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Resozialisierung von Kindersoldaten

Insgesamt dienen 250 000 bis 300 000 Kinder und Jugendliche in mehr als 40 Ländern als Kindersoldaten. Mehrere durchaus erfolgreiche Projekte der katholischen Kirche helfen, ehemaligen Kindersoldaten ein neues Leben zu ermöglichen, lösen aber nicht das Problem an sich.

Die Geländefahrzeuge der Revolutionäre fahren in das Dorf. Die älteren Dorfbewohner werden niedergeschossen oder mit Buschmessern ermordet, die Kinder zusammengetrieben und als neue "Rekruten" mitgenommen. Sie bekommen eine Kalaschnikow und müssen Befehle ausführen, Drogen nehmen, töten - und sie lernen, nichts zu hinterfragen … Szenen wie diese spielten und spielen sich während der Bürgerkriege in Afrika - und nicht nur dort - nahezu täglich ab. Paramilitärs entreißen die Kinder ihren Familien und zwingen sie oftmals sogar, Verwandte zu erschießen: als grausamen Initiationsritus, um die Kinder zu traumatisieren und um ihnen die Rückkehr in ihre Dörfer unmöglich zu machen.

Den Rebellen sind dabei alle Mittel recht. "Die Kinder werden desensibilisiert: Stärke ist alles. Wer zu schwach ist, ist tot", erklärt Monika Frank-Keminger den Werdegang von Kindersoldaten. Sie ist Leiterin der Projektabteilung der Päpstlichen Missionswerke in Österreich (Missio) und unter anderem zuständig für ein Resozialisierungsprojekt für ehemalige Kindersoldaten in der Diözese Gulu im Norden Ugandas.

Auf einen Blick

Zwischen 250 000 und 300 000 Kinder werden derzeit in über 30 Konflikten weltweit als Soldaten missbraucht, mindestens 120 000 davon kämpfen in Afrika. Für die Kommandeure sind diese Kinder eine ideale Verstärkung, manchmal auch die letzte Reserve. Sie bekommen kaum Sold, sind gehorsam und begreifen oft die Gefahr, in die sie sich begeben, noch nicht. Deshalb werden sie auch an vorderster Front eingesetzt. Sie werden z. B. gezwungen, Dörfer zu überfallen, um Lebensmittel zu beschaffen, müssen sich an Straßensperren als Erste verdächtigen Fahrzeugen nähern oder werden als Vorhut über vermintes Gelände geschickt. Auch als Leibwache sind Kinder beliebt. Die Kommandanten wissen, dass sie oft bis zum Letzten kämpfen. Kinder werden aber auch als Träger, Boten oder Köche eingesetzt.

UNICEF schätzt, dass in West- und Zentralafrika bis zu 40 Prozent der Kindersoldaten Mädchen sind und diese müssen ständig sexuelle Übergriffe fürchten. Vergewaltigungen oder Zwangsehen mit einem der Anführer sind in den Truppen die Regel.

Viele Kindersoldaten werden zwangsrekrutiert und oft mit Gewalt zum Kämpfen gebracht. Rekrutierungstrupps kommen in die Dörfer und nehmen Kinder mit in ihre Camps oder greifen Straßenkinder auf. Um sie gefügig zu machen, werden die Kinder systematisch unter Drogen gesetzt. Manche Milizenchefs zwingen sie dazu, Angehörige und Nachbarn umzubringen, um die Hemmschwelle der Kinder zu senken und sie an die Truppe zu fesseln. Doch nicht immer ist Zwang nötig: Manchen Kindern aus armen Familien oder Kriegswaisen reicht schon die Aussicht auf regelmäßiges Essen und einen gewissen Schutz, um sich den Truppen anzuschließen. In der Demokratischen Republik Kongo oder in Liberia kennt kaum ein Jugendlicher ein Leben in Frieden. Eine Chance auf Schulbildung, Arbeit und ein gesichertes Auskommen haben die wenigsten.

Ein Neuanfang nach der Entlassung oder nach einer Flucht ist für ehemalige Kindersoldaten schwer. Sie leiden unter ihren seelischen Wunden - und an dem, was sie anderen angetan haben. Viele sind apathisch oder aggressiv und haben noch Jahre später Albträume.

(Quelle: UNICEF)

Ein weltweites Problem

Ob in Sierra Leone, in der Demokratischen Republik Kongo, im Tschad, in Uganda, Myanmar, Nepal, Sri Lanka oder Kolumbien, die Problematik ist überall dieselbe. In mehr als 40 Ländern der Welt dienen 250 000 bis 300 000 Kinder und Jugendliche als Kindersoldaten.

Weil viele davon gezwungen wurden, auf eigene Verwandte und Bekannte zu schießen, ist es besonders schwierig, ehemalige Kindersoldaten zu resozialisieren. Man begegnet ihnen mit tiefem Misstrauen und oft scheint die Situation hoffnungslos: Die kirchlichen Mitarbeiter in Gulu machen die Familien ehemaliger Kindersoldaten ausfindig und bringen die Kinder, die man zuvor entwaffnet und in Camps untergebracht hat, in ihre Dörfer. Doch viele Kinder kehren nach wenigen Wochen in die Camps zurück, denn die Familien und die ehemalige Dorfgemeinschaft verweigern die Aufnahme, weil die Kinder nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind.

Daran ist aber nicht nur das Misstrauen schuld. Die meisten Familien haben nicht genug zu essen. Einen weiteren Menschen, der unfähig ist, für sich selbst zu sorgen, ernähren zu müssen, könnte die ganze Familie ins Elend stürzen. Deshalb erweiterte die katholische Kirche in Uganda ihr Resozialisierungsprojekt für ehemalige Kindersoldaten um einen entscheidenden Punkt, um Ausbildung. Neben der Erstversorgung (mit Nahrung, Medikamenten usw.) und der psychologisch-seelsorglichen Betreuung sorgt man dafür, dass die Kinder einen Beruf erlernen, z. B. Tischler oder Schneider. Das versetzt sie später in die Lage, sich selbst zu versorgen.

Auch politisch gesehen spielt die katholische Kirche eine wichtige Rolle. Die Kirche wirkte schon in Uganda, lange bevor der Bürgerkrieg ausbrach. Selbst während des Terrors der Rebellen blieben die Priester und Laien im Krisengebiet - und bei den bedrängten Menschen. Nach Jahren des Bürgerkrieges wird die Kirche u. a. deshalb von beiden Seiten als Vermittler akzeptiert: Der Erzbischof von Gulu, John Baptist Odama, handelte mit der Regierungsarmee und den Rebellen das Friedensabkommen aus. Nun baut die Kirche mit an der Zukunft Ugandas.

Nach den Grausamkeiten eines Bürgerkrieges kann man nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen. "Friedensarbeit und Raum für Gerechtigkeit sind notwendig. Das Ziel ist aber nicht Vergeltung, sondern Vergebung", zeigt sich Padre Gabriel Mejia überzeugt. Auch er arbeitet mit ehemaligen Kindersoldaten, allerdings nicht in Afrika, sondern in seiner Heimat, in Antioquia, Kolumbien. Vor mehr als 25 Jahren gründete er eine Organisation namens Hogares Claret, die den Claret Missionaren (ein in Frankreich gegründeter Orden) sehr nahe steht. In der berühmt-berüchtigten Anden-Stadt Medellin kümmert sich Hogares Claret um Straßenkinder, jugendliche Drogenkuriere und um Kindersoldaten.

Medellin galt lange Zeit als einer der gefährlichsten Orte der Welt, denn nirgendwo sonst geschahen pro Jahr so viele Morde wie hier. Nach wie vor ist die Stadt ein Zentrum des kolumbianischen Drogenhandels, in dem paramilitärische Organisationen und Guerillabewegungen zu den wichtigsten Akteuren zählen. Deren bekannteste ist die marxistisch motivierte FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia; diese entführte z. B. die damalige kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und hielt sie von 2002 bis 2008 im Dschungel gefangen).

Auch die FARC rekrutiert Kinder als Kämpfer. Insgesamt befinden sich in Kolumbien mehr als 15 000 Kinder im Krieg. Manche Jugendliche melden sich dafür sogar freiwillig. "Sie suchen das Abenteuer, eine bessere Zukunft, andere Perspektiven als sie in ihren oft entlegenen Dörfern im Dschungel oder in den Anden finden können", erklärt Padre Mejia dieses Phänomen. Doch nicht nur die Guerilla, auch die politisch rechts stehenden Paramilitärs rekrutieren Kinder. Manche Kindersoldaten verlassen die Kampfverbände nach einigen Monaten wieder, andere kämpfen jahrelang im Dschungel.

Leicht ist es für die Kinder und Jugendlichen nicht, danach in ein normales Leben zurückzufinden. Der Priester und seine Mitarbeiter versuchen es mit Gebeten und Geduld: "Wir müssen ihnen vor allem neue Lebensperspektiven eröffnen: eine vernünftige Ausbildung und der Glaube können dabei helfen." Das Ziel seiner Organisation sei es, in jedem, der zu Hogares Claret kommt, ein Wesen zu erkennen, das Liebe, Zuwendung und Geborgenheit braucht. Besonders ehemalige Kindersoldaten sehnen sich nach einem sicheren, liebevollen Zuhause: "Wir versuchen, in ihnen die Kinder zu sehen, die sie einmal waren und zum Teil noch immer sind, nicht die brutalen Kämpfer, die mit ihren Opfern kein Mitleid kannten." Padre Mejias System der Resozialisierung funktioniert aber nicht immer. Manchmal laufen die Jugendlichen auch wieder davon. Das sei zwar jedes Mal ein ernüchternder Rückschlag, so Mejia, aber es gibt auch positive Fälle. Einigen konnte er sogar zu einem Studium an der Universität von Medellin verhelfen. Das sei aber die Ausnahme. Der Großteil "seiner" Kinder erlerne einen handwerklichen Beruf, denn "damit finden sie in der Stadt leicht eine Arbeit." Die Frage, ob er an ein absehbares Ende der kolumbianischen Kindersoldatenproblematik glaube, verneint der Priester, denn "solange man in Amerika und Europa bis zu 60 000 Dollar für ein Kilogramm Heroin zahlt, wird es die Guerilla und die Paramilitärs geben. Und so lange wird es auch Kindersoldaten in Kolumbien geben".

Beispiel Patronenkreuz:

Als George Togba gemeinsam mit seinem Schwager George Kollie vor einigen Jahren anfing, Patronenhülsen aufzubiegen und daraus Kreuze zu schneiden, war das eine persönliche Traumabewältigung und zugleich ein öffentliches Bekenntnis. Der ehemalige Bürgerkriegsrebell, der seine Familienangehörigen in einem Massaker verlor, hatte genug vom Morden. "Am unteren Ende des Kreuzes", sagt Togba, "ist die Patronenhülse noch als Zeichen der Zerstörung zu erkennen. Darüber ist das Zeichen des Lebens und der Rettung sichtbar." Das Patronen-Kreuz symbolisiert Tod, Leben und Hoffnung und erinnert an den Missbrauch von Kindern als Soldaten. Ehemalige Kindersoldaten fertigen die Kreuze aus Patronenhülsen, und Missio bietet sie zum Verkauf an (Stückpreis 2,50 Euro plus Versandkosten; Bestellungen telefonisch unter +43 1 / 513 77 22, mittels Fax +43 1 / 513 77 22 60 oder über www.missio.at). Der Reinerlös kommt Projekten zugute, die ehemaligen Kindersoldaten auf ihrem Weg zurück in ein normales Leben helfen.


Autor: Mag. Andreas Thonhauser, Jahrgang 1981. Verantwortlicher Redakteur von "Alte Welt", dem Magazin der Päpstlichen Missionswerke in Österreich (Missio). Während des Studiums der Germanistik und Anglistik an der Universität Wien (Sponsion 2006) Arbeit als Pressereferent für Nationalrat Dr. Vincenz Liechtenstein. Journalistische Ausbildung als Praktikant und freier Mitarbeiter bei "Der Standard", "Kurier", "Kärntner Tageszeitung", "Telekom Austria - Unternehmenskommunikation" und bei "YOU! Magazine USA" (Los Angeles).

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