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Lenkraketen für Mehrfachraketenwerfer

Das Multiple Launch Rocket System (MLRS) ist ein Mehrfachraketenwerfer der Artillerie. Mit der Lenk- rakete Guided Multiple Launch Rocket System (GMLRS) wird erstmals eine Bekämpfung von Zielen bis zu 70 Kilometer Entfernung und mit hoher Präzision erreicht.

Der Wandel des klassischen Kriegsbildes hin zu den heutigen Einsatzszenarien stellt einen tiefgreifenden Umbruch dar. Dies hat auch Auswirkungen auf die Weiter- und Neuentwicklung von Waffen und Munition.

Mussten Streitkräfte früher hauptsächlich gegen militärisch organisierte Kräfte in zwischenstaatlichen Kriegen eingesetzt werden, treffen sie heute vermehrt auf irreguläre Kräfte in asymmetrischen Konflikten. Galt es früher, Operationen zumeist unter Umgehung bebauter Gebiete durchzuführen, findet das militärische Eingreifen heute zunehmend im urbanen und verbauten Umfeld statt. Umfasste das Zielspektrum früher meist Flächenziele, sind heute eher Punkt- oder Einzelziele von Bedeutung. Deren Beweglichkeit sowie Sichtbarkeit und die Notwendigkeit der raschen Zielbekämpfung verlangen einen schnellen und punktgenauen Einsatz von Wirkmitteln unter weitgehender Vermeidung von unerwünschten Schäden (Kollateralschäden).

Grundlagen

Das GMLRS ist die Bezeichnung einer Lenkrakete für Mehrfachraketenwerfer der Artillerie mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen, erhöhter Abstandsfähigkeit (Reichweite bis 70 km) und verbesserter Treffergenauigkeit zur Reduzierung von Kollateralschäden. Die Lenkrakete GMLRS wird vorrangig gegen Ziele in der Tiefe (z. B. Führungs- und Versorgungseinrichtungen, Aufklärungsmittel, weitreichende Artillerie in Stellung, gegnerische Kräftemassierungen) und regulär oder irregulär operierender Gegner eingesetzt.

Die Entwicklung der Lenkrakete GMLRS begründete sich auf Forderungen nach höherer Präzision und größerer Reichweite. Diese Präzision erfüllt auch den Anspruch nach geringerem Munitionsverbrauch und geringerem logistischem Aufwand.

Waffenanlage

Die Waffenanlage selbst besteht aus einem horizontal und vertikal schwenkbaren Werferrahmen mit elektronischem oder hydraulischem Richtantrieb. Der Start der Raketen erfolgt aus containerähnlichen Raketenstart- und Lagerbehältern mit jeweils sechs Raketen (Rocket Pod Containern), die durch das Waffensys- tem mittels Lade- und Hebevorrichtung auch im unwegsamen Gelände einfach abstell- und aufnehmbar sind. Die Hauptgruppen des Fahrgestells stammen vom US-Schützenpanzer M-2 "Bradley".

Lenkrakete GMLRS - Aufbau

Die Lenkrakete GMLRS besteht aus folgenden Teilen:

  • Raketenstart- und Lagerbehälter;
  • Lenksektion;
  • Gefechtskopfsektion;
  • Antriebssektion.

Lenksektion

Die Lenksektion besteht aus:

  • einer aktivierbaren Thermalbatterie,
  • der Lenkeinheit mit vier Lenkflügeln im vorderen Teil der Rakete und Stellmotoren;
  • dem Bordcomputer mit entsprechender Software;
  • einer Inertialplattform (Laserkreisel);
  • einem militärischen GPS-Empfangsmodul sowie einer elektronischen Sicherungs- und Aktivierungseinheit.

Die Lenkeinheit ist so leistungsstark, dass das Zielgebiet nur ungefähr in Abschussrichtung liegen muss. Der militärische Satellitennavigationsempfänger (GPS-Empfänger), der über ein Kryptomodul (zur Signalverschlüsselung) und elektronische Schutzschaltungen gegen Täuschverfahren verfügt, und die Inertialplattform (zur Orientierung) ergänzen einander. Sollte der GPS-Empfang während des Fluges ganz oder teilweise gestört werden, so verschlechtert sich die Treffergenauigkeit bis zur Genauigkeit der Inertialplattform. Die elektronische Sicherungs- und Aktivierungseinheit stellt das Bindeglied zwischen dem Bordcomputer und dem Gefechtskopf dar. Sie überwacht die ungestörte Abfolge von definierten physikalischen Ereignissen, bevor sie das Zündsignal vom Bordcomputer an den Gefechtskopf weitergibt.

Gefechtskopfsektion

Der modulare Aufbau der Lenkrakete GMLRS ermöglicht es, die Gefechtskopfsektion als Transportraum für eine breite Palette verschiedener Wirkladungen zu verwenden. Der Transportraum selbst hat eine Länge von ca. 1,2 Metern mit ca. 20 Zentimeter Innendurchmesser. Die Nutzkapazität beträgt etwa 90 Kilogramm. Wird diese nicht genutzt, könnte theoretisch die Reichweite noch erhöht werden. Die Software des Gefechtskopfes ist so konzipiert, dass die Fluglageregelung autonom erfolgt.

Die Bekämpfung von Zielen auf kurze Distanz (bis 25 km) wirkt aerodynamisch hoch belastend auf die Lenkraketen GMLRS mit der Konsequenz, dass die Wirksamkeit aller Gefechtskopfvarianten zum Teil stark eingeschränkt wird. GMLRS wird daher auf kurze Entfernungen nur in Ausnahmefällen, wenn es die Lage unbedingt erfordert, eingesetzt.

Antriebssektion

Die Antriebssektion besteht aus dem Raketentriebwerk und dem drehbar gelagerten Heckleitwerk. Das Triebwerk ist im Vergleich zur MLRS-Rakete M-26 geringfügig länger und hat eine andere Schubcharakteristik, wodurch die Rakete langsamer ist, dafür aber länger beschleunigt wird (7,5 Sekunden gegenüber 1,8 Sekunden bei der M-26). Dies hat den Vorteil, dass die Abschusskräfte auf das Trägerfahrzeug wesentlich geringer sind und es somit denkbar wäre, Lenkraketen GMLRS auch von leichten, luftverladebaren Räderfahrzeugen zu verschießen. Weitere Vorteile bestehen darin, dass die Belastung durch den Raketenstrahl auf den Raketenstartbehälter und dessen Raketen sowie die Feuerstellung durch Raketenabgase, Staub etc. deutlich reduziert werden.

Gefechtskopfkonfigurationen

Gefechtskopf "Unitary"
Der Gefechtskopf "Unitary" wirkt im Wesentlichen durch seine Penetrationsfähigkeit gegen Bauwerke und die Wirkung durch Druck und Splitter gegen weiche und halbharte Ziele innerhalb von Bauwerken wie etwa im urbanen Umfeld.

Er ist so konzipiert, dass eine Bekämpfung grundsätzlich mit einem möglichst steilen Angriffswinkel durchgeführt wird. Im Vergleich zu anderen Gefechtsköpfen wirkt der "Unitary"-Gefechtskopf (z. B. Lenk- rakete XM-31 mit 81,6 kg High Explosive-Sprengkopf) deutlich präziser (zwei Distance Root Mean Square [DRMS] kleiner als 12 Meter im Aufschlag - oder Verzögerungsmodus) als z. B. der Bomblet-Gefechtskopf mit seiner Flächenwirkung. Er ist daher besonders geeignet, auch dort eingesetzt zu werden, wo es aus Gründen der Minimierung von Kollateralschäden darauf ankommt, eine begrenzte und präzise Wirkung zu erzielen. (Zwei DRMS kleiner als 12 Meter bedeuten, dass 95 Prozent aller Schüsse/Ortungsergebnisse innerhalb eines Radius von 12 Metern zum Ziel liegen.)

Gefechtskopf Bomblet (Dual Purpose Improved Conventional Munition - DPICM)
Die 404 Stück Submunition des Bomblet-Gefechtskopfes werden in einer definierten Höhe ausgestoßen und verteilen sich gleichmäßig über eine bestimmte Wirkungsfläche. Sie wirken beim Aufschlag durch Splitter und Hohlladung. Bedingt durch die Größe der Bomblets und deren Verteilung sind weiche und halbharte Ziele bekämpfbar.

Für die Produktion wurden die Wirkkörper der Rakete M-26 verwendet. Die Zünder hingegen wurden gegen neue Zünder mit Sekundärfunktion "Selbstzerstörung" ausgetauscht.

Sollte die Primärfunktion "Zündung bei Aufschlag" versagen (z. B. bei zu weichem Untergrund oder technischem Versagen), sorgt die Sekundärfunktion durch selbstständige Detonation dafür, dass dennoch eine Splitterwirkung erzielt wird und gleichzeitig die Zahl möglicher Blindgänger deutlich reduziert wird (unter einem Prozent).

Gefechtskopf SMArt
SMArt (Suchzündermunition Artillerie) ist die Bezeichnung einer Submunition, die durch GMLRS über dem Ziel ausgestoßen wird. SMArt ist dazu befähigt, durch eine interne Sensorik und eine signalverarbeitende Zielerkennung eine fest definierte spiralförmige Kreisfläche nach harten und halbharten Zielen (z. B. Panzer, gepan- zerte Fahrzeuge) abzusuchen und durch Projektilbildung zu bekämpfen. Infrastrukturen jedoch sind durch SMArt aufgrund von vordefinierten Zielerkennungsalgorithmen nicht bekämpfbar.

Die Lenkrakete SMArt verfügt im Gefechtskopf über ein Ausstoßsystem, welches vier Submunitionen flächenhaft in einem Radius von etwa 300 Metern verteilt. Die Submunition entspricht bis auf wenige Anpassungen, die sich aus der drallfreien Verbringung mit GMLRS ergeben, der bereits für die Rohrartillerie eingeführten Munition SMArt 155 mm, DM 702A1.

Gefechtskopf HPM
HPM-(High Power Microwave-)Gefechtsköpfe wirken durch die Abstrah- lung eines hochenergiereichen Impulses und können - bei gleichzeitigem Ausschluss einer letalen Wirkung gegen Personen - je nach Impulsstärke gezielt elektrische Systeme (z. B. Führungs- einrichtungen, Kommunikationssysteme, Radarsysteme) zeitlich begrenzt lähmen oder dauerhaft zerstören. Die HPM-Technologie befindet sich noch in einem Entwicklungsstadium und wird erst längerfristig zur Verfügung stehen.

Zusammenfassung

GMLRS bietet die Möglichkeit, ein breites Zielspektrum reaktionsschnell, präzise und auf eine Entfernung von bis zu 70 Kilometern lageangepasst sowie unabhängig von Tageszeit- und Witterungseinflüssen zu bekämpfen. Präzises Feuer im Ziel steigert die Effizienz der eingesetzten Wirkmittel und vermindert die Wahrscheinlichkeit von Kollateralschäden. Die zukünftige Integration weiterer Gefechtsköpfe und die Möglichkeit der lasergelenkten Zielführung wird die Wirksamkeit im Einsatz weiter verbessern.


Autor: Amtsdirektor Michael Weninger, Oberstleutnant der Miliz, Jahrgang 1965, 1983 Einjährig-Freiwilliger, 1985 bis 1993 Zeitsoldat an der Artillerieschule in Baden, ab 1993 Vertragsbediensteter, 1993 bis 2004 Dienstverwendung in der Grundlagenabteilung der Artillerieschule als Referent Vorschriften und Erprobungen, seit 2004 Beamter, 2004 bis 2008 Dienstverwendung in der Grundlagenabteilung der Artillerieschule als Referent Grundlagen und Simulatorsysteme, 2008 Versetzung zur Heerestruppenschule in Eisenstadt und Dienstverwendung in der Grundlagenabteilung/Referat Artillerie als Referent Grundlagen und technische Entwicklung, Mob-Verwendungen beim AAB4, KAB31, KAB32 und PzAB9, Auslandseinsätze bei UNFICYP (1989), UNAFHIR (1991), UNDOF (2004) sowie als Militärbeobachter bei UNOMIL (1994) und UNTSO (1998, 2006, 2010).

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