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Kindersoldaten - was tun?

Die Rekrutierung von Kindern ist ein Kriegsverbrechen und erfolgt dennoch systematisch. Zigtausende Kindersoldaten nehmen aktiv an kriegerischen Einsätzen teil und können selbst für professionelle Soldaten gefährliche Gegner sein - auch bei Peace Support Operations. Wie geht man nun mit Kindersoldaten um und wie kann man diesen die Rückkehr in ein normales Leben ermöglichen?

Schon der Begriff Kindersoldat wirkt zwiespältig, ist doch der westlichen Vorstellung nach ein Kind ein sehr junger, zu schützender Mensch und ein Soldat ein erwachsener, trainierter, professioneller Kämpfer. Doch gerade diese Zwiespältigkeit umreißt den Begriff so treffend.

Weltweit rechnet man heute mit insgesamt 250 000 bis 300 000 Kindersoldaten zwischen sieben (!) und 17 Jahren. Anfang der 1990er Jahre lag die Zahl noch bei 200 000. Der Großteil der Kindersoldaten ist aktiv an kriegerischen Einsätzen beteiligt. Die meisten (rund 120 000) leben in Afrika - z. B. in Sierra Leone, in der Demokratischen Republik Kongo oder im Sudan - und in Asien, etwa in Burma oder Sri Lanka. Aber auch in Lateinamerika gibt es Kindersoldaten z. B. in Kolumbien.

Der Präsident von Uganda, Yoweri Kaguta Museveni, dessen Truppen einen bedeutenden Kinderanteil hatten, sagte 1987 in einem Interview, man würde in Afrika bereits "mit vier Jahren lernen zu kämpfen", das sei Tradition. Aber auch in Afghanistan war Schätzungen zuolge noch 2001 etwa jeder zehnte afghanische US-Verbündete minderjährig.

Auch Mädchen werden von bewaffneten Organisationen rekrutiert - meist um die sexuellen Bedürfnisse der Kämpfer zu befriedigen und z. B. als Köchinnen im Lager. Kampfeinsätze von Mädchen sind dabei keine Ausnahme. In Äthiopien stellen Mädchen (und Frauen) ein Viertel bis knapp ein Drittel der Rebellenstreitmacht.

Das Internationale Recht ist klar …

Die Regelungen des Internationalen Rechts bezüglich Kindersoldaten sind klar: Für bewaffnete Konflikte verbietet das sogenannte Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren zur unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten und setzt das Mindestalter für den freiwilligen Eintritt in die Streitkräfte mit 16 Jahren fest. Das Fakultativprotokoll sieht überdies vor, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppen keinesfalls Personen unter 18 Jahren rekrutieren dürfen. Dabei bleibt allerdings offen, wie man nicht-staatliche Akteure völkerrechtlich in die Pflicht nehmen kann, denn gerade die "Armeen" der Warlords und nicht-staatliche paramilitärische Verbände sind dabei das größte Problem! (Die 18-Jahr-Grenze gilt übrigens auch in Österreich. Das Bundesheer kann Wehrpflichtige nach Freiwilligmeldung zwar vor Erreichen des 18. Lebensjahres einberufen, darf diese jedoch nicht in einen Einsatz schicken.) Der Artikel 77 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen bestimmt den Schutz von Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren in internationalen Konflikten ("Krieg"); für nicht-internationale Konflikte ist das Verbot, Kindersoldaten einzusetzen, im Artikel 4 des Zweiten Zusatzprotokolls verankert. Die Rekrutierung von Personen unter 15 Jahren ist nach dem Völkergewohnheitsrecht ein Kriegsverbrechen (Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998).

… unklar ist die Durchsetzbarkeit

Wesentlich weniger klar ist die Frage der Durchsetzbarkeit solcher Bestimmungen. "Wir lassen keine Kinder für uns kämpfen.", behauptete z. B. Raúl Reyes, der Sprecher der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Für ihn ist aber ein Fünfzehnjähriger ein Mann und eine Fünfzehnjährige eine Frau, denn - so Reyes - "wir haben unsere eigenen Gesetze".

Die Anwerbung und der Einsatz von Kindersoldaten erfolgen also nicht nur aus "Sachzwängen", sondern sind eine gezielte Strategie. Unklar ist auch, inwieweit Kindersoldaten nach internationalem Recht als Kombattanten anerkannt werden, vor allem wenn sie bei nicht anerkannten Organisationen kämpfen. (Eine der Hauptwaffen der Kindersoldaten ist dabei die "kinderleicht" zu bedienende Kalaschnikow AK-47, die auf dem Schwarzmarkt häufig nur soviel kostet wie ein Huhn oder eine Ziege.) Für Kindersoldaten existiert keine unumstrittene, allgemein gültige Definition. Für den "Westen" gelten als Kindersoldaten grundsätzlich alle Jungen und Mädchen unter 18 Jahren, die in Streitkräften oder bewaffneten Gruppierungen militärisch oder zivil eingesetzt werden.

Das Phänomen der Kindersoldaten ist eng mit den politischen Gegebenheiten vor Ort und dem Problem der AIDS-Krankheit verbunden (weltweit gibt es vermutlich 40 Millionen "AIDS-Waisen"). Kindersoldaten sind demnach leicht anwerbbar und vergleichsweise "billig". Der Zusammenbruch der staatlichen Kontrolle (und des staatlichen Gewaltmonopols) führt zu Armut und Hoffnungslosigkeit. Mitte der 1980er Jahre ging man von rund 30 Millionen obdachlosen Kindern weltweit aus, Ende der 1990er Jahre waren es rund 100 Millionen. In den Failing oder Failed States (oder Wirtschaftsräumen) begnügen sich Kinder oft schon mit dem von den Rekrutierenden versprochenen Angebot an Nahrung, Kleidung, medizinischer Grundversorgung und sozialer Eingebundenheit. Auch die in Aussicht gestellte Teilnahme an Plünderungen ist für viele Anlass genug, sich freiwillig zu melden. Dazu kommt oft auch Wut über und Rachedurst für Unrecht, das ihren Familien angetan wurde. Manche Kinder werden auch von ihren Eltern an bewaffnete Verbände verkauft.

Die Rekrutierung von Kindersoldaten erfolgt häufig in Flüchtlingslagern und ist umso einfacher je weniger "Lebenserwartung" und "Zukunft" deren Insassen haben. Die Sicherung und der geregelte Betrieb von Flüchtlingslagern (z. B. des UN-Flüchtlingshochkommissariats im Tschad) mit einem realistischen "Ausstiegsszenario" für die Flüchtlinge ist somit auch ein wirksames Mittel zur Verhinderung der Rekrutierung von Kindersoldaten.

Kindersoldaten als militärisches Problem

Sergeant Nathan Chapman war der erste in Kampfhandlungen Gefallene der US-Streitkräfte in Afghanistan. Er wurde am 4. Jänner 2002 von einem vierzehnjährigen Kindersoldaten getötet. Die Deutsche Bundeswehr hatte während der EU-Operation "ARTEMIS" 2003 das erste Mal Kontakt mit (kongolesischen) Kindersoldaten, dem damaligen deutschen Verteidigungsminister Peter Struck nach "mit von Drogen bestimmten Kindersoldaten, die keinen Respekt vor dem menschlichen Leben kennen." Österreichische Soldaten wurden bisher mehrmals Zeugen von Kindersoldatentum, vor allem bei Beobachtereinsätzen. Auch das österreichische Jagdkommando-Kontingent im Tschad war mit Kindersoldaten konfrontiert. Eine direkte Konfrontation mit Kindersoldaten ist auch bei künftigen Einsätzen möglich.

Für die militärische und auch persönliche Bewältigung militärischer Aufgaben im Rahmen eines internationalen Einsatzes ist deshalb wichtig, das Phänomen Kindersoldaten zu kennen. Denn die von Kindersoldaten ausgehende Gefahr ist einerseits durch die Kindersoldaten selbst begründet andererseits durch unsere - an sich begrüßenswerte - Sozialisation im Umgang mit Kindern. In den Händen von Kindersoldaten ist die Kalaschnikow u. a. ein Werkzeug, Macht auszuüben - gegenüber allen, die sich ihnen entgegenstellen. Darüber hinaus sind (bewaffnete) Kinder eben oft unberechenbar. Sie haben auch kaum ein ausgeprägtes Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein, besitzen zudem nur ein geringes Gefahrenbewusstsein und kämpfen dementsprechend mit großer Kühnheit. Anders als westliche Soldaten haben sie in ihrer Ausbildung auch meist keine selbstreflektierende Handlungskontrolle (sprich: militärische Disziplin) erlernt.

Bevor Kinder als Soldaten eingesetzt werden, durchlaufen sie oft eine regelrechte Gehirnwäsche. Kinder sind meist leichter zu manipulieren als Erwachsene und lassen sich eher zum "Kadavergehorsam" und als "Kampfmaschinen" drillen. In manchen Fällen stehen Kindersoldaten auch unter Drogen- oder Alkoholeinfluss. Deshalb sind die Opferzahlen unter Kindersoldaten sehr hoch. Kindersoldaten können somit auch für hochprofessionelle westliche Soldaten gefährliche Gegner sein.

Meist unterschätzen westliche Soldaten (wie auch andere Angehörige des westlichen Kulturkreises) die Gefahr, die von Kindersoldaten ausgeht ("Das sind ja nur Kinder ..."). Dazu kommt die normalerweise hohe Hemmschwelle, auf ein Kind zu schießen. Auch die mediale Öffentlichkeit in den Entsendeländern wird dem Phänomen Kindersoldaten oft nicht gerecht. Westliche Streitkräfte geraten somit dreifach in Bedrängnis,

  • durch die Konfrontation mit Kindersoldaten als Gegner,
  • durch die psychische Wirkung auf die Soldaten, falls Kinder getötet oder verletzt werden, und
  • durch das gesellschaftliche Umfeld im Heimatland, das im Normalfall mit krasser Ablehnung auf die Bekämpfung von Kindern reagiert.

Das Dilemma:

Westliche Streitkräfte geraten durch Kindersoldaten - wie oben beschrieben - dreifach in Bedrängnis. Einerseits wollen die westlichen Soldaten nicht überreagieren - aus der Achtung vor dem Leben der Kinder und um danach nicht darüber hinaus gleichsam als "Kindermörder" angeklagt zu werden. Andererseits dürfen die Soldaten auch nicht durch Unterschätzung gewaltbereiter Kindersoldaten ihr eigenes Leben in Gefahr bringen.

Umgang mit Kindersoldaten

Eine Patrouille sieht zwei Kinder am Straßenrand. Neben einem liegt eine Kalaschnikow am Boden. Spielen die Kinder? Sind sie eine Art "Wache"? Wem gehört die Waffe überhaupt? Oder wird das Kind im nächsten Moment auf die Patrouille schießen? Der Patrouillensoldat muss in Sekundenbruchteilen die Lage beurteilen und sich danach dementsprechend verhalten. Eine Fehleinschätzung kann tödlich sein - für den Soldaten oder für das Kind und in weiterer Folge für die ganze Truppe (Stichwort: Rache).

Der Konfliktforscher Peter W. Singer von der Brookings Institution in Washington entwickelte gemeinsam mit anderen Konfliktforschern eine Maßnahmenliste für den Umgang mit Kindersoldaten. Als grundlegend wird darin die Vorbereitung eingestuft. Diese bezieht sich auf die Ausbildung der Soldaten sowie auf die vorgestaffelte militärische Aufklärung im Einsatzraum, die Einheiten mit Kindersoldaten besondere Aufmerksamkeit widmen soll. Die ausbildungsmäßige Vorbereitung auf das Phänomen Kindersoldaten ist auch deshalb unverzichtbar, weil Kindersoldaten oft im Sinne von Psychological Operations gegen westliche Soldaten eingesetzt werden, denn die Warlords wissen genau, welche Wirkung Kindersoldaten auf westliche Soldaten haben (können). Die von Singer geforderte Vorbereitung bezieht sich aber auch auf die Öffentlichkeit in den Entsendeländern einschließlich deren Medien sowie auf die Klärung der Rechtssituation der eingesetzten Soldaten. Bei EUFOR RD CONGO wurde deshalb der Umgang mit Kindersoldaten in die Rules of Engagement aufgenommen und in der Einsatzvorbereitung von EUFOR TCHAD/RCA war das Verhalten gegenüber Kindersoldaten ein Ausbildungsthema.

Im Einsatz ist entscheidend, schnell und präzise zu beurteilen, ob bewaffnete Kinder feindlich gesinnt sind und ob von ihnen eine unmittelbare Gefahr ausgeht. (Kinder mit Waffen sind ja nicht zwangsläufig Kindersoldaten.) Diese Entscheidung müssen die mit Kindersoldaten konfrontierten Soldaten sehr rasch treffen, weil schon eine Mikrosekunde zu langen Zögerns deren Leben kosten kann. Einerseits dürfen die westlichen Soldaten nicht überreagieren - aus der Achtung vor dem Leben der Kinder und um danach nicht darüber hinaus gleichsam als "Kindermörder" angeklagt zu werden. Andererseits dürfen die Soldaten auch nicht ihr eigenes Leben durch Unterschätzung gewaltbereiter Kindersoldaten in Gefahr bringen.

Anders als bei EUFOR RD CONGO (siehe Kapitel "Child Soldiers" unten) und TCHAD/RCA enthielten die Verhaltensregeln (Rules of Engagement - ROE) bislang kaum konkrete Anhaltspunkte für Konfrontationen mit bewaffneten Kindern, denn nach den "herkömmlichen" Regeln war der Schutz von Kindern als Teil der Zivilbevölkerung vorrangig. Deshalb fordert Singer generell die konkrete und praktikable Anpassung der Rules of Engagement an das Phänomen Kindersoldaten.

Für Singer ist in der Konfrontation mit Kindersoldaten auch der Kampf mit psychologischen Mitteln wichtig. Machtdemonstrationen mit Hubschraubern oder Kampfpanzern scheinen ihm das beste Gegenmittel zu sein. In einem bewaffneten Aufeinandertreffen sollen außerdem in erster Linie - so Singer - die zumeist erwachsenen militärischen Führer bekämpft werden. Beides, der Einsatz psychologischer Mittel wie auch das Bekämpfen der militärischen Führer, zielt auf das Zerschlagen der gegnerischen militärischen Strukturen ab, deren Kohäsion gerade bei Kindersoldaten gering ist.

Der Einsatz von Gewalt ist für österreichische Soldaten im Ausland aber nur dann zulässig, wenn er das einzige Mittel ist, eine unmittelbare Gefahr für das eigene Leben oder das einer anderen Person abzuwehren. Vor Abgabe gezielter Schüsse ist der Waffengebrauch durch lautes Anrufen und/oder mindestens einen Warnschuss anzudrohen. Selbstverständlich gilt im Falle eines Angriffs durch Kindersoldaten das Recht auf individuelle Notwehr und Nothilfe. Sich selbst und andere gegen einen Angriff auf Leib und Leben zu verteidigen ist jederzeit und überall zulässig, wenn ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht oder bereits begonnen hat.

Besonders bei Friedenseinsätzen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wichtig. Militärische Gewalt ist nur dann anzuwenden, wenn sie zwingend erforderlich ist, und selbst dann ist sie auf das geringst mögliche Maß zu beschränken. Dies gilt insbesondere, wenn die Gewalt die Zivilbevölkerung betrifft, und bekommt zusätzliches Gewicht, wenn es sich dabei um Gewalt gegen Kinder bzw. Jugendliche handelt. Deshalb empfiehlt Singer u. a. die Verwendung nicht-letaler Munition gegen Kindersoldaten.

Ein weiteres Problem - und auch darauf macht Singer aufmerksam - ist der Umgang mit gefangengenommenen Kindersoldaten. Als Soldaten sind sie - aus rechtlichen Gründen - nicht einzustufen. Sie gelten (rechtlich) als Kinder und sind deshalb als solche zu behandeln. Ein deutscher Vorschlag lautet deshalb, sie zur weiteren Betreuung "so schnell als möglich an die nächste, zuständige Nichtregierungsorganisation zu übergeben" oder, wenn dies nicht möglich ist, "sie wieder auf freien Fuß zu setzen".

Child Soldiers (Auszug aus der Soldiers Card von EUFOR RD CONGO):

Children who show a threatening posture are liable to measures by EUFOR, in accordance with the Rules of Engagement (ROE). Examples for such a threatening posture can be:

  • Using Force
  • Handling weapons in public
  • Participation in organized armed deployment
  • Otherwise posing a threat to EUFOR.

In these cases, they should be disarmed, if possible, and detained, if deemed necessary. Children have to be separated from adult detainees. If there is any doubt regarding the age of detainees, they will be considered children. Information about armed groups or armed forces enrolling or using child soldiers shall be reported.

Gesellschaftliche Probleme

Im Umfeld von "Warlords" ist der Krieg oft Selbstzweck und die Verwendung von Kindersoldaten systemimmanent. Kindersoldaten sind demnach nicht nur Täter, sondern zugleich auch Opfer. Ungefähr zehn Millionen Kinder, die zwischen 1990 und 2000 aktiv an bewaffneten Feindseligkeiten teilgenommen haben und Grausamkeiten nicht nur miterlebt, sondern auch begangen haben, leiden an schwersten seelischen Schädigungen, die nur langfristig bewältigt werden können. Auch die physischen Folgen sind erschreckend: Alleine zwischen 1990 und 2000 sind etwa zwei Millionen Kinder(soldaten) gefallen und sechs Millionen zu Invaliden geworden.

Das politische Ziel kann nur die Integration der Kinder in eine stabilisierte, funktionierende Gesellschaft sein (die oft erst geschaffen werden muss). Eine Reintegration würde voraussetzen, dass die Kinder zuvor in einer funktionierenden Gesellschaft integriert waren und genau das ist nicht der Fall - ansonsten wären sie nicht zu Kindersoldaten geworden. Viele ehemalige Kindersoldaten können auch deshalb nicht (re)integriert werden, weil es ihre Familien oder Freunde nicht mehr gibt. Die Kinder haben jede Bindung an ein normales Familienleben verloren und sie stehen vor einer ungewissen Zukunft. Den meisten fehlt darüber hinaus eine Schul- bzw. Berufsausbildung. Dazu kommt die oftmals unübliche Bevölkerungsstruktur. So betrug 2008 in Liberia (wo Kindersoldatentum belegt ist) der Bevölkerungsanteil an Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahre 44 Prozent, die 15- bis 64-jährigen machten 53,3 Prozent der Bevölkerung aus. Das Durchschnittsalter in Liberia lag bei 18,1 Jahren (in Österreich und Deutschland zum Vergleich bei ca. 42 Jahren). Der Aufbau einer normal strukturierten Gesellschaft ist also schon deshalb nur schwer möglich. Ein weiteres Problem nach einem Konflikt ist der Umgang mit Gewalt, denn Kinder, die Gewaltszenen miterlebten, sehen Gewalt gleichsam als "normal" an, das gilt insbesondere für ehemalige Kindersoldaten. Einige Zahlen aus einer 2003 veröffentlichten Studie des International Labour Office machen die gesamtgesellschaftliche Dimension der Probleme deutlich: Demnach waren in Afrika rund 80 Prozent der Kindersoldaten Zeugen von Gräueltaten, 70 Prozent haben kein Zuhause mehr und von 59 Prozent starb mindestens ein Familienmitglied im Krieg.

Ein mehrdimensionales Konzept

Die bloße Befriedung eines Territoriums löst diese Probleme weder strukturell noch für den Einzelnen. Nur ein breiter, integrativer Ansatz ist erfolgversprechend, bei dem militärische Maßnahmen die Voraussetzungen schaffen, wieder eine Zivilgesellschaft aufzubauen, die auch die Folgen des Kindersoldatentums im Blick haben muss.

Für die (ehemaligen) Kindersoldaten müssen deshalb in der Region reale Alternativen zum Soldatendasein geschaffen werden, aber auch zu Hunger und Armut. In verschiedenen Einsatzgebieten, z. B. in Afghanistan, zeigt sich aber, dass ein militärischer Einsatz allein nicht zu Frieden, wirtschaftlichem Aufschwung und demokratischem Zusammenleben führt. Gleichzeitig muss ein sicheres Umfeld entstehen und der Wiederaufbau erfolgen.

Aus diesen Überlegungen heraus entstand in den letzten Jahren die Forderung nach einem sogenannten ius post bellum, also nach Regelungen für die Zeit nach einem Konflikt. (Schätzungen zufolge flammte bisher in etwa der Hälfte aller Länder, die Kriege beendet haben, innerhalb von fünf Jahren die Gewalt wieder auf.) Die Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" (2007 publiziert) propagiert deshalb ein mehrdimensionales Konzept, zu dem auch eine gegebenenfalls durch (legitime) Gewalt hergestellte legitime Ordnung gehört. Die Mehrdimensionalität wird im Bereich des Militärs primär durch CIMIC abgedeckt, betrifft aber die gesamte eingesetzte Truppe. Der Denkschrift nach wird Friedenspolitik nur dann dauerhaften Erfolg haben, "wenn das Völkerrecht wirksam durchgesetzt, die zivile Konfliktbearbeitung institutionell und materiell gestärkt sowie der Vorrang des Zivilen bei dem Umgang mit Konflikten als Leitperspektive ausgebaut wird." Und das wäre auch das Ende des Phänomens Kindersoldaten.


Autor: Militärsenior DDr. Karl-Reinhart Trauner, Jahrgang 1966. 1984 bis 1992 Studium der evangelischen Theologie und der Geschichte an den Universitäten Wien und Erlangen, Dr. theol., Dr. phil. (Wien), anschließend Pfarrer. 1984/1985 EF-Ausbildung, danach Milizoffzierslaufbahn. Ab 1995 evangelischer Militärpfarrer für den Seelsorgebereich Wien. Seit 2003 Militärsenior.

Literatur und Quellen (Auszug):

Elßner, Thomas R. und Petermann, Ernst August (2007) Kindersoldaten. Koblenz-Strausberg.

Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (2007) Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen. Gütersloh.

Russmann, Paul (2004) Kindersoldaten. In: Der Bürger im Staat 4/2004, Baden-Württemberg.

Sedlaczek, Ursula (2005) Kinder als Soldaten - Auch ein europäisches Problem? Wien.

Singer, Peter W. (2003) Fighting Child Soldiers. In: Military Review May-June 2003, Michigan.

Singer, Peter W. (2007) Children at War. Berkeley.

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