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Professor Thomanek und die Entwicklung der Präzisions-Hohlladung

Mit dem Erscheinen der Panzer auf den Schlachtfeldern begann der Wettlauf zwischen Panzerung und Panzerabwehr: Immer stärkere Panzerungen führten zu immer schwereren, unhandlicheren Panzerabwehrwaffen. Der Österreicher Franz Robert Thomanek konzipierte deshalb bereits als Student 1932 eine tragbare Hohlladungswaffe zur Panzerbekämpfung. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in der von ihm mitbegründeten Firma Messerschmidt-Bölkow-Blohm-Apparatebau/Schrobenhausen (Deutschland) - heute EADS-Thomson-DASA-Wirksysteme - die so genannte Schrobenhausener Präzisions-Hohlladung.

Die Tanks im Ersten Weltkrieg waren für die Soldaten in den Schützengräben eine ernsthafte und oft tödliche Bedrohung. Zu ihrer Abwehr erhielten die deutschen Infanteristen erst 1918 ein 13-mm-Tankgewehr (ein Einzellader, System Mauser, mit einem überlangen Rohr). Dieses verschoss ein Stahlprojektil mit hoher Mündungsgeschwindigkeit, das auf 100 m Abstand bis zu 22 mm dicke Stahlplatten durchschlagen konnte. Das reichte gerade für die Kesselblech-Panzerungen der damaligen Tanks. (Das englische Wort "tank" war ursprünglich die Tarnbezeichnung für die ersten britischen Panzer, wurde aber bald generell für alle Panzer verwendet.) Während der Zwischenkriegszeit verschlechterten sich für den Infanteristen die Verhältnisse. Die Panzerbüchsen wurden kaum weiterentwickelt, und die Panzerabwehrkanonen waren in eigenen Zügen zusammengefasste, relativ schwere Mannschaftswaffen. Die Geschwindigkeit, die Feuerkraft und der Panzerschutz der neuen Generation der Tanks/Panzer stieg hingegen - verglichen mit jenen des Ersten Weltkrieges - um ein Vielfaches.

Die Hohlladung wird zur Waffe

Einer der Panzer der Zwischenkriegszeit war der französische Char Légère Renault NC 27 (siehe Foto). Er vereinte geradezu optimal Mobilität, Feuerkraft und Panzerung - diese konnte nicht einmal von allen damaligen Panzerabwehrkanonen durchschlagen werden. Das beschäftigte Franz Robert Thomanek, einen jungen Wiener Technik-Studenten, derart, dass er 1932 zur Abwehr dieses Panzers ein Tankgewehr mit 70-mm-Hohlladungsmunition konzipierte.

Hatten bislang die Abschussenergie der Waffe (z. B. des Mauser-Tankgewehres oder der Panzerabwehrkanone) und die damit verbundene Geschoßgeschwindigkeit den Durchschlag durch die Panzerung bewirkt, sorgte bei Thomaneks Entwurf die Abschussenergie nur mehr für den Transport des Geschoßes zum Ziel. Das Durchschlagen der Panzerung sollte - gänzlich unabhängig von der Abschussenergie und der Geschoßgeschwindigkeit - die Hohlladung übernehmen. Der damalige Student legte seinen Entwurf dem Österreichischen Bundesheer vor - aber wer hört schon auf einen jungen Studenten?

Doch auch in Deutschland bedurfte es noch vieler Anläufe, bis Thomanek 1934/35 mit Hellmuth von Huttern die erste Hohlladungswaffe bauen konnte, die er im November 1935 der Reichsregierung präsentierte. Das TG 70/M34 war aber kein großer Erfolg, denn der für die Hohlladung zu langsame Zünder (1/1000 Sekunde) vereitelte den Durchschlag durch den Panzerstahl. Außerdem erzeugte die großkalibrige Waffe einen noch stärkeren Rückstoß als die bisher üblichen Panzerbüchsen. Deshalb lehnte das Heereswaffenamt vorerst eine Weiterentwicklung ab.

Immerhin fand das Konzept einer billigen, leichten und effektiven Panzerabwehrwaffe Anerkennung, obgleich die Art der Lancierung des Hohlladungsgeschoßes noch nicht ausgereift war. Die deutsche Führung erkannte jedenfalls die Möglichkeiten, die sich daraus sowohl in der Anwendung für Infanteriewaffen als auch zur Leistungssteigerung anderer Munitionsarten, Bomben und Pioniermittel ergaben.

Thomanek arbeitete damals bereits für Prof. Schardin am Waffeninstitut der Luftwaffe in Braunschweig. Am 4. Februar 1938 entdeckte er dort den Hohlladungs-Auskleidungseffekt, der zu einem Quantensprung in der Leistung der Kampfmittel führte.

Auskleidungseffekt und Projektilbildung

Der Hohlladungseffekt ist eine Folge der Wechselwirkung der Detonationswelle der Explosionsladung mit der Oberfläche der axialen Aushöhlung.

Jede Detonationsfront breitet sich grundsätzlich kugelförmig aus. Trifft die Detonationsfront auf den kegelförmigen Hohlraum, entsteht darin eine konvergierende Stoßwelle von extrem hohem Druck und hoher Temperatur. Ist der Hohlraum außerdem dünn mit Metall ausgekleidet, wird dieses zuerst nach innen gestülpt und dann zu einem dünnen plastisch geformten Strahl (Stachel, Jet) mit extrem hoher Geschwindigkeit. Dieser dringt mit ca. 10 km/s in das Ziel ein.

Hat die Auskleidung eine große Wandstärke und einen flachen Winkel (z. B. zwischen 140° und 160°), wird die gesamte Auskleidung unter dem Detonationsdruck zu einem sprenggeformten Wuchtprojektil. Eine so aufgebaute Hohlladung nennt man daher Projektilbildende Ladung (P-Ladung).

Die Durchschlagsleistung (Eindringtiefe) des so entstehenden Projektils liegt bei 0,6 Kal bis 0,3 Kal (Kaliber; entspricht bei der Hohlladung dem Durchmesser des Auskleidungskegels) bei einer Auslösedistanz von zwei bis 1 000 Kal. Die Geschwindigkeit beträgt zwei bis drei Kilometer in der Sekunde (Ergebnisse bei Kupferauskleidung); sie ist also wesentlich geringer als bei der oben beschriebenen Ladung.

Die große Masse mit der großen Kontaktfläche bewirkt jedoch starke Sekundäreffekte (z. B. das Abplatzen von Teilen der Panzerung im Inneren des Panzers). Projektilbildende Ladungen finden deshalb auch in Panzerminen Verwendung.

Vom ersten Hohlladungseinsatz …

Am 10. Mai 1940 nahmen deutsche Truppen das belgische Sperrfort Eben Emael am Albert-Kanal im Handstreich. Das Fort hatte 700 Mann Besatzung und sollte mit seinen Panzerwerken die Maasübergänge von Briegden, Veldwezelt und Vroenhoven sichern. 78 deutsche Pioniere landeten mit Lastenseglern auf den Befestigungen, die erst 1935 nach den modernsten Erkenntnissen für eine Besatzung von 1 200 Mann erbaut worden waren. Die Pioniere verwendeten erstmals Hohlladungen (H 50; nicht ausgekleidete zweigeteilte 520-mm-Pionier-Hohlladungen) zur Sprengung von fünf Panzerkuppeln sowie einiger Kasematten und hielten die verstörte Besatzung in Schach, während Fallschirmjäger die Brücken in Besitz nahmen.

Der überraschend schnelle Fall der Festung in knapp 30 Stunden führte am 28. Mai zur Kapitulation Belgiens. Hatte man zuvor von der Uneinnehmbarkeit des Forts gesprochen, so sprach man jetzt über die neue Wunderwaffe. Das brachte den Durchbruch für die Hohlladung!

… bis zum Kriegsende im Mai 1945

Danach liefen Forschung, Entwicklung und Produktion in der Hohlladungstechnologie auf Hochtouren. In enormen Stückzahlen entstanden Gewehrgranaten, Haft-Hohlladungen, Hohlladungsgranaten für Artilleriewaffen, Bomben und Flugkörper mit Hohlladungsgefechtsköpfen.

Anfangs kamen die meisten Hohlladungen an der Ostfront gegen den russischen Kampfpanzer T-34 zum Einsatz, dessen Panzerung ansonsten fast nur von der deutschen 8,8-cm-FlAK bezwungen werden konnte.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden alleine im Deutschen Reich ca. 30 bis 50 Millionen Hohlladungen gefertigt, viele davon gelangten aber aufgrund des Zusammenbruches des Reiches nicht mehr zur Truppe.

Auf Seite der Alliierten erfolgte der Einsatz von Hohlladungen wesentlich später. Das Problem, die Hohlladung auf größere Entfernung in das Ziel zu bringen, lösten die Amerikaner 1942 mit dem 2,36-inch-Rocket Launcher "Bazooka". Dieser verschoss - praktisch rückstoßfrei - kleine Hohlladungsraketen.

Nachdem deutsche Truppen einige "Bazookas" erbeutet hatten, produzierte Deutschland die 88-mm-Raketenpanzerbüchse "Panzerschreck". Ihre 3,3 kg schweren Hohlladungsraketen durchschlugen bis zu 160 mm Panzerstahl, die Einsatzschussweite lag bei 150 m. Waffen dieser Bauart werden heute als Panzerabwehrrohre (PAR) bezeichnet.

Die ab 1942 laufende Parallelentwicklung der "Panzerfaust" (ursprünglich "Faustpatrone") beruhte hingegen auf dem Prinzip der rückstoßfreien Kanone, konnte aber nicht nachgeladen werden (Einwegwaffe). Die "Panzerfaust" 30 (6,9 kg, 45 mm Rohrdurchmesser, 100 mm Gefechtskopfdurchmesser, Masse des Gefechtskopfes 0,7 kg) hatte eine Einsatzschussweite von 30 m. Ihr Gefechtskopf durchdrang bis zu 140 mm Panzerstahl, was damals noch ausreichte.

Die genannten Waffensysteme waren billig, leicht und konnten von ein bis zwei Mann bedient werden - im Gegensatz zu den massigen Panzerabwehrkanonen. Ihre Durchschlagsfähigkeit war weder von der Auftreffgeschwindigkeit noch von der Schussweite abhängig. Eine nicht drallstabilisierte Hohlladungsgranate oder Hohlladungsrakete wirkte ähnlich wie eine Haftladung gleichen Kalibers. Drallstabilisierte Hohlladungen erlitten hingegen durch den Einfluss der hohen Fliehkraft auf den Stachel (Strahlaufweitung) eine empfindliche Leistungsminderung. Dies konnte erst später beim Gessner-Geschoß ausgeglichen werden. (In diesem ist die Hohlladung kugelgelagert, was ihren Drall verringert, allerdings bei gleichzeitiger Verminderung des nutzbaren Kalibers der Hohlladung.) Die von Thomanek entwickelte Auskleidung der Hohlladung sorgte nicht nur für eine größere Eindringtiefe, sondern bewirkte auch den unbeschädigten Erhalt der Sprengstoff-Aushöhlung bis zur Detonation. Die Hohlladungen durchschlugen trotz geringer Sprengstoffmenge jede damalige Panzerung und nahmen so dem Infanteristen ein wenig die Angst vor dem Panzer - sie waren ideale Abwehrwaffen. Die damalige geringe Reichweite und Treffsicherheit unter Kampfbedingungen stellten jedoch an den exponierten Infanteristen enorme psychische Anforderungen. Außerdem war der nach hinten austretende Feuerstrahl gefährlich und verriet die Position des Schützen.

Die Präzisions-Hohlladung

Thomanek beteiligte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich an der Erforschung und Weiterentwicklung der Hohlladung und schuf u. a. die so genante Schrobenhausener Präzisions-Hohlladung. Diese findet u. a. Verwendung in den Gefechtsköpfen aller Versionen der MILAN (Missile d’Infanterie Leger ANtichar), aller Versionen der HOT (High-subsonic, Optically Teleguided Missile) sowie des PARS 3 (Panzerabwehrraketensystem 3).

Die Herstellung einer Hohlladung ist heute allgemeiner Stand der Technik. Bei gleichem Kaliber, gleicher Masse, gleichem Sprengstoff, gleicher Auskleidung und gleicher Auslegung ergeben sich jedoch oftmals verschiedene Leistungen (siehe Grafik unten).

Dies zeigt sich in erster Linie - an einer niedrigeren Abstandskurve (Kurve, die den Mittelwert aus den Streubereichen der Eindringtiefen in ein Standardziel aus Panzerstahl darstellt; sie ist der Qualitätsnachweis eines Hohlladungs-Gefechtskopfes generell bzw. eines Lieferloses), - in einem starken Abfall dieser Kurve bereits bei zwei bis sechs Kal Zielabstand (Abstand von der Basis der Auskleidung zur anvisierten Zieloberfläche) und - im schnellem Verfall der Leistung bei großem Zielabstand sowie im großen Streubereich.

Bei der Schrobenhausener Präzisions-Hohlladung ist eine Durchschlagsleistung von zehn Kal bei mittlerem Zielabstand in ein homogenes Ziel (Rolled Homogenous Armour - RHA) die Norm. Die Ladung ist achsengenau, homogen und rissfrei und hat eine hohe, relativ zuverlässige, wiederholbare Leistung. (Ein Beschuss unter gleichen Bedingungen führt - statistisch - zu ähnlichen Ergebnissen.) Dies wird technologisch durch das Zusammenspiel optimaler Wirkparameter, durch optimierte Fertigungs- und messtechnische Prozesse erreicht sowie durch eine präzise Qualitätskontrolle vom Materialeingang über alle Stadien des Fertigungsprozesses.

Die Zielsimulation

Die Hohlladungsentwicklung folgt den Trends der Panzerentwicklung, im Idealfall nimmt sie diese sogar vorweg. Ziel- bzw. Panzerungsanordnungen aus Schichten von Panzerstahl, Keramik, Kevlar usw. dienen der Simulation vorhandener oder zukünftiger Panzerungen. Ihre Durchdringung in den verschiedenen Kaliberabständen ergibt als statistisches Ergebnis die Abstandskurve. Diese ist - wie bereits beschrieben - gleichsam der Qualitätsnachweis eines Panzerabwehrgeschoßes. Natürlich kann die Hohlladung auch andere Ziele durchdringen, z. B. Befestigungen und Bunker.

Verschiedene Zielabstände simulieren u. a. eine vorzeitige Auslösung des Gefechtskopfes vor dem eigentlichen Ziel, z. B. durch Laufrollen oder Schürzen. Schürzen sind allerdings gegen moderne Hohlladungen praktisch wirkungslos, sie lösen den Gefechtskopf fallweise sogar im optimalen Leistungsbereich aus.

Die Komponenten der Hohlladung

Die Hohlladung besteht aus relativ wenigen Komponenten. Dennoch gibt es über 40 Wirkfaktoren, deren Auslegung, Kristallgitter, Aufbau, Dichte, Geometrie, Herstellung und Integration erst eine Präzisions-Hohlladung ausmachen. Die wesentlichsten Komponenten (deren Wirkfaktoren meist untereinander in Wechselwirkung stehen) einer Präzisions-Hohlladung sind: - die Zündeinleitung (erfolgt durch einen piezoelektrischen Zünder innerhalb einer Nanosekunde über den Initialsprengstoff); - die Übertragungsladung (gepresstes Trinitrotoluol/Hexogen oder Trinitrotoluol/Oktogen); - die Sprengladung (Gemisch aus Trinitrotoluol/Hexogen oder Trinitrotoluol/Oktogen); - die Auskleidung (reinstes Kupfer oder eine duktile, d. h. gut verformbare Legierung); - die Lenkung der Detonationswelle (durch kompatible Kunststoffe verschiedener Dichte); - die Hülle und das Distanzstück (aus kohlefaser- oder glasfaserverstärkten Polyamiden oder Leichtmetall mit elektrischen Kontaktschalen und Flachbandkabel zum Zünder).

Stachelbildung und Eindringen

Die moderne Hohlladung besteht aus der rotationssymmetrischen Explosivladung, gepresst oder gegossen, mit der typischen, konischen Aushöhlung. Diese ist mit einer metallischen, duktilen Auskleidung versehen. Die Ladung wird an ihrem zielabgewandten Ende in der Achse von Ladung und Aushöhlung gezündet. Die Detonationswelle pflanzt sich über die Verstärkerladung durch den Sprengstoff fort und erreicht eine Geschwindigkeit in der Größenordnung von ca. 10 km/s, mit der sie auf die konische Auskleidung trifft. Der hohe Detonationsdruck bringt diese an der Kegelspitze zum Kollaps. Der Detonationsdruck erreicht z. B. für Oktol (Trinitrotoluol/Oktogen 70:30) ca. 310 kbar.

Der Prozess des Kollapses läuft analog der Bildung eines Flüssigkeitsstrahles. Unter den obigen Druckverhältnissen und bei den entstehenden ca. 600°C werden zwei Strahlen plastisch geformt: Der erste Strahl, der so genannte Stachel, entstammt der kollabierten Innenseite des Metallkegels.

Er streckt sich unter den vorherrschenden Bedingungen auf ein Vielfaches seiner normalen Dehngrenze. Der Stachel kommt vor dem Bolzen (siehe unten), hat weniger Masse als dieser, ist aber mit hoher Geschwindigkeit - an der Spitze über 10 km/s und am Ende ca. 2 km/s - unterwegs. Letzteres liegt an der geringeren umgebenden Sprengstoffmasse, die nur eine geringere Kollaps- bzw. Strahlgeschwindigkeit bewirkt.

Der andere Strahl, der so genannte Bolzen, ist massiv und langsamer. Er macht etwa 80 Prozent der ursprünglichen Ladung aus und erreicht ca. 500 bis 1 000 m/s. Für den Eindringprozess ist der Bolzen aber unwesentlich.

Trifft der Stachel auf eine Panzerplatte - bei einem Spitzendruck von ca. 600 kbar - dann verhält sich sogar das härteste Material wie eine stationäre Flüssigkeit und wird durchdrungen. Die Durchdringung ist eine Folge des Druckes und nicht der Hitze (kein "Durchschweißen")! Je tiefer der Stachel in das Material eindringt, umso mehr seiner Masse und Energie wird verbraucht (der hintere Teil ist ohnedies langsamer).

Bei erhöhtem Abstand (über 8 bis 12 Kal) kann sich der Stachel so strecken, dass es zu seiner Fragmentierung kommt. Diese führt zu einer geringeren Eindringtiefe, obwohl die Summe aller Partikellängen der Stachellänge entspricht.Bei einer gewöhnlichen Hohlladung tritt diese Fragmentierung oft schon wesentlich früher ein.

Eine Präzisions-Hohlladung kann Energien bis zu 100 000 N (Newton)/mm2 erzeugen (um einen bildhaften Vergleich zu bringen - das ist, als würde die Last einer ganzen Lokomotive direkt auf eine bleistiftspitzengroße Fläche wirken).

Militärische Nutzung heute

Es gibt heute - abgesehen von unterkalibrigen Wuchtgeschoßen - kaum noch Munitionsarten, die nicht den Hohlladungseffekt zur Durchdringung/Zerstörung von Zielen ausnützen: Hohlladungen werden heute primär als Panzerbekämpfungsmittel mit Eigenantrieb, als Granate, als Streumunition, in Bomblets (z. B. als Munition der Flugzeugbewaffnung Mehrzweckwaffe 1 - MW 1) oder als Projektilbildende Minen (ausgekleidete Flachkegel) eingesetzt. Die Schrobenhausener Präzisionshohlladung steht dabei weltweit in Verwendung (z. B. in den MILAN- und HOT-Panzerabwehrlenkwaffenfamilien einschließlich deren Tandemsystemen sowie im PARS 3, das zur 3. Generation der Panzerabwehrlenkwaffen zählt).

Weiters dienen Hohlladungen als Pioniermittel mit Bohr- oder Schneidwirkung gegen Befestigungen, Brücken und Rollbahnen.

Sie dienen auch zur Zerstörung von geräumten Ladungen (z. B. von Minen und Blindgängern).

Mit einem multiplen Hohlladungs-Käfig für Streuwirkung werden sie auch gegen Luftziele eingesetzt (z. B im Fliegerabwehrlenkwaffensystem "Roland").

Gegen Seeziele kommen sie in kombinierten Perforations- und Streuwirkungs-Gefechtsköpfen über Wasser sowie in Torpedo-Gefechtsköpfen zum Einsatz (z. B. im Seezielbekämpfungs-Lenkflugkörper "Kormoran"). Dafür wurde das System ursprünglich von der WASAG (Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG) zum Patent angemeldet.

Zivile Nutzung

Aufgrund der Fokussierung, der Explosivkraft und der Zuverlässigkeit wird die Hohlladung auch in der zivilen Technik genutzt. Typische zivile Anwendungen sind: Abbrucharbeiten mit Trenn- und Schneidladungen an Metallteilen und Stahlbeton, ebenso als Bohrmittel in Stahlbeton sowie in Gestein (Setzen von Sprenglöchern); Offshore-Erdöl- und Offshore-Erdgasbohrungen mit multiplen Hohlladungs-Perforationsköpfen; Hochofenanzapfungen durch "Jet-Tapper" ("Sprenglanzen"); Trennladungen zum Lösen von Trägerraketen und/oder von Raketensegmenten in der Raumfahrt; Simulation der Perforation von Satelliten und Raumfahrzeugen durch "Space Debris" ("Weltraummüll", Geschwindigkeit ca. 10 km/s) und durch Meteorite (Geschwindigkeit ca. 20 km/s) mit Hilfe von äquivalenten Hohlladungen; bei den Simulationen können derzeit Geschwindigkeiten über 14 km/s erreicht werden.

Zukunftsaussichten

Die Entwicklung der Hohlladungs-Gefechtsköpfe folgt nicht nur den Trends der Panzerwaffe, sondern sollte, wenn der Gefechtskopf zum Einsatz ausgeliefert wird, die Panzerentwicklung möglichst schon vorweggenommen haben. Die Panzerung wird ständig weiterentwickelt. Weil diese aber nach Anwendung aller elektronischen, thermischen und anderen Stör- bzw. Abwehrmittel immer noch der letzte Schutz gegen den anfliegenden Gefechtskopf ist, muss dessen Leistung dementsprechend gesteigert werden.

Die Hohlladung als Zerstörungsmittel ist derzeit durch andere konventionelle Mittel weder übertreffbar noch ersetzbar. Das gilt vor allem bei Infanteriewaffen in Bezug auf Effektivität, Transportmöglichkeit und einfache Bedienung.

Um eine große Eindringtiefe bei großem Lochdurchmesser zu erreichen, muss eine große Menge des Auskleidungsmaterials in einen geraden, langen, gleichmäßigen und dicken plastisch-geformten Strahl (Stachel, Jet) von höchster Geschwindigkeit umgesetzt werden. Veränderungen in den einzelnen Komponenten der Hohlladung führen dabei kaum noch zu einer Leistungssteigerung. Den größten Erfolg könnte ein Sprengstoff höherer Energiedichte und Detonationsgeschwindigkeit in Verbindung mit einem neuen, spezifisch schwereren Auskleidungsmaterial (neue Legierung), abgestimmt auf die Gefechtskopf-Geometrie, bringen. Ein neuer plastisch gebundener Sprengstoff (Plastic Bound Explosive - PBX) mit ca. 15 bis 20 Prozent höherer Energiedichte als Oktogen soll bereits in Entwicklung sein.

Vielleicht ergeben sich aber auch neue Mechanismen, ähnlich wie man sie in der Tandem-Hohlladung gegen die kombinierte Reaktiv-Panzerung gefunden hat (siehe Grafik unten).

Computerunterstützte Simulation

Um teure Tests der Perforation (die hydrodynamischen Gesetzen folgt) zu sparen, werden diese seit über zwei Jahrzehnten durch FEM-Programme simuliert (FEM - Finite Element Method; ein Analyseprogramm, das relativ komplexe Beziehungen simulieren kann). Dabei können der Kollaps der Auskleidung und die Eindringung dargestellt werden.

Diese Programme werden stets verbessert. Sie dienen der Voraussage von Versuchsergebnissen bzw. zu deren Bestätigung und helfen so bei der Weiterentwicklung der Gefechtsköpfe. FEM-Programme waren bisher jedoch nur Hilfsmittel, die die Versuche niemals komplett ersetzen konnten, denn über 40 Wirkfaktoren und deren Wechselwirkungen gleichzeitig zu simulieren, ist de facto auch mit dem leistungsfähigsten Programm bisher nicht möglich. Aber auch dieses Gebiet hat Zukunft!

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Die Hohlladung - von der Entdeckung der Wirkung bis zum militärischen Einsatz

Die Hohlladung wurde nicht von einer bestimmten Person erfunden. Viele Personen haben den Hohlladungseffekt erkannt und an seiner Verbesserung gearbeitet. Dies zeigt auch die folgende Übersicht: 1792: Man erkennt durch Zufall die Wirkung des Hohlladungsprinzips, kann es aber noch nicht verstehen.

ca. 1860: Captain Lepidi experimentiert in Frankreich bereits mit ausgehöhlten Ladungen von Granaten.

1883: Max von Förster (Schießbaumwollefabrik Wolff & Co, Walsrode, Deutschland) erkennt die Auswirkung des Hohlraumes in der Sprengladung und verfasst eine Publikation über hohle Ladungen.

1888: Charles E. Munroe sprengt in Newport (USA) mit mehreren um eine leere Dose angeordneten Dynamitstangen ein Loch in einen Safe (Munroe-Effekt).

1910: Die WASAG (Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG, Deutschland) meldet das Patent auf den Hohlraumeffekt an (hier Neumann-Effekt genannt, dieser sollte in einem Torpedo Verwendung finden; Grundlage waren die Arbeiten von Max von Förster) und nutzt 1912 zwei Patente für Hohlladungen, um Löcher ins Gestein zu sprengen.

1914 - 18: Sowohl in Deutschland als auch in Schweden werden Hohlladungen im Bergbau verwendet.

1921: Schulz (Deutschland) propagiert eine Sprengkapsel mit ausgehöhltem Ende.

1923 - 26: Sucharewsky (Russland) untersucht den Kumulationseffekt.

1932: Der Technik-Student Franz Robert Thomanek entwirft in Österreich ein Anti-Tankgewehr mit einem Hohlladungsgeschoß.

1934/35: Thomanek baut mit Hellmuth v. Huttern in Deutschland die erste Hohlladungswaffe der Welt - ein 70-mm-Tankgewehr.

1936: R. W. Wood (USA) entdeckt, dass ein ausgekleideter Hohlraum Fragmente hoher Geschwindigkeit erzeugt.

1938: Thomanek entdeckt die Wirkung der Einlage im Hohlraum und erforscht sie messtechnisch und wissenschaftlich.

1940: Der Schweizer Mohaupt bringt - unabhängig davon - das Hohlladungswissen in die USA.

1940: Bei der Eroberung des belgischen Sperrforts Eben Emael werden erstmals Pionier-Hohlladungen (H 50) eingesetzt - mit spektakulärer Wirkung.

1942: Der amerikanische 2,36-inch-Rocket Launcher "Bazooka" kommt zur Truppe.

ab 1943: Auf deutscher Seite werden in großer Stückzahl die 88-mm-Raketenpanzerbüchse "Panzerschreck" sowie leistungsfähige Versionen der "Panzerfaust" hergestellt.

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Professor Franz Robert Thomanek

Professor Thomanek verfasste zahlreiche wissenschaftliche Schriften und war Inhaber von mehr als 200 Patenten. Sein Hauptinteresse galt der Raketentechnik und der Raumfahrt. Prof. Dr. Manfred Held, Prof. Thomaneks langjähriger Mitarbeiter, schildert "Kaiser Franz" (so wurde Prof. Thomanek von seinen Mitarbeitern oft genannt) als liebenswerten, hilfsbereiten Menschen, Vorbild und Vaterfigur.

17. Juli 1913: Geburt in Wien.

1930 : Mitgliedschaft im Verein für Raumschifffahrt in Berlin.

12. März 1931: Mitbegründer der Österreichischen Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (mit Oberth, v. Pirquet u. a.).

1931 - 1938: Studium der Technischen Physik an der Technischen Hochschule Wien und dann in Berlin bei Prof. Cranz und Prof. Rothe.

1932: Idee und Konzept zur Panzerbekämpfung durch ein Tankgewehr mit Hohlladungsmunition.

28. November 1935: Präsentation der Hohlladungsentwicklung vor der Wehrmachtsführung in Berlin. Konzept einer billigen, leichten und leistungsfähigen Anti-Tank-Waffe (TG 70/M34). Tätigkeit bei Prof. Schardin in Berlin, Gatow.

1938: Graduierung zum Dipl. Ing. für Technische Physik an der Technischen Hochschule Berlin.

4. Februar 1938: Entdeckung des Auskleidungseffektes und Herstellung der ersten armierten (gänzlich mit Metall ausgekleideten) Hohlladung am Deutschen Forschungsinstitut für Luftfahrt in Braunschweig.

1940: Gründung der Sprengstoff-Versuchs GmbH in Berlin und Kaufbeuren. Beteiligt an der Entwicklung und Herstellung fast aller Hohlladungen für Deutschland.

1944: Auszeichnung für seine Entwicklungsarbeit auf dem Hohlladungsgebiet (Goldene Dr. Todt-Nadel).

1947: Verehelichung mit Christa Römer.

1948: Geburt seines Sohnes Franz Ulrich.

1957: Mitgesellschafter bei Ludwig Bölkow. Beginn der Arbeit am Panzerabwehrsystem "Cobra" und an Flüssigkeitstriebwerken für Raketen.

1958: Gründung und Aufbau des Werkes Schrobenhausen. Tätigkeit in Forschung und Produktion.

1966: Lehrauftrag als Professor für Ballistik an der Technischen Universität München.

1967: Geschäftsführer der Bölkow Apparatebau GmbH.

1970: Honorarprofessor für Ballistik an der Technischen Hochschule Berlin.

1973: Leiter des Zentralbereiches Technik bei Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB), Ottobrunn, am 31. Dezember 1973 Austritt aus der Firma.

ab 1974: Übersiedlung nach Vancouver, Kanada, später jedoch Rückkehr nach Schrobenhausen, um seine an Krebs erkrankte Gattin zu pflegen.

1980: Promotion zum Dr. Ing. mit dem Thema "Zur Kostenoptimierung von Trägerraketen" am Lehrstuhl für Raumfahrttechnik der Technischen Universität München.

21. November 1990: Tod in Schrobenhausen.

___________________________________ __________________________________ Neubearbeitung eines in der Österreichischen Ingenieur- und Architektenzeitschrift (ÖIAZ) Heft 2/2003 erschienenen Beitrages durch den Verfasser.

Autor: DI Helmut W. Malnig, Jahrgang 1933. Matura und Ausbildung in Wien und im Ausland. Tätig als Analyst, Systemingenieur und Projekt-Manager auf dem Energiesektor, in der Wehrtechnik sowie in der Luft- und Raumfahrt im In- und Ausland (BRD, Kanada); seit 1997 im Ruhestand. Mehrere Fachpublikationen (Wärmeübertragung) und Patente (Wehrtechnik). Verfasser zahlreicher Beiträge über technisch-kulturhistorische Themen.

Literatur und Quellen (Auswahl):

Terry Gander und Peter Chamberlain, Enzyklopädie Deutscher Waffen. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1999.

Fritz Hahn, Waffen und Geheimwaffen des deutschen Heeres 1933 - 1945. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1992.

Dr. Manfred Held, Hohlladungen II, Passiver und Aktiver Schutz gegen Hohlladungen. MBB/Schrobenhausen, Weil am Rhein 1984.

Dr. Manfred Held, Leistungsgrenzen von konventionellen Ladungs-Typen. MBB/Schrobenhausen, ca. 1976.

Dr. Manfred Held, Requirements for Modern High Explosive Charges. MBB/Schrobenhausen ca. 1985.

Ian Hogg, The Weapons that changed the World. Arbor House, New York 1986.

Archer Jones, The Art of War in the Western World. University of Illinois Press, Urbana und Chicago 1987, S. 571.

Willy Ley, Rockets, Missiles, & Space Travel. The Viking Press, New York 1961, S. 186 ff.

Rudolf Lusar, Die deutschen Waffen und Geheimwaffen des 2. Weltkrieges und ihre Weiterentwicklung. J. F. Lehmanns Verlag, München 1964.

Mc Graw-Hill; Encyclopaedia of Science & Technology. Mc Graw - Hill; New York 1987, Band 16, S. 338.

Rheinmetall; Waffentechnisches Taschenbuch. 2. Aufl., Rheinmetall GmbH, Düsseldorf, 1973.

Prof. Dr. Ing. H. Schardin; Über das Wesen der Hohlladung. Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure Heft 33/1956, S. 1837 ff.

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