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Napoléon: Genie - Feldherr - Kaiser Teil 2

Auch im zweiten Teil beschränkt sich der Beitrag über Napoléon darauf, seine facettenreiche Person anhand von ausgewählten Themen auf plakative Weise vorzustellen. Die weiteren ausgewählten Themen befassen sich mit Napoléon als Soldaten, als umsichtigen Planer, als Strategen und als Politiker.

Napoléon - der Soldat

Napoléon durchlief eine klassische militärische Ausbildung. 1779 trat er im Alter von elf Jahren in die Militärschule von Brienne-le-Château, in der Champagne gelegen, ein. 1784 wechselte er an die "École Militaire" in Paris. 1785 erhielt er dort aufgrund seines ausgezeichneten Erfolges vorzeitig sein Offizierspatent. Anschließend wurde er zu einem Artillerieregiment in Südfrankreich versetzt und absolvierte dort ein mehrere Monate dauerndes Praktikum. Hier erlernte er sein Handwerk von der Pike auf. Die Ausbildung entsprach durchaus dem üblichen Laufbahnbild. Napoléons militärisches Genie gründete auf einer Reihe von Begabungen. Basierend auf einem Grundverständnis für militärische Belange, sind insbesondere die Fähigkeit zur Analyse und Menschenführung sowie sein Organisationstalent hervorzuheben.

Sowohl sein umfangreiches Fachwissen - beispielsweise wusste Napoléon über die Herstellung und Lagerung von Pulver ebenso Bescheid wie über die Konstruktion von Geschützlafetten und Munitionswägen, selbst mit dem Gießen von Geschützrohren war er vertraut - als auch die Kenntnis über die Leistungsfähigkeit vor allem des eigenen Militär- und Spionageapparates bildeten die Grundlage, auf der er seine militärischen Planungen aufsetzte.

Demgegenüber beschränkte sich sein schöpferischer Beitrag zur Kriegsführung vorwiegend darauf, die bereits existierenden, teils theoretischen Strategie- und Taktikverfahren erfolgreich angewandt und weiterentwickelt zu haben. Eine Ausnahme bildete das Divisionsquadrat "les carrés d’Égypte", das er im Zuge des Feldzuges nach Ägypten kreierte, um den Reiterscharen der Mameluken, ehemals Waffensklaven der Osmanen, die mit der Zeit eine Unabhängigkeit gegenüber den Osmanen erlangten, wirksam begegnen zu können. Sein außergewöhnlicher Beitrag zur damaligen Kriegsführung war aber die bemerkenswerte Kreativität, mit welcher er die zur Verfügung stehenden Instrumente miteinander zu kombinieren und zu handhaben verstand. Er gebrauchte die vorgefundenen und erprobten Systeme auch keineswegs doktrinär. Napoléon bemerkte dazu: "Das Genie handelt nur nach Inspiration, was unter bestimmten Umständen richtig ist, ist unter anderen Gegebenheiten falsch; deshalb gilt es[,] die Prinzipien nur als die Achsen einer Funktion, die sich als Kurve abbilden lässt, zu verstehen. Das bedeutet dann schon etwas[,] wenn man bei dieser oder jener Gelegenheit daran denkt, wie sehr man von diesen Prinzipien abweicht." Entgegen der militärischen Praxis des 18. Jahrhunderts, welche die entscheidende Konfrontation vermied, suchte Napoléon gerade diese. Das entsprach auch prinzipiell seiner Intention, die militärische Macht des Gegners zu überwältigen, um ihm dann den eigenen politischen Willen aufzwingen zu können.

Napoléon beschränkte sich nicht bloß darauf, Festungen einzunehmen, Provinzen zu besetzen und den Gegner auszumanövrieren, wie es die Strategielehre dieser Zeit noch vorsah. Das operative Ziel seiner entschlossen geführten Feldzüge war auch, die gegnerische Hauptarmee möglichst schnell zu eliminieren. Er war überzeugt, dass, wenn der Gegner über keine intakten Streitkräfte mehr verfügt, die schutzlos gewordenen Provinzen oder Staaten von selbst fallen würden. Erschien es politisch opportun, wurden diese in ein Vasallenverhältnis genötigt und ihre materiellen und personellen Ressourcen ausgebeutet. Sein strategischer Grundsatz war hiebei ein denkbar einfacher: stets rasch die Initiative zu ergreifen und die Dominanz gegenüber dem Gegner zu behaupten. Der Faktor Zeit sowie die Beherrschung der strategisch entscheidenden Punkte im Operationsraum begriff er als die ausschlaggebenden Elemente zu deren Verwirklichung.

Schon als junger General um eine unabhängige Kommandoführung bemüht, war er später als Kaiser - im Gegensatz zu vielen seiner Gegenspieler - keiner Instanz gegenüber direkt verantwortlich. Beispielsweise musste Erzherzog Carl seine Operationsplanungen mit seinem kaiserlichen Bruder (Franz I.) sowie dem Hofkriegsrat abstimmen. Während Napoléon Generäle ernannte und im Falle von Inkompetenz entließ bzw. weglobte, musste Carl die ihm von seinem Bruder aufgezwungenen, teils inkompetenten Generäle erdulden. Überdies musste er auch noch auf deren Befindlichkeiten (Marotten) Rücksicht nehmen.

Ungeachtet aller Siegeszuversicht, die er üblicherweise seine Umgebung spüren ließ, wurde er doch zeitweilig von Selbstzweifeln geplagt. Es scheint, dass Napoléon von Natur aus ein ängstlicher Mensch gewesen sein dürfte. Er gestand dies auch gegenüber einem Vertrauten mit den Worten: "Es gibt keinen ängstlicheren Menschen als mich, wenn ich eine militärische Unternehmung plane […] Das hindert mich gleichwohl nicht daran, vor anderen in meiner Umgebung ganz heiter zu erscheinen." Mitunter bearbeitete er aus dieser Nervosität heraus die Lehne seiner jeweiligen Sitzmöbel mit einem Messer.

Napoléon - ein umsichtiger Planer

Napoléon war bei allem Wagemut kein Hasardeur, sondern ein umsichtiger Planer. Sein entwickelter "Möglichkeitssinn" ließ ihn alle für einen Feldzug relevanten Faktoren prüfen. Der Stärke des Gegners, wie auch der topographischen Situation im vorgesehenen Operationsgebiet, widmete Napoléon ein besonderes Augenmerk. Ausgehend vom ungünstigsten Szenario, diente der ausgearbeitete Plan aber lediglich als Orientierung bzw. steckte jenen Horizont ab, innerhalb dessen er flexibel die tatsächlichen Bewegungen der Armee koordinierte. Der Raum deckende Aufmarsch der Armee konnte zu Beginn eines Feldzuges auf bis zu einer 200 Kilometer breiten Front erfolgen. Der Zweck der weit verstreuten, teils autonomen und scheinbar ohne erkennbare Absicht agierenden Kräfte war, den Gegner über das angepeilte operative Ziel möglichst lange im Unklaren zu belassen. Der Gegner sollte veranlasst werden, seine Kräfte zu verzetteln oder diese zu einem Angriff auf die sich ihm vermeintlich schwach präsentierenden Verbände provozieren zu lassen. Das hiebei praktizierte strategische Verfahren des "corps d’armée"-Systems erlaubte Napoléon, die getrennt nie mehr als zwei Tagesmärsche (etwa 60 Kilometer) voneinander entfernt marschierenden Kräfte rasch zusammenzuziehen und überall dort zu konzentrieren, wo der Gegner sich massierte. Dabei war er stets bestrebt, aus einer starken Defensivaufstellung heraus offensiv zu werden. Das so von Napoléon bezeichnete "bataillon carré"-System, das sowohl auf der operativen als auch auf der taktischen Ebene Verwendung fand, bot in diesem Fall eine adäquate Möglichkeit. Diesbezüglich formierten sich vier Armeecorps zu einem, idealerweise auf der Spitze stehenden Quadrat.

Das Armeecorps, das üblicherweise alle Waffengattungen in sich vereinte, wurde 1803 zu einer ständigen Einrichtung. Die Truppenstärke dieser kleinen Armee betrug zwischen 15 000 und 30 000 Mann. Der Abstand der Corps zueinander betrug ein bis zwei Tagesmärsche. Die Corps übernahmen dabei folgende Funktionen:

  • Das vorneweg marschierende bildete die Vorhut, die "Avantgarde",
  • das rechts hinten marschierende den rechten Flügel,
  • das zu hinterst marschierende die Reserve,
  • das links hinten marschierende den linken Flügel,
  • im Zentrum befand sich das Hauptquartier.

Der Gegner war allenfalls imstande, zwei Corps gleichzeitig auszumachen. Attackierte er diese in Unkenntnis der wahren Kräftekonstellation, so konnte das unter Umständen fatale Folgen für ihn haben. Die Corps konnten jederzeit einander unterstützen und, wenn taktisch erforderlich, zum Angriff übergehen. Die Fähigkeit der Truppe, komplizierte Manöver mit hoher Geschwindigkeit auszuführen, trug maßgeblich zur lang anhaltenden Überlegenheit der napoleonischen Kriegsführung bei.

Wann immer es möglich war, bemühte sich Napoléon darum, sich vom Gelände, in dem er beabsichtigte, eine Schlacht zu schlagen, persönlich ein Bild zu machen. Mit geschultem Blick erkannte er die Vor- und Nachteile, die ein Gelände für die Offensive oder Defensive bot. Die genaue Kenntnis des Geländes stellte für ihn unter anderem den Schlüssel zum Erfolg dar: Er studierte das Wegenetz, beurteilte die Geländeformen auf ihre Aufmarsch- und Deckungstauglichkeit sowie Ortschaften auf ihre Eignung als Stützpunkte. Er ließ kein Detail außer Acht, das auf die geplante Kampfführung einen nachteiligen Einfluss nehmen konnte. Er untersuchte selbst den Boden auf seine Tragfähigkeit für einen Kavallerie- und Artillerieeinsatz. Letztendlich nutze Napoléon die Möglichkeiten, die das jeweilige Gelände bot, vollständig aus. Diese eingehenden Geländeerkundungen nahmen, abhängig von Zeit und Feindlage, oft mehrere Tage in Anspruch. Bei solchen Erkundungen entging Napoléon einige Male nur knapp der Gefangennahme.

Darüber hinaus stand ihm in der Regel ein großes Sortiment an Karten zur Verfügung. Napoléon, der 1795 kurze Zeit das "Bureau topographique" geleitet hatte und den Wert einer präzisen Karte zu schätzen wusste, ließ später Karten von zukünftigen Gegnerstaaten anfertigen. Hiezu wurden eigens ausgebildete Offiziere in geheimer Mission entsandt. Die Kartenwerke, welche ihm zur Begutachtung vorgelegt werden mussten, unterzog er einer strengen Prüfung. Napoléon sah in einer guten Karte eine Waffe, die maßgeblich zum erfolgreichen Verlauf eines Feldzuges beitragen konnte.

Napoléon - der Stratege

An fünf strategischen Prinzipien hielt Napoléon in der Regel fest:

  • Erstens sollte sich eine Armee nur einer Operationslinie bedienen, wobei das Ziel der Operation klar definiert und für alle Einheiten bindend sein musste, um eine Vergeudung von Kräften für zweitrangige Ziele zu unterbinden.

  • Zweitens sollte die Hauptarmee des Gegners stets das Ziel sein.
  • Drittens sollte die Armee bei ihren Bewegungen danach streben, den Gegner möglichst in der Flanke oder in seinem Rücken zu fassen.
  • Viertens sollte der Gegner von seinen Versorgungs- und Verbindungslinien abgeschnitten werden.
  • Fünftens mussten die eigenen Kommunikationslinien offen und sicher gehalten werden.

Ausgehend von diesen Grundsätzen, wandte Napoléon bevorzugt zwei Konzepte an, die er sowohl strategisch als auch taktisch gebrauchte:

Den Umfassungsangriff, "la manœuvre sur les derrières", der darauf abzielte, den Gegner im Rücken anzufallen. Napoléon wählte dieses Konzept, wenn ihm nur eine feindliche Armee gegenüberstand. Das Manöver wurde mit einem vorgetäuschten Frontalangriff, der die Aufmerksamkeit des Gegners auf sich ziehen sollte, eingeleitet. Die Hauptkraft, die inzwischen den Gegner umgangen hatte, finalisierte das Manöver mit einem Stoß in dessen Rücken. Erschien eine großräumige Umfassung aus zeitlichen Gründen nicht zweckmäßig, so wurde seine tiefe Flanke attackiert. Beispiele dafür sind die Schlacht bei Marengo 1800 sowie die Operationen bei Ulm 1805 und Wagram 1809.

War Napoléon mit zwei Armeen, deren Vereinigung bevorstand, konfrontiert, wandte er gegen diese die Strategie der Zentralen Position, "manœuvre sur position centrale", an. Die erste Phase des Manövers sah zunächst vor, den Raum zwischen den beiden gegnerischen Armeen zu gewinnen und zu behaupten. In der zweiten Phase wandte sich das Gros jener gegnerischen Armee zu, von der die größere Bedrohung ausging, während schwächere Kräfte die andere in Schach hielten. Diese Armee, nunmehr isoliert von der anderen, wurde mit geballter Macht angefallen und überwältigt. Vorwiegend gelangte dabei der Umfassungsangriff, das "manœuvre sur les derrières", zur Anwendung. In der dritten Phase trat er dem verbleibenden Gegner entgegen, um ihm ein ähnliches Schicksal zu bereiten. Bekannte Beispiele dafür sind die Schlacht bei Austerlitz 1805, die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt 1806 sowie die Operation bei Waterloo 1815.

Die Zentrale Position bot überdies den Vorteil, von der inneren Linie aus operieren zu können. Sie ermöglichte die rasche Verlegung von Kräften auf kürzestem Weg an jeden beliebigen Ort im Operationsraum oder jeden Brennpunkt in der Front. Im Gegensatz dazu agierte die äußere Linie, bei der, wenn man von einem Ort bzw. Flügel zum anderen gelangen wollte, eine größere Entfernung zurückzulegen war. Napoléon trachtete, wann immer möglich, die innere Linie zu nutzen. Er teilte dabei seine Kräfte in einen rechten und linken Flügel sowie in eine starke Reserve, die zentral hinter den beiden Flügeln stand. Das versetzte ihn in die Lage, optional, gleichermaßen aber jederzeit, sowohl einer Bedrohung seiner Flanke oder im Rücken wirksam zu begegnen als auch den Gegner zu einem beliebigen Zeitpunkt attackieren zu können; mit anderen Worten: Die Aufstellung ermöglichte ihm gleichzeitig zu reagieren und zu agieren7). Napoléon leitete aus dem "manœuvre sur position centrale" folgenden Grundsatz ab:

"Die Kunst eines Generals besteht darin, wenn er sich dem Gegner unterlegen weiß, ihm auf dem Schlachtfeld zahlenmäßig überlegen zu sein." Die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners durch wohl berechnenden Einsatz der eigenen Kräfte auszugleichen, daraus sogar Kapital zu schlagen, darin vor allem offenbarte sich Napoléons militärisches Genie.

Napoléon - der Politiker

Einige Historiker sprechen Napoléon ab, ein politisches Konzept oder gar eine Vision gehabt zu haben. Andere wiederum kritisieren die vermeintliche Sprunghaftigkeit seiner Entscheidungen, die ihnen als nicht nachvollziehbar erscheint. Die Ursache hiefür mag möglicherweise in seiner militärischen Prägung wie auch in seiner politischen Ideenwelt zu suchen sein. Napoléon agierte in der Politik in gleicher Weise wie im Krieg: autoritär, keineswegs doktrinär und immer den Umständen angepasst. Seine ersten Gehversuche auf dem ihm anfänglich noch wenig vertrauten politischen Parkett ließen auch den jungen Bonaparte alsbald seine Grenzen erfahren. Sein zuweilen betont militärisches Auftreten, Ergebnis seiner militärischen Sozialisierung, schien aber auf sein ziviles Umfeld doch irritierend gewirkt zu haben.

Aufmerksamen Beobachtern mit feinem Spürsinn war jedenfalls der Geltungs- und Schaffensdrang des jungen Bonaparte nicht verborgen geblieben. Sein sich entwickelnder politischer Instinkt half ihm, seine Rhetorik, Mimik und Gestik zunehmend auf das jeweilige Publikum abzustimmen.

Napoléon war schon in seiner militärischen Frühzeit stets bemüht, sich in politisch-militärischen Angelegenheiten den Überblick zu bewahren. Wahrscheinlich dürfte eine seiner hervorstechenden Begabungen, nämlich die des dreidimensionalen und vernetzten Denkens, ihn dazu befähigt haben, sich verschiedenen Problembereichen gleichzeitig zuwenden zu können. Napoléon tat dies methodisch und mit dem für ihn so charakteristischen Elan, mit dem er üblicherweise8) zu handeln pflegte. Probleme wurden, abhängig von ihrer Priorität, unverzüglich gelöst, mitunter aber auch zur Seite geschoben und zu einem späteren Zeitpunkt, den seine Umgebung dann als unpassend empfand, erledigt.

Da Napoléon den Menschen prinzipiell misstraute und überdies die politische Mündigkeit der Bürger in Zweifel zog, gewährte er nur wenigen Personen Einblick in seine Gedankenwelt.

Anfänglich wurden noch die engsten Mitarbeiter und Spitzenrepräsentanten in die Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden. Später, während der Zeit des Kaiserreiches, hatten sie nur mehr das Ergebnis "seiner" Gedankenarbeit umzusetzen. Dies mag möglicherweise die vermeintliche Sprunghaftigkeit seiner Entscheidungen erklären, die Zeitzeugen wahrzunehmen glaubten oder Nachgeborene glaubten erkannt zu haben. Darüber hinaus wäre bei der Beurteilung von Napoléons politischem Wirken zu berücksichtigen, dass das Soldatenhandwerk und der Krieg ihn zu einem illusionslosen Realisten geformt hatten, der sich aber doch einen gewissen Idealismus bewahren konnte. Demokratie und Parlamentarismus nahmen dabei in seiner politischen Ideenwelt wenig Raum ein. Ihrer bediente er sich selektiv mit dem Zweck, das Vertrauen der jeweiligen für seine Ziele relevanten Gesellschaftsschicht zu gewinnen. Gegenüber Charles Tristan Comte de Montholon, dem Angehörigen seiner Entourage auf Sankt Helena, äußerte er sich diesbezüglich: "Alles was an Gleichheit zu geben möglich war, […] haben die Franzosen von mir erhalten. Völlig uneingeschränkt und vorbehaltlos muss die Gleichheit vor dem Gesetz gelten. Jenseits davon jedoch ist sie nichts anderes als ein Traum, eine Täuschung." Grundsätzlich lag ihm daran, die erworbene Macht absoluter zu gestalten. Demzufolge lautete seine Maxime: Die Autorität komme von oben, das Vertrauen von unten.

Napoléon verdankte die Macht, die ihm nach dem Staatsstreich von 1799 zufiel, vor allem dem Umstand, dass alle Klassen der französischen Gesellschaft der Revolution überdrüssig geworden waren. Zehn Jahre (1789 - 99) innen- und außenpolitischer Irrwege hatten die auf gesellschaftspolitisch brüchigem Fundament fußende Republik in eine existenzielle Krise geführt. Nach fortwährend anhaltenden inneren und äußeren Konflikten wie Krieg, Anarchie und Bürgerkrieg, gefolgt von staatlich organisiertem Terror gegen all jene, die unter Verdacht geraten waren, die Prinzipien der Revolution zu bedrohen, war die Nation in unversöhnliche Lager gespalten, und die Sehnsucht der Franzosen nach stabilen politischen Verhältnissen war stärker denn je. Das Unvermögen der tonangebenden politischen Klasse, Revolution und Krieg zu beenden, teils bedingt durch politische, teils durch wirtschaftliche Zwänge, ließ bei den revolutions- und kriegsmüden Franzosen die Akzeptanz für einen Systemwechsel stetig steigen. Zum Preis der Stabilität war die Mehrheit der Bevölkerung sogar bereit, die Wiedereinführung der Monarchie (Restauration) in Kauf zu nehmen.

Das repressiv wie auch in mancher Hinsicht instinktlos agierende Direktorium9) hatte auch fortwährend dazu beigetragen, die Republik bei der Bevölkerung in Misskredit zu bringen. Insbesondere die bevormundende und die Religionsausübung einschränkende Politik der revolutionären Ideologen brachte die Masse der Gläubigen zusehends gegen die Machthaber auf. Die Aufgeschlossenheit der mehrheitlich katholischen Franzosen gegenüber dem neuen elitären Kult, der sie überdies spirituell überforderte, hielt sich in Grenzen. Die ausufernde Korruption auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen, begünstigt durch die skrupellose Bereicherungsmentalität so mancher seiner Repräsentanten, beschleunigte nur diesen Prozess. Die Republik war nahezu bankrott. Zunehmend gewannen die mittlerweile politisch wiedererstarkte Rechte (Royalisten) und Linke (radikale Neojakobiner) an Einfluss - eine Entwicklung, die die gemäßigten Kräfte in vielerlei Hinsicht um den Fortbestand der Republik fürchten ließ. Bisher war ein jeder Machtwechsel stets mit Repressalien gegen Gesundheit und Besitz der politisch Unterlegenen einhergegangen. Da eine drohende Machtergreifung durch die Konterrevolutionäre (Royalisten, Jakobiner) auf legalem Weg nicht zu verhindern war, erschien den vorwiegend einflussreichen Repräsentanten aus Politik und Finanzwelt ("brumairiens") ein weiterer Staatsstreich ("Coup d’ État") als unumgänglich.

Realiter führte kein Weg an einer zeitlich begrenzten Notstandsdiktatur vorbei. Ein Vorhaben, das nur mit Unterstützung des Militärs Aussicht auf Erfolg haben konnte. Der Gedanke, mittels Staatsstreich unter Einbindung des Militärs den politischen Kontrahenten an der Machtübernahme zu hindern, war in der Vergangenheit schon mehrmals (1795/97) angewandt worden. Bei diesen Anlässen war das Militär faktisch in der Rolle des Advokaten aufgetreten, welcher seine vordringlichste Aufgabe darin gesehen hatte, die revolutionären Prinzipien von 1789 zu bewahren. Ein Faktum, das die Putschisten, die "brumairiens", veranlasste, nach einem geeigneten Degen (Militär) zu suchen, auf den man sich abzustützen gedachte und dem auch die Armeen im Felde vertrauen würden. Zur Auswahl standen einige Kandidaten, welche aber die ihnen zugedachte Rolle nicht mehr wahrnehmen konnten beziehungsweise auch nicht wollten. Notgedrungen einigten sich die Initiatoren des Putsches auf die Person des einunddreißigjährigen Generals Bonaparte, nachdem sein Kollege General Barthélemy-Catherine Joubert im Sommer in der Schlacht bei Novi gefallen war und sein Rivale General Jean-Victor Moreau dankend abgelehnt hatte.

Bonaparte, durch seine Brüder über die politische Entwicklung in Paris hinreichend im Bilde, war kurz zuvor mit Einverständnis des Direktoriums aus Ägypten zurückgekehrt. Sein politischer Instinkt, oder vielmehr seine Intuition, hatte ihn zeitgerecht zu dem sich fortgesetzt diskreditierenden Regime in Paris auf Distanz gehen lassen. Gegenüber seinem Sekretär Louise-Antoine Bourrienne äußerte er sich: "Ich möchte nicht hier bleiben, wo es nichts zu tun gibt. Ich sehe voraus, dass ich, wenn ich bleibe, in Kürze verloren bin. Hier nutzt sich alles ab, ich habe schon keinen Ruhm mehr; dieses kleine Europa bietet nicht genug davon. Man muss in den Orient gehen." Raffiniert wusste er das Direktorium von der Notwendigkeit der Ägypten-Expedition zu überzeugen. Jedoch bedurfte es nicht allzu großer Überredungskunst, lag es doch im Interesse des Direktoriums, den ambitionierten General weit weg zu wissen, darauf hoffend, das ihn dort sein Schicksal ereilen würde.

Trotz beeindruckender militärischer und wissenschaftlicher Erfolge, welche die Orientarmee unter widrigsten Bedingungen, unter dem ungewohnten Klima leidend, von der Heimat abgeschnitten und von Paris im Stich gelassen, erfochten hatte, blieb ihr der strategische Erfolg, England nachhaltig zu schädigen, auf Dauer versagt. Aber selbst der negative Ausgang des umstrittenen Ägyptenabenteuers konnte den untadeligen Ruf, den Bonaparte bei den Franzosen genoss, nicht beschädigen.

Der politisch noch unverbrauchte Bonaparte nahm sich in der Folge der Sache der Verschwörer an - nicht ohne gewisse Forderungen zu stellen und diese auch Schritt für Schritt durchzusetzen. Der Staatsstreich sollte möglichst unter Wahrung der Legalität vor sich gehen. Des Weiteren sollten bei der auszuarbeitenden neuen Verfassung die Vertreter der Kammern miteinbezogen und letztlich die neue Verfassung einer Volksbefragung (Plebiszit) unterzogen werden. Damit durchkreuzte er die Absicht der realitätsfern denkenden Initiatoren des "Coup d’État", die neue Verfassung im kleinen Kreis zu entwerfen. Ein Vorhaben, dessen Leitgedanke "Verändern, um nichts verändern zu müssen" möglicherweise zur Konsequenz gehabt hätte, das Terrain für die Konterrevolution weiter aufzubereiten. Der Staatsstreich am 9./10. November ("18./19. Brumiere") 1799 endete beinahe mit einem Fiasko, konnte aber letztendlich dank der Geistesgegenwart seines Bruders Lucien und dem bereitgehaltenen Militär durchgesetzt werden. Aus dem Staatsstreich ging ein stabiles Regime hervor. Begünstigt wurde dies durch die Bereitschaft der Mehrzahl der Franzosen, einem Mann wie Bonaparte, der fähig erschien, die ersehnte Befriedung der Nation herbeizuführen, ihre politische Zukunft anzuvertrauen. Der Weg hiefür wurde jedoch von den Besitzbürgern ("brumairiens") geebnet, die Bonaparte in gewissem Sinne die Macht aufdrängten. Ihrer Ansicht nach gab es zu Bonaparte keine Alternative, wollte man die Revolution beenden.

Er verabsäumte es auch nicht, ihren Erwartungen zu entsprechen. Mit sicherem Gespür für die (Volks)seele der Franzosen sowie einer präzisen Vorstellung, was dem geschundenen Land Not täte, nahm er die Umgestaltung des Staates in Angriff. Indem er den Franzosen die ersehnte Befriedung des Landes (Pazifizierung) anbot, waren sie bereit, die konsularische Republik (Wohlfahrtsdiktatur), in welcher er für sich die führende Rolle vorsah, zu akzeptieren - dies im Tausch gegen die politische Freiheit. Zehn Jahre Revolution hatten das Ansehen der Freiheit nachhaltig geschädigt. Die bürgerliche Freiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz beließ er ihnen. Die Aussicht auf nationale Größe und militärischen Ruhm sollte den Verlust des Mitspracherechtes kompensieren beziehungsweise versüßen. Nach François Furet schien die Empfänglichkeit der Franzosen für "grandeur nationale" und ihre Schwester die "gloire" größer zu sein als das Bedürfnis nach politischer Freiheit. Ehre, Ruhm und der die "Grande Nation" umgebende Glanz waren eine Philosophie, die solange praktikabel blieb, wie sich Siege erringen ließen und die ihnen geschuldeten Opfer sich in Grenzen hielten.

Bonaparte darf für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, die nationale Aussöhnung der durch die revolutionäre Raserei zerrissenen Nation eingeleitet und weitgehend herbeigeführt zu haben. Ins Werk gesetzt wurde dies, indem er eine umfassende Amnestie gewährte, von der Linke und Rechte wie gleichfalls zurückgekehrte Emigranten profitierten. Von nun an durften sie wieder am öffentlichen Leben teilhaben. Mit Bedacht betrieb Bonaparte die Einbindung unterschiedlichster Personen, ungeachtet ihrer politischen und gesellschaftlichen Herkunft in sein im Aufbau befindliches System. Seine Intention war, durch eine Politik des Vergebens und Vergessens die weltanschaulich konträren Klassen und Lager zueinander zu führen, und gemeinsam zur Mitwirkung an einem Staat nach Bonapartes Vorstellung zu bewegen.

Dazu war es erforderlich, das Parteiensystem zu überwinden. Letztendlich führte dies zu seiner Auflösung und zur Unterdrückung der politischen und geistigen Freiheit. Indem er das private Eigentum wahrte, konnte er auf die breite Unterstützung des begüterten Bürgertums und des wohlhabenden Bauernstandes zählen. Diejenigen, die von der Revolution den geringsten Nutzen hatten, also vorwiegend das städtische und ländliche Proletariat, zwang er ins Heer und zur Marine, um für deren aufgestaute, den sozialen Frieden bedrohende Energien auf zukünftigen Schlachtfeldern ein Ventil zu schaffen.

Die Bilanz, die der erste Konsul am Ende seiner Amtsperiode vorzuweisen hatte, war auf den ersten Blick beeindruckend: innere und äußere Befriedung geschaffen, die Weichen für die nationale Aussöhnung gestellt, umfangreiche Reformen im Verwaltungs- und Finanzwesen eingeleitet, Infrastrukturmaßnahmen begonnen, die darniederliegende Wirtschaft wiederbelebt und die Glaubensfreiheit wiederhergestellt. Insgesamt sind diese als Leistungen eines außergewöhnlich begabten Administrators und Gesetzgebers zu würdigen, die dessen Popularität weiter steigen und die kritischen Stimmen, welche ihn verdächtigten, seine Machtkompetenzen schleichend ausgedehnt zu haben, verstummen ließen.

Insbesondere die Wahlrechtsreform, welche den politischen Einfluss der Wahlberechtigten weiterhin beschränkte, hatte diesen Verdacht genährt. Hellhörige Zeitgenossen haben jedoch schon zu diesem Zeitpunkt Bonapartes problematisches Verhältnis zur Macht wahrgenommen. Der angesehene Politiker Louise-Pierre-Édouard Bignon bemerkte dazu: "Zum Glück für die Gegenwart, doch zum Unglück für die Zukunft ist der ganze Staat in einem einzigen Mann zusammengefasst." Das Kaiserreich begann sich schon am Horizont abzuzeichnen. Jedoch wäre die Überführung der Republik in eine Monarchie ohne die breite Zustimmung der Bevölkerung, vor allem der politisch maßgeblichen Zirkel, nicht verwirklichbar gewesen. Der tiefere Sinn der Gründung des Kaiserreiches war, das neue Regime gegenüber den etablierten Monarchien zu legitimieren.

Resümee "Die Geschichte liebt es bisweilen, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt gehorcht […]" bemerkt Jacob Burckhardt, Professor für Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Basel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Napoléon, dieser viel begabte Tat- und Machtmensch, der sich von früher Jugend an, insbesondere aber seit dem Italienfeldzug 1796/97, zu Höherem berufen fühlte, bemerkte gegenüber einem Vertrauten in der Verbannung auf St. Helena: "Weder Vendémiaire oder selbst Montenotte verschafften mir die Gewissheit, ein Mensch zu sein, der zu Höherem berufen ist. Erst nach Lodi kam mir der Gedanke, dass ich auf unserer politischen Szene eine entscheidende Rolle spielen könnte. Damals wurde der erste Funke meines aufs Große zielenden Ehrgeizes geschlagen."10) Napoléon strebte zusehends danach, sich im Gedächtnis der Menschen zu verewigen. Die ausschließlich auf Effekte abzielende Selbstinszenierung, mit höchster Perfektion betrieben, erschwert es einem aber, sich ein Bild über ihn zu machen. Nie kann man sicher sein, wen man vor sich hat - den authentischen Napoléon oder den Schauspieler. Selbst in den schlimmsten Krisen wahrte er seine Maske.

Zu sehr scheint er die vielen Rollen, die er verkörperte, verinnerlicht zu haben. Er wuchs und identifizierte sich zunehmend mit seinen Rollen. Napoléon entdeckte und entwarf sich gleichzeitig dabei, er wurde zu dem, was er anfänglich vorgegeben hatte zu sein: der Heros, der Staatsmann, der Anwalt der Nation, der Wohltäter, der Imperator. Es ist ein Entwicklungsprozess, den er dabei durchlief und an dessen Ende der von ihm entworfene Napoléon steht.

Napoléon, der durch seine Tatkraft Frankreich zur bestimmenden Macht auf dem Festland-Europa verhalf, verbrauchte aber allmählich den Kredit, den ihm die Eliten gewährt hatten. Sein grenzenlos werdender Unternehmungsgeist hatte sich zunehmend fatal auf sein Schaffen ausgewirkt. Sowohl die Bevölkerung als auch seine Anhängerschaft, die hohe Erwartungen in seine Regentschaft gesetzt hatten, begannen nach und nach an seinen Versprechungen von Friede und Freiheit zu zweifeln. Nie sah er den Zeitpunkt dafür gekommen, neben der bürgerlichen mehr politische Freiheit zu gewähren.

Die Eliten wie auch mehrheitlich die gebildeten Bürger waren immer weniger gewillt, seine illusorischen Vorhaben zu unterstützen. Sukzessive wandten sich auch die engsten Weggefährten von ihm ab. Innerhalb der tonangebenden politischen Klasse herrschte mittlerweile Einigkeit darüber, dass die kostspielige und aggressive Außenpolitik Napoléons auf Dauer die Existenz Frankreichs gefährde. Die vorsichtigen Interventionen maßgeblicher Regierungsmitglieder, ihn zum Einlenken zu bewegen, wurden negiert. Sein fortschreitender Cäsarenwahn hatte ihn auch Kritik gegenüber unzugänglich werden lassen. Die Ursache, die seinen Sturz herbeigeführt hat, dürfte wohl darin gelegen sein, dass Napoléon die zunehmende Unzufriedenheit mit seiner Regierungsführung innerhalb der einflussreichen politischen Zirkel unterschätzt hat. Napoleon scheiterte letztendlich an sich selbst.

Es ist Napoléons problematisches Verhältnis zur Macht einerseits und zur Freiheit andererseits, das die Gesamtbilanz seines Wirkens trübte. Es war sein Verdienst, die Revolution beendet und den Krater der Revolution, der durch Anarchie und Chaos entstanden war, zugeschüttet zu haben. Dass es ihm opportun erschien, die Freiheit aus der Politik fernzuhalten, war den Umständen geschuldet, die er bei seiner Machtergreifung vorfand. Dass er sie dauerhaft unterdrückte, mag daran gelegen sein, dass Napoléon kein Vertrauen in die Menschen hatte, einen vernünftigen Umgang mit der Freiheit zu pflegen. Dazu äußerte er sich folgendermaßen: "Es genügt nicht, dass ein Volk für sich fordert: Ich möchte frei sein in dem Sinne der Freiheit, wie sie von den Aposteln des Liberalismus gepredigt wird; notwendig ist vielmehr, dass es aufgrund seiner Erziehung der Freiheit auch würdig ist." Dem fügte er noch hinzu: "Wer die Menschen ruinieren möchte, braucht ihnen nur alles zu erlauben." Unzweifelhaft stellte seine Herrschaft einen Rückfall in den Absolutismus dar, wogegen die Franzosen revoltiert hatten, auch wenn Napoléon die wesentlichen Errungenschaften der Revolution respektierte und gleichermaßen für die Zukunft bewahrte. Das prägnante Urteil des französischen Schriftstellers und Diplomaten François-René de Chateaubriand beschreibt diese Ambivalenz: "Es hat immer zwei Bonaparte gegeben: einen großen und einen kleinen." Im Frühjahr 1814 war Napoléon, nach einer Reihe militärischer Misserfolge, die ihn innenpolitisch nachhaltig geschwächt hatten, von jenen politischen Kräften gestürzt und zur Abdankung genötigt worden, die ihm 1799 zur Macht verholfen hatten. Es folgte die Restauration der Bourbonen.

Auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt, wollte Napoléon sich nicht mit dem ihm zugedachten Schicksal abfinden und entfloh nach zehnmonatigem Aufenthalt aus seinem Exil, um erneut die Herrschaft für kurze Zeit (hundert Tage) an sich zu reißen. Die ungeschickt agierende royalistische Regierung begünstigte die neuerliche Machtergreifung. Aber Napoléon, der sich gegen Ende seiner Herrschaft zum Despoten entwickelt hatte, genoss kaum mehr das Vertrauen der maßgeblichen politischen und militärischen Eliten. Volk und Soldaten hingegen hielten ihm die Treue bis zuletzt. Allein der fehlende Glaube der Eliten in Napoléon, Frankreich die ersehnte politische Stabilität geben zu können, wie auch Verrat bedrohten sein Regime. Letztendlich konnte er von den Alliierten bei Waterloo, dank seines Zutuns wie auch dem bewusst passiven Verhalten wankelmütiger Offiziere in höchsten Rängen, am 18. Juni 1815 überwunden werden. Von den Fürsten Europas geächtet, wurde er daraufhin als "Wiederholungstäter" endgültig auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt. Aber Napoléon wusste selbst daraus noch Kapital zu schlagen: "Es ist wahr, dass mein Schicksal sich zu dem anderer genau gegenteilig verhält: Der Sturz lässt sie für gewöhnlich klein werden, mich hingegen hat er unendlich emporgetragen. Jeder Tag befreit mich von dem Anstrich eines Tyrannen, eines Mörders, eines Wilden." Die Verbannung nutzte er ausschließlich dazu, an seiner Legende zu feilen, um sich die von ihm angestrebte historische Unsterblichkeit zu sichern.

Am Abend des 5. Mai 1821 trat Napoléon im Alter von 52 Jahren im Longwood House, seinem Exilwohnsitz auf St. Helena, von der Weltbühne ab. General Henri-Gatien Bertrand, Adjutant des Kaisers, hielt dazu in seinem Tagebuch fest: "Am 5. Mai um 05 Uhr 49 Minuten tat der Kaiser seinen letzten Atemzug." Die von mehreren Ärzten durchgeführte Autopsie ergab als Todesursache Magenkrebs. Vier Tage später wurde der einbalsamierte Leichnam, gekleidet in der Uniform der "Chasseurs a Cheval de la Garde", auf dem Sargdeckel aufgebreitet der Mantel von Marengo, darauf sein Degen und ein Kruzifix, zu Grabe getragen.

Der "Flug des Adlers" fand hier sein vorläufiges Ende, doch sollte Napoléon keineswegs der Vergessenheit anheimfallen. Anfänglich wurde die Erinnerung an ihn durch die vielen Anhänger, vorwiegend Veteranen, wachgehalten. Die literarische Auseinandersetzung mit seiner Person seitens namhafter Schriftsteller wie Victor Hugo, Honoré de Balzac, Alexandre Dumas, zahlreicher Weggefährten und Zeitgenossen trug das Ihre dazu bei, den Nährboden aufzubereiten, auf welchem die Legende weiter wachsen konnte.

Bei aller Neigung zur Glorifizierung seiner Person war Napoléon kein Übermensch. Er verstand es einfach, wie kaum ein anderer, sein Potenzial völlig auszuschöpfen. Er war ein begnadeter Verkäufer seiner selbst, ein Blender, zweifellos mit Substanz und auf höchstem Niveau. Trotz aller Schatten und charakterlichen Defizite, die seine Herrschaft und sein Wesen ausgemacht haben, bleibt er doch letztendlich eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die in jeder Beziehung bis zum heutigen Tag fasziniert.

"Niemand ist schuld an meinem Fall als ich selber. Ich bin allein mein größter Feind gewesen, der Urheber meines Schicksals."


Autor: Vizeleutnant Gerhard Müller-Jost, Jahrgang 1963. 1983 bis 1984 Ableis­tung des Präsenzdienstes an der Pioniertruppenschule, 1987 Eintritt in das Österreichische Bundesheer, bis 1990 an der ABC-Abwehrschule, 1990 bis 1996 Verwendung beim Kommandobataillon in der Wilhelm-Kaserne, 1991 Absolvierung des 23. Jagdkommandogrundkurses, 1996/1997 Verwendung beim Gardebataillon, bis 2000 beim Kommandobataillon. Seit 2000 Dienst beim Jagdkommando. Seit 2005 Organisation militärhistorischer Exkursionen, ab 2009 erste Veröffentlichungen militärhistorischer Beiträge (Pallasch, Der Soldat).

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