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Going International: 2003: Ein Jahr der Herausforderungen

Zum Redaktionsschluss herrscht noch Ungewissheit, ob, wann und auf welcher rechtlichen Grundlage ein Angriff auf den Irak stattfinden wird. Eine militärische Aktion in den ersten Wochen 2003 ist wahrscheinlich. In diesem Fall wird eine Kette von Entwicklungen ausgelöst, welche das globale Sicherheitsgefüge zwar nicht schlagartig, aber nachhaltig beeinflussen werden.

Auch der Ausgang des Europäischen Rates von Kopenhagen ist aus derzeitiger Sicht offen. Auf dem Feld der Sicherheitspolitik besteht die Ungewissheit vor allem in der Frage, ob die Türkei sich mit einer eventuellen Ankündigung eines Startzeitpunktes für Beitrittsverhandlungen zufrieden gibt und dem Abschluss von Abkommen zur intensivierten Zusammenarbeit zwischen EU und NATO zustimmt.

Ein weiterer Faktor, der das Jahr 2003 bestimmen wird, kann bereits besser beurteilt werden: Der NATO-Gipfel von Prag (21. und 22. November 2002) hat keine schlagartigen Veränderungen der bereits vorher angestellten Analysen ausgelöst, aber er hat Tendenzen bestätigt und verstärkt, die das transatlantische Zusammenwirken entscheidend mitbestimmen werden.

Die EU hat im Rat von Helsinki (1999) festgelegt, dass die geplanten Kräfte für das Krisenmanagement bis 2003 verfügbar sein sollen. Dieses Jahr wird daher auch für die Glaubwürdigkeit der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) von zentraler Bedeutung sein.

Die sicherheitspolitischen Entwicklungen im Jahre 2003 werden noch von zahlreichen anderen Faktoren bestimmt. Die vier oben Angeführten sind jedoch zentrale Elemente, die das Umfeld künftiger Gestaltung öster­reichischer Sicherheits- und Ver­tei­digungspolitik unmittelbar bestimmen. Die genannten Faktoren hängen in ihren Auswirkungen eng zusammen, und es wird für jede antretende Regierung darauf ankommen, hier eine ausgewogene und möglichst vorausschauende Strategie zu entwickeln.

Die Lageentwicklung im Irak wird zeigen, ob die europäischen Partner im Rahmen einer Koalition und die NATO als Organisation aus Sicht der USA ausreichendes Gewicht einbringen. Für Washington wird das eine Messgröße dafür werden, wie ernst es den Europäern mit den ihnen in Prag zum Teil recht mühsam abgerungenen Zugeständnissen tatsächlich ist. Bisher erweisen sich neben den traditionellen Atlantikern gerade die neuen NATO-Mitglieder als sehr enthusiastische Vertreter einer starken, durch die ESVP möglichst ungestörten Allianz.

Treten die USA bzw. eine von ihnen geführte Koalition unter rechtlichen Bedingungen gegen den Irak an, die eine Beteiligung mancher wesentlicher europäischer Partner sehr erschweren, hat das auch Auswirkungen auf den transatlantischen Zusammenhalt. Eine solche Entwicklung kann die katalytische Wirkung des 11. September 2001 neuerlich verstärken. Die Funktionsänderung der NATO würde sich noch beschleunigen, indem sich die Tendenz zur Bildung von ad-hoc-Koalitionen unter Rückgriff auf politische und materielle Möglichkeiten der NATO verstärkt.

Mit künftig 26 Mitgliedern wird das Konsensprinzip in der NATO an die Grenze seiner Wirksamkeit gelangen. Nachdem nun aber dieses Prinzip einer der grundlegenden politischen Bausteine der Allianz ist, werden sich die - eher konsensfähige - allgemeine politische Zustimmung und die tatsächliche Aktion immer weiter von einander entfernen. Die in Prag auf Kiel gelegte Schnelle Eingreiftruppe ist ein Versuch, dieser Tendenz entgegenzuwirken.

Aus ähnlichen Erwägungen liegt in der EU der deutsch-französische Vorschlag an den Konvent vor, die Möglichkeit der so genannten verstärkten Zusammenarbeit auch auf die ESVP anzuwenden. Das würde bedeuten, dass sich, unter allgemeiner politischer Absegnung aller EU-Mitglieder, eine Gruppe von Staaten zur Aktion bereit findet. Wie weit diese Staaten dann auf gemeinsame Mittel der NATO bzw. auf nationale Mittel der USA zurückgreifen, hängt von der Interessenlage der Akteure ab.

Langfristig sollte die Aktion der Europäer nicht gegen die USA, ebenso nicht von ihnen politisch abgekoppelt erfolgen, aber auch nicht zwingend von ihrer Unterstützung abhängen. Das ist ein Fernziel, welches aber, entgegen immer wieder vernehmbaren Meinungen, durch­aus zentraler Bestandteil des politischen Selbstverständnisses der Europäischen Union ist. Die Diskussion um eine Form der Beistandsgarantie zwischen europäischen Staaten ist eine logische und positive Konsequenz dieser politischen Identität.

Mittelfristig können nennenswerte Aktionen der EU nur in enger Abstimmung mit der NATO erfolgen. Dazu sind geeignete Mechanismen erforderlich, die es der ESVP erst ermöglichen, über erste Schritte unter Rückgriff auf NATO-Mittel an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Es bleibt aber der politischen Führung Europas nicht erspart, genau abzuwägen, welchen Preis sie für eine Zustimmung der Türkei zu Abkommen zwischen EU und NATO zu bezahlen bereit ist.

Für Österreich bleibt der Wert der NATO-Partnerschaft für den Frieden parallel zu den genannten Entwicklungen erhalten, vorausgesetzt, wir sind bereit, Leistungen dafür einzubringen. Die gleiche Art von Leistungsbe­reit­schaft ist auch im Rahmen der ESVP notwendig, um ein glaubwürdiger und respektierter Partner zu werden, der die oben dargestellte umfassende politische Iden­tität Europas aktiv mitgestaltet. Dort liegt die Herausforderung an jeden Einzelnen von uns.

Brigadier Wolfgang Wosolsobe

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