Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

Einsatz im urbanen Umfeld

Militärische Einsätze finden zunehmend im urbanen Umfeld statt. Von Stalingrad, über Grosny, von Bagdad bis nach Kairo und Bengasi spannt sich der Bogen historischer Beispiele. Die Intensität und das Spektrum der breit gefächerten Einsätze sowie die taktischen Verfahren stellen eine Herausforderung für die Einsatzvorbereitung dar.

Militärische Einsätze finden zunehmend im urbanen Umfeld statt. Von Stalingrad, über Grosny, von Bagdad bis nach Kairo und Bengasi spannt sich der Bogen historischer Beispiele. Die Intensität und das Spektrum der breit gefächerten Einsätze sowie die taktischen Verfahren stellen eine Herausforderung für die Einsatzvorbereitung dar.

Unter breiter Einbindung von Experten wurde unter Federführung der Heerestruppenschule (HTS) das operative Fachkonzept "Einsatz im urbanen Umfeld" erstellt. Bei der Erarbeitung wurde erstmals im Bundesheer eine Art "Wikipediafunktion" genutzt. Basierend auf der PUMA-Software wurde eine Intranetseite eingerichtet, eine Projektgruppe virtuell zusammengestellt, Experten definiert und Zugriffsrechte sowie "Spielregeln" festgelegt. Die Projektverantwortlichen stellten den Erstentwurf des Konzeptes (maßgeblich durch ein Referenzdokument der Bundeswehr sowie internationale Einsatzerfahrungen inhaltlich beeinflusst) ins Netz. In der Folge bearbeiteten diesen Entwurf dezentrale Experten ständig weiter. Ein Waffengattungsseminar an der Heerestruppenschule mit internationaler Beteiligung lieferte 2008 weitere wertvolle Bausteine in der Konzepterstellung. In einer Arbeitsgruppensitzung trafen sich wesentlich beteiligte Experten, um die Endabstimmung des Konzeptes vorzunehmen.

Eine Verfahrensvorschrift entsteht Parallel zur Entwicklung des Konzeptes erfolgte bereits frühzeitig der Auftrag an die Grundlagenabteilung der HTS eine Verfahrensvorschrift zu erstellen. Das Institut "Jäger" erarbeitete dazu die Gefechtstechniken für das abgesessene Vorgehen im urbanen Umfeld. Um Einsatzerfahrungen ausreichend zu berücksichtigen, insbesondere aber zur Sicherstellung der notwendigen Zusammenarbeitsfähigkeit, besuchte man internationale Lehrgänge vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland. Die HTS entsandte einen Offizier als ständigen Vertreter Österreichs in die "NATO Training Group - Urban Operations Subgroup". Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe aus NATO- und NATO/PfP-Ländern sind Experten für Einsätze im urbanen Umfeld. In einer Arbeitsgruppensitzung an der HTS in Eisenstadt überzeugten sie sich von der Qualität der Entwicklungen im Österreichischen Bundesheer (ÖBH). Zahlreiche Präsentationen, wie z. B. für den Chef des Generalstabes des ÖBH oder den General der Infanterie der Bundeswehr, dienten der Überprüfung und Verbesserung der Ansätze.

Zusammenwirken der Waffengattungen Ab April 2009 wurde die nächste Dimension der Bearbeitung forciert. Sämtliche an der HTS vertretenen Waffengattungen/Institute entwickelten ihre bisherigen Überlegungen im Zusammenwirken weiter. In zahlreichen gemeinsamen, wenn auch kleinen Übungen kam es zur Feinabstimmung zwischen abgesessener Infanterie, unterstützenden Beobachtern schwerer Waffen, Aufklärern, Pionieren, Sanitätern, schweren mechanisierten Kräften und anderen Waffengattungen. Die Erkenntnisse flossen unmittelbar in die Erstellung der Vorschriften ein. Noch offene Fragen wurden in Diplomarbeiten an der Theresianischen Militärakademie oder in Seminararbeiten an der Landes verteidigungsakademie bearbeitet. Als Folge der intensiven Beschäftigung und der klaren Schwergewichtsbildung entstand eine Vielzahl von Synergien zwischen den Waffengattungen. Lehren und Erfahrungen der "Jäger" konnten in den Bearbeitungen der "Panzergrenadiere", "Aufklärer" oder "Steilfeuerbeobachter" ebenso berücksichtigt werden wie umgekehrt. Die gemeinsame Arbeit an ein und demselben Thema führte zu einem Zusammenwachsen der einzelnen Waffengattungen/Institute der Heerestruppenschule.

Entwicklung von Ausbildungsmitteln Es kam zunächst darauf an, die Möglichkeiten der Ortskampfanlage so zu erweitern, dass auch ein Üben mit mechanisierten Teilen (z. B. Schützenpanzer, Kampfpanzer) möglich wird. Insgesamt sollten kompaniestarke Kräfte in der Anlage wirksam werden können. Darum erfolgte der Ausbau des "Angererdorfes" auf dem Truppenübungsplatz Bruckneudorf, wobei ohnehin vorhandene Ausbildungsressourcen genutzt sowie gebrauchte Container verwendet wurden. Die Bedeutung spezieller Munition für die Ausbildung, die verbesserte Nutzung der Duellsimulation mit Echtzeitauswertung und Effektsimulation sowie die Darstellung von (Sekundär-)Wirkung in Räumen wurde erkannt und genutzt. Für die Ausrüstung der Soldaten wurde ein "Breacher-Satz" zusammengestellt und beschafft. Am Institut Panzer/Panzergrenadier entstand schon vor der Konzepterstellung ein Geländemodell (Geländeplatte) als maßstabsgetreue Nachbildung von Teilen einer Großstadt, die für die Ausbildung genutzt werden kann. Auch die Simulationsanlagen, insbesondere die Low Cost Simulation "Steel Beast" (handelsübliches Computerspiel), wurden um entsprechende Geländeausschnitte im urbanen Umfeld erweitert. Schließlich entstanden zahlreiche Unterrichte und Übungsanlagen im urbanen Umfeld. Letztere werden insbesondere in der Ausbildung mit den Führungslehrgängen verwendet, wobei besonderer Wert auf das Zusammenwirken von Waffengattungen gelegt wird.

Inhaltlich wurden die bestehenden Gefechtsformen unter anderem um das Element "Wegedrill" erweitert. Die Weitergabe der Inhalte erfolgt im Zuge der Lehrgänge, aber auch durch das Angebot von Seminaren auf der Ebene Einzelverhalten, Trupp/Gruppe, Zug und Kompanie sowie bei individuellen Einweisungstagen für die Kommandanten der Verbände und Einheiten.

Lessons Learned Durch eine intensive Fachdienstaufsicht wurden Unklarheiten in der Ausbildung erkannt, die eine Evaluierung des Verfahrens "Wegedrill" erforderlich machten. In insgesamt 104 Durchgängen kam es zu einem Vergleich der verschiedenen Verfahren unter Nutzung der Duellsimulation/Echtzeitauswertung sowie im scharfen Schuß. Somit wurde ein kompletter Lessons Learned-Zyklus durchlaufen.

Die Qualitätssicherung und Dokumentation erfolgt neben der Vorschriftenerstellung auch im Rahmen der Schriftenreihe "Exempla Docent".

Zentrum für Doktrin und Ausbildung (TRADOC) Im Nachhinein betrachtet ist es in ca. vier Jahren gelungen, einen gesamten Zyklus von der Erstellung der konzeptiven Grundlagen bis zur Umsetzung eines komplexen Themas in der Ausbildung bei der Truppe zu generieren. Die Vorgehensweise stellt ein Beispiel für die Fähigkeiten und Aufgabenstellungen einer Schule dar, die sich als ein Zentrum für Doktrin und Ausbildung (TRADOC) versteht. Nur das zielorientierte Zusammenwirken aller Elemente der Heerestruppenschule auf engem Raum garantiert diese Qualität und ist eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige Lehrgänge.

Inhaltliche Eckpunkte Charakteristika eines urbanen Umfeldes:

"Urbanes Umfeld bezeichnet einen geografischen Besiedlungsraum mit hoher Bevölkerungsdichte, dessen Hauptkennzeichen eine flächendeckende Bebauung mit infrastrukturellen Schwerpunkten ist. Die Art der Bebauung kann dabei erheblich variieren und wird im Einsatzgebiet häufig in der gesamten Variationsbreite anzutreffen sein." (siehe Konzept des ÖBH "Einsatz im urbanen Umfeld") Die Bebauung sowie vor allem das Vorhandensein, die Einstellung und das Verhalten der ortsansässigen Bevölkerung wirken sich erheblich auf die militärische Einsatzführung aus. Hinzu kommt ein Gegner, der zunehmend asymmetrisch auftritt, das heißt seine konventionelle Unterlegenheit durch unkonventionelle Mittel und Einsatzverfahren auszugleichen versucht. Ein urbanes Umfeld bietet ihm vielfältige Möglichkeiten, dies in besonderem Maße zu tun. Nirgends sonst sind ein jederzeitiges Untertauchen und die Vermischung mit der Zivilbevölkerung besser möglich als hier. Damit entzieht sich der Gegner binnen weniger Sekunden der Erkennbarkeit und kann als militärisches Ziel nicht mehr angesprochen werden. Die Notwendigkeit, Gefechtseinwirkungen und Einschränkungen bei der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten (Vermeidung von Kollateralschäden) ist, verstärkt durch die frühe und nahe am Geschehen zu erwartende Anwesenheit internationaler Medien umso wichtiger. Darüber hinaus muss die Präsenz staatlicher, nichtstaatlicher und internationaler Organisationen (GO/NGO/IO) und Akteure sowie kommerzieller Unternehmen zu berücksichtigt werden.

Kennzeichnend für den Kampf im urbanen Umfeld ist, dass in einem komplexen, dreidimensionalen Raum (inkl. Untergrund) Kräfte aus allen Richtungen, insbesondere auch von oben, wirken und sich bewegen können, und eine Festlegung von Richtungen (hinten, vorne) abhängig von der Bebauungsstruktur erheblich erschwert wird. Urbanes Umfeld unterliegt ständigen Veränderungen, die aufmerksam beobachtet und im Einsatz berücksichtigt werden müssen.

"Drei Charakteristika kennzeichnen also das urbane Umfeld: Zivilbevölkerung, ein komplexes, künstlich geschaffenes Gebilde sowie gesellschaftliches, wirtschaftliches, politisch-kulturelles Leben in Verwaltungs-, Gewerbe-, Industrie-, Geschäfts-, Schul- und Wohngebieten" (Military Technology, 8-9/2003).

Grundsätzliches Ein urbanes Umfeld verringert den Vorteil technologisch überlegener Kräfte, die Bebauung schränkt die Beweglichkeit, die Beobachtung, die Möglichkeiten der Waffen und die Kommunikation erheblich ein. Es verändert die Effekte der Einsatzmittel und erfordert zumeist mehr Soldaten und ein breites Spektrum an letalen (tödlichen)wie nicht letalen Wirkmitteln. Einsätze im urbanen Umfeld sind zeitintensiver, fordern mehr Opfer, finden unter größeren Einschränkungen statt und erfordern zusätzlich einen erhöhten logistischen Aufwand.

Die oben angesprochene Vermischung von Zivilbevölkerung mit potenziellen Gegnern stellt höchste Anforderungen an die Qualität und Durchhaltefähigkeit von Truppen. Das schnelle Anwachsen städtischer Gebiete sowie Einsätze unter schwierigen Umfeldbedingungen verlangen von den Verbänden eine frühzeitige Berücksichtigung hinsichtlich ihrer Ausrüstung und Ausbildung.

Das Spektrum der Einsatzführung spannt sich von - der Inbesitznahme und Sättigung des gesamten Raumes (zeit- und kräfteintensiv) über - die Inbesitznahme von Schlüsselräumen und -objekten (häufig zu erwarten) bis hin zu - Isolation sowie - etwaigen Mischformen.

Andere Einsatzarten und -formen treten ebenfalls in vielfältiger Weise auf.

Die hohe Bebauungsdichte des urbanen Umfeldes hat zur Folge, dass Kampfhandlungen in kleinere, dezentrale, begrenzte und oft isolierte Räume zerfallen, in denen das zielorientierte Zusammenwirken aller Einsatzmittel - auch nichtmilitärischer - erreicht werden muss.

Die Koordinierung von Kampf- und Einsatzmitteln verschiedener Art wird zukünftig nicht mehr ausschließlich bei den Brigaden angesiedelt sein. Anlassbezogen zusammengesetzte Kompanien leisten schon heute in Afghanistan einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidung von kleinräumigen Gefechten. Das "Combined Arms Team" wird zum Wirkungselement auf unterster Ebene. Die Komplexität der Aufgaben im Gefecht ist nur durch drillmäßig vermittelte, ausgereifte Gefechtstechnik der Soldaten zu bewältigen.

Wenn die Planung des Zusammenwirkens der Waffengattungen primär und unverändert aufgrund der hohen Komplexität auf der Ebene höherer Stäbe angesiedelt ist, so sind punkto Durchführung (Integration of All Arms) die Kompanie, manchmal auch der Zug gefordert.

Führung Führungsinformations- und Waffeneinsatzsysteme sowie andere technische Mittel, die vielfältige Vorteile in verbauten Gebieten bringen, unterliegen im urbanen Umfeld verschiedenen Einschränkungen. Neben dem lauten Gefechtslärm, der zusätzliche akus- tische Behinderungen mit sich bringt, müssen die Soldaten insbesondere die eingeschränkte Funktionsfähigkeit technisch sensibler Komponenten in geschlossenen Räumen, engen Häuserschluchten und zergliedertem Gelände berücksichtigen. Die Orientierung und Bestimmung der eigenen Position, die Erkennung (Freund-Feind-Unterscheidung) sowie die Zielansprache und somit auch die präzise Wirkung auf nächste Entfernung sind oft erschwert.

Die Technik eröffnet aber gleichzeitig neue Möglichkeiten. Technische Systeme unterstützen die Sicherstellung eines gemeinsamen Lageverständnisses in Echtzeit und erleichtern die Führung im Einsatz im unübersichtlichen, urbanen Umfeld unter der Vorbedingung geringster Verluste. Sie erleichtern die Führung und Koordination der Waffengattungen auf engstem Raum.

Umfassende Kenntnisse über den Gegner und die Umfeldbedingungen tragen wesentlich zur richtigen Lagebeurteilung der Kommandanten vor Ort bei. Die Nachrichtengewinnung und Aufklärung gestalten sich als besonders schwierig, weil ein urbanes Umfeld kleinen gegnerischen Einheiten unzählige Möglichkeiten für eine ver- und gedeckte Einsatzführung bietet und diesen das Verschwinden unter dem Deckmantel der Zivilbevölkerung erleichtert. Bei der Nachrichtengewinnung und Aufklärung ist die Einbindung aller Führungsebenen und Ressourcen bis zur einzelnen Plattform in den Aufklärungsverbund wesentlich (all sources intelligence). Die häufig im Einsatzraum vorhandene Zivilbevölkerung kann die Nachrichtengewinnung erleichtern, Gesprächsaufklärung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ihr Erfolg hängt jedoch vom Unterstützungswillen der Bevölkerung ab.

Der Einsatz von unbemannten Systemen (Unmanned Aerial Vehicles - UAV und Unmanned Ground Vehicles - UGV) liefert entscheidende Aufklärungsdaten und vermindert die Gefährtung für die Soldaten. UAVs sind gerade im urbanen Umfeld unverzichtbar, da ein umfassender Einblick bis hin zur Beobachtung für indirektes Feuer (z. B. Artillerieeinsatz) und zum Waffeneinsatz in bebautem Gebiet aufgrund der Häuserschluchten oft nur senkrecht von oben nach unten möglich ist. Die rein horizontale Beobachtung im urbanen Raum selbst endet zumeist bei der nächsten Häuserfront und ist je nach Bebauungsstruktur erheblich eingeschränkt. Zukünftige Systeme erlauben durch, auf, in und unter Bauwerke und sogar durch sie hindurch zu blicken. In modernen Städten findet man häufig vorinstallierte (Video-) Überwachungssysteme, die ebenfalls genutzt werden können. Die Einsatzmöglichkeiten weitreichender Radarsysteme sind aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit oft eingeschränkt.

Es sind aber nicht nur die hochtechnisierten sensiblen Aufklärungsmittel, sondern auch die bloße Wachsamkeit, die die auffälligen Veränderungen im Umfeld registriert und daraus Rückschlüsse auf die Gefahrenpotenziale zulassen und zum unverzichtbaren Element der Force Protection werden.

Der Wirkungsverbund Ein Wirkungsverbund sind Kompaniekampfgruppen, bestehend aus Aufklärern, Panzern, Infanteristen und Pionieren mit unterstützenden Artilleriebeobachtern, verstärkt durch Militärpolizei, CIMIC-Teams, PsyOps- und InfoOps-Elementen, Versorgungsteilen und Lufteinsatzmitteln, die gemeinsam zum Einsatz kommen. Ihr Zusammenwirken muss jedoch punkto Ausrüstung, Ausstattung und Ausbildung optimiert werden. Sämtliche Wirkungsmittel, letale wie nicht letale, müssen von Kommandanten in Bezug auf die gewünschten Effekte auf die Zielsetzung ausgerichtet und zusammengeführt werden. Dies betrifft auch nicht militärische Mittel und im Einsatzraum agierende Organisationen - der Comprehensive Approach, das Zusammenwirken aller Akteure für ein gemeinsames Ziel steht im Mittelpunkt. Eine Leistung, die integrierte Stäbe erfordert. Ein zielgenauer Einsatz der Wirkungsmittel ist mit Priorität zu entwickeln, um Kollateralschäden weitgehend zu vermeiden und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Schutzfaktor Der Schutz von Soldaten im Einsatz hat hohe Priorität. Dieser kann nicht nur durch eine laufende Verstärkung von Panzerung oder des Individualschutzes (Protektoren für die sensiblen Körperbereiche und "Body Armour") erzielt werden, die eher zu Unbeweglichkeit führen, sondern ist gerade im urbanen Umfeld bei asymmetrischer Bedrohung durch eine hohe Mobilität zu erreichen. Neue Materialien verringern künftig das Gewichtsproblem. Verbesserte, zielgenaue Wirkung bei Tag und Nacht stehen weit oben in der Forderungsskala der Militärs an die Rüstungsindustrie. Dem ABC-Schutz kommt hohe Bedeutung zu, weil gerade im urbanen Umfeld von Industrieeinrichtungen häufig so genannte ROTA-Gefahren (Release Other Than Attack) ausgehen können. Auch dem Schutz des Personals und Materials vor Sekundärwirkung (Trümmer, Brände etc.) muss im urbanen Umfeld ausreichend Augenmerk geschenkt und Mittel zur Brandbekämpfung vorgesehen werden.

Trotz der hohen Schutzanforderungen im Sinne der Force Protection muss vor allem nach einer hochintensiven Phase der Einsatzführung die Balance zwischen Force Protection und der intensivierten Kontaktnahme mit der Bevölkerung gefunden werden, um ein Verständnis für den eigenen Einsatz zu erzeugen und die Unterstützung der Menschen vor Ort zu erhalten.

Flexible Einsatzführung verbunden mit hoher Mobilität ist für den Eigenschutz wesentlich. Sämtliche im urbanen Umfeld eingesetzten Fahrzeuge sind von der Trupe der konkreten Bedrohung und insbesondere den Umfeldbedingungen anzupassen. Dies reicht von gepanzerten und/oder vergitterten Scheiben der Fahrzeuge über die Verwendung von Kabelschneidern (Cable Cutter) bis zum Einsatz von speziell ausgerüsteten Kampfpanzern, bei denen es darum geht, die Nachteile vor allem hinsichtlich der eingeschränkten Beobachtung aber auch der Wirkung der Panzerkanone auszugleichen.

Bauwerke und vorhandene Infrastruktur für die Unterbringung und Lagerung von einsatzwichtigem Gerät müssen so bemessen sein, dass sie außergewöhnlichen Belastungen infolge von Waffenwirkung (z. B. Raketenbeschuss) und Detonation (z. B. Sprengstoffanschläge) standhalten und ihre Funktion nicht verlieren.

Die zumeist erhobene Forderung, die Gefährdung eigener Soldaten zu minimieren, führt zwangsläufig vermehrt zur Entwicklung und zum Einsatz von Produkten aus der Robotik. Das Spektrum reicht von der Bergung von Verwundeten aus Gefahrenzonen bis zum unmittelbaren Feuergefecht in Gebäuden durch roboterähnliche Systeme.

Mobilität Hohe Beweglichkeit ist eine entscheidende Voraussetzung für den Eigenschutz und die Wirksamkeit der eingesetzten Truppe. Gleichzeitig bringen die Struktur und die vier Dimensionen des urbanen Umfeldes zusätzliche Herausforderungen für die Soldaten mit sich. Pionieraufgaben, wie beispielsweise das Errichten und Räumen von Barrikaden, die Ent- und Verminung von Gebäuden, bauliche Vorbereitungen von Gebäuden zur Hemmung von Bewegungen oder zur Unterbringung eigener Kräfte, erfordern Pionierkräfte an vorderster Front in engem Zusammenwirken mit der Kampftruppe. Es ist unerlässlich, dass die vorne eingegliederten Pioniere dieselben Verfahren beherrschen wie die Kampftruppe und sich so in deren Vorgehen einfügen können. Die Ausbildung der Pioniere muss daher auch Ausbildungsinhalte der infanteristischen Kampftruppe umfassen. Sie benötigen Wirkungsmittel, die ein rasches Öffnen von Türen und Mauern sowie das Beseitigen von Barrikaden erlauben. Um weniger anspruchsvolle Pionieraufgaben wahrnehmen zu können, müssen im urbanen Umfeld eingesetzte Kräfte auch einfache Pioniertätigkeiten beherrschen, da oftmals Spezialisten nicht in ausreichender Anzahl verfügbar sein werden.

EO (Explosive Ordnance) und IED (Improvised Explosive Devices - Sprengfallen) stellen Gefahren dar, die vor allem im urbanen Umfeld und in den neuen Szenarien zur Wirkung kommen. Pioniere haben sich auf die Beseitigung ebenso vermehrt einzustellen wie bestehende Gebäude für die eigene Truppe und/oder die Zivilbevölkerung (wieder) nutzbar zu machen.

Gerade in dicht bebauten Gebieten schränken oft enge Straßenzüge die Bewegung von Fahrzeugen erheblich ein. Die Manövrierfähigkeit von eingesetzten Fahrzeugen hat diesem Umstand Rechnung zu tragen. Noch gibt es aber kein Fahrzeug, das alle Forderungen, von hohem Schutzwert bei gleichzeitig geringem Gewicht und hoher Manövrierfähigkeit, vereint. Es wird hier besonders auf die dem jeweiligen Einsatz angepasste Mischung von Fahrzeugen ankommen.

Die Einschränkungen der Bewegung von Fahrzeugen aufgrund von engen Straßenzügen stellt für die Bergung von beschädigten Fahrzeugen eine besondere Herausforderung dar und erfordert nach einer detaillierten Planung auch den Einsatz und die Integration von technischem Fachpersonal in die Combined Arms Teams. Dies bedeutet, dass technisches Fachpersonal am Ausfallsort zum Einsatz kommt. Es muss daher punkto Ausrüstung und Ausbildung in der Lage sein, unter hoher Bedrohung zu arbeiten. Selbst die "rückwärtigen" Instandsetzungseinrichtungen sind einer ständigen Bedrohung ausgesetzt.

Der Einsatz von Hubschraubern unterliegt umfeldbedingten Einschränkungen, wie beispielsweise durch eng begrenzte Landezonen und vorbereitete Sperren in engen Häuserschluchten. Besonders zu berücksichtigen ist auch, dass Hubschrauber ein wichtiges Ziel für den Gegner darstellen und im urbanen Umfeld auf kurze Distanz oft mit einfachen Mitteln bekämpft werden können, bevor eine Zielerkennung durch den Hubschrauber erfolgen kann.

Herausforderungen für Versorgungstruppen Logistikelemente und "Force Multipliers" müssen zeitgleich mit den ersten Kampftruppen zur Wirkung gebracht werden, um auch die Zivilbevölkerung als Teil eines umfassenden Ansatzes bei Bedarf und nach Maßgabe freier Kapazitäten zumindest in Teilen versorgen bzw. schützen zu können.

Die "klassische" Aufbau- und Ablauforganisation der Versorgung von hinten nach vorne, mit einer durchgehenden Versorgungskette und der Konzentration der Versorgungsdienste, ist im urbanen Umfeld vor allem im unmittelbaren Kampfgeschehen häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die potenziell aus allen Richtungen auftretende Bedrohung, sowie die ständige Gefahr von der Versorgung abgeschnitten zu werden, erfordert auch vom Versorgungspersonal selbst eine "Rundumorientierung". So wie die Kräfte der Kampfunterstützung, müssen auch jene der Einsatzunterstützung im Hinblick auf Selbstschutzaufgaben wie die Kampftruppe ausgerüstet und gemeinsam mit diese ausgebildet werden. Reicht die Selbstschutzfähigkeit der Versorgungsdienste nicht aus, so sind lageabhängig Teile der Kampftruppe zu deren Schutz abzustellen. Diese stehen dann für andere Aufgaben nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung.

Verfahren Zunächst muss das Einsatzgebiet in seiner Gesamtheit langfristig vorausschauend bereits in der Einsatzvorbereitung erfasst, verstanden und aufbereitet werden.

Zielgerichteten Informationsoperationen ist angesichts der im Einsatzraum befindlichen Zivilbevölkerung besonderes Augenmerk zu schenken. Der militärische Führer muss in der Lage sein, auf größere Menschenansammlungen lageangepasst reagieren zu können. Interkultureller Kompetenz kommt dabei hohe Bedeutung zu.

Der Einsatz der eigenen Kräfte erfolgt aus sicheren Gebieten heraus. Schlüsselräume und Objekte werden in Besitz genommen und kontrolliert, während die Infrastruktur und vitale Einrichtungen - wo erforderlich - wiederhergestellt werden. Dies schafft die Voraussetzung für die Übernahme der Verantwortung durch die zivile Verwaltung, während der Gegner unter Aufrechterhaltung eines ständigen Drucks räumlich ebenso wie hinsichtlich der Intensität mit letalen und nicht letalen Wirkungsmitteln beeinflusst wird.

Das früher häufiger angewandte Verfahren für Einsätze von Landstreitkräften im urbanen Umfeld sieht eine systematische Säuberung und das Nehmen von Häuserblock für Häuserblock vor. Der Raum wird in kleine, kontrollierbare Abschnitte unterteilt und diese Schritt für Schritt eingenommen. Das ist kräfte- und zeitintensiv und erfordert einen hohen logistischen Aufwand. Auch eine länger dauernde Besetzung ist zu den klassischen Vorgehensweisen zu zählen.

Die jüngsten Ansätze sehen hingegen eher ein rasches, konzentriertes, tief gestaffeltes Vorgehen auf mehreren Linien hin zum Ziel vor, um dieses dann zu isolieren und vor Zugriffen zu schützen. Dies wird in der Anfangsphase eines Einsatzes zur Inbesitznahme größerer Ortschaften (Städte) haben sich rasche und entschlossen vorgetragene mechanisierte "Überfälle" tief in Schlüsselräume einer Stadt als erfolgreich erwiesen. Um den Gegner zu verwirren, wird ein koordinierter Ansatz auf ein Ziel aus mehreren Richtungen durch Stöße auf engen Achsen durchgeführt. Moderne Kommunikations- und Führungsmittel erleichtern dabei die Koordination. Die Gegner entziehen sich der Wirkung übermächtiger Feuerkraft durch Auflösung ihrer räumlichen Struktur.

Ein vor allem in Konflikten niedriger Intensität erfolgversprechender Ansatz sieht kleine patrouillierende Einheiten vor, die durch ihre Präsenz wirken und zu unerwarteter Zeit an unerwartetem Ort ständig wechselnd den Gegner unter Druck halten und ihn dabei überfordern.

Auf einen Blick Zeitgleich mit dem Beginn der konzeptiven Bearbeitung des Themas "Einsatz im urbanen Umfeld" erfolgte die Entwicklung von Verfahren unter Nutzung internationaler Erfahrungen, die Umsetzung in Vorschriften, mehrfache Überprüfungen der Ansätze und stete Verfeinerung derselben, bis hin zur Definition von Ausrüstung und Ausbildungsanlagen. Nach nunmehr vier Jahren können Neuerungen qualitativ hochwertig in die laufende Ausbildung eingebracht werden.

Die Zusammenführung mehrerer Waffengattungsschulen zur Truppengattungsschule HTS hat den Prozess erheblich erleichtert. Die Impulse, die hier durch die Heerestruppenschule gesetzt wurden, sind mittlerweile von der Truppe aufgenommen worden. Ein enger Erfahrungsaustausch findet statt.

Die Entwicklungen bleiben nicht stehen, vielmehr werden laufend neue Erkenntnisse bewertet und eingearbeitet bzw. international weiter abgestimmt. So wird beim nächsten internationalen Gebirgsschultreffen die Nutzung von Gebirgstechniken beim Kampf im urbanen Umfeld präsentiert und evaluiert werden. Hier wird es vor allem um Rettungstechniken gehen.

Die Expertise der Heerestruppenschule wird dabei eine wesentliche Rolle spielen, da das enge Zusammenwirken der Waffengattungen in kaum einer anderen Nation ähnlich abgebildet werden kann.

Dass dem Einsatz im urbanen Umfeld besonderes Augenmerk zu schenken ist, ergibt sich alleine schon aus dem steten Anwachsen des bebauten Gebietes. Die Komplexität dieses Einsatzraumes erfordert umso mehr Einfachheit in der Einsatzführung, die Abstützung auf eine Vielzahl neuer technischer Möglichkeiten von Robotik über Führungsinformationssysteme, Waffeneinsatzsysteme, Mannesausrüstung bis hin zu UAVs, die aber auch besonderen Einschränkungen gerade im urbanen Bereich unterliegen. Urbaner Raum erfordert:

  • die besondere Berücksichtigung der Zivilbevölkerung, die hier bestimmend ist,
  • den Wirkungsverbund auf unterster Ebene (manchmal bis zum Zug). Isolierte Kampfräume erlauben nicht mehr ein Zusammenwirken größerer Verbände,
  • die Berücksichtigung eines asymmetrisch kämpfenden Gegners, weil bebautes Gebiet und die Anwesenheit der Zivilbevölkerung diesem besondere Vorteile bringen,
  • die Berücksichtigung der Einsatzrichtlinien und der rechtlichen Rahmenbedingungen, auch wenn dies ein asymmetrischer Gegner allenfalls nicht so halten wird,
  • sowie erhöhten Kräfte- und Zeitbedarf.

Dies alles ist neben der spezifischen Bewaffnung, Ausrüstung und Ausstattung vor allem durch eine intensive, umfassende Ausbildung aller Kräfte, die Einsatzaufgaben im urbanen Umfeld zu erfüllen haben, zu begleiten. Besonders gefordert ist dabei die Ausbildung der Führungskräfte auf allen Ebenen, wobei es gelingen muss, komplexe Herausforderungen auf das Wesentliche zu fokussieren, um den Kommandanten nicht zu überfordern und durch gediegene routinemäßig beherrschte Gefechtstechnik einfache Abläufe zu generieren. Die klassischen Führungs- und Einsatzgrundsätze bleiben im urbanen Umfeld unverändert gültig, ihre Akzentuierung ist den besonderen Herausforderungen des Einsatzes im urbanen Umfeld anzupassen.


Autor: Brigadier Mag. August Reiter, Jahrgang 1963. 1982 Grundausbildung LWSR64, Einjährig Freiwilliger Landwehrstammregiment (LWSR) 62 und LWSR61. 1983 bis 1986 Militärakademie Wiener Neustadt, Waffengattung Jäger. 1986 bis 1991 Ausbildungsoffizier und Kommandant 2. Kompanie/LWSR62. 1991 bis 1994 13. Generalstabskurs; 1994 bis 1998 G3 und Chef des Stabes Militärkommando Tirol. 1998 bis 2000 Staff Officer for Operations, Exercises and Inter- operability bei SHAPE in Mons/Belgien; 2000 bis 2001 Kommandant Jägerschule Saalfelden (mit der Führung betraut); 2001 bis 2002 Militärkommandant von Tirol (mit der Führung betraut); 2002 bis 2006 Kommandant 17. Generalstabslehrgang. 2004 Sponsion zum Mag. phil.; 05/2006 bis 09/2006 Leiter Institut für Höhere Militärische Führung/Landesverteidigungsakademie Wien; 2006 bis 2011 Kommandant Aufstellungsstab/Heerestruppenschule und anschließend Kommandant der Heerestruppenschule; seit Juli 2011 österreichischer Verteidigungsattaché in Stockholm. Heeresbergführergehilfe und Flugretter; Teilnehmer am "Mobilization and Reserve Forces Course”, am "Operational Staff Officer´s Course” und am "Staff Officers Orientation Course” der NATO-School Oberammergau; Teilnehmer am Seminar "Internationale Höhere Führung” der Führungsakademie Hamburg.

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle