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Suchtmittelmissbrauch - Fragen und Antworten (II)

Das Erkennen der Bedrohung junger Menschen durch Suchtmittel und Suchtverhalten ist zu wenig. Es geht für die Vorgesetzten aller Ebenen auch um die Kenntnis der Methoden, diese Bedrohung in den Griff zu bekommen - und das Wissen um deren Wirksamkeit und Grenzen.

Warum setzt man Suchtmit­­tel­­ver­bote nicht rigoros durch?

Es gibt das historische Beispiel des Versuchs, eine Gesellschaft rigoros von einer Droge, nämlich Alkohol, zu befreien: Die so genannte Prohibition setzte sich etwa ab 1900 in mehreren amerikanischen Bundesstaaten durch und galt aufgrund des 18. Verfassungszusatzes, der auch den Alkoholgenuss selbst verbot, zwischen 1919/20 und 1933 für die gesamte USA. Die Prohibition ließ sich auf Bundesebene nur begrenzt durchsetzen und führte in großem Umfang zu Schmuggel, Schwarzbrennerei und illegalem Ausschank in getarnten Kneipen. Sie förderte nicht nur die Organisierte Kriminalität, sondern auch die Korruption in Politik, Verwaltung und Polizei. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise wurde die Prohibition schließlich aufgehoben. Sie war gescheitert.

Eine drogenfreie Gesellschaft muss heute als genau so eine Illusion bezeichnet werden wie eine verbrechensfreie. Die Ursache dafür liegt nämlich nicht primär in den Suchtmitteln, sondern in der krankhaften Unfähigkeit vieler Menschen, mit Frustrationen oder eigenem mangelnden Selbstwertgefühl an­ders als mit Hilfe von psychoaktiven Substanzen oder suchtähnlichem Verhalten umzugehen.

Solange also Verbrecher diese Per­sönlichkeitsdefizite mit astronomischen Gewinnen ausnützen können, wird es auch mehr oder weniger Drogenmissbrauch geben. Es ergibt sich dadurch auch der Ansatz zur Prävention: Stärkung der individuellen Widerstandskraft durch Persönlichkeitsbildung ei­nerseits und Angebotsreduktion durch ausgezeichnete Polizeiarbeit andererseits.

Wie erkennt man Suchtmittelmissbrauch?

Es gibt keine allgemein gültigen Faust­regeln, Drogenmissbrauch im Frühstadium zu erkennen. Die zahlreichen Drogen haben höchst unterschiedliche Wirkungsspektren und rufen daher die verschiedensten Symptome hervor. Verdächtig sind aber

  • scheinbar unmotiviert abgeschlossene Räume,
  • der Gebrauch von Räucherkerzen (welche eindeutige Gerüche überdecken) und
  • das Abwickeln von Geldgeschäften im Kameradenkreis.

Allerdings wäre es ungewöhnlich, würden enge Freunde, Verwandte oder Kameraden/Kollegen den Missbrauch oder das Frühstadium der Sucht nicht sehen. Oft will man sich aber den Ernst der Situation in falsch verstandener Solidarität nicht eingestehen und den Betroffenen nicht "verpfeifen".

Im Spätstadium einer Sucht gleichen einander alle Süchte - ob Spielsucht oder Drogensucht: in der völligen körperlichen, seelischen und sozialen Zerrüttung.

Wie genau sind Drogentests?

Der Nachweis des illegalen Konsums von Drogen ist nicht vergleichbar mit dem analytischen Vorgehen beim Testen auf Alkohol in der Atemluft und im Blut: Mit einem Drogen-Testsystem soll eine Vielzahl von Substanzen unterschiedlichster chemischer Struktur eindeutig unterschieden und identifiziert werden.

Die häufig verwendeten Screening-Harntests können grundsätzlich nicht alle der etwa 200 durch das Suchtmittelgesetz kontrollierten Substanzen erfassen! (Es gibt also "falsch-negative Testergebnisse".) Auch werden in etwa drei Prozent der Fälle andere, nicht unter das Suchtmittelgesetz fallende Substanzen durch die Tests fälschlich angezeigt ("falsch-positive Testergebnisse"), oh­ne dass dies unmittelbar erkennbar ist. Keinesfalls darf sich daher die Feststellung oder Entkräftung des Verdachtes auf Suchtmittelmissbrauch ausschließlich auf einen derartigen Harntest abstützen. Diese Testergebnisse sind deshalb nur Hinweise, deren Verifizierung eine weitere klinische Untersuchung durch einen Arzt oder eine weiter gehende chemische Überprüfung voraussetzt.

Aus dem Vorkommen oder Nichtvorhandensein einer psychoaktiven Substanz im Harn kann daher kein Rück­schluss auf die aktuelle Dienstfähigkeit gezogen werden. Bestimmte Drogen können noch viele Tage im Harn nachgewiesen werden, obwohl die Beeinträchtigung nur wenige Stunden dauerte - andere Substanzen sind nur wenige Stunden nachweisbar, und die Beeinträchtigung kann sich über viele Tage hinziehen. Die Beurteilung der Dienstfähigkeit kann nur im Zuge einer klinischen Untersuchung durch einen Arzt erfolgen.

Sind Rekruten besonders gefährdet?

Unabhängig von ihrer kulturellen Zugehörigkeit scheinen viele junge Menschen, und das gilt natürlich auch für Rekruten, den Drang zu verspüren, durch gefährliche "Prüfungen" ihre Reife unter Beweis stellen zu müssen. Auf der Suche nach Ersatz für die oft fehlende tatsächliche Alltagsherausforderung erzeugen junge Menschen mit ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln solche gefährlichen Situationen, in denen sie sich dann "bewähren" müssen, selbst. Dazu zählen gefährliche Sportarten, riskantes Verhalten im Straßenverkehr oder auch der gefährliche Umgang mit Rauschmitteln, wie z. B. die zunehmende Bereitschaft, Drogen mit unterschiedlicher Wirkung und unterschiedlichem Gefährdungspoten­zial für Körper und Psyche auszuprobieren bzw. zu konsumieren.

Neugier ist ebenfalls ein möglicher Auslöser für den Einstieg in den Dro­genkonsum. Der Wunsch, die Zusammenhänge der Welt zu verstehen, die Sehnsucht nach mystischen Erlebnissen und die leichte Fluchtmöglichkeit vor Anforderungen, Problemen, Zurückweisungen und anderen Frustrationen des Alltags spielen eine große Rolle.

Verstärkt werden können diese Faktoren durch den Gruppendruck der Gleichaltrigen und das große Angebot an Drogen während der Freizeit außerhalb der Kaserne. Und gerade der Faktor des Gruppendrucks der Gleichaltrigen macht es erforderlich, dass Drogenprävention im Bundesheer hohe Priorität genießen sollte und alle Anstrengungen unternommen werden, dass unsere Kasernen weiter weitgehend drogenfrei bleiben.

Zusammenfassend ergibt sich die Gefährdung der Rekruten nicht aus dem Umfeld des Militärs an sich, sondern hauptsächlich aus dem Umstand ihres jugendlichen Alters.

Macht jeder Umgang mit Suchtmitteln süchtig?

Suchtmittelmissbrauch ist von Sucht abzugrenzen - unabhängig von der Gefährlichkeit des jeweiligen Suchtmit­tels. Probierverhalten und Experimente mit Extremsituationen können, müssen aber nicht zu einer Sucht, also einer beschreibbaren Erkrankung führen. Nicht jedes Probieren, nicht jede Rauscherfahrung macht süchtig, manche Drogen führen nur relativ selten zur Sucht. Es gibt allerdings neue Drogen, die bereits nach zwei- bis dreimaliger Einnahme in hohem Prozentsatz zu einer manifesten Sucht führen.

Was ist Suchtprävention?

Primarprävention wendet sich an Personen oder Personengruppen, die noch keinerlei Probleme mit Rauschmitteln haben, mit dem Ziel, die Abstinenz zu erhalten oder schädliche Kon­sumgewohnheiten zu verhindern - z. B. durch den Versuch, erste Erfahrungen und Probierverhalten zu verzögern bzw. zu verhindern.

Sekundärprävention wendet sich an Personen oder Personengruppen, die einen problematischen Umgang mit bestimmten Substanzen entwickeln und gerade Gefahr laufen, süchtig zu werden.

Tertiärprävention wendet sich an Personen oder Personengruppen, die be­reits von einer oder mehreren Substanzen abhängig sind oder an Personen, die abhängig waren. Ziel ist, einen Rückfall in das alte Verhalten zu verhindern und drogenassoziierte Gesundheitsschäden möglichst hinauszuzögern.

Die angewendeten Maßnahmen und Methoden sind in allen drei Prä­ven­tions­gruppen vielfältig. Bewusstseinsbildung, Information, soziale, psychologische und politische Angebote sollen die Zielgruppen befähigen, besser und weniger selbstschädigend mit der Thematik umzugehen.

Welche Ansätze zur Drogenprävention gibt es?

Die Reduktion des Angebotes geschieht über verschärfte Kontrollen an vermuteten Drogenumschlagplätzen durch die Polizei, verstärkte Grenzüberwachungen, Razzien und internationales Vorgehen gegen Händlersyn­dikate und Geldwäsche. Das Bundesheer verfügt zu diesem Zweck bei der Militärstreife in jedem Militärkom­mando über Drogenspürhunde.

Die Reduktion der Nachfrage erfolgt durch den Versuch, auf potentielle Konsumenten so einzuwirken, dass diese auf den Konsum von Rauschmitteln verzichten. Dies geschieht einerseits durch Information über die Problematik und andererseits durch persön­lich­keitsfördernde Maßnahmen. Im Bereich des Bundesheeres sind dabei die Kommandanten aller Ebenen gefordert.

Die Reduktion des Schadens erfolgt durch den Versuch, die negativen Auswirkungen auf die "Suchtmittelkon­sumenten", ihr soziales Umfeld oder die Gesellschaft allgemein zu vermindern. Dazu gehören im Zivilbereich Programme gegen Rauschmittelkon­sum in der Schwangerschaft, Nadeltausch- oder Substitutionsprogramme für Drogensüchtige oder leicht zugängliche Betreuungseinrichtungen.

Im Bun­desheer werden diesbezüglich keine Maßnahmen getroffen, weil Drogenabhängige selbstverständlich als "untauglich" eingestuft werden.

Was bedeutet suchtspezi­fi­sche Gesundheitsförderung?

Suchtspezifische Gesundheitsför­derung zielt darauf ab, in Jugendlichen und jungen Erwachsenen Fähigkeiten zu stützen und zu fördern, die ihnen einen angemessenen Umgang mit eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Problemen sowie mit denen ihrer Mitmenschen ermöglichen. Man geht davon aus, dass diese Kompetenzen jeden Menschen zufriedener machen und daher weniger empfänglich für die scheinbar leichte und einfache Problemlösung durch unterschiedliche Rauschmittel. Ein stabiles Selbstwertgefühl, eine stützende und förderliche Umwelt, die Fähigkeiten zu Verzicht und Warten und das Erlernen von Strategien zur konstruktiven Konfliktbewältigung sind dabei entscheidende Kriterien. Um nicht nur suchtartigen Gebrauch diverser Rauschmittel als einzige Möglichkeit der Entspannung und des Ersatzes mangelnder Ressourcen zur Verfügung zu haben, braucht es auch einen förderlichen Umgang mit persönlichen Wünschen und Bedürfnissen.

Welche Bedürfnisse haben Rekruten?

Junge Menschen, und dazu zählen Rekruten zweifellos, haben zahlreiche, zum Teil sehr widersprüchliche Bedürfnisse.

Sie wollen am Leben anderer Anteil nehmen, wollen über die verschiedenen Möglichkeiten, das Leben zu gestalten, etwas erfahren. Das bringt sie vielleicht immer wieder in die Nähe von Randgruppen oder von Menschen, mit denen sie, geht es nach ihren Eltern, besser jeden Kontakt vermeiden sollten. Dennoch erweitern solche Kontakte den Horizont der jungen Menschen, auch wenn objektiv eine Gefährdung nicht auszuschließen ist. Junge Menschen wollen irgendwo "beheimatet" sein. Sie wollen in einer Familie, in einer sozialen Gruppe, in einem Land, einer Kultur aufgehoben sein und sich zugehörig fühlen. Sie möchten als eigenständige Persönlichkeiten in ihrer Wesensart anerkannt werden und testen diese Anerkennung auf zum Teil provokante Weise. Junge Menschen möchten einen fairen Umgang miteinander, der von nachvollziehbaren Regeln und wieder­hol­ba­ren Ritualen geprägt ist. Kritik an sozialen Realitäten und an politischen Entscheidungen der "etablierten" Erwachsenen wurzelt häufig in der Einschätzung, dass gesellschaftlicher Umgang mit unterschiedlichen Interessengruppen nicht fair sei. Junge Menschen wollen sich an Vorbildern und Leit­figuren orientieren. Darin resultiert auch der kommerzielle Erfolg ganzer Zweige der Mode-, Pop- und Musikindustrie. Junge Menschen suchen aber auch die Steigerung von Genuss- und Erlebnisfähigkeit. Sie beschäftigen sich intensiv mit der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Sehnsucht nach dessen Erfüllung. Wiederholte Frustrationen führen zur Aufgabe dieser Beschäftigung und münden oft in innerer Leere und Orientierungslosigkeit.

Persönlichkeitsbildung als "Drogenprävention"?

Das Kaderpersonal des Bundesheeres ist durchaus imstande, persönlichkeitsbildende Werte und Ideen zu vermitteln. Es kann und soll Teamarbeit, Engagement und Sport besonders fördern - vor allem, weil die Rekruten dadurch "lernen", dass eine Aufgabe oder eine interessante Tätigkeit Erfüllung verschafft. Werte erleben und den Sinn eines Anliegens erkennen, sind für die Entwicklung junger Menschen besonders wichtige Erfahrungen. Integration geht dabei vor Aus­gren­zung. Durch sinnvolle - und auch als solche vermittelte - sowie auf ihr Leis­tungsniveau abgestimmte Aufgaben (vor allem auch im Team) können Soldaten bisher unerkannte eigene Fähigkeiten entdecken bzw. entwickeln.

Die Fähigkeit, Konflikte, die ein fordernder Dienst (ebenso wie eine private Beziehung) zwangsläufig bietet, auszuhalten und dabei konstruktive Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, kann entscheidend zur sozialen Reife und damit zur Widerstandsfähigkeit gegen die Versuchungen von Rauschmitteln beitragen.

Die Gruppen-, Zugs- und Kompaniekommandanten, welche diese beschriebenen Eigenarten der Entwicklung der jungen Menschen akzeptieren und die ihnen anvertrauten Soldaten durch einen fordernden, aber fairen Dienstbetrieb in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern, leisten den wichtigsten Beitrag zur Drogenbekämpfung im Heer.


Autor: Oberstarzt Dr. Harald Harbich, Jahrgang 1957. Nach der Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung ab 1976 Reserveoffizierslaufbahn (Jäger, Jagdkampf). Studium der Medizin an der Universität Wien. Nach der Promotion 1985 Turnusarzt im Heeresspital und Assistenzarzt an den Universitätskliniken; Mitglied bzw. Ehrenmitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften. Ab 1989 Hauptlehroffizier an der Sanitätsschule; seit 1995 Leiter des Hauptreferates Militärisches Gesundheitswesen im BMLV. Derzeit mit der Vertretung des Leiters der Abteilung Sanitätswesen betraut und geschäftsführender Vizepräsident der Öster­reichischen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie.

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