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Grundüberlegungen zu den Auslandseinsätzen des Österreichischen Bundesheeres

Seit dem Jahr 1960 stehen österreichische Truppen ununterbrochen in internationalen Einsätzen im Ausland. Sie folgen einem politischen Auftrag, der durch die Verfassung und durch parlamentarische Beschlüsse gedeckt ist. Die folgenden Betrachtungen befassen sich mit Grundsätzen zum Aufbau von Friedensstrukturen in Krisengebieten.

Auslandseinsätze des Bundesheeres sind entweder bewaffnete Einsätze zur Befriedung von Krisenregionen oder humanitäre Hilfeleistung bei Elementarereignissen großen Umfanges. Diese Einsätze haben immer einen politischen Hintergrund, den es zu berücksichtigen gilt, und der somit auch das Mandat zur Auftragserfüllung beeinflusst.

Jeder Einsatz von Soldaten ist daher im Kontext mit der Politik zu sehen. Der Zweck muss klar sein, das Bekenntnis zum Ziel eindeutig und die Konsequenzen absehbar.

So ist z. B. der Begriff "Peace Enforcement" - die "Erzwingung eines Friedens" - eine Wortschöpfung, die militärische Gewalt, also Kampfeinsätze ("Kriegseinsätze") mit dem Mantel der "Friedensgewalt" politisch scheinbar argumentierbar macht. Um "Frieden" handelt es sich dabei keineswegs, denn bei derartigen Einsätzen setzen Truppen machtpolitisch motivierte "kriegerische" Handlungen. Die (macht-)politische Haltung wie auch die Einstellung der entsandten Verbände stehen einander beim Peace Keeping und beim Peace Enforcement konträr gegenüber, was sich auch im Einsatzverhalten der Truppen widerspiegelt!

Entscheidungsfaktoren

Ausgangspunkt ist immer eine krisenhafte Situation, bei der bereits militärische Mittel verwendet werden und die die Staatengemeinschaft zum Eingreifen veranlasst. Erst der auf diese Situation Bezug nehmende Beschluss (z. B.) der UNO ermöglicht eine Truppenentsendung. Dieser Beschluss ist jedoch erst der auslösende Schritt. Gefordert sind in der Folge jene Staaten,

  • die als Urheber der Krisensituation die internationale Bühne betreten haben und
  • jene Staaten, die willens und bereit sind, einzugreifen und Truppen zu entsenden.

Ausschlaggebend in dieser Phase sind vertrauensbildende Kontakte zwischen all jenen Parteien, die in Hinkunft aufeinander angewiesen sind, um in der Krisenregion für eine friedvolle Entwicklung Sorge zu tragen.

Mandat und Einbindung der Militärs

Das so genannte Mandat, also der Auftrag an die Truppen, muss genau festgelegt, genau ausformuliert und eindeutig sein. Davon hängt in hohem Maße der Erfolg der Mission ab.

Wenn dabei immer wieder der Primat der Politik besonders betont wird, so ist dies rechtens. Primat der Politik bedeutet aber nicht Primat von Politikern! Die Spitzenmilitärs wären in den politischen Meinungsbildungsprozess ab dem Augenblick einzubinden, in dem die grundsätzliche Entscheidung zur Entsendung und zum Einsatz von Truppen gefallen ist und somit die Formulierung des Auftrags heran steht. Abgesehen von den je nach Szenario und Gebiet unterschiedlichen Voraussetzungen, muss der Auftrag den Soldaten Handlungsfreiheit in der Durchführung lassen, damit diese auf Entwicklungen im Einsatzraum flexibel reagieren können.

Waffengewalt

Den Truppen muss auf jeden Fall das Recht auf Notwehr zustehen, und zwar im Sinne von Selbstverteidigung sowie von militärischer Nothilfe zum Schutz von Hilfsbedürftigen vor lebensbedrohenden Übergriffen. Dazu sind Truppen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet! Sie haben in solchen Fällen nach den Regeln ihres militärischen Könnens vorzugehen und zu reagieren. Eine derartige klare Haltung ist mitentscheidend, ob sich die Truppen letztlich zu einem anerkannten Stabilitätsfaktor entwickeln können!

Neues Europa und Landesverteidigung

Warum sollen Soldaten eines mittelgroßen europäischen Staates überhaupt Auslandseinsätze leisten? Das Heer dient nach wie vor der militärischen Landesverteidigung sowie zur Hilfe in besonderen Notsituationen im Inneren. Die "eigentliche" militärische Landesverteidigung ist dabei im europäischen Gesamtzusammenhang zu sehen und wird in absehbarer Zeit nur mehr in diesem Kontext zum Zuge kommen - also immer im Verbund mit anderen Staaten der Europäischen Union. Diese beiden Kernaufgaben der Streitkräfte sind unbestritten. Der internationale Einsatz in Krisengebieten hingegen, der inzwischen immerhin 50 Jahre ohne Unterbrechung dauert, bedarf jedoch noch immer oder immer wieder einer entsprechenden Begründung.

Die mit dem Zusammenrücken Europas grundsätzlich veränderte politische Philosophie ist es, nicht zuzuwarten bis sich internationale Krisenherde auf den europäischen Raum direkt auswirken. Vielmehr strebt die EU an, nicht nur allgemein ein friedlicheres Miteinander der Völker zu beeinflussen, sondern schon dann einzugreifen, wenn Krisen im Entstehen begriffen sind bzw. bereits Außenwirkung zeigen. In einer globalisierten, vielfältig vernetzten Welt spürt Europa selbst weit entfernte Verwicklungen und Konflikte viel schneller, unmittelbarer und intensiver als je zuvor. Das hat Auswirkungen im wirtschaftlichen, finanziellen und humanitären Bereich und betrifft indirekt auch jeden Einzelnen.

Um dem vorzubeugen, beabsichtigt die EU, Krisenherde mit Einfluss auf die Sicherheit Europas so früh und effizient wie möglich zu beruhigen.

Deshalb tritt für das Österreichische Bundesheer neben der Auftragserfüllung zur Landesverteidigung und für Hilfsaufgaben bei Großereignissen im Inneren der Auslandseinsatz gleichrangig als Aufgabe hinzu, die auch dem Erhalt der Sicherheit Österreichs dient und im Prinzip - als Teil der nationalen Sicherheitspolitik - Landesverteidigung im weiteren Sinne ist.

Das innenpolitische Ausspielen dieser Aufgabenspektren gegeneinander führt nur zu Missgunst sowie zu verfestigten Vorurteilen hinsichtlich Strukturfragen des Heeres und lässt das Denken in der Gesamtdimension unberücksichtigt.

Gerade die Argumentation für oder gegen das sich befassen/auseinandersetzen mit einer neuen krisenhaften Entwicklung muss so seriös wie möglich geführt werden, sowohl den Menschen gegenüber, die in dieser Region leben, als auch jenen gegenüber, die zur Befriedung dorthin entsandt werden sollen.

Entscheidungsprozess

Die für den Einsatz von Truppen erforderlichen Meinungsbildungsprozesse im eigenen Land basieren auf außen- und innenpolitischen Interessen, wobei auch die Ansichten unterschiedlicher Personengruppen aufeinander prallen. Für die Soldaten ist dabei der (fallweise fehlende; Anm.) Solidarisierungsprozess von besonderer Bedeutung, da auch die Medienlandschaft sich an Meinungen orientiert und gegensätzliche Meinungen eher unreflektiert verbreitet werden.

Nach den - aufeinander abgestimmten - internationalen und nationalen Beurteilungsverfahren (verbunden mit dem Entschluss zu handeln!) geht die Verantwortung an die truppenstellenden Staaten über, die quantitativ und qualitativ geeignete Einheiten und Verbände aufzustellen haben. Dies bringt für den eigenen Staat Herausforderungen

  • in finanzieller Hinsicht,
  • in der Koordination mit anderen Entsendestaaten,
  • in den Beziehungen zu den führenden Stellen in der Krisenregion sowie
  • beim Aufbringen der entsprechenden Anzahl ausgebildeter Soldaten
mit sich.

Diese quasi verwaltungstechnischen Maßnahmen sollten inzwischen zu Routinearbeiten in der internationalen Zusammenarbeit geworden sein.

Personalaufbringung

Eine wesentliche Frage ist dabei jene der Freiwilligkeit. Sollen Auslandseinsätze nun verpflichtend sein oder nicht? Eine grundsätzliche (gesetzliche) Verpflichtung, also für jede Region und jede Art der Verwendung, kann dabei nur dem aktiven Kaderpersonal, mit der Androhung entsprechender Konsequenzen, abverlangt werden.

Wie sinnvoll ist aber eine Forderung eines verpflichtenden Auslandseinsatzes? Aus der Sicht der Personalführung und des Personalplaners ist eine Verpflichtung zu begrüßen, da es Zusammenstellung, Vorbereitung, in späterer Folge Mannschaftsaustausch und Rotationsverfahren vereinfacht und besser planbar macht. Dem gegenüber zu stellen ist allerdings der schwerwiegende psychologische Aspekt, dass ein uneinsichtiger Zwang Widerstand beim Einzelnen auslöst und auch im Gruppengefüge zu nicht unwesentlichen Spannungen führt. Gerade das Miteinander, die Gemeinschaft und das gegenseitige Vertrauen, um in schwierigen Situationen bestehen zu können, sind ein wesentlicher Faktor für den bisherigen Erfolg der österreichischen Soldaten.

Das Prinzip der Freiwilligkeit sollte also zumindest indirekt erhalten bleiben. Dazu ist es denkbar, die Karriere-Chancen für den Einzelnen an die Übernahme von Auslandsverwendungen zu knüpfen, womit ein indirekter Druck bereits beim Berufseinstieg erfolgt, hinsichtlich der konkreten Umsetzung aber die Flexibilität erhalten bleibt. Damit ist es dem jeweiligen Soldaten überlassen, Berufsausübung im Inland und in der Europäischen Union, persönliche Absichten einschließlich Familienplanung sowie Auslandsverwendung in der eigenen Lebensplanung zu koordinieren.

Nach der Freiwilligenmeldung gilt es, die Geeigneten auszuwählen, um sie bereits frühzeitig in vorbereiteten präsenten Formationen einzuteilen bzw. - bezogen auf Auftrag, Einsatzart, Einsatzgebiet und fachliche Eignung - konkret für eine Auslandsverwendung vorzusehen. Ein weiterer Beurteilungspunkt ist die psychologisch/menschlichen Eignung. Dabei handelt es sich nicht nur um die grundsätzliche Eignung, sondern um die momentane psychische Situation, in der sich der Soldat befindet. Es muss vor allem klar sein, dass keine ungelösten zwischenmenschlichen Probleme bestehen. Diese kann man nämlich nicht in der Heimat zurücklassen, sie gehen mit in den Einsatz. Dort beschäftigen sie Herz und Hirn des Soldaten, allerdings mit dem entscheidenden Nachteil, dass sie im Ausland schon gar nicht gelöst werden können, sind doch die Bezugspersonen zu Hause. Einsatzfähig sind deshalb nur körperlich gesunde, psychisch stabile Personen.

Für die Einteilung von Frauen gilt in Österreich der Grundsatz "gleiche Ausbildung - gleiche Funktion" sowie "gleiche Leistung - gleiche Aufstiegschancen". Die Übernahme von entsprechenden Funktionen durch weibliche Soldaten ist somit bei einer Auslandsverwendung vom Dienstgeber zu gewährleisten. Die konkrete Situation im Entsendegebiet kann allerdings einschränkend wirken! Dies hängt mit den kulturellen und religiösen Gepflogenheiten im Raum zusammen, die aufgrund der Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Frau an sich eine Berücksichtigung erfordern. Umgekehrt können aber gerade in solchen Kulturen Frauen eine besondere Bedeutung im Umgang mit der weiblichen Zivilbevölkerung erlangen, was zu Verständnis, Entgegenkommen und einer positiven Entwicklung beiträgt.

Für den zwischenmenschlichen Bereich Mann-Frau sind Normen (getrennte Bäder und Schlafbereiche, Verbot sexueller Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen etc.) notwendig, die aber in keiner Weise zu Bespitzelung, Überwachung und Eifersüchteleien führen dürfen. Ein respektvoller kameradschaftlicher Umgang miteinander ist das anzustrebende Verhalten.

Einsatzvorbereitung

Die Einsatzvorbereitung hat neben den schon vorhandenen militärischen Grundfähigkeiten auf die Besonderheiten des Einsatzes einzugehen. Dies sind u. a. die "Einsatzformen", die von Patrouillentätigkeit über weit reichende Aufklärungseinsätze, Schutz eigener Stützpunkte bis zur Bewältigung von aggressivem Demonstrantenverhalten (Crowd and Riot Control - CRC) und schließlich bis zum Waffengebrauch gehen, was im Bundesheer inzwischen bereits zur "Standardausbildung" gehört. Im Besonderen sind auch die Gegebenheiten im Einsatzraum, wie Gebirge, verbautes Gebiet, Wüstenregionen ebenso die Jahreszeit und die Witterungsbedingungen zu berücksichtigen.

Neben der fachspezifischen Ausbildung ist die innere Haltung zur Aufgabenerfüllung wesentlich. Diese muss u. a. vom Verständnis für die Situation sowie des Landes und der Leute geprägt sein. Die Soldaten müssen verstehen, worum es im Krisengebiet überhaupt geht und wie man daher beruhigend und entspannend auf die Lage einwirken kann. Diese innere Haltung und Einsicht wird von Führungsebene zu Führungsebene verschieden ausgeprägt sein. Für alle Ebenen aber gilt: Die eingesetzte Truppe ist keine Besatzungsmacht, sondern soll Vertrauen suchen und Vertrauen aufbauen, um - gemeinsam mit der örtlichen Bevölkerung und deren Führungsstrukturen - eine friedvollere Zukunft zu erreichen.

Das erfordert jedoch eingehende Kenntnisse der Kultur, der Mentalität, des Gesellschaftssystems, der Religion, des Verhaltens in der Öffentlichkeit und der Gesprächsführung, einschließlich der Ängste, die die Menschen der gesamten Entwicklung gegenüber hegen. Nur Verständnis kann ungezwungenes, offenes Handeln und Auftreten bewirken.

Für führende Funktionen kommen zusätzliche Elemente zum Tragen, v. a. solche im diplomatischen Bereich. Das wichtigste vertrauensbildende Element ist jedoch, der betroffenen Bevölkerung Schutz und Hilfe angedeihen zu lassen, wo immer dies möglich ist.

Den entsandten Soldaten ist die bestmögliche Ausrüstung zur Erfüllung ihres Auftrages bei gleichzeitigem Schutz für ihr persönliches Leben zuzuerkennen. Dies kann "daheim" auch zu Missverständnissen und Problemen führen, da die besonderen Erfordernisse im Spannungsfeld zwischen überzogenen Forderungen der einen Seite und den standardisierten Logistikabläufen der anderen Seite liegen und immer ein Ausgleich gefunden werden muss.

Verhalten im Einsatzraum

Österreichische Soldaten stehen nunmehr seit 50 Jahren in internationalen Einsätzen. Diese sind durchaus als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen und haben häufig weltweit Anerkennung gefunden. Den Österreichern wird daher heute mit Achtung begegnet und der Ruf "Call the Austrians!" ist keine Seltenheit.

Worin liegt nun das Geheimnis dieses Erfolges? Vor allem in der immanenten Kombination von eindeutigem, bestimmtem militärischen Auftreten, verbunden mit situationsgerechtem Verhalten, einer deeskalierenden Einstellung sowie dem verständnisvollen Zugehen auf die Bevölkerung.

Dazu trägt das Führungsverhalten auf allen Ebenen im Sinne der Auftragstaktik bei. Das heißt, dass der Kommandant "vor Ort" (am Ort des Geschehens) entscheidet und die Verantwortung übernimmt, ohne "von oben" reguliert zu werden oder "Genehmigungen" einholen zu müssen. Die Prinzipien des Führens "vor Ort" enthalten viele Möglichkeiten müssen aber flexibel der jeweiligen Situation angepasst angewandt werden.

Es gilt dabei zu unterscheiden, ob es sich um eine langjährige Peace Keeping-Mission handelt oder um einen Ersteinsatz, womöglich um einen "robusten", der eventuell sogar Waffeneinsatz erwarten lässt.

Im ersten Fall überwiegen die - bereits aufgebauten und vorhandenen - vertrauensbildenden Maßnahmen, die es zu übernehmen, zu verstehen und auszubauen gilt. Im zweiten Fall ist das Ziel zwar ebenfalls auf Vertrauensbildung und Hilfeleistung ausgerichtet, allerdings muss das gegenseitige Verständnis, gepaart mit dem Aufbau entsprechender Kommunikationsstrukturen erst gefunden werden. Das Vorgehen und Verhalten der Soldaten muss daher besonders sensibel sein, um

  • die Schaffung von Sicherheit zu signalisieren sowie
  • bei Übergriffen von außen unverzüglich und überzeugend militärisch im "richtigen Ausmaß" zu reagieren.

Kommandanten höherer Ebenen, die im militärdiplomatischen und gesellschaftlichen Bereich aufzutreten haben sowie Mitglieder international zusammengesetzter Stäbe sollen in jeder Lage Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl zeigen. Überhebliches Ego-Getue ist kontraproduktiv und zu unterlassen. In diesem Zusammenhang ist zu beurteilen, ob bzw. inwieweit (zuviel) Nachgiebigkeit eigene Ziele gefährdet und ob bzw. inwieweit eine gewisse Sturheit/Konsequenz zum Erfolg führen kann. Sturheit beinhaltet generell Starrheit, verbunden mit mangelnder Flexibilität. Gerade Flexibilität und Improvisationsfähigkeit kennzeichnen aber den österreichischen Soldaten. Improvisation ist nicht unkoordinierter Schlendrian, sondern Können. Nur Könner sind imstande, rasch die unterschiedlichen Möglichkeiten zu beurteilen und diese - bis an die Grenzen ihrer Kompetenz - auszunützen. Das ist kein Widerspruch zu konsequentem Handeln. Denn Konsequenz bedeutet nichts anderes, als ein Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren.

Hier sind auch die österreichischen Unteroffiziere hervorzuheben. Diese beherrschen nicht nur ihre militärische Funktion, sondern sind - im Sinne der Auftragstaktik - innovativ und selbstständig tätig, was bei Auslandsmissionen gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Dies bedeutet für die Offiziere in ihren Kommandantenfunktionen, generell keine Befehlstaktik anzuwenden, sondern durch offenes, vertrauensvolles Führen einen Freiraum zur Auftragserfüllung zu schaffen.

Die Unteroffiziere agieren meist direkt am Puls des Geschehens und registrieren daher am raschesten Gemütsänderungen bei Einzelnen oder eine sich ändernde Stimmung im Umfeld. Ein offenes, vertrauensvolles Verhältnis der Unteroffiziere zum vorgesetzten Offizier ermöglicht es diesem, den Sensor am Puls der Truppe lesen zu lernen, um zeitgerecht auf innere Schwierigkeiten reagieren zu können.

Stimmung der Truppe im Einsatz

Klar ist, dass die ausschließliche Verantwortung in der Führung seiner Männer und Frauen beim Kommandanten liegt! Er kann sich auf nichts ausreden, schon gar nicht auf "Ratschläge", die ihm von Experten "aufgedrängt" wurden. Er wird sich durch seine Stabsmitglieder beraten lassen, hat aber die Entscheidung alleine zu tragen.

Die Motivation der Truppe ist u. a. ein wesentlicher Faktor zur erfolgreichen Auftragserfüllung. Dabei sind die Funktionen des Militärgeistlichen und des Truppenpsychologen nicht zu unterschätzen. Worin liegt der Unterschied in deren Wirken? Beide sollen die menschliche Komponente der Herausforderungen an den Einzelnen und an die Truppe abdecken. Der Psychologe, der die menschliche Psyche studiert hat, sollte außer der Norm liegendes Verhalten beurteilen und beeinflussen können, dem Einzelnen helfen und Beratung für den Kommandanten in extremen menschlich fordernden Situationen bringen. Der Priester agiert darüber hinaus im spirituellen Bereich. Das befähigt ihn, auch tiefgehende Glaubens- und Existenzfragen anzusprechen, die bei solchen Einsätzen und in besonders schwierigen Situationen die Soldaten beschäftigen. Beide können somit die ihnen anvertrauten Menschen positiv beeinflussen.

Bei verschiedenen Missionen steht dem Kommandanten zusätzlich ein Rechtsberater zur Seite. Dieser sorgt für die Rechtsfindung und Rechtsauslegung zur bestmöglichen Auftragserfüllung. Dabei soll ängstliches "Versicherungsdenken" unterlassen werden, vielmehr ist lösungsorientiert eine hohe Freiheit des Handelns anzustreben. Vermieden werden muss ein Abhängigkeitsverhältnis aufgrund einer bestimmten Interpretation einer Rechtslage.

Um im Raum erfolgreich agieren zu können, gilt der Grundsatz "je mehr Wissen und Verständnis, umso besser". Ein weiteres Gebot ist, möglichst auf die Bevölkerung zuzugehen, ihre Nöte lindern zu helfen und ihre Mitarbeit zu gewinnen. Letztlich handelt es sich dabei um den humanitären Bereich, der von persönlichen Kontakten, über religiöse Zeremonien, ärztliche Hilfe bis hin zu baulichen Maßnahmen (z. B. Schulen) gehen kann. Gerade örtliche Mandatare (Ortsvorsteher, Klanchefs) haben oft besonderen Einfluss auf das Verhalten und die Einstellung der Bevölkerung gegenüber den "fremder Truppen und deren Absichten".

Ein weiterer Aspekt im Einsatzraum ist das Entstehen bestimmter Rituale und spezifischer "Traditionen", die sich im Sinne von Kameradschaftspflege und aus einem "Wir-Gefühl" entwickeln. Alles, was den Zusammenhalt und die gegenseitige Akzeptanz fördert, ist zu begrüßen. Der Spaß darf aber nicht einseitig auf Kosten eines Kameraden "durchgezogen" werden oder in Respektlosigkeit oder Scharlatanerie ausarten bzw. Soldaten lächerlich machen. Ein künstlich aufgebauter Gruppendruck, der Schwächere oder Ruhigere diskriminiert und ausgrenzt, muss verhindert werden. Jemanden bloßzustellen oder herabzuwürdigen, stört die Kameradschaft vehement.

Ein weiterer Faktor ist die Truppenbetreuung. Der Auftritt verschiedener Künstler und Künstlergruppen hat aufgrund der Medienpräsenz oftmals mehr Außenwirkung als Effekt nach innen. Denn diese Auftritte sind meist punktuelle Ereignisse, die nur Soldaten zu Gute kommen, die gerade nicht "an der Front stehen", sondern in Stabsquartieren Dienst tun.

Für den Einzelnen ist neben der menschlichen Fürsorge durch Kommandanten und Kameraden dreierlei von Interesse:

  • die Einbindung in das Gruppengefüge des täglichen Dienstbetriebes;
  • die Verbindung zur und in die Heimat (via Post, Telefonnetz und E-Mail), verbunden mit einer Urlaubsmöglichkeit in der Heimat;
  • die Angebote zum Kennenlernen und Verstehen von Land und Leuten. Dies wird bei Erstmissionen zwar eher schwierig sein, hat aber bei langjährigen Einsätzen einen besonderen Stellenwert.

Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit haben indirekte Auswirkungen auf Einstellung und Geist der Truppe. Besser keine Medienpräsenz als eine negative Berichterstattung! Die Kontingente sollten deshalb im Kontakt mit der Heimat sensibel und flexibel, offen, aber in manchen Bereichen auch durchaus restriktiv vorgehen, um Informationen zu transportieren und in die Öffentlichkeit zu bringen. Ganz besonders gilt dies bei kritischen Vorfällen, Gewalt und Tod. Es ist so schnell wie möglich Klarheit zu verschaffen und seriös zu informieren. Unsicherheit, Verschleierung und mangelnde Hintergrundinformation führen zu "Eigenrecherchen", Vermutungen und dementsprechend kritischer Darstellung bzw. unrichtigen Behauptungen seitens der Medien. Eine spätere Richtigstellung ist kaum mehr möglich, da es einem Medium oft nicht nur um die Wahrheitsfindung, sondern um Schlagzeilen, fallweise verbunden mit einer Stimmungsmache geht.

Bei Fehlverhalten und disziplinären Vergehen innerhalb des nationalen Kontingentes gibt es viele Sanktionsmöglichkeiten. Diese soll der Kommandant mit Fürsorge und Verständnis jedoch mit aller Konsequenz handhaben. Um dabei die richtige Linie in der Beurteilung zu finden, können Zwischenvorgesetzte, der Psychologe und der Geistliche helfen. Bei unterstellten Truppen anderer Nationen ist dies nicht (überall) möglich, obliegt doch die disziplinäre Ahndung nationalen Gepflogenheiten. Gegebenenfalls kann aber ein vertrauensvolles Gespräch unter Kommandanten das Verfahren beeinflussen (härtere oder mildere Sanktionierung).

Anders ist die Situation, wenn sich ein unmittelbarer "internationaler" Untergebener oder Mitarbeiter etwas zu Schulden kommen lässt. Zunächst einmal gilt der Grundsatz "Großzügigkeit und Verständnis bringt Loyalität und Entgegenkommen". Dieser Grundsatz zeigte bislang häufig positive Effekte, denn jede Nation ist darauf bedacht, neben den anderen Kontingenten bestmöglich zu agieren, sich an diesen zu messen sowie ihre Aufgaben zur vollen Zufriedenheit zu erfüllen. Schon die kleinste Kritik von Vorgesetzten aus anderen Nationen ist beschämend und wird auch dementsprechend registriert.

Ausblick

Peace Keeping bedeutet zu allererst Keeping the Peace! Dieser Grundsatz bezieht sich auf das innere Gefüge der eigenen Truppe, auf die internationalen Kräfte und Stäbe, mit denen zusammen zu arbeiten ist sowie auf die Situation im Einsatzraum. Dazu passt auch der altbewährte Grundsatz: Don´t fight a problem - just solve it!

Mit dieser vertrauensbildenden Haltung werden die internationalen Einsätze des Österreichischen Bundesheeres zu einem friedenserhaltenden Faktor für Österreich selbst, nämlich durch das Wissen der Staatengemeinschaft um die Anstrengungen Österreichs, um die Kompetenz der österreichischen Truppen und um das menschliche Verhalten der österreichischen Soldaten.

Diese Achtung und Anerkennung aus "aller Welt" kommt somit ganz Österreich zugute und bringt den Österreichern Sicherheit und Frieden in einer global vernetzten Welt. Das heißt: Wir erhalten Sicherheit durch Friedenshilfe! Schon deshalb ist es wert, dass unsere Soldaten - nunmehr bereits seit 50 Jahren - Dienst für die Internationale Gemeinschaft versehen. Besonders sei deshalb auch jener gedacht, die in diesen Einsätzen ihr Leben gelassen haben.


Autor: General i. R. Friedrich Hessel, Jahrgang 1941. 1960/61 Grundwehrdienst; 1961 bis 1964 Theresianische Militärakademie; ab 1964 stellvertretender Kompaniekommandant der Einjährig-Freiwilligenkompanie der Jägerschule; ab 1967 Hauptlehroffizier "Jäger" an der Jägerschule; 1969 bis 1972 Teilnahme am 6. Generalstabskurs; ab 1972 Taktiklehrer an der Theresianischen Militärakademie, ab 1974 Stabschef und stellvertretender Akademiekommandant, 1978 Kommandant des Panzerbataillons 33, ab 1980 stellvertretender Leiter der Generalstabsabteilung, ab 1983 Leiter der Ausbildungs- und Vorschriftenabteilung, ab 1987 Chef des Stabes und stellvertretender Kommandant von UNDOF, ab 1988 Leiter der Ausbildungs- und Vorschriftenabteilung, ab 1991 Leiter der Generalstabsabteilung, ab 1996 Leiter der Generalstabsgruppe A im Bundesministerium für Landesverteidigung und ab 2000 stellvertretender Generaltruppeninspektor; seit 2002 im Ruhestand.

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