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Einsätze im urbanen Umfeld - Beyond Borders

Das Thema von der Konzepterstellung bis zur Charakteristik des urbanen Umfeldes wurde bereits dargestellt (siehe TD 5/2011). Ein Blick "über die eigenen Grenzen hinaus" zeigt, wie andere Armeen an dieses Thema herangehen und welche Tendenzen und Absichten sich aus gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen abzeichnen.

Grundsätzliches

Zu Beginn des Artikels stellen sich bei der Behandlung dieser Thematik einige provokante Fragen:

Woher leiten sich Notwendigkeiten für urbane Einsätze ab?

Ist die Bezeichnung "urban" in der Fachwelt ein militärisches Modewort geworden?

"Macht" das Bundesheer es nur, weil es die "Anderen" auch machen oder sind hier doch nur Scharlatane am Werk?

Auf diese Fragen wird in weiterer Folge näher eingegangen und es wird versucht schlüssige Antworten darauf zu geben. Dabei sind die Erfahrungen des Autors und anderer aus Kursen, Meetings, Dokumenten, Aussagen und sonstigen Quellen zum Thema "Eintrittswahrscheinlichkeit des Kampfes im urbanen Umfeld" zusammengefasst.

Unterschiedliche Institutionen weisen sehr ähnliche Ergebnisse mit geringen Abweichungen auf: 2015 werden ca. 50 Prozent der Weltbevölkerung im städtischen Bereich, vor allem in Städten der Küstenregionen leben. 2025 werden es bereits rund 75 Prozent sein. Demzufolge schätzt man die Wahrscheinlichkeit, dass Streitkräfte künftig im urbanen Umfeld zum Einsatz kommen auf 65 bis 70 Prozent. Das sind jene Prognosen, die derzeit als allgemein angenommene Grundlage gelten.

Machtzentren liegen in der Regel in Städten, ihre symbolhafte Wirkung zieht Konflikte an. Die Beherrschung dieser Räume ist daher entscheidend. Den potenziellen Gegnern ist bekannt, dass sie modern ausgerüsteten Streitkräften sowohl zahlenmäßig als auch technisch unterlegen sind. Sie wissen aber auch, dass schon geringe Verluste westlicher Streitkräfte trotz erfolgreicher Einsatzführung ausreichen können, diese Einsätze in der Öffentlichkeit in Frage zu stellen. Sie müssen taktisch oft nur überleben, um strategisch zu siegen. Deshalb werden sie bestrebt sein, moderne Streitkräfte dorthin zu ziehen, wo die Vorteile der technischen Überlegenheit verloren gehen und gleichzeitig die Anfälligkeit für deren Verluste steigt.

Diese Tatsachen wurden durch Aussagen von hohen Militärs bei verschiedenen Vorträgen noch zusätzlich untermauert:

  • Actions in urban zones have topmost priority …
  • Present urban operations are the most significant and most important challenges within NATO …
  • Urban Operations is the future …
  • Größte Änderung in der nächsten Zukunft … der Wechsel in Richtung bzw. zum Einsatz von "Non Lethal Weapons" …
  • Today`s urban operations include some of the greatest challenges that soldiers can face …
  • Urban Operations bedeutet Einsätzein kleinen Dörfern genauso wie Einsätze in Städten unterschiedlicher Größe. Die Züge und Kompanien werden zu Hauptträgern des Gefechtes und müssen daher mit allen "assets" ausgestattet sein …
  • Egal wo, wann und warum Konflikte beginnen, es geht immer um die Kontrolle von politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Ballungszentrensowie Metropolen …
  • Konfliktverhütung und Krisenbewältigung erzwingen den Einsatz von Streitkräften dort, wo Konflikte entstehen, also gerade dort, wo viele Menschen dicht zusammenleben.

All diese Forschungsergebnisse, Prognosen, Aussagen sowie zusätzliche, persönliche Eindrücke bei internationalen Veranstaltungen lassen ein eindeutiges Schwergewicht für den Einsatz im urbanen Bereich erkennen. Forschung, Entwicklung, Beschaffung und Ausbildung bzw. Einsatzvorbereitung gehen in eine eindeutige Richtung.

Jüngste Einsätze, vor allem in Afghanistan, bestätigen diesen "Trend".

Hybrid Threats

Die in der Vergangenheit vorgenommene Unterscheidung von Auseinandersetzungen in konventionelle und nicht-konventionelle Konflikte spiegelt nicht die heutige Realität wider.

Im Jahre 2005 wurde der Begriff "Hybrid Warfare" erstmals innerhalb der U.S.-Streitkräfte auf strategischer Ebene angesprochen. In der Folge übernahmen zahlreiche Länder diesen Begriff, wenn auch meist mit unterschiedlichem Verständnis für dessen Inhalt.

Bis heute ist der Begriff "Hybrid Threats" weder in den USA noch international eindeutig definiert bzw. abgestimmt. Vor allem in der Frage der Gleichzeitigkeit der verschiedenen Herausforderungen und ihrer Austragung im selben Raum, ihrer Koordination und jener der handelnden Akteure unterscheiden sich in den verschiedenen Definitionen.

Ein so genanntes "Integrated Project Team" (IPT), bestehend aus militärischen und zivilen Vertretern aus den USA, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Spanien; beschäftigt sich seit Jahren mit aktuellen und vor allem zukünftigen Herausforderungen für westliche Armeen. Dabei wurde der Begriff "Hybrid" neu analysiert.

Vorschläge für mögliche Definitionen von "Hybrid Threats" durch das IPT:

The means and motives of opponents to inflict harm through simultaneous blending and coordination of both conventional and irregular activities.

Any adversary that simultaneously and adaptively employs a tailored mix of conventional weapons, irregular tactics, terrorism, and criminal behaviour to obtain their political objectives. This can be a state actor, a non-state entity or combination thereof. A "Hybrid Threat” is one posed by any current or potential adversary, including state, non-state and terrorists, with the ability, whether demonstrated or likely, to simultaneously employ conventional and non conventional means adaptively, in pursuit of their objectives.

Unter "Hybrid Threats" versucht man, ausgehend von der Evaluierung bestehender Konzepte, Vorschriften und Strukturen, der angewandten Taktik und Gefechtstechnik sowie aus bisherigen Einsatzerfahrungen neue Lehren zu ziehen. Aus erkannten "Fähigkeitslücken" werden gemeinsame Empfehlungen, Dokumente und ein gemeinsames Vorgehen erarbeitet. Schwergewicht dabei ist es, vor allem die Umfeldbedingungen und die Konfliktparteien im Hinblick auf gegenseitige Unterstützungen, Abhängigkeiten, Vernetzungen und Überschneidungen in Art, Zeit und Umfang in den nachstehenden Bereichen (Range of Operations and Activities) zu untersuchen:

  • Insurgency, Counterinsurgency (COIN),
  • Unconvential Warfare (UW),
  • Terrorism, Counterterrorism, Foreign Internal Defence (FID),
  • Stabilization, Security, Transition and Reconstruction (SSTR),
  • Strategic Communications Psychological Operations (PSYOP),
  • Information Operations (IO),
  • Civil Military Operations (CMO),
  • Intelligence and Counterintelligence, Criminal Activities, Law Enforcement (LE).

Herausforderungen

Dabei ergeben sich in der Einsatzführung für die Truppe folgende Herausforderungen:

  • Gefechtsverlagerung zu unteren Ebenen (Zug/Kompanie).
  • Fähigkeit des Kampfes für zersplitterte/abgetrennte Kräfte.
  • Fähigkeitsspektrum kleiner Organisationselemente.
  • Aufklärung/Überwachung auf unteren Ebenen.
  • Nichttechnische und technische Aufklärung auf unteren Ebenen bzw. laufendes Verfügbarmachen von Aufklärungsergebnissen für untere Ebenen.
  • Einheiten/Organisationselemente für zersplitterte/abgetrennte Einsätze sind nicht zweckmäßig organisiert.
  • Unzureichende Aufklärungsressourcen.
  • Non Lethal Weapons sind nicht integriert.
  • Kein Konzept, keine Doktrin, keine Vorgangsweise für diese Aktivitäten.
  • Notwendigkeiten bei der Ausstattung/Ausrüstung.
  • Mehr in die Tiefe (InfoOps, "verstehen" des Umfeldes, gemeinsames Vorgehen).
  • Gemeinsame "Sprache".

Letztendlich soll auf breiter Basis ein Konzept erstellt und ein Prozess für militärische Einsätze im urbanen Umfeld gegen hybride Gefahren in Abstimmung und Gleichschaltung mit bestehenden Dokumenten und Vorgangsweisen entwickelt werden.

Ausbildungsinfrastruktur Abgeleitet von laufenden militärischen Einsätzen ist seit Jahren eine Steigerung von Investitionen des Militärs in die Ausbildungsinfrastruktur erkennbar. Der Bedarf an Trainingsanlagen für urbane Einsätze wurde eindeutig als notwendig Voraussetzung erkannt, um entsprechende Gefechtstechniken zu üben, diese zu evaluieren bzw. um im Zuge von Einsatzvorbereitungen bestmögliche und einsatznahe Bedingungen zu schaffen.

Vorreiter im Bereich von Ausbildungsanlagen für urbane Einsätze in Europa sind die Streitkräfte von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden bzw. den USA und Kanada jenseits des Atlantiks. Die Niederlande hat den Bedarf an derartigen Ausbildungsanlagen bereits sehr früh erkannt und im Jahr 2002 die Ortskampfanlagen in Oosdorp mit 34 Objekten und in Marnehuizen mit 120 Objekten in Betrieb genommen. Beide Anlagen werden seither laufend den Bedürfnissen entsprechend adaptiert bzw. vergrößert.

Da das Errichten, Betreiben, Erhalten und Erneuern/Ergänzen von derartigen Anlagen eine wesentliche finanzielle Belastung für das Verteidigungsbudget darstellt, ist in der Zwischenzeit erkennbar, dass Streitkräfte, die nicht über derartige Anlagen verfügen, diese im Ausland anmieten. Dazu verlegen verschiedene Organisationselemente oder ganze Einheiten im Zuge von Einsatzvorbereitungen oder Kursen für mehrere Wochen auf solche Anlagen. Für beide Teile ergibt sich hier eine Win-Win-Situation.

Im Juni 2011 wurde in Schweden eine neu errichtete Ausbildungsanlage für urbane Einsätze in Betrieb genommen. Die ca. 500 x 500 Meter große Anlage mit über 40 neu errichteten, verschiedenen Objekten bietet die Möglichkeit bis einschließlich im Kompanierahmen den "Urban Warfare" zu üben.

Center of Excellence (COE)-ein Kompetenzzentrum Innerhalb der NATO existieren zurzeit 13 "Centers of Excellence" in den verschiedenen Fachbereichen, sieben weitere sind unmittelbar vor der Eröffnung oder in einer Verhandlungs- bzw. in der Entwicklungsphase.

Für den Bereich urbane Einsätze gibt es innerhalb der NATO jedoch nach wie vor keine Möglichkeiten, entsprechende Kurse, Seminare oder Ausbildungsgänge zu besuchen (es gibt z. B. keine Kurse in der NATO-Schule in Oberammergau). Darüber hinaus existiert auch kein COE/Urban Operations.

Frankreich hat im Vorjahr in Sissonne die größte Ausbildungsanlage in Europa für urbane Einsätze in Betrieb genommen und hat in der Zwischenzeit auch den Entschluss gefasst, diese Ortskampfanlage unter bestimmten Voraussetzungen als NATO COE zur Verfügung zu stellen. Sollte Frankreich das COE zugesprochen bekommen, sollen künftig auch Kurse für urbane Einsätze angeboten werden (z. B. für S3/Baon, KpKdt, Instruktoren/Trainer, …).

Mittlerweile haben auch die USA das Angebot unterbreitet, ihre Anlage "Muscatatuck" im Bundesstaat Indiana als COE zur Verfügung zu stellen.

Aufgrund von Bedenken vieler europäischer NATO-Mitgliedstaaten zum U.S.-Angebot (Entfernung, Kosten für Verlegung, etc.), kristallisiert sich derzeit folgende Lösung heraus:

- Ein COE in Europa (Frankreich/Le Cenzub): Ebene Brigade und darunter sowie - ein COE in USA (Indiana/Muscatatuck): Ebene Brigade und darüber.

Arbeitsfelder

Trotz inzwischen jahrzehntelanger Einsatzerfahrung werden westliche Armeen vor einige Herausforderungen gestellt:

Struktur der Truppe Organisationselemente und Einheiten sind bei Einsätzen im urbanen Umfeld nicht zweckmäßig organisiert. Dies kommt besonders dann zum Tragen, wenn zersplitterte bzw. abgetrennte Kräfte selbstständig zum Einsatz kommen. Wie erfolgt nun die "Überleitung bzw. der Transfer" des Hauptträgers des Gefechtes von der Ebene Brigade/Bataillon zur Ebene Kompanie/Zug?

Eigens geschaffene Verbände für urbane Einsätze stehen derzeit nicht zur Diskussion, eine Adaptierung bestehender Gliederungen und Ausrüstungen jedoch sehr wohl.

Offene Fragen

Wie kann der Soldat die "Flut" an Informationen "managen"?

Welche Informationen müssen den jeweiligen Organisationselementen und Soldaten zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung stehen?

Wie viel Information kann ein Kommandant vertragen bzw. verarbeiten?

Wie viel Information brauchen einzelne Soldaten ("Strategic Corporal")?

Unterirdische Räume Der Einsatz im urbanen Umfeld erfolgt auf drei Bewegungsebenen: Auf dem Boden, im Luftraum und in unterirdischen Räumen. Die Einsätze auf dem Boden sowie im Luftraum sind auf allen Führungsebenen zu beherrschen. Das Vorgehen bzw. Einsätze in unterirdischen Räumen bleiben zurzeit meist Spezialeinsatzkräften vorbehalten. Die Nutzung solcher Räume durch Streitkräfte beschränkt sich auf wenige Erfahrungswerte, Lessons Learned innerhalb der NATO sind (noch) nicht vorhanden.

Blick in die Zukunft

Entwicklungen bleiben nicht stehen, neue Erkenntnisse werden laufend bewertet. Die zunehmende Technologisierung ermöglicht es in immer größerem Ausmaß vor allem gefährliche Tätigkeiten durch technische Systeme und Maschinen durchführen zu lassen.

Es ist daher speziell im militärischen Bereich nahe liegend Technik dort einzusetzen, wo hohe Anforderungen an Soldaten gestellt werden bzw. besonderer Schutz von Soldaten notwendig erscheint.

Neben den bereits erwähnten Bereichen Hybrid Threats, Ausbildungsinfrastruktur und künftige Ausbildung (COE) beschäftigen sich westliche Armeen (vor allem U.S. Marine Corps) mit weiteren technischen Entwicklungen.

Zusammenfassung

Der weltweite Wandel von "rural" (ländlich) zu "urban" geprägten Einsätzen stellt sich zurzeit als die größte Herausforderung für alle (westlichen) Armeen dar. Dies muss in gleicherweise Konsequenzen, ausgehend von konzeptionellen Grundlagen bis hin zur Evaluierung von Gefechtstechniken, haben.

Der Zugang zu umfangreichen Einsatzerfahrungen, aktuellen Entwicklungen und sonstigen Informationen sowie deren Evaluierung und Umsetzung innerhalb der Streitkräfte ist nur eine von vielen Voraussetzungen, um Soldaten bestmöglich auf Einsätze im urbanen Umfeld vorzubereiten.

(wird fortgesetzt)


Autor: Oberst Ägidius Daniel Muhr, MSD; Jahrgang 1961. Ausgemustert 1984, Jahrgang Daun, als Infanterieoffizier zum Landwehrstammregiment 14. Verwendung als stellvertretender Kompaniekommandant bzw. Kompaniekommandant beim Landwehrstammregiment 14, stellvertretender S3, S3 und S4 beim Jägerregiment 1 bzw. beim Jägerbataillon 19, 2004/2005: Absolvierung des 6. Führungslehrganges 2/ 2. Lehrganges universitären Charakters Sicherheitsmanagement, 2003 bis 2008 stellvertretender Bataillonskommandant Jägerbataillon 19. Auslandseinsatz AUCON4/KFOR, mehrere kurze Einsätze bzw. Übungen im Ausland, seit 2008 Referent Entwicklung in der Grundlagenabteilung der Heerestruppenschule, seit 2008 ständiger österreichischer Delegierter bei der NATO Urban Operations Working Group.

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