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Militärpolitik: "Europa-Armee" und nationale Wehrverfassungen

Im Zuge der aktuellen Diskussionen über die Wehrpflicht in europäischen Staaten ist auch die Frage aufgetreten, ob die Möglichkeit der Entwicklung einer "Europa-Armee" durch bestimmte Wehrformen eher erleichtert oder erschwert wird.

Die Entwicklung direkt geführter Streitkräfte durch die EU ist unwahrscheinlich und es gibt derzeit auch kein Bespiel für supranationale Streitkräfte. Der höchste Integrationsgrad von Streitkräften verschiedener Staaten im Rahmen eines Bündnisses ist derzeit in der NATO verwirklicht. Sollte es in der EU je zur Entwicklung eines militärischen Instrumentes kommen, das diesem Integrationsgrad nahe kommt wird dieses höchstwahrscheinlich für die Bewältigung internationaler (außerhalb des "EU-Gebietes") Aufgaben zur Verteidigung der EU, der Katastrophenhilfe usw. bereitgehalten werden. Die Mitgliedsstaaten hätten also Beiträge zu stellen, wie sie das im Rahmen der GSVP schon heute machen (21 EU-Staaten tun dies bereits in der NATO).

Von den NATO-Mitgliedsstaaten sind seit dem Ende des Kalten Krieges zahlreiche Impulse über die Zweckmäßigkeit der Wehrpflicht und die Schaffung einer Berufsarmee ausgegangen. Viele europäische Bündnispartner sind diesem Ruf gefolgt, da große Heeresstärken für die Wahrnehmung der Bündnisverteidigung nicht mehr gebraucht wurden. Auch konnten für das internationale Krisenmanagement Wehrpflichtige weder rechtlich noch in ausreichender Qualität verfügbar gemacht werden. Diese Entscheidungen wurden und werden aus nationalen Erwägungen getroffen und nicht aus einer generellen Erkenntnis, dass die neu aufwachsenden Aufgaben im internationalen Krisenmanagement ausschließlich auf Grundlage von Berufsarmeen zu bewältigen wären. Es gibt weiterhin Staaten, darunter auch NATO-Mitgliedsstaaten, die unter Beibehaltung der Wehrpflicht professionelle Beiträge zu internationalen Operationen leisten.

Auch für die EU lässt sich aus den Erfordernissen des internationalen Krisenmanagements eine Umstellung auf Berufsarmeen nicht zwingend begründen, ebenso wenig wie die Beibehaltung der Wehrpflicht. Es besteht kein generell gültiger, direkter und zwingender Zusammenhang zwischen der Erfüllbarkeit internationaler Aufgaben und der nationalen Wehrform.

Derzeit ist nicht absehbar, ob und wie schnell die Beistandsklausel des Vertrages von Lissabon konkret implementiert wird. Sollte ein Beistandsfall eintreten, hätte die EU nicht nur militärische Aufgaben außerhalb des "EU-Gebietes" zu bewältigen, sondern auch innerhalb. Auch hier ist kein zwingender Zusammenhang mit der Wehrform erkennbar (analog NATO), nachdem noch einige Staaten ihre Bündnisaufgaben unter Beibehaltung der Wehrpflicht erfüllen. Diese Staaten tun das unter dem Eindruck spezifischer nationaler Einschätzungen, verbunden mit einem besonderen politischen Gewicht der Wehrpflicht im jeweiligen Land. Dort wo allerdings die Wehrpflicht zur Erreichung einer größeren Personalstärke dient, wird ihre Beibehaltung durch härter gewordene wirtschaftliche Bedingungen erschwert. Für einen Staat ist kaum noch leistbar personalstarke Streitkräfte adäquat auszustatten, was die Legitimität einer so begründeten Wehrpflicht in Frage stellt. Das würde analog auch in Hinblick auf eine "Europäische Verteidigung" gelten.

Generell nimmt die Bedeutung von Verteidigungsaufgaben innerhalb des Bündnisgebietes ab und die verbleibende Ungewissheit wird meist durch rechtliche Vorkehrungen abgefangen, die Wehrpflicht bei Bedarf wieder zu aktivieren. Für den Bereich der Katastrophenhilfe im Sinne der Solidaritätsklausel kann es um große militärische Personalstärken gehen, wenn diese Aufgabe so definiert wird. Die EU steht hier allerdings erst am Anfang eines Prozesses, und eine starke militärische Dimension der Solidaritätsklausel ist dabei keineswegs unumstritten. Die militärische Dimension der solidarischen Katastrophenhilfe innerhalb der EU kann eine Auswirkung auf die Wehrform haben, wenn personell starke militärische Beiträge gefordert werden.

Fazit: Einem Land wie Österreich, das generell einer Stärkung der Europäischen Union auch verteidigungspolitisch sehr positiv gegenübersteht, bietet die Vision von einer "Europa-Armee" keine entscheidenden Argumente für die Diskussion über die Wehrform. Diese Diskussion wird überwiegend von nationalen Erwägungen bestimmt, die immer von der angestrebten Aufgabenerfüllung durch das Bundesheer geleitet werden sollten. Das gilt selbst dann, wenn diese Aufgabenerfüllung mittel- oder langfristig stärker als jetzt in eine gesamteuropäische Konzeption eingebettet sein sollte. Letztlich wird es auch dann dem Einzelstaat überlassen bleiben, wie er seine Beiträge leistet.

Autor: Generalmajor Wolfgang Wosolsobe

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