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"... wenn einwandfrei erkannter Feind ..."

Die Vorbereitung der Sprengung von Donaubrücken während der Ungarnkrise 1956

Am Abend des 5. November 1956 befahl Generaltruppeninspektor Oberst Fussenegger den Kom­man­danten des Heerespio­nier­ba­tail­lons 1, Major Pribil, zu sich nach Wien. Der Major erhielt einen poli­tisch brisanten Auftrag: Sein Bataillon sollte die Sprengung mehrerer Donau­brücken vorbereiten.

Polen, Ungarn, Naher Osten, ... Die politische Lage für Österreich stellte sich im Spätherbst 1956 äußerst unklar dar - und sie war für das Österreichische Bundesheer alles andere als einfach: Im Oktober war es in Polen zu einer Re­gierungskrise im Zusammenhang mit Machtkämpfen im Politbüro der kommunistischen Partei gekommen. In Ungarn tobte seit 23. Oktober der Aufstand gegen die Sowjetmacht und die Kommunisten im eigenen Land. Nach anfänglichen Erfolgen gegen die Rote Armee und jene Teile der ungarischen Volksarmee, die sich nicht den Aufständischen angeschlossen hatten, war es zu einem augenscheinlichen Rückzug der Roten Armee gekommen. Ministerpräsident Imre Nagy hatte am 1. November den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt und die Neutralität nach dem Vorbild Österreichs erklärt. Doch in der Nacht vom 3. auf den 4. November war der Gegenschlag durch die inzwischen von 60 000 auf 200 000 Mann verstärkten sowjetischen Kräfte erfolgt. Eine ungarische Verhandlungsdelegation unter der Führung des neu ernannten ungarischen Verteidigungsministers General Pal Maleter war am 3. November trotz des ihnen zugesicherten Parlamentärstatus von den Sowjets verhaftet worden. Dies hatte den ungarischen Volksaufstand seiner militärischen Führungsspitze beraubt.

Die "Westmächte" hingegen waren im Nahen Osten gebunden: Frankreich und Großbritannien hatten sich mit Israel verbündet. Ihr "Angriffsziel" war der Suezkanal. Am 29. Oktober hatte ein groß angelegter Angriff der israelische Armee auf der Halbinsel Sinai begonnen, Teile der Luftstreitkräfte der Verbündeten hatten vom 31. Oktober bis zum 4. November ägyptische Stellungen und Einrichtungen angegriffen, und britische und französische Fallschirmjäger waren am 4. November in Port Said gelandet, gefolgt von Marineinfanterie am 5. November.

Aufgrund des raschen Erfolges der sowjetischen Truppen in Ungarn konnte sich die Sowjetunion nun ebenfalls der Suezregion zuwenden: Am 5. November wurde in Moskau eine Erklärung des sowjetischen Premiers veröffentlicht, in dem von der Gefahr der Ausweitung des lokalen Konfliktes in Ägypten zu einem weltweiten Atomkrieg die Rede war und die Sowjetunion ihre Bereitschaft erklärte, "durch Ge­walt­anwendung die Aggressoren zu zerschlagen und den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen". Kurz, unter anderem aufgrund der Suezkrise befand sich die Welt am 5. November 1956 offenbar am Rande eines Atomkrieges.

Das Bundesheer schützt die Grenze

Das neu aufgestellte Österreichische Bundesheer bestand aus 900 Offizieren, 500 Offiziersanwärtern und 6 000 Mann Kadersoldaten - der ehemaligen "B-Gendarmerie". Es gliederte sich mit Wirksamkeit vom 1. August 1956 in drei Gruppenkommanden, acht Bri­ga­de­kommanden mit jeweils zwei bis fünf Bataillonen sowie Schulen, Akademien, Versorgungs- und Unterstützungstrup­pen. Am 15. Oktober waren die ersten Präsenzdiener des jungen Bundesheeres - ungefähr 13 000 Mann - in die Kasernen eingerückt.

Aufgrund der Ereignisse in Ungarn - die Zahl der Flüchtlinge aus Ungarn stieg stetig - hatte das Bundesmini­s­te­ri­um für Landesverteidigung am 24. Oktober die Gruppenkommanden I, II und III alarmiert. Nach einigen Anlaufschwie­rig­kei­ten hatte jedes Bataillon im Wesentlichen eine Alarmeinheit in Kom­paniestärke gebildet. Daneben musste aber auch die Ausbildung der erst vor wenigen Tagen eingerückten Grund­wehrdiener weitergeführt werden. Und die Lage in Ungarn eskalierte tatsächlich. Es kam zu heftigen Kämpfen und einem weiteren Anwachsen der Flücht­lingszahlen - insgesamt sollten es 180 432 Ungarnflüchtlinge werden. Infolgedessen hatte am 26. Oktober der eigentliche Si­che­rungseinsatz zum Schutz der Grenzen gemäß § 2 des Wehrgesetzes begonnen. Noch am selben Tag wurde der erste "Schießbefehl" gegeben.

Am Abend des 27. Oktober hatte be­reits die Masse der eingesetzten Kräfte ihre Einsatzräume erreicht. Damit standen zehn Kompanien und drei Züge im Einsatz an der Grenze. In Bereitstellung oder auf dem Marsch an die Grenze befanden sich zwei Batterien der Artillerietruppenschule, zwei Panzerkompanien sowie Fernmeldekräfte. An Reservekräften waren in ganz Österreich noch etwa zwanzig Kompanien verfügbar.

Im Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV, damalige Abkürzung BMfLV) wurden die Meldungen - Aussagen von Flüchtlingen, Berichte der Patrouillen der eingesetzten Kräfte und des Nachrichtendienstes des Bun­des­heeres - beim Offizier vom Dienst gesammelt, am 4. November Oberstleutnant Bach. Die Meldungen ergaben ein sehr widersprüchliches Bild der Lage in Ungarn und der eventuellen Bedrohung Österreichs: Ein Major hatte um 0920 Uhr gemeldet, dass sich russische Panzer im Marsch auf St. Gotthard sowie auf Ödenburg befänden. Russische Düsenjäger hatten die Grenze überflogen, und um 1150 Uhr war ein Angriff sowjetischer Panzer auf Ödenburg im Gange. Um 1730 Uhr wurde ein Flugzeug mit gelöschten Positionslichtern im Tiefflug über Stegersbach gemeldet.

Generaltruppeninspektor Fussen­eg­ger verfasste daraufhin eine Lagein­for­m­a­tion an Bundesminister Graf, Staatssekretär Dr. Stephani und General Lie­bitz­ky: "Die Lageentwicklung in Ungarn und am Suezkanal lässt alle Möglichkeiten offen. Als Soldat muss ich mich auf eine Verschärfung der Lage, das heißt eine Bedrohung Österreichs einstellen und entsprechend vorsorgen ..." Am 5. November um 0800 Uhr hatte die Nachrichtengruppe des BMfLV zwar Ruhe an der ungarischen Grenze gemeldet, dafür aber Panzerbewegun­gen an der jugoslawischen Grenze sowie eine Teilmobilmachung in der Tsche­choslowakei, verbunden mit einer vermehrten Aktivität der tschechoslowakischen Armee.

Um 0900 Uhr desselben Tages führte Oberst Fussenegger eine Abteilungsleiterbesprechung durch, in der sich die Teilnehmer neben der äußerst angespannten politischen Lage auch um viele andere "Tagesordnungspunkte" kümmern mussten, die den Aufbau des erst wenige Wochen alten Bundesheeres zum Inhalt hatten. In seiner Lageeinweisung verwies Fussenegger auf die langsame Arbeit der UNO und zog den Schluss, dass "Österreich im Falle einer Aggression die ersten Tage allein wird kämpfen müssen".

Um 1230 Uhr sendete Radio Prag einen Kommentar zur Lage und zu den Ereignissen in Ungarn: "... Wir wissen, dass der Aufstand durch westliche Einflüsse und Aufwiegelung hervorgerufen wurde. Aber die westlichen Mächte sollen sich hüten. Auch für sie haben wir gegebenenfalls ,die‘ Antwort bereit ..." In Moskau wurde die bereits erwähnte ultimative Aufforderung zum Einstellen der Kampfhandlungen in Ägypten unter Androhung des Einsatzes von Atomwaffen veröffentlicht. Der ameri­kanische Militärattaché sprach im BMfLV vor und erwähnte die Möglichkeit einer Eskalation der Lage und Ausweitung auf Mitteleu­ropa, und in Wien kam es zu einer Kriegs­panik unter der Bevölkerung.

"... Sperrung und Sprengung aller Donaubrücken ..."

Im Lauf des Vormittags - so die Tage­buchaufzeichnungen von Oberst Fussen­egger - hatte Bundesminister Graf die beiden höchsten Offiziere des Bun­des­heeres - General Liebitzky und Oberst Fussenegger - zu sich geholt. Er hatte den beiden Offizieren Fragen über die zu treffenden Maßnahmen gestellt, falls Österreich in der Nacht angegriffen werden sollte.

Oberst Fussenegger hatte sich daher zur Herausgabe eines Operationsbe­fehls entschlossen. Dessen Grundgedanken waren

  • die Räumung der Kasernen,
  • das Zurückgehen der Gruppe I in Stellungen auf der Linie Petronell - Bruck - Sauerbrunn und der Gruppe II in das Lafnitztal sowie
  • weiterer hinhaltender Widerstand auf der Linie Stadtrand Wien - Leo­bers­dorf - Graz mit einem allmählichen Zurückkämpfen nach Westen.

Diesen Befehl legte Oberst Fussen­egger Minister Graf vor, und dieser unterschrieb ihn trotz der schwierigen rechtlichen Lage - es gab dafür keinerlei Deckung durch den Ministerrat. Um 1800 Uhr erging der Befehl an die Gruppenkommanden. Minister Graf kamen jedoch im Laufe des Abends Bedenken gegen den Operationsbefehl. Oberst Fussenegger hatte deswegen eine längere Besprechung mit dem Minister, in der es dem Offizier gelang, die Rücknahme des Befehls bis auf die "Nachtübungen" zu verhindern. Unter "Nachtübungen" scheint der Generaltruppeninspektor in seinem Tagebuch vor allem den Einsatz der Gruppe III auf der Linie Mauthausen-Steyr mit dem entsprechenden - als "Nacht­marsch­übung" getarnten - Anmarsch in den Einsatzraum verstanden zu haben.

In der Umsetzung des Operationsbefehls des Generaltruppeninspektors durch das Gruppenkommando I ist der Einsatz der Melker Pioniere angedeutet: "HeeresPiBtl erhält Sonderauftrag vom GTI".

Das Gespräch Oberst Fusseneggers mit Minister Graf muss am 5. November in der Zeit zwischen 1800 und 2000 Uhr stattgefunden haben. An der schriftlichen Morgenmeldung des Offiziers vom Dienst vom 6. November, Oberstleutnant Spannocchi, ist ein "Nachtrag" zur Meldung vom 5. November 1956 angeheftet: "2010 Uhr: Kdt HPiB 1 wird durch Generaltruppeninspektor in Lage eingewiesen und erhält schriftlichen Einzelbefehl. 2015 Uhr: Der Herr BM ordnet an, dass Ziffer 3 des Befehls für die Umgruppierung in der Nacht zum 6.11.56 zu stornieren ist." Im Laufe des Abends hatte jedenfalls Oberst Fussenegger den Kommandanten des HPiB 1, Major Pribil, zu sich nach Wien beordert und gab ihm dort den handgeschriebenen Einsatzbefehl für sein Bataillon (siehe auch Foto oben; in der Abschrift wurden die Originalschreibweisen und -abkürzungen beibehalten):

"HPiB 1 bereitet Sperrung und Spren­gung aller Donaubrücken zwischen Tulln (einschließlich) und Linz (einschließlich) so vor, dass Durchführung auf Befehl BMfLV in kürzester Zeit möglich.

Die Sprengung hat aus eigenem Entschluss nur dann zu erfolgen, wenn einwandfrei erkannter Feind im Begriffe ist, sich in den Besitz der Brücken zu setzen.

Die mögliche Übergangsstelle bei Per­senbeug ist infanteristisch zu überwachen.

Vom HPiB 1 sind noch in der Nacht zum 6.11. 2000 kg Sprengstoff in Stadl-Paura abzuholen. Weitere 2000 kg + anteilig Zündmittel werden von Grp III z.V. dem HPiB 1 in die Milak Enns zugeführt (bereits fernmündlich voraus befohlen).

Von diesem Befehl darf nur der Kdt, der Adj. und Obstlt Dernesch Kenntnis erhalten. Die Aufträge an die für die Sprengung der Brücken vorgesehenen Offz. sind schriftlich vorzubereiten und unter Verschluss zu halten. 5.11.56/2010 Uhr." Major Pribil vermerkte handschriftlich auf dem Befehl, dass er ihn um 2010 Uhr in Wien erhalten und sich um 2032 Uhr wieder abgemeldet hatte.

Die Sprengungen werden vorbereitet

Major Pribil machte sich sofort an die Ausführung des Befehls: Der Kommandant der 1. Pionierkompanie, Hauptmann Fidelis Bauer, erhielt den Befehl, die Brücken Mauthausen und Steyregg mit je zwei Gruppen unter der Führung von Oberleutnant Gisbert Wolf sowie die zwei Linzer Brücken mit dem Rest der Kompanie zu besetzen, am Südufer infanteristisch zu sichern und gleichzeitig die "Schnellsprengung" der Brücken vorzubereiten. Die Baustelle des Kraftwerkes Ybbs-Persenbeug war mit einer Gruppe zu sichern. Die 2. Pionierkom­panie unter dem Kommando von Oberleutnant Ludwig Herz hatte die Straßen- und Eisenbahnbrücke Tulln mit dem Zug des Oberleutnant Robert Daxböck sowie die beiden Brücken in Krems mit zwei weiteren Zügen unter seiner Führung zu sichern und ebenfalls zur "Schnell­sprengung" vorzubereiten. Die Spreng­vorbereitungen hatten so auszusehen, dass die Zündstelle - eingegraben - in einer für eine Rundumverteidigung ausgelegten infanteristischen Sicherung der Brücke am Südufer der Donau vorzubereiten war. Die Schnellladungen hatten in Form von Ladungspaketen bei jeder Brücke am ersten Brückenfeld der Südseite an den "sekundären Längsträgern, Untergurten mit Herstellen der Zündfertigkeit, sodann Schnellladungen an den Obergurten, alle Ladungen mit Knallzündschnur verbunden" vorbereitet zu werden. Die an den Brücken eingeteilten Kompanie- bzw. Zugskom­mandanten hatten "aus eigenem Entschluss dann Sprengbefehl zu erteilen, wenn einwandfrei erkannter Feind von Nord oder Süd im Begriffe ist, sich in den Besitz der Brücke zu setzen." Bereits um 1800 Uhr des 5. November wurde die Munitionsanstalt Stadl-Paura fernmündlich verständigt, zwei Tonnen TNT, 500 kg Tetrytol und 500 kg C-3 sowie "reichlich Zündmittel" bereitzustellen. Um 2100 Uhr trafen die Abholfahrzeuge ein und transportierten die Munition für die Sprengungen in Tulln und Krems nach Melk. Die Munition für Linz und Mauthausen - aus Beständen der Militärakademie Enns - wurde hingegen, auf LKW verladen, im "Marinewald" in Linz-Ebelsberg bereitgestellt. Um 0335 Uhr meldete Major Pribil dem Offizier vom Dienst, Oberstleutnant Emil Spannocchi, die befehlsgemäße Ausstattung des HPiB 1 mit Sprengstoff.

Hauptmann Ing. Karl Hnojsky hatte eine Liste mit der dem HPiB 1 zur Verfügung stehenden Sprengmunition sowie dem Bestand an Zündmitteln in der Kaserne Melk zu erstellen. 2 161 kg Sprengstoff für die drei Brücken in Tulln und Krems sollten in einem "Spreng­mittel-CMC" (gemeint war allerdings ein GMC - ein dreiachsiger, geländegängiger LKW amerikanischer Herkunft; Anm.), in Melk im Steinbruch vor der Mündung der Pielach abgestellt werden. Nach dieser Aufstellung lagerten im Marinewald in Ebelsberg 1 972 kg Sprengstoff für die vier Donau­brücken in Linz, Steyregg und Mauthausen.

Der Kommandant der Stabskompanie des HPiB 1, Hauptmann Ing. Leo Pressl, erhielt neben dem Auftrag der Kasernsicherung und der Erkundung von Ausweichräumen für die in Melk verbleibenden Soldaten den Befehl, je einen Unteroffizier seiner Kompanie zu den Rollfähren Melk und Pöchlarn zu entsenden. Diese beiden Unteroffiziere sollten dafür sorgen, dass die Rollfähren an das Südufer gebracht und dort angelegt, jedoch fahrbereit gehalten würden. Jeder Verkehr über die Donau - ausgenommen das Übersetzen von Bundesheereinheiten - war zu unterbinden. Für die übrigen Rollfähren über die Donau wurde ein fernmündlich durchzugebender Befehl an das Lan­des­gendarmeriekommando für Nieder- und Oberösterreich erstellt, demzufolge "jede Rollfähre bzw. sonstige Übersetzfähre im Raum Tulln-Linz über die Donau ... sofort ... unbenützbar zu machen" war. Die Fähren sollten an das Südufer der Donau gebracht und, aus dem "Gierseil" ausgehängt, abseits möglichst versteckt verankert werden. Rückfragen der Landesgendarmerie­kommanden sollten "in Zweifelsfällen" beim Generaltruppeninspektor oder direkt in Melk erfolgen.

Schließlich erhielt noch der Kraftfahroffizier des Bataillons den Auftrag, im Stadtgebiet Melk für jede Kompanie ein bis zwei Autobusse oder Lkw samt Fahrern zu beschlagnahmen. An Hee­reskraftfahrzeugen standen der 1. Kompanie drei Jeeps, sechs GMC sowie ein SanKW und der 2. Kompanie zwei Jeeps und fünf GMC zur Verfügung. Für die Stabskompanie verblieb nur mehr ein Jeep.

Stichwort "Jauerling"

Als Major Pribil am 6. November den Organisationsbefehl für den Einsatz erstellte, war laut diesem Befehl noch eines zu veranlassen: Die Alarmierung des Bataillons sollte durch das Bun­desministerium auf das Stichwort "Brü­cken­sprengung vorbereiten" erfolgen. Durch das Bataillon musste in diesem Fall sofort das Stichwort "Jau­er­ling" an das Briga­dekommando in Krems telefonisch übermittelt werden. Durch Kremser Ein­heiten war die Stra­ßen­brücke Krems-Mautern mit einer Alarminfan­te­rie­kom­pa­nie bis zum Eintreffen der 2. Kompanie/HPiB 1 zu besetzen und an diese zu übergeben. Der Stab der 3. Brigade sowie eine "Jung­männer­kom­panie" des Feldjägerba­tail­lons 9 hatten die Straßenbrücke Krems-Mautern zu überschrei­ten, während sich die Garnison Horn mit zwei Kompanien mittels der Rollfähren Melk oder Pöchlarn "nach Westen " durchzuschlagen hatte, wozu deren Besetzung durch je einen Unteroffizier aus Melk zu dienen hatte.

Wie weit wurden diese Befehle bis zur Beendigung des Einsatzes - der "Nacht­marschübung" - nun tatsächlich durchgeführt? Das Archivmaterial zum Einsatz gibt darüber nur eingeschränkt Auskunft: Generaltruppeninspektor Fus­senegger vermerkte am nächsten Tag, dem 6. November, in seinem Tagebuch: "Die Nacht vom 5. auf den 6.11. ist ruhig verlaufen. Die Alarmmaßnahmen wurden planmäßig durchgeführt, ich konnte mich im Laufe des Tages von der Zweckmäßigkeit dieses Befehles überzeugen." Der als "Nacht­marschübung" getarnte Einsatz vom 5. November wurde am 6. November gegen Mittag be­endet, die Einsatzkräfte blieben aber in ihren Einsatzräumen. Ab 3. November stieg die Zahl der Flüchtlinge täglich an und stellte das junge Bundesheer damit vor eine weitere Belastungsprobe, da die Truppen an der Grenze den Transport und vielfach auch die Verpflegung der Flüchtlinge bewältigen mussten.

Klarer wird die Durchführung des Befehls zur Vorbereitung der Brückenspren­gungen aufgrund von Zeitzeugenberich­ten. Oberst i.R. Robert Daxböck war damals Kompanieoffizier und Zugs­kom­mandant in der 2. Kompanie des HPiB 1. Das Bataillon mit der Stärke von etwa 500 Mann befand sich seit Tagen in Bereitschaft. Er hatte das Kommando über die 2. Kompanie und führte die Ausbildung weiter durch. Sein Kompaniekomman­dant, Oberleutnant Ludwig Herz, hatte ihm die Kompanie aufgrund von geheimen Aufträgen, über die er nicht sprechen durfte, übergeben. Oberst Daxböck erinnert sich, dass Major Pribil und die Kommandanten der zwei Pionierkompanien ca. drei Tage unterwegs waren - die Vermutung, dass Hauptmann Herrmann und Oberleutnant Herz mit dem Batail­lonskommandanten die Sprengung der Brücken erkundeten und vorbereiteten, liegt daher nahe.

Oberleutnant Gisbert Wolf, Kompa­nie­offizier und Zugskommandant in der 1. Kompanie, hatte in der Nacht vom 5. auf den 6. November von Major Pribil den Auftrag erhalten, mit zwei GMC Munition in Stadl-Paura abzuholen. Er meldete sich nach seiner Rückkehr in Melk bei Major Pribil zurück, erhielt ein verschlossenes Kuvert mit seinem Einsatzbefehl und wurde sofort mit beiden Fahrzeugen in Bereitstellung in einen Steinbruch in der Nähe von Krems (wahrscheinlich Kienstock in der Wa­chau; Anm.) weitergeschickt. Er blieb dort mit vier oder fünf Kaderleuten zwei Tage und eine Nacht. Der Inhalt des Befehls sowie auch die Art der mitgeführten Munition waren Oberleutnant Wolf unbekannt, er vermutete natürlich einen Einsatz in Form der Sprengung der Kremser Donaubrücken.

Berechtigtes Misstrauen?

Am 8. November beurteilte Oberst Fussenegger aufgrund einer Teilmo­bi­lisierung der USA und Verstärkung ihrer Kräfte in Europa, dass von einer Entspannung der Lage nicht die Rede sein könne. Ganz im Gegenteil! Dazu meldete die Nachrichtengruppe das Auftauchen von tschechischen Verbänden sowie die Wahr­scheinlichkeit der Lagerung von Gas- und Bakterienwaffen in Ungarn.

Entsprechend dieser Beurteilung wur­de die für die Sprengung der Brücken notwendige Munition ab 9. November auch weiterhin zur Verfügung des HPiB 1 in Munitionsbunkern im Marinewald Ebelsberg gelagert. Zur raschen Ver­fügbarkeit wurden zwei GMC und ein Jeep bereitgestellt, und ein Unteroffizier des HPiB 1 versah ständig Dienst im Marinewald. Dem Pioniertruppeninspektor, Oberst Brecht, gab Oberst Fussenegger wahrscheinlich am 11. oder 12. November den Auftrag, Sperr- und Brückensprengmöglichkeiten im niederösterreichischen Donauraum sowie im Lafnitztal in der Steiermark zu erkunden, wobei die Erkundungstrupps ihren Auftrag in Zivil zu erfüllen hatten.

Oberst Fussenegger hatte sich somit in diesen für Österreich äußerst kritischen Tagen sehr weit vorgewagt. Die Donaubrücken waren wichtige Verkehrsverbindungen von hohem volkswirtschaftlichem Wert. Obwohl eigentlich kein politisch-rechtlicher Auftrag für den Einsatz des Bundesheeres und das Sprengen dieser Brücken existierte, gab er die für eine militärische Verteidigung Österreichs notwendigen Befehle.

Generaltruppeninspektor Fussen­eg­ger hegte gegenüber der politischen Führung ein gewisses Maß an Misstrauen. Sein Hauptproblem war dabei naturgemäß die Bereitstellung der notwendigen Mittel für den effizienten Aufbau des Bundesheeres. Schon am 27. September 1956 hat er dazu in seinem Tagebuch vermerkt: "Es scheint zur öster­reichischen Tradition zu gehören, für das Heer nichts übrig zu haben ... Unsere Politiker haben sich, ihrer alten Tradition entsprechend, wieder einmal geweigert, jene notwendigen Mittel dem Heer zu geben, die notwendig sind, um der exponierten Lage Österreichs zu entsprechen und ein Heer aufzubauen, das im Auslande ernst genommen werden kann." Sein Selbstverständnis als militärischer Befehlshaber ließ ihn am 5. November den oben erwähnten Organi­sa­tionsbefehl erteilen. Der Minister hingegen verlangte aus klaren politischen Gründen, wie der Vermeidung der Beunruhigung der Bevölkerung, vor allem aber auch der rechtlich ungeklärten Situation, in der er sich mit der Genehmigung des Organisationsbefehls befand, die Aufhebung des Befehls. Deshalb schrieb Oberst Fussenegger in sein Tagebuch, "dass es unheimlich schwer ist, bei Gefahr im Verzug der Truppe rechtzeitig einen brauchbaren Befehl zu geben." Trotzdem war es ihm gelungen, einen solchen brauchbaren Befehl zu geben und diesen nach einem mehr­stün­digen Gespräch mit Minister Graf im Wesentlichen auch umzusetzen.

Aus heutiger Sicht

Aus heutiger Sicht ist es den damals agierenden Personen sehr hoch anzurechnen, vor möglicherweise entscheidenden Situationen die notwendigen Befehle erteilt zu haben - großteils ohne rechtliche Abdeckung und nur aufgrund ihrer tiefen Überzeugung und ihrer Erfahrung. Die entscheidende Leistung erbrachte zweifellos Oberst Fussen­egger, doch verdient auch die Haltung von Minister Graf in dieser äußerst prekären Situation Hochachtung. Ebenso seine Bereitschaft, sich von seinem Generaltruppeninspektor überzeugen zu lassen, trotz mancher Vorbehalte. Inwieweit der Minister in den - aus politischer Sicht äußerst brisanten - Befehl Oberst Fusseneggers zur Vorbereitung der Brückensprengung eingeweiht war, ist heute nicht mehr eruierbar.

Was aber war der tiefere Beweggrund Oberst Fusseneggers für seine Befehle? Es sollte nie wieder zu Ereignissen wie im März 1938 kommen, als sich das Bundesheer der Ersten Republik dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht nicht entgegengestellt hatte. Das betonte der erste Generaltruppeninspektor des Österreichischen Bundesheeres bei verschiedensten Anlässen immer wie­der. Die Befehle, die Oberst Fussen­eg­ger gab, beweisen seine tiefe Überzeugung von der Notwendigkeit der militärischen Verteidigung der Souveränität Österreichs - selbst in einer ausweglos scheinenden Situation.

"... ein eigenartig unangenehmes Gefühl ..."

Militärakademiker Nikolaus Horvath - heute Brigadier i. R. - war damals "ganz vorne" dabei:

"... Am 5. November um 1430 Uhr fuhr ich unter dem Kommando von Militäraka­de­miker Erich Eder aus dem ältesten Jahrgang mit einem Jeep-Spähtrupp zum Grenzübergang bei Rattersdorf-Liebing. Dort hatten inzwischen sowjetische Soldaten den Grenz­übergang besetzt, die Soldaten der ungarischen Grenztruppe gefangen genommen und abgeführt. Es war ein eigenartig unangenehmes Gefühl, nun auf Sichtweite sowjetischen Soldaten gegenüber zu liegen. Nach Einbruch der Dunkelheit gab es im Waldgebiet südlich von uns auf ungarischem Staatsgebiet plötzlich Leuchtsignale, Hundegebell, russische Sprachfetzen, Frauenschreie, Kinderweinen und Feuerstöße aus automatischen Waffen. Ganz offensichtlich spielte sich in unserer Nähe eine Flüchtlingstragödie ab. Und wir konnten nicht eingreifen, nicht helfen. Unsere Sympathien waren ganz eindeutig mit den Ungarn. Ein Gefühl der Ohnmacht und des Hasses erfüllte uns ...

Gegen Mitternacht erhielten wir Befehl, sofort zur Kompanie einzurücken. Dort erwartete uns Überraschendes - die Kompanie war auf den Fahrzeugen aufgesessen und abmarschbereit. Unser Gepäck war bereits verladen. Die Planen der LKWs waren auch hinten herabgelassen, man sollte nicht erkennen, ob Mannschaft aufgesessen oder Gerät verladen war. Offenbar hatte man nur noch auf uns gewartet, denn - nachdem wir aufgesessen waren - fuhr die Kolonne los. Es war ein Uhr nachts.

Ohne die Scheinwerfer der Fahrzeuge einzuschalten, fahren wir in die Nacht. Auch unsere Kameraden auf der Ladefläche wissen nichts - kein Wohin, kein Warum. Sehr eigenartig! Die Gespräche kreisen um dieses Thema. Wir dösen und schlafen auf den ungemütlichen Bänken im Sitzen, merken, dass wir immer wieder kurz anhalten. Und gegen sechs Uhr morgens wird unserem Halbzug das Absitzen befohlen - Großhöflein bei Eisenstadt - meine unmittelbare Heimat!

Lageausgabe! ‚Feind: Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen ist zu rechnen. Eigene: 1. Alarmkompanie MilAk sperrt im Rahmen der 1. Jägerbrigade einen Teil der Ödenburger Pforte. 1. Gruppe des I. Zuges zur Verteidigung eingraben!‘ So, das war‘s! Ein sehr eigenes Gefühl! Natürlich ein bisschen flau ... Aufgrund all der ungewöhnlichen Dinge hatten wir ja Böses geahnt. Doch Aktivität, in diesem Fall eingraben, verscheucht all die unangenehmen Gedanken. Dann wird auch schon geblödelt. Sicher Galgenhumor. Eine alte Frau aus dem Dorf bringt uns in einer Milchkanne Glühwein zum Aufwärmen. ‚Mein Bub war auch im Krieg ...!‘ Schon das Mitgefühl wärmt ..."

"... denn morgen kommen die Russen ..."

Oberleutnant August Segur-Cabanac - heute General i. R. - war 1956 Kommandant der Alarmkompanie der Militärakademie:

"... Das Wetter in den ersten Novembertagen 1956 war entsetzlich, wir haben unsere Patrouillenfahrten nicht mehr verstärkt, sondern versucht, die zahlreichen übertretenden Ungarn zwischen den Stütz­punkten Helenenschacht, Neckenmarkt und Deutschkreutz aufzunehmen und sie weiterzuführen zum Gefechtsstand von Major Friedrich Kirschner von der Infan­te­riekampfschule, der wir - die Alarmkompanie der Militärakademie - unterstellt waren. Im Laufe des Nachmittags des 5. November - ungefähr um 1700 Uhr - kam ein Befehl, dass sich Major Kirschner und meine Person in Wiener Neustadt zur Befehlsausgabe einzufinden hätten. Wir sind bei strömendem Regen hingefahren, haben uns bei der Brigade gemeldet und Folgendes erfahren:

Es ist eine ‚48-Stunden-Übung‘ vorgesehen. In dieser Übung werden die Gefechtsstände der einzelnen Verbände und Kompanien verlegt. Der Tross verbleibt in den augenblicklichen Verfügungsräumen. Die Truppe muss mit Verpflegung und Material für eine Großübung - die ab der Nacht zum 6. November etwa 48 Stunden dauern sollte - versehen werden.

Auf unser Erstaunen, dass dadurch die Grenze in diesem Augenblick entblößt gewesen wäre, weil ja nur noch der Tross in St. Martin - meinem Gefechtsstand - geblieben wäre, wurde nicht näher eingegangen. Aufgefallen ist mir folgender kleiner Vorfall: Major Helmuth Demel führte die Panzerkompanie Bruck und machte darauf aufmerksam, dass es beim Ausrücken dieser Panzerkompanie möglich wäre, dass durch ausfließendes Benzin die Holzbrücke, die über die Leitha ins Lager Bruck-Neudorf führt, in Brand geraten könnte. Nach Meinung Major Demels hätte ein Schaden von ungefähr 80 000 bis 100 000 Schilling entstehen können. Darauf ließ Oberst Knotzer - der Brigadekommandant - in Wien anrufen, um festzustellen, ob die Kompanie auf jeden Fall aus Bruck abgezogen werden sollte oder ob das aufgrund der Meldung des Kommandanten unterbleiben sollte. Oberstleutnant Grohs als Chef des Stabes kam zurück mit dem Auftrag: ‚wird durchgeführt - Kosten spielen keine Rolle‘. Diese Feststellung hat mir zu denken gegeben, denn damals waren ja 80 000 bis 100 000 Schilling ein Vermögen - und Kirschner und ich hatten das Gefühl, dass diese Übung keine Übung war.

Wir sind dann befehlsgemäß zu den Gefechtsständen zurückgefahren und haben die Befehle ausgegeben. Im Rahmen der Abmarschregelung war vorgesehen, dass wir uns nach Mitternacht in die Marschgruppe Kirschner einfädeln sollten. Ich habe an der Spitze gewartet, und wir sind in der Marschgruppierung der Infanteriekampfschule losgefahren und in den frühen Morgenstunden nach Sauerbrunn gekommen. Wir haben dort in Sauerbrunn hinunter Richtung Wiesen eine Abwehrstellung bezogen und haben Sauerbrunn insoweit als Stützpunkt verwendet, als wir noch nicht wussten, was eigentlich weiter geschehen würde.

Es kam der Befehl, dass ich mich ‚verbreitern‘ sollte - von Sauerbrunn nach Pöttsching, Zillingtal und Großhöflein. Die Nachrichtenlage war einfach unbeschreiblich schlecht. Wir hatten nichts erfahren über die Absicht im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehenden Stunden. Es war nur ausgegeben: Eingraben, Abwehrbereitschaft herstellen und Gefechtsstand einsatzbereit machen. Die Stimmung in der Kompanie war keineswegs defätistisch oder gar negativ im Hinblick auf die Auftragserteilung, aber mit unerhörter Spannung versehen. Es hat faktisch jeder gewusst, dass die Übungslage eine Fiktion war, und der Bezug dieser Sperrstellung - um einen ernsthaften Widerstand zu leisten - die Realität.

In dieser Nacht zum 6. November erlebte ich eine der beeindruckendsten Szenen, die ich in der Nachkriegszeit erlebt habe. Es standen ungefähr 150 bis 200 Leute aus dem Raum St. Martin da mit Fackeln in den Händen - weinende Frauen, die uns an das Fahrzeug kommend aufhalten wollten und uns baten nicht wegzufahren - denn morgen kommen ja die Russen. Die Angst und die Verzweiflung dieser Leute waren erschütternd. Es war für uns eine seelische Belastung abzufahren und zu wissen, dass die Bevölkerung zurückbleibt mit sehr klaren Erkenntnissen, was sich abspielen würde, wenn die Russen wiederkommen.

Im Nachhinein betrachtet bewirkte der Einsatz der Alarmkompanie am 5. November einen unheimlichen ‚Persönlichkeitsschub‘ bei jedem der eingesetzten Männer. Wir wussten alle, dass unsere Lage praktisch völlig aussichtslos war ..."


Autor: Major dhmfD Mag. Dr. Hubert Speckner, Jahrgang 1958. Nach Tätigkeit im Schuldienst in Vorarlberg ab 1990 Verwendung beim Jägerregiment 9 und im Militärkommando Vorarlberg als Referatsleiter Territorial. Seit 2000 Referatsleiter in der Mi­li­tärgeschichtlichen Forschungsabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums. For­schungsschwerpunkte: Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg, insbesondere Geschichte der Kriegsgefangenenlager in der "Ostmark" und Geschichte des Öster­rei­chischen Bundesheeres. Mitarbeit in der Projektgruppe "50 Jahre Bundesheer".

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