbesprochen. Für viele ist es eine Überraschung, wie Eigenwahrnehmung und Fernsehbild auseinanderdriften. Der Nachmittag ist der Kommunikation mittels Funk gewidmet. Nachdem in einer Mission der Vereinten Nationen Soldaten aus den verschiedenen Armeen miteinander ihren Dienst versehen, sind besonders im Funkverkehr standardisierte Abläufe notwendig - zudem es Englisch in zahlreichen Dialekten gibt. Dies erleichtert das gegenseitige Verständnis ungemein. In Notfällen ist das überlebensnotwendig. Funk ist oft die einzige Möglichkeit der Verständigung. Für handyverwöhnte Europäer ist wohl ein Umdenken nötig.

Der Abend dient zur Vorbereitung des nächsten Tages. In einer Übungslage werden den ganzen Tag einzelne Situationen auf einem Patrouillenweg durchgespielt. Die Vorbereitung innerhalb des Teams wird schon bald zur Routine. Wer gewohnt ist, zu Bürozeiten zu arbeiten, ist ohnehin falsch am Platz. Jedes Team bekommt seine Aufgabe zugewiesen. Nach dem Rotationsprinzip kommt jedes Team in jeder Station zum Einsatz. So können innerhalb einer kurzen Zeit viele Szenarien trainiert werden. Als neue Themen kommen nun Nachforschung und Inspektion dazu. UN-Militärbeobachter müssen häufig Details von Waffenstillstandsabkommen kontrollieren und überprüfen. Dies stößt bei den lokalen Konfliktparteien nicht immer auf Gegenliebe. Korrektes und bestimmtes Auftreten unter Hinweis des vorhandenen Waffenstillstandsabkommens sind Garant für eine erfolgreiche Erfüllung des Auftrages. Die UN-Flagge kennzeichnet den Beobachter als Soldaten der Vereinten Nationen. Einen Kugelschutz stellt die Flagge aber nicht dar. Hier sind das Verhandlungsgeschick und das Auftreten jedes Einzelnen gefordert. Das wird in der Ausbildung stets vermittelt und auch ausgereizt.

Der letzte Tag der ersten Woche steht ganz im Zeichen des Minenschutzes und der Menschenrechte. UN-Militärbeobachter werden meist in Krisengebieten eingesetzt, in denen jahrelang Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppierungen stattgefunden haben. Minen und Sprengfallen werden in vielfältiger Weise und meist wahllos verwendet. Konfliktparteien sind weitergezogen oder haben sich aufgelöst - die Minen jedoch bleiben; und das über Jahrzehnte. Sie sind für die Zivilbevölkerung und die UN-Militärbeobachter meist die größte Gefahr. Das Erkennen der Gefahren und die Vermeidung von Unfällen stehen an erster Stelle. Denn die Hilfe durch einen Notarzt kann oft Stunden in Anspruch nehmen. Einen Minenunfall vermeiden und bei einem Unfall sich selbst in der Hektik nicht gefährden; das ist die Devise. Ein mulmiges Gefühl bleibt aber trotzdem zurück. Der Unterricht über die Menschenrechte ergänzt das militärische Allgemeinwissen und sensibilisiert die Kursteilnehmer für ihre breite Aufgabentätigkeit.

Ein kurzer Rückblick und eine Nachbesprechung beenden die äußerst intensive erste Ausbildungswoche. Allen Kursteilnehmern ist klar geworden, dass die Tätigkeit eines Militärbeobachters eine militärische untypische Aufgabe darstellt. Nicht der Kämpfer, sondern mehr der Diplomat auf lokaler Ebene ist gefragt. Die Nichtbewaffnung stellt dazu eher einen Vorteil dar. Das wird uns besonders in den nachfolgenden beiden Wochen noch einige Male klar.

Preparation for Departure

Die nächsten drei Tage der zweiten Woche stehen ganz im Zeichen einer Feldübung. Der Ablauf bleibt grundsätzlich gleich: Um 0800 Uhr Team Briefing, danach Vorbereitung in den Teams. Spätestens ab dieser Übung ist ein Teamgeist innerhalb der einzelnen Teams spürbar. Anders geht es auch gar nicht. Die Vorbereitungszeit ist kurz, die Aufgaben sind vielfältig. Ohne Teamwork würde jedes Team spätestens am zweiten Tag scheitern. Das merken die Ausbilder sofort. Denn zum Abschluss des Kurses wird jeder individuell beurteilt, ob er für diese anspruchsvolle Aufgabe geeignet ist. Von 0900 Uhr bis 1700 Uhr werden die bereits in der Vorwoche gelernten Tätigkeiten nochmals in Übungseinlagen trainiert. Nach jeder Einlage erfolgt ein kurzes Feedback. Schließlich sollen die Kursteilnehmer aus ihren Fehlern lernen. Nach dem Einrücken in das Camp erfolgt eine Nachbesprechung der Teams mit den Ausbildern. Danach müssen noch die jeweiligen Reporte geschrieben werden. In englischer Sprache und auf den richtigen UN-Formblättern. Zuerst ist das gewöhnungsbedürftig, aber schnell wird auch eine gewisse Routine erkennbar. Das spart letztendlich in den nächsten Tagen auch Zeit.

Bis 2130 Uhr erfolgt die Vorbereitung für den nächsten Tag. Am Mittwoch endet diese Übung. Danach findet eine große Nachbesprechung statt. Nur aus den Fehlern können Verbesserungen entstehen. Jede Situation ist anders. In der Ausbildung sind Fehler erwünscht, um zu lernen; im Einsatz ist es zu spät. Die Kursteilnehmer haben nun die Grundlagen für einen eventuellen Einsatz gelernt. Jetzt fehlt noch die Anwendung in einer intensiven Abschlussübung. Dazu verlegt der gesamte Kurs mit dem Großraumbus nach Vorarlberg.

Welcome to Mission Area

Die Verlegung von Ausbildungskader, Rollendarsteller, Kraftfahrzeuge und Ausbildungsgerät quer durch ganz Österreich stellt einen hohen logistischen Aufwand dar. Der Job als UN-Militärbeobachter rechtfertigen aber diesen Einsatz. Die Übung wird in einer internationalen Kooperation veranstaltet. An dieser nehmen 110 Offiziere aus 27 Nationen teil. Das Übungsgebiet erstreckt sich vom Raum Bodensee über das Dreiländereck Schweiz-Österreich-Deutschland. Die Verlegung von Götzendorf nach Vorarlberg erfolgt direkt in die einzelnen Teamsites. So heißen die im zivilen Umfeld angemieteten Häuser, ähnlich einem echten Einsatz. Aus diesen erfolgen die jeweiligen Übungseinsätze. Rund 16 Kursteilnehmer betreiben eine solche Teamsite: von der Küche bis zur Reinigung - die Organisation erfolgt durch die Teams selbst. Wie bereits seit Kursbeginn immer wieder hingewiesen: Ohne Teamfähigkeit ist kein Offizier als UN-Militärbeobachter geeignet. Die Abschlussübung soll dies nochmals unterstreichen.

Die neue Umgebung benötigt Einarbeitungszeit. Karten müssen vorbereitet werden, GPS-Geräte werden neu programmiert. Zur Unterstützung der Übung wird eine Übungslage ausgegeben. Wer sind die Konfliktparteien, wie stehen sie zur UNO, wo gibt es eine Minengefährdung. Die Vorbereitung der Teams auf ihre Einsatzaufgaben ist die Grundlage für den Erfolg im Feld. Unauffällig werden auch diese Tätigkeiten stetig von den Ausbildern bewertet. Die Arbeit auf den Teamsites nimmt den ganzen Freitag und Samstag vormittags in Anspruch. Das Briefing an die Übungsleitung beendet die Arbeitswoche. Der Sonntag ist frei und wird für eine Sightseeingtour verwendet.

Final Exercise

Die Abschlussübung dauert drei Tage, von Montag bis Mittwoch mittags. Der Ablauf ist möglichst einsatznah gestaltet. Die Aufträge kommen von einer Übungsleitung. Es ist oft unklar, was einem in der jeweiligen Übungseinlage erwartet. Das Verhalten der Rollendarstellung ist gegenüber der UN nicht immer als neutral zu bezeichnen. Die UN wird in dieser Übungslage selbst zum Spielball der Konfliktparteien. Der Ton wird rauer. Angeblich ist auch mit einer Geiselnahme zu rechnen. Radikale, unbekannte Splitterparteien sollen sich im Raum befinden. Auch wenn es nur eine Übung ist: Ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem. Die Verhandlungen mit den Konfliktparteien werden härter. Jetzt kommt es auf das diplomatische Geschick des Teams an. Hier zeigt sich, wer für heikle Missionen besonders geeignet ist. Die Aufgaben der UN-Militärbeobachter sind vielfältig. Ganz so, wie es in den vergangenen zwei Wochen gelernt wurde.

Die übungstechnisch komprimierte Form der Lage stellt für die Teams eine besondere Herausforderung dar. Jedes Mal muss die Ausgangslage analysiert werden. Niemals darf man ohne Vorbereitung in ein Gespräch gehen. Ergebnisorientiertes Verhandeln erfordert ein hohes Verständnis für die Interessen der jeweiligen Konfliktparteien. Und von denen gibt es in einem Einsatz oft viele. Nicht alle sind mit dem Waffenstillstandsabkommen einverstanden. Genau diese Gruppierungen stellen für die UN-Militärbeobachter eine besondere Gefährdung dar. Hier kommt wieder die Nichtbewaffnung ins Spiel. Nachdem die UN keine direkte Bedrohung für diese Gruppierungen darstellt, werden sie schlimmstenfalls entführt und als Druckmittel verwendet. So geschehen, wie eingangs beschrieben, mit den philippinischen UN-Soldaten im Nahen Osten. Bei direkter Bedrohung wären drei einsam bewaffnete UN-Militärbeobachter schnell unterlegen; daher lieber keine Bewaffnung und auf das eigene diplomatische Geschick vertrauen.

So werden die einzelnen Einlagen durch die Teams abgearbeitet. Die schriftlichen Reports werden am Abend an die Übungsleitung übermittelt. Die Vereinten Nationen leben schließlich von den Lagemeldungen der Teams vor Ort. Sie sind die "Augen und Ohren" des Sicherheitsrates.

Die Reaktionen der Teams auf unerwartete Einlagen werden von Kurstag zu Kurstag zunehmend routinierter. Egal ob Verhandlungen mit schwierigen Verhandlungspartnern, Vertretern von internationalen Organisationen oder nur mit einfachen Zivilisten geführt werden: Der UN-Militärbeobachter hat stets Ruhe und den Überblick zu bewahren. Ein Eskalieren der Lage ist auf jeden Fall zu vermeiden. Choleriker haben in dieser Funktion nichts zu suchen. Diese werden als solche von den erfahrenen Ausbildern relativ rasch erkannt. Die Einsatzeignung ist dann nicht gegeben.

Hostage

Wie die Gefangenennahme der philippinischen UN-Soldaten am Golan zeigte, ist in einem Einsatz mit einer direkten Geiselnahme zu rechnen. Diese kommt meist überraschend und ohne Ankündigung. Radikale Splitterparteien, die ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen wollen, gibt es überall. Es werden in einer Konfliktbewältigung niemals alle Parteien an einem Tisch sitzen. Die Vorbereitung auf eine solche Situation kann nur in Ansätzen geübt werden. Eine echte Geiselnahme lässt sich schwer simulieren. Trotzdem wird sie durchgespielt.

Plötzlich während einer Fahrzeugpatrouille, mitten auf einem einsamen Weg, fahren vor und hinter dem Patrouillenfahrzeug zwei Fahrzeuge unbekannter Gruppierung auf. Ein Weiterfahren ist nicht mehr möglich. Nicht einmal ein Notruf geht sich aus. Schon wird das Team aus dem Fahrzeug gezerrt und auf den Boden geworfen. Dann werden jedem die Augen verbunden. Auch wenn es sich um eine Übung handelt, für jeden steigt der Stresspegel. Die ganze Einlage wird durch einen Psychologen und einen erfahrenen Ausbilder überwacht. Jeder wird danach mit verbundenen Augen durch den Wald geführt. Schnell geht die Orientierung verloren. Die persönliche Ausrüstung wird durchsucht. Als Regel gilt: keine persönlichen Gegenstände bei sich tragen; keine Briefe, Fotos, Handys oder sonstige Aufzeichnungen. Nichts was Rückschlüsse auf das private Leben geben könnte. Wer möchte nach einem Einsatz schon eine Freundschaftsanfrage seiner Entführer auf Facebook? Danach wird das Team dem Rebellenführer vorgeführt. In dieser Situation ist der Handlungsspielraum der UN-Militärbeobachter praktisch gleich null.

Wichtig ist: das Team zusammenzuhalten, sich nicht in Widersprüche verstricken, nicht provozieren und keinesfalls lügen. Der kleinste Fehler kann in diesem Fall im Einsatz tödlich sein. Hier zeigt sich, dass nur geeignete Offiziere in dieser Funktion in den Einsatz gehen können. Ein Versagen in dieser Schlüsselszene würde eine negative Beurteilung bringen. Die Folge: kein Einsatz als Militärbeobachter. Die ganze Situation dauert knapp drei Stunden. Für viele eine unendliche Zeit. Im Einsatz können schon einige Tage bis zu einer Freilassung vergehen. Für so ein wertvolles Pfand wie einen Militärbeobachter wollen die Geiselnehmer so viel wie möglich herausholen.

Mission Accomplished

Die Geiselnahme stellt den Höhepunkt der Abschlussübung dar. Im Einsatz ist nach so einem Vorfall die Mission beendet; für den betroffenen Militärbeobachter sicher. Am Mittwochabend wird in einer gemeinsamen Abschlusszeremonie das Ende der Übung besiegelt. Am vorletzten Tag verlässt der Kurs den Übungsraum. Mit dem Bus quer durch Österreich - vom Bodensee bis zum Neusiedlersee. Aber auch die realen Einsatzräume sind außerhalb des europäischen Raumes. Fern der bekannten Welt und jenseits der Urlaubsgebiete.

Zurück in Götzendorf: Die drei Wochen sind wahrhaftig schnell vergangen. Vollgepackt mit Eindrücken und einer Menge Wissen dokumentiert das Abschlusszertifikat die Eignung zum Militärbeobachter. Für einige der Kursteilnehmer wird schon bald aus der Übung ein echter Einsatz.


Autor: Oberstleutnant Mag. Erwin Gartler MBA MPA, Jahrgang 1969. Eingerückt 1986 zum Pionierbataillon 2, von 1987 bis 1994 Artillerist im Landwehrstammregiment 52/Artillerieregiment 1, 1995 Vorbereitungssemester, danach bis 1998 Theresianische Militärakademie Jahrgang "Sterneck". Ausgemustert als 1. Offizier zum Panzerartilleriebataillon 3, danach Batteriekommandant. Ende 2004 Zentrum Einsatzvorbereitung in Götzendorf, Anfang 2006 Projektoffizier EU-Präsidentschaft. Ende 2006 bis 2008 im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Abteilung Militärpolitik/Referat EU, 2009 bis 2010 im Referat Vereinte Nationen. Seit 2011 Leitender Redakteur beim TRUPPENDIENST. Studium der Politikwissenschaft, Postgraduate Studium in Business- und Public Administration.

Auslandseinsätze: 2002 und 2004 bei KFOR als CIMIC-Offizier.

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