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"Command responsibility" …

… auch für Verbrechen Untergebener im Einsatz

Im Jahr 1998 wurde mit der Errichtung des Rom-Statuts ein Meilenstein in der Geschichte des internationalen Strafrechts gesetzt. Aufgrund der im Artikel 28 des Rom-Statuts verankerten Vorgesetztenverantwortlichkeit (Command Responsibility) kann ein militärischer Kommandant auch dann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er es trotz Wissen und Möglichkeit unterlassen hat, Soldaten unter seiner Kontrolle an Straftaten zu hindern.

Die Soldaten der Signatarstaaten dieses Rom-Statuts sind den Regelungen der einzelnen Normen des Statuts unterworfen. Auch die Republik Österreich hat dieses Statut unterzeichnet und ratifiziert.

Die Formulierung dieser individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist so gestaltet, dass eine bewusstseinsbildende und vorbeugende (und damit verbrechensverhindernde) Wirkung der Norm erricht wird. Die Kenntnis des internationalen Rechts und die Bewusstseinsbildung über die eingegangenen Rechtspflichten muss in den Streitkräften der Vertragsstaaten gefördert werden.

Problematische Rechtsmaterie

Das Rom-Statut ist ein sehr junges juristisches Werk; deshalb fehlen bis jetzt - auch aus rechtshistorischer Sicht (Weigend, Thomas: Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Nr. 116, Heft 4/2004, Berlin.) - weitgehend Erfahrungswerte, Interpretationen und vor allem Urteile. Die Bedeutung und Reichweite der einzelnen Normen des Statuts ist umstritten und eine gesicherte Rechtspraxis existiert (noch) nicht.

Ein weiteres Problem ist, dass die im Rom-Statut behandelte Materie in den Bereich der militärischen Führung eingreift und diesen zu regeln versucht. Das bedeutet, dass ein Spezialgebiet der Rechtswissenschaft, nämlich das Völkerstrafrecht, in ein militärisches Spezialgebiet, nämlich das der militärischen Führung, eingreift. In Zukunft ist wohl mit ähnlichen Spannungen zwischen Politik, Strafgerichtshof und Militär zu rechnen, wie es sie jüngst im Fall der Auslieferung des kroatischen Generals Ante Gotovina gab, die als Vorbedingung für die Beitrittsverhandlungen Kroatiens zur Europäischen Union gehandelt wurde. Durch die verstärkte Ausrichtung des Österreichischen Bundesheeres auf Auslandseinsätze und den politisch forcierten Einsatz in ausländischen Krisengebieten ergeben sich auch neue Aufgaben und damit verbundene Gefahren, die sich rechtlich unmittelbar auf einzelne Kommandanten "im Feld" auswirken könnten. Zwar sind die österreichischen Soldaten im Peacekeeping-Einsatz für die hervorragende Erfüllung humanitärer Aufgaben international bekannt, jedoch ist bei den Krisenherden der Zukunft - mit einer oft komplizierten Konfliktstruktur - besondere Aufmerksamkeit geboten. Warnende Beispiele sind die Vorwürfe gegen schwedische UN-Soldaten während der Kongo-Krise 1961, weil sie die Verschleppung und spätere Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba zugelassen haben, sowie der Fall eines österreichischen UN-Polizisten im Kosovo, der sich Foltervorwürfen ausgesetzt sah.

Das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofes

Das Rom-Statut ist die vertragliche Grundlage zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag. Das Statut wurde am 17. Juli 1998 in der letzten Nacht der Konferenz der Staatenvertreter in Rom beschlossen; in Kraft trat es am 1. Juli 2002. Jeder, der nach diesem Datum eine nach dem Statut strafbare Handlung (wie z. B. Kriegsverbrechen) begeht, kann vom IStGH verfolgt werden.

Härtester Opponent des IStGH sind die USA, die eine Auslieferung von US-Staatsangehörigen an den IStGH ausschließen wollen. Deshalb haben die USA das Rom-Statut auch nicht ratifiziert. Weitere Staaten, die das Statut ebenfalls nicht ratifiziert haben, sind die Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien und die Türkei. Hauptkritikpunkt am IStGH ist unter anderem die Untergrabung des Primats der Politik.

Das Prinzip der Verantwortlichkeit des Vorgesetzten

Das Prinzip der Verantwortlichkeit des Vorgesetzten ist nicht neu und schon in der Genfer Konvention von 1949 enthalten. Es hat gewohnheitsrechtlichen Charakter (sozusagen die "normative Kraft des Faktischen") und wurde zudem in den Artikel 28 des Rom-Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als besondere Verantwortlichkeit für militärische Vorgesetzte aufgenommen. Sein Anwendungsbereich erstreckt sich sowohl auf internationale wie auch auf nationale und bilaterale bewaffnete Konflikte.

Das Besondere daran ist, dass der Kommandant nicht nur für eigene, sondern auch für fremde völkerstrafrechtlich relevante Taten unmittelbar persönlich verantwortlich gemacht und daher in weiterer Folge vom Internationalen Strafgerichtshof verurteilt werden kann.

Grundsätzlich gilt nach dem Rom-Statut das Prinzip der Komplementarität, wonach zuerst jeder einzelne Vertragsstaat verpflichtet ist, die begangenen Verbrechen zu verfolgen. Ist dieser bzw. dessen Vertreter dazu nicht in der Lage oder nicht willens, werden internationale Tribunale tätig, wie beispielsweise die anlassbezogen installierten Tribunale der Vereinten Nationen für das frühere Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia - ICTY) und Ruanda (International Criminal Tribunal for Ruanda - ICTR). Diese verfügen jeweils über eigene Statute und wurden bereits vor Abschluss des Rom-Statuts eingerichtet.

Der Artikel 28 des Rom-Statuts (Volltext): Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter

Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt Folgendes: a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- beziehungsweise Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn i) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, und ii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.

b) In Bezug auf unter Buchstabe a) nicht beschriebene Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse ist ein Vorgesetzter strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben, wenn i) der Vorgesetzte entweder wusste, dass die Untergebenen solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer Acht ließ; ii) die Verbrechen Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen, und iii) der Vorgesetzte nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.

Inhalt des Artikels 28

Die im Artikel 28 des Rom-Statuts verankerte Vorgesetztenverantwortlichkeit (Command Responsibility) sieht vor, dass ein militärischer Kommandant (oder auch ein Zivilist, der eine ähnliche Funktion ausübt) strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er es trotz Wissen und Möglichkeit unterlassen hat, Soldaten unter seiner tatsächlichen Kontrolle an Straftaten zu hindern. Er kann auch dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er es unterlassen hat, die Verursacher zu bestrafen oder geeignete Maßnahmen zu treffen, sie einer Bestrafung zuzuführen, indem er beispielsweise den Fall an die zuständigen Behörden bzw. Disziplinarvorgesetzten meldet (siehe dazu auch den Volltext des Artikels 28 im obenstehenden Kasten).

Beispiel: Ein Untergebener nimmt an einem Völkermord teil, indem er mehrere Angehörige einer bestimmten Volksgruppe aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser tötet, und sein Kommandant ergreift, trotz des Wissens über diesen Sachverhalt und der Möglichkeit, die Tat zu verhindern, keine Maßnahmen dagegen. Der Kommandant wird nicht wegen Völkermordes (Artikel 6 in Verbindung mit Artikel 25 des Rom-Statuts) zur Rechenschaft gezogen, sondern wegen der Verletzung seiner Aufsichtspflicht als Kommandant (Artikel 28 des Rom-Statuts). Allerdings ist das Ausmaß der Bestrafung des Kommandanten von der Schwere des vom Untergebenen begangenen Verbrechens (in diesem Fall Völkermord) abhängig.

Die Vorgesetztenverantwortlichkeit gilt nicht nur bei solch extremen Verbrechen, sondern für sämtliche der nach dem Rom-Statut strafbaren Handlungen.

Zivilpersonen, welche in der Praxis als militärische Befehlshaber handeln, sind in ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit den militärischen Kommandanten gleichgestellt. Dies sind in der Regel Zivilpersonen (insbesondere politische Amtsinhaber), welche Befehlsgewalt über Truppen oder Truppenteile haben, sowie zivile Vorgesetzte mit de facto-Autorität über nichtmilitärische Elemente (wie z. B. den Behördenapparat, Jugend- und Vorfeldorganisationen politischer Parteien). Auch Firmeninhaber oder Vorgesetzte aus Handel, Gewerbe und Industrie zählen dazu. Als Beispiele im Sinne des Völkerstrafrechts seien hier Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic genannt, die für zahllose Gräueltaten vor allem an Zivilisten während des letzten Balkan-Krieges verantwortlich gemacht werden. Slobodan Milosevic wurde am 1. April 2001 in Belgrad verhaftet und im Juni desselben Jahres an den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag ausgeliefert. Den Ausgang seines Prozesses erlebte Milosevic nicht mehr - er verstarb am 11. März 2006 an einem Herzinfarkt. Nach Radovan Karadzic wird ebenso wie nach General Ratko Mladic seit Jahren - bisher ergebnislos - gefahndet.

Ziele des Artikels 28

Der Artikel 28 soll sicherstellen, dass Staaten und deren bewaffnete Kräfte ihrer Verpflichtung zur Einhaltung des humanitären Völkerrechtes nachkommen. Besonders wichtig ist dabei - wie bereits erwähnt - die generalpräventive Wirkung des Artikels 28. Die Streitkräfte der Vertragsstaaten - also auch das Österreichische Bundesheer - können so durch eine entsprechende Schulung ihrer militärischen Kommandanten dazu beitragen, dass dieses Rechtsbewusstsein im Sinne eines positiven Beispiels (Vorbildfunktion) auch von anderen Staaten übernommen wird. Dies gilt besonders für jene Staaten, in denen österreichische Soldaten derzeit oder künftig zur Friedenssicherung eingesetzt werden.

Mögliche Probleme

In der Praxis könnte der breite Bereich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Artikels 28 des Rom-Statuts Soldaten und Juristen aber durchaus Probleme bereiten. Um der Begehung von völkerstrafrechtlich relevanten Verbrechen vorzubeugen, ist einerseits eine gute Ausbildung und Disziplin der Truppe erforderlich sowie andererseits eine ständige Kontrolle und Dienstaufsicht der unterstellten Soldaten bzw. der Truppe notwendig. Dazu kommen noch die tatsächlichen Verhältnisse im Einsatzraum der Truppe (wie z. B. das Bedrohungsbild im Einsatzraum, die materielle Versorgung, aber auch die psychologische und die seelsorgerische Betreuung etc.), die jedoch nicht allein in der Einflusssphäre des einzelnen Kommandanten liegen, da auch er nur eine Funktion innerhalb eines größeren Systems ausübt. Dennoch kann das Zusammenspiel widriger Umstände aber zu strafrechtlich relevanten Handlungen führen, für die der Kommandant unmittelbar persönlich verantwortlich gemacht werden könnte. Der beste Weg, dem entgegenzuwirken, ist eine qualitativ gute und intensive Ausbildung der Kommandanten vor und auch während des Einsatzes hinsichtlich jener Rechtspflichten, die sich aus dem Völkerrecht ergeben und die der einzelne Soldat zu beachten hat. Dadurch ist zusätzlich eine breite generalpräventive Wirkung im Sinne des Rom-Statuts (durch die eingangs erwähnte Vorbildwirkung auch für die Streitkräfte anderer Staaten und Konfliktparteien) gegeben. Außerdem wird bei den in Krisengebieten eingesetzten Kommandanten der Blick für völkerstrafrechtlich relevante Handlungen der Konfliktparteien geschärft, deren Beobachtung und Meldung möglicherweise zu seinem Auftrag zählt. Die Kenntnis des maßgeblichen Rechts ist hierzu jedenfalls der erste Schritt.

___________________________________ __________________________________ Autor: Oberleutnant Mag. iur. Rémy Horcicka, Jahrgang 1979; 1997 Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung, 1998 bis 2002 Milizoffiziersausbildung (Jäger). 2000 Auslandseinsatz am Golan (AUSBATT/UNDOF). 2002 Ausmusterung zum Leutnant. 1998 bis 2004 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg, 2004/05 Gerichtspraxis im Sprengel des Oberlandesgerichts Linz. 2005 Teilnahme an der 7th Session of the Salzburg Law School on International Criminal Law. Derzeit Forschungsassistent am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Salzburg.

Weiterführende Literatur:

Triffterer, Otto: Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 1. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1999.

Weigend, Thomas: Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Nr. 116, Heft 4/2004, Berlin.

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