Lage "Schutzengel" (II)
Diese Lage stellt kein Planspiel im herkömmlichen Sinne dar, sondern ist der Versuch, Einsatzerfahrungen in einer Kombination von Planspiel und Fernunterricht weiterzugeben. Die Gedankenanstöße und die Bedingungen für die Zielerreichung dienen der Selbstkorrektur und sollen dem Leser die Möglichkeit bieten, von allen Seiten an das Thema heranzugehen und vor allem mit der eigenen Lösung zu arbeiten. Also handelt es sich um eine Art Denksportaufgabe.
Lagefortsetzung:
Es ist 1305 hrs. Die Anlandung, Übernahme und Eskorte der VIP erfolgten ohne Vorkommnisse. Die zehn VIP befinden sich zur Zeit beim Aperitif im Vorraum des Gebäudes. Alle eingesetzten Teile haben sich um 1250 hrs über Funk ohne Vorkommnisse gemeldet. Sie befinden sich vor dem Haus, unterhalten sich mit dem Bürgermeister und beobachten den Hubschrauber, der gerade über Angererdorf kreist. Ihr Funker hält Ihnen den Handapparat ans Ohr:
"Schutzengel 50 von Kugelblitz (Verbindungshubschrauber), Lagemeldung: Zusammenrottung von zirka 50 Personen am Sportplatz Kaisersteinbruch, Menge bewegt sich Richtung Süden, Spitze mit zwei PKW bei Kirche, keine Waffen erkennbar, drei zusammengefaltete Transparente, PKW mit Nationalfahnen in den Schiebedächern. Beobachte weiter! Kommen!"
Aufgabe 2:
Formulieren Sie den Funkbefehl an Ihre Kompanie und die Lagemeldung an das Bataillon.
Wahrscheinlich haben Sie alle Punkte beurteilt und es ist Ihnen gelungen, die Demonstration außerhalb des Gefahrenkreises zu stoppen. Es liegt jetzt an Ihnen, durch geschicktes Verhandeln die Menge zum Umkehren zu bewegen. Bedenken Sie immer, dass eine Demonstration nur im Notfall mit Gewalt aufgelöst werden soll. Sie müssen Ihr Verhalten so anpassen, dass es zu keiner Eskalation kommt. Sie haben dafür hoffentlich Ihren Sprachmittler mitgenommen! Haben Sie übrigens noch eine Reserve? Wenn nicht, dann sind Sie hoffentlich ein ausgezeichneter Verhandler!
Haben Sie bei Ihrer Befehlsgebung bedacht, dass
- die Demonstration in 30 Minuten am Schutzobjekt wirksam werden kann?
- Ihnen der Verbindungshubschrauber die besten Aufklärungsergebnisse liefern kann?
- Kfz nur durch Roadblocks wirksam angehalten werden können?
- es zu spät ist, die Abweisung direkt vor dem Schutzobjekt durchzuführen?
- alle Teile eine ständige Lageinformation über Standpunkt und Verhalten der Demonstranten bekommen?
- Kräfte etwa 10 Minuten brauchen, um sich auf den Crowd Riot Control-Einsatz vorzubereiten?
- Kräfte 5 Minuten benötigen, um einen Roadblock zu errichten?
- eine Menschenmenge innerhalb kürzester Zeit anwachsen kann?
Sie haben die Aufgabe erfolgreich gelöst, wenn Ihnen die Anhaltung in einem Umkreis von 1 000 Metern um das Schutzobjekt gelungen ist!
Lagefortsetzung:
Es ist in der Zwischenzeit 1403 hrs geworden. Wie sich die aktuelle Lage darstellt, können Sie der Abbildung 9 entnehmen.
Aufgabe 3:
Formulieren Sie die Befehle an Ihre Kompanie und die Lagemeldung an das Bataillon.
Auch diesmal ist es Ihnen bestimmt gelungen, alle Punkte zu berücksichtigen. Die Demonstranten wurden von Ihnen bestimmt zur Ruhe gemahnt und in einen sicheren Abstand zur Bergung abgedrängt.
Nachdem die Bergung durch das EOD-Team und die Erstversorgung sowie der Abtransport durch einen NAW-Trupp schnell und reibungslos erfolgt sind, hat sich auch die Menschenmenge beruhigt und beginnt sich aufzulösen.
Sie belassen natürlich Kräfte zur weiteren Beobachtung der Menge vor Ort, aber Sie haben nun Zeit, sich wieder Ihrer Schützlinge anzunehmen. Schließlich beginnt in Kürze die Pressekonferenz!
Haben Sie bei Ihrer Befehlsgebung bedacht, dass
- von Minen eine Gefährdung aller Anwesenden ausgehen könnte?
- Panik und der Versuch der Demonstranten, die Verwundeten selber zu bergen, eine weitere Gefahr und eine Behinderung der Bergemaßnahmen darstellen?
- die Verhandlungsführung einem energischen militärischen Vorgehen weichen sollte?
- die Bergung eine weiträumige Absperrung erforderlich macht?
- die Bergung durch Spezialisten erfolgen muss?
- Sie für den Abtransport eine freie Route benötigen?
- Sie einen Hubschrauberlandeplatz festlegen?
- das VIP-Treffen Ihr ursprünglicher Auftrag ist?
- auch das Bataillon und seine Teile an der Lageentwicklung interessiert sein könnten?
Wenn Sie innerhalb von 10 Minuten die Bergemaßnahmen unter Beobachtung der Sicherheitsabstände eingeleitet haben, waren Sie erfolgreich!
Lagefortsetzung:
Die Pressekonferenz hat soeben begonnen!
Sie befinden sich gerade auf dem Marsch nach Angererdorf und werden voraussichtlich in etwa drei Minuten dort eintreffen. Während der Fahrt hören Sie über Funk die Wortfetzen des Kommandanten des inneren Sicherungsringes:
"... Heckenschützenfeuer aus dem Raum Waldeck 400 ostwärts des Meldepunktes 20. Vorerst keine Verletzten. Feuer hält an, Pressekonferenz abgebrochen, VIP ..."
Aufgabe 4:
Formulieren Sie die entsprechenden Befehle sowie eine Lagemeldung an das vorgesetzte Kommando.
Sie haben bestimmt in Ihrer geplanten Einsatzführung auch Maßnahmen zu einer Evakuierung befohlen und konnten diese auf Stichwort auslösen. Während der äußere Sicherungsring den Fluchtweg freimacht, der innere Sicherungsring für Nebel und Feuerschutz sorgt, kümmert sich die Personenschutzgruppe um die VIP und geleitet diese in zwei Mannschaftstransportpanzern aus der Gefahrenzone.
Sie sind sich darüber hinaus im Klaren, dass die Aktion unter geringst möglicher Gewaltanwendung Ihrerseits durchgeführt werden muss! Durch eine entsprechende Lagemeldung hat das Bataillon die Aufnahme im Camp bereits sichergestellt.
Haben Sie bedacht, dass
- eine Verstärkung des Sicherungsringes nötig ist?
- Ihre MTPz eine Nebelwurfanlage haben?
- Sie einen Waffengebrauch beurteilen müssen?
- eine gepanzerte Evakuierung erforderlich ist?
- Transportraum zu beurteilen ist?
- die Marschstrecke freigehalten werden muss?
- ein Begleitschutz erforderlich ist?
- der Hubschrauber gut für Überwachungsaufgaben herangezogen werden kann?
- nur ein NAW verfügbar ist?
- Ihr Auftrag der Schutz und nicht der Angriff ist?
- jeder Zeitverzug eine zusätzliche Gefahr darstellt?
- die Personenschutzgruppe unmittelbar bei den VIP ist?
Wenn Sie Angererdorf innerhalb von 10 Minuten mit allen (natürlich unverletzten) VIP verlassen können, ist Ihr Einsatz erfolgreich!
Abschlussbemerkung:
Sollten Sie bei der Bearbeitung der Lage die Anhalte nicht oder nur zum Teil getroffen haben, überdenken Sie den Ersteinsatz Ihrer Kompanie und wiederholen Sie die Bearbeitungsschritte der Aufgabenstellungen. Verwenden Sie für die Funkbefehle ein Tonbandgerät und stoppen Sie die Zeit, um Führungsabläufe in den Grundzügen zu automatisieren.
Die Beispiele zeigen, dass derlei Einsätze keine "Steh- und Schau-Einsätze" sind. Die Komplexität der Aufgabenstellung und rasch wechselnde Lagen erfordern höchste Flexibilität aller Soldaten und eine fundierte soldatische Ausbildung.
Autoren:Hauptmann Peter Hofer, Jahrgang 1970. Ausgemustert 1993 als Jägeroffizier zum LWSR 53/JgB 17; Verwendung als Zugskommandant und Kompaniekommandant; ab 1997 intensive Beschäftigung mit dem MTPz "Pandur" im Rahmen der Einführung. Kompaniekommandant beim Ersteinsatz von AUCON/KFOR.
Hauptmann Wolfgang Leber, Jahrgang 1970. Ausgemustert 1993 als Jägeroffizier zum LWSR 21; seit 1994 beim JgB 17; Verwendung als Zugskommandant und Kompaniekommandant; ab 1997 intensive Beschäftigung mit dem MTPz "Pandur" im Rahmen der Einführung. Kompaniekommandantstellvertreter bei AUCON 2/KFOR.
Leutnant Stefan Posch, Jahrgang 1975. Ausgemustert 1998 als Jägeroffizier zum Jägerregiment 4/JgB 15; Verwendung als Zugskommandant und Kompaniekommandant. Patrouillenkommandant bei AUCON 2/KFOR.