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Psychologie: Das Experiment in Allentsteig

Vielen ist der Psychothriller "Das Experiment" noch ein Begriff. Dieser Film handelt von einem Experiment, in dem eine Gefängnissituation nachgestellt wird, und dabei die Situation eskaliert. Weniger bekannt ist, dass dieser Film auf einer wahren Begebenheit beruht. Moritz Bleibtreu greift darin das Stanford-Prison-Experiment des berühmten amerikanischen Psychologen Philip G. Zimbardo auf. Dieser wollte damit die Wirkung des Rollenverhaltens untersuchen, was ihm überraschend gut - sogar zu gut - gelungen ist.

Unter Rolle versteht Zimbardo sozial definierte Verhaltensmuster, die von jemandem, der innerhalb einer Gruppe eine bestimmte Position einnimmt, erwartet werden. Im Stanford-Prison-Experiment wurden Freiwillige (Studenten) in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt den Auftrag sich wie Strafvollzugsbeamte in einem Gefängnis zu verhalten und die zweite Gruppe wie Sträflinge.

Problem übermäßige Rollenidentifikation Das für zwei Wochen geplante Experiment musste bereits nach sechs Tagen abgebrochen werden, weil es einen unerwarteten Verlauf nahm. Die "Gefangenen" wurden von den "Wärtern" schikaniert und es kam zu regelrechten "Gefangenenaufständen" die von den "Wärtern" brutal niedergeschlagen wurden. Einige Teilnehmer klagten danach sogar über schwere psychische Probleme.

Diese Entgleisungen waren im Wesentlichen die Folge einer übermäßigen Rollenidentifikation.

Seit den aus der Presse bekannten Vorfällen über Misshandlungen von Soldaten oder diversen Folterskandalen bei verschiedenen Streitkräften, deren Entstehung zu einem Gutteil ebenfalls auf die Überidentifikation mit einer Rolle zurückzuführen ist, ist dieses Rollenphänomen auch im Österreichischen Bundesheer ein Thema.

So befindet sich in der Durchführungsbestimmung "Truppenausbildung" eine "Besondere Anweisung für den Einsatz von Soldaten als Leitungstruppe und/oder im militärischen Rollenspiel", welche u. a. neben der psychologischen Betreuung der Rollenspieler während ihrer Einlagen auch deren Vor- und Nachbereitung regelt.

Wesentlich: Eine Rolle ist nur eine Rolle Bei der Übung Handwerk 09 wiesen die Kommandanten die eingesetzten Rollenspieler daher in den genauen Ablauf des Rollenspieles und in bestehende Ge- und Verbote ein. Weiters wurde mit einem Militärpsychologen über die Wirkung des Phänomens "Rolle" diskutiert und herausgearbeitet, wie man diese beeinflussen kann.

Die Rollenspieler wurden informiert, wie es zur Überidentifikation mit einer Rolle durch Gruppendruck, Verwechslung von persönlichkeits- und rollenspezifischen Verhaltensmustern oder Deindividuation (jemand setzt in der Gruppe Handlungen, die er alleine nicht oder nicht so setzen würde) kommen kann und wie man dem vorbeugen kann.

Sicherheit geht vor Übungszweck Die Beteiligten wurden explizit darauf hingewiesen, dass Sicherheit vor Übungszweck geht und dass ein Ausstieg aus der jeweiligen Rolle jederzeit möglich ist. Weiters wurden die Rollenspieler dazu angehalten, in den Pausen wieder "sie selbst" zu sein und die Rolle nicht weiter zu spielen, sowie ihr Tun einer Reflexion hinsichtlich ihres eigenen Wertesystems, der Vorschriftenlage, des Auftrages und allgemeiner sozialer Normen zu unterziehen.

Die Schiedsrichter und die Kommandanten der Rollenspieler erhielten den Auftrag, bei Verdacht auf bzw. bei Erkennen einer allfälligen Überidentifikation der Rollenspieler mit der Rolle das Rollenspiel abzubrechen oder die betroffenen Rollenspieler aus der Rolle zu nehmen.

Weiters war bei den Übungseinlagen, wie einer Demonstration, einer Evakuierung von Personen, Hinterhalten, "Happy Shootings" ("Freudenschüsse" bei Feiern, zum Jahreswechsel usw.) immer ein Kommandant und ein Militärpsychologe vor Ort (oder fernmündlich erreichbar), um bei einer Überidentifikation deeskalierend wirken zu können. Bei keinem dargestellten Szenario war ein Einschreiten des Militärpsychologen erforderlich, weil dank der Vorsichtsmaßnahmen und der umsichtigen Planung des durchführenden Verbandes kein einziger Rollenspieler eine Überidentifikation zeigte.

Der 4. Panzergrenadierbrigade ist es somit gelungen, sich bei der Handwerk 09 auf dem schmalen Grat zwischen realitätsnaher und gefährlicher Ausbildung so zu bewegen, dass die Truppe bestmögliche Lernmöglichkeiten hatte ohne sich dabei in einem entgleisenden Experiment wiederzufinden.

Autor: Oberleutnant Mag. Alexander Birner

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