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Im Mittelpunkt steht der Mensch

Anpassungsstörungen

Ein schon typisch gewordener Anruf beim Helpline-Service: Ein Rekrut, erst vor kurzem eingerückt, teilt mit, dass er "den Dienst im Bundesheer nicht mehr ertragen kann". Er habe massive Schlafstörungen, keinen Appetit mehr und überhaupt sei sein Leistungsantrieb verloren gegangen - alles in allem, es gehe ihm sehr schlecht. Er war schon beim Arzt, dieser habe jedoch nichts gefunden. In der Kompanie gelte er bereits als Drückeberger, auch habe er schon deswegen Nachteile erfahren.

Solche Appelle sind keine Einzelfälle mehr, im Gegenteil, sie werden häufiger. Insbesondere an den psychologischen/psychiatrischen Ambulanzen der Spitäler des Bundesheeres ist man in zunehmendem Maße mit solchen Symp­tomen konfrontiert. Dabei ergibt sich das Problem, dass diese Rekruten zwar den dienstlichen Anforderungen nicht mehr völlig entsprechen können, aber auch nicht als krank oder gar entlassungs­würdig einzustufen sind.

Was kann nun die Ursache für die Entwicklung einer derartigen Auffälligkeit sein?

Manche Rekruten sind offensichtlich typische Kinder unserer so genannten "Fun-Gesellschaft" geworden. Es ist anzunehmen, dass übermäßig wohlbehütete Menschen, denen alle Probleme stets aus dem Weg geräumt wurden, die vorwiegend an Konsum und Vergnügen orientiert sind und Unterordnungen und Pflichten ablehnen, ihrer Lebensbewältigung mit unrealistischen Erwartungen gegenüberstehen. Sie haben im Rahmen ihrer Persönlichkeitsbildung eben nicht gelernt, mit Grenzsetzungen richtig umzugehen und Frustrationen zu ertragen, offensichtlich hatten sie auch kaum Gelegenheit, wesentliche Sinnfragen und Werteorientierungen kritisch zu durchdenken. Sie sind schließlich zu Bürgern geworden, die vom gesellschaftlichen System bloß mitgetragen werden und dies auch so wollen. Gewiss ist ihnen die Fähigkeit abzusprechen, unter außergewöhnlichen und Belastungsbedingungen selbstorganisiert zu handeln. Ihr Leben bleibt daher nur so lange unproblematisch, solange sich das System, das sie gewohnt sind, nicht verändert.

Haben nun solche Personen in den Wehrdienst einzutreten, so können für diese die dort notwendigen Ansprüche, wie Gehorsam, Disziplin, Verantwortungs- und Unterordnungsbereitschaft, Ertragen von körperlichen und psychischen Belastungen etc. zum unerträglichen Druck werden.

Die dann gezeigten Reaktionen (wie sie oben bereits beschrieben wurden) sind zweifellos echt, ebenso der Leidensdruck.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass erst vor kurzem für diese Symptomatik in der international gültigen Krankheitsklassifikation der WHO der Begriff der "Anpassungsstörung" ("Adjustment Disorder") eingeführt wurde.

Besteht nun der Verdacht auf eine solche Störung, so ist zunächst eine medizinische Abklärung unumgänglich. Wer­den dabei keine konkreten Krankheitsanzeichen gefunden, so stellt sich natürlich die Frage, welche Behandlungs- bzw. Betreuungsmöglichkeiten der betroffene Rekrut erfahren soll. Die herkömmliche medizinische Versorgung, wie die Verschreibung von Medikamenten oder sonstigen medizinischen Therapien wird tatsächlich wenig bewirken können. Ebenso wenig ist eine vorzeitige Entlassung aus dem Präsenzdienst durch diese Auffälligkeit gerechtfertigt.

Grundsätzlich kommt man nicht da­ran vorbei, den Betroffenen zu veranlassen, einen Lern- und Erziehungsprozess nachzuholen. Die entsprechenden Maßnahmen können daher nur "im Felde" erfolgen und müssen von der Truppe selbst wahrgenommen werden. Es sind folglich die Kommandanten gefordert, eine angemessene Betreuung angedeihen zu lassen. Natürlich sollten von diesen auch Psychologen herangezogen werden, einerseits, um die Diagnose "Anpassungsstörung" abzusichern, anderseits, um eine entsprechende Beratung und Begleitung zu erhalten.

Dem auffällig gewordenen Rekruten ist also zu vermitteln, mit den neuen und für ihn zu schwierigen Voraussetzungen fertig zu werden. Dies bedarf zum einen Verständnis und zum anderen dosierter Leistungsanforderungen:

Verständnis ist für die konkrete Situation, in der sich der Rekrut befindet, für seinen Leidensdruck und für seine Suche nach einem Ausweg zu verlangen. Zum Verständnis gehört nicht nur die Schaffung einer hilfreichen Beziehung, sondern auch die Bereitschaft, dem zu Betreuenden - zumindest vor­erst - gewisse Freiräume zuzugestehen, beispielsweise durch Minderung seiner subjektiv empfundenen Belastungen. Gewissermaßen soll er mit Tätigkeiten betraut werden, mit denen er besser zurechtkommt.

Eine Leistungsanforderung wird in weiterer Folge und in kleinen Schritten zu setzen sein. Schließlich hat jede Erziehungsarbeit auf die Bewältigung von gegebenen Anforderungen vorzubereiten - und nicht diesen auszuweichen. Bestimmte Situationen, die für den Betroffenen schwierig sind, sollen dann von diesem zunächst in einfacher Form, vorzugsweise mit Vorbereitung und Begleitung, abverlangt werden. Auch die Einbindung von Kameraden kann in solchen Fällen wichtig sein. Im Erfolgsfall wäre dann die Schraube der Anforderungen weiter anzuziehen.

Es ist mir bewusst, dass viele Kommandanten unter Hinweis auf ihre ohnehin hohe Auslastung nicht zusätzlich noch mit solchen Aufgaben konfrontiert werden wollen. Aber wenn wir als Kaderangehörige des Öster­reichischen Bundesheeres auch zu unserem Erziehungsauftrag stehen wollen, werden wir an diesem Bereich des Führungsver­hal­tens nicht vorbeikommen. Immerhin können wir, wenn unsere Intervention zum Erfolg führt, eine persönliche Befriedigung erleben.

Brigadier Dr. Ernst Frise

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