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… aus Brüssel: Die Security Sector Reform und die Auswirkungen für die Truppe

Die zahlreichen Aufgaben im Bereich der Security Sector Reform (Sicherheitssektorreform - SSR) erfordern umfassende Konzepte und verstärkte nationale und internationale Koordination aller Beteiligten.

Bei den diversen Einsätzen der letzten Jahre (z. B. Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Irak, Afghanistan) taucht im Bereich der politisch-militärischen Aufgabenstellungen nach Ende der Kampfhandlungen u. a. auch der Begriff Sicherheitssektorreform in den Medien und politischen Statements auf. Die politisch-militärischen Aufgabenstellungen ergeben sich aufgrund der Vorgaben der Politik und stellen somit den Auftrag u. a. an das Militär dar, was nun erreicht werden soll. Denn eine dauerhafte Stabilisierung einer Krisenregion ist ohne mittel- bis langfristige Reformen unmöglich, und dabei spielt die SSR eine wesentliche Rolle. Allerdings herrschen derzeit noch divergierende Ansichten der bedeutenden Staaten bzw. von inter- und multinationalen Organisationen (z. B. EU, UNO, NATO) über einen konkreten Weg zur Zielerreichung durch lokale Behörden des Ziellandes bzw. durch verschiedene multinationale, oft staatliche Akteure vor.

Was wird unter SSR überhaupt verstanden? Gemäß der Definition der UNO ist bei einer SSR die zentrale Aufgabe, einen funktionierenden Sicherheitssektor in einem Krisengebiet zu schaffen, um damit jene strukturelle Stabilität zu erreichen, die die Basis für den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt schaffen soll. Die dabei erfolgte Einbindung der Bereiche Sicherheit und Entwicklung wurde und wird einerseits von der Gesellschaft des betroffenen Landes und andererseits vom Militär noch mit einiger Skepsis betrachtet.

Der Ausgangspunkt für eine SSR bildet ein nicht funktionierender Sicherheitssektor, der keine äußere und innere Sicherheit einer Region oder eines "Sicherheitssektors" gewährleisten kann oder selbst die Ursache von Unsicherheit und Gewalt ist (wie z. B. die Tontons Macoutes, die "Onkel Menschenfresser", die ehemalige Prügelpolizei des Diktators "Papa Doc" Duvalier in Haiti).

Die SSR verfolgt somit zwei grundlegende Stoßrichtungen:

  • den Aufbau effizienter, wirksamer und funktionierender Sicherheitskräfte;
  • die Verankerung bzw. Stärkung der Prinzipien demokratischer bzw. rechtsstaatlicher Regierungsführung unter Anleitung der internationalen Staatengemeinschaft.

SSR in UNO, EU und NATO

Die UNO beschäftigt sich bereits seit ungefähr zehn Jahren konkret mit der SSR. Sie ist de facto der globale Vorreiter bei der Entwicklung von Denkansätzen zu diesem Thema. Innerhalb der UNO existiert eine "SSR Task Force" und innerhalb des United Nations Department for Peacekeeping Operations (UN DPKO) ein eigenes SSR-Team. Dieses kümmert sich um alle Angelegenheiten der SSR und deren Entwicklung. Der regionale Schwerpunkt der Anwendung liegt in Afrika. Weiters wird die SSR in mehreren UN-geführten Missionen bereits als eigenständiger Aufgabenbereich wahrgenommen. "Die zentrale Aufgabe der Security Sector Reform (SSR) ist, einen funktionierenden Sicherheitssektor in einem Krisengebiet zu schaffen, um damit jene strukturelle Stabilität zu erreichen, die die Basis für den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt darstellt" (Quelle: UNO).

In der EU wurde während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft (2006) das Dokument "Policy Framework for SSR" angenommen. Dieses beinhaltet u. a. das Konzept für die Unterstützung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Bereich von SSR. Für die EU und deren Mitgliedsstaaten scheint somit unbestritten, dass die SSR ein Teil ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist.

Auch das Österreichische Bundesheer ist in diesem Bereich gefordert, einen Beitrag zu leisten. Die Arbeiten dazu erfolgen u. a. in der Political-Military Group (PMG). Damit wird bereits auf strategischer multinationaler Ebene das Zusammenwirken politischer und militärischer Aspekte berücksichtigt. Konkret geht es um das Anforderungsprofil für das Personal und die Erstellung von EU-akkordierten Richtlinien zur Umsetzung dieser Idee.

Die EU hat ebenso wie die UNO Afrika als Schwergewichtsbereich für die SSR definiert. Neben verschiedenen Kleinprojekten zeigt dies auch die Tatsache, dass die EU dort zwei SSR-Operationen im Einsatz hat:

  • EUSEC RD Congo/EUPOL RD Congo (EU Security Sector Reform in the Democratic Republic of the Congo/EU Police Mission in the Democratic Republic of the Congo) sowie
  • EU SSR Guinea Bissau.

Darüber hinaus wird derzeit auf europäischer Ebene an einem "SSR Expert Roster" (Expertenliste) gearbeitet. Dieser gibt hinkünftig eine Übersicht über das auf EU-Ebene vorhandene Fachpersonal, aufgegliedert nach den jeweiligen Qualifikationen, womit die Personalauswahl im Anlassfall rascher erfolgen kann. Das Schwergewicht soll dabei auf der EU-weiten Standardisierung der Ausbildung und dem Aufbau von fachlichen Netzwerken liegen, um die Interoperabilität zu erhöhen. Zu diesem Thema fand im Mai 2009 in der Slowakei der erste SSR-Kurs der EU statt. Die Teilnehmer stammten aus den Bereichen Polizei, Justiz, zivil-militärische Aufgaben (CIMIC) und allgemeine sicherheitsrelevante Angelegenheiten. Auch das Österreichische Bundesheer schickte Teilnehmer. Das Kursziel war die Vermittlung von Fachwissen und praktischen "Werkzeugen", die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sicherheitssektorreform stehen.

In der NATO ist die SSR ein Teil der "Defense Reform" in politisch festgelegten Zielländern. Seit Jahren laufen in Ost- und Südosteuropa Projekte zu verschiedenen Teilbereichen einer SSR, denen allerdings meist der gesamtheitliche Ansatz fehlt. Mit dem gesamtheitlichen Ansatz soll sichergestellt werden, dass die verschiedenen Akteure eines Staates koordiniert tätig werden, um so z. B. staatliche Sicherheitsdefizite zu vermeiden. Die Basis dieser Projekte bilden die bilateralen Zusammenarbeitsprogramme der NATO mit den Partnerstaaten. Die Konzepte befinden sich im Entwurfsstadium, wobei es genauso wie bei der UNO und der EU unbestritten ist, dass die SSR nur im Rahmen eines breiten gemeinschaftlichen Ansatzes erfolgreich betrieben werden kann. Im Gegensatz zur EU, welche schon in ihrer Struktur (Europäischer Rat, Europäische Kommission) auf zivile SSR-Komponenten zurückgreifen kann, ist dies bei der NATO nicht der Fall, weil diese primär sicherheitspolitisch ausgerichtet ist. Deswegen muss die NATO zur Sicherstellung einer SSR die Kooperation mit anderen Akteuren, beispielsweise aus dem Justizwesen, erst suchen.

SSR und Bundesheer

Die Herausforderung beim Aufbau eigener SSR-Kapazitäten des Österreichischen Bundesheeres liegt darin, dass bei der vorgestaffelten Ausbildung zum SSR-Experten auf nationaler und internationaler Ebene die konkreten künftigen Einsatzszenarien und der jeweilige Bedarf an Fachexpertise noch unbekannt sind. Aufgrund von geographischen, kulturellen und soziologischen Unterschieden der Szenarien (Einsatzraum, Art der Mission, …) kann auf dieser Ebene vorerst nur Basiswissen vermittelt werden. Erst unmittelbar vor dem Einsatz ist eine zielgerichtete Ausbildung möglich! Sowohl die vorbereitende als auch die einsatzunmittelbare Ausbildung erfolgen in Österreich nach Möglichkeit bereits ressortübergreifend. Dies soll die Soldaten und die Vertreter anderer Ressorts auf das Zusammenwirken des SSR-Teams im Einsatz vorbereiten. Somit entsteht ein gegenseitiges Verständnis für das Tätig-Werden der Vertreter anderer Ministerien und gleichzeitig erfolgt eine Koordinierung der nationalen Anstrengungen.

Um alle diese Aspekte gesamtheitlich und vernetzt in Einklang zu bringen, wirkt im BMLVS seit Anfang 2008 eine Arbeitsgruppe, die folgende Themenfelder aufbereiten soll:

  • die konzeptiven Grundlagen für das Österreichische Bundesheer;
  • die Darstellung der Rechtsgrundlagen bezüglich des etwaigen Bedarfes an zusätzlichen Rechtsnormen (für eine SSR);
  • die Erarbeitung eines Systems der strukturierten Personalaufbringung;
  • die Erarbeitung eines Ausbildungsmodells.

Bereits in diesem Jahr (2009) sind die ersten Realisierungsschritte geplant. "Nebenbei" beteiligt sich das Österreichische Bundesheer bereits mit ein bis zwei Experten an der EU-geführten SSR-Operation EUSEC RD Congo/EUPOL RD Congo, einerseits um den erwarteten Beitrag im Rahmen der EU zu leisten und andererseits um auf Basis dieser Erfahrungen erste Ableitungen für die vier o. a. Themenbereiche zu gewinnen. Weiters unterstützt das Bundesheer Projekte im Bereich der Sicherheit von Munitionslagern in Mozambique, in Äthiopien und in Sierra Leone.

Aber auch im Schwergewichtsraum Balkan versehen österreichische Soldaten SSR-Aufgaben. Bei KFOR beteiligt sich Österreich mit fünf Soldaten an der "Military-Civil Advisory Division", welche die kosovarischen Streitkräfte bei ihrer Neustrukturierung unterstützt. Hiebei geht es um die militärstrategische Ausrichtung und der Struktur zukünftiger kosovarischer Streitkräfte auf Basis der benötigten Personalstärken, die materielle Ausstattung sowie um die Ausbildungsmodelle. Diese vom Österreichischen Bundesheer im Kosovo unterstützten Projekte sind Teil eines gesamtheitlichen Ansatzes der internationalen Staatengemeinschaft. Weiters betreibt heute das BMLVS mit seiner Balkaninitiative bi- und multilaterale Projekte, vor allem im Bereich der Ausbildung, um die Staaten dieser Region an die westeuropäischen Strukturen heranzuführen.

Ausblick

Aufgrund dieser Entwicklungsschritte und des damit verbundenen Ausbaus eines gesamtheitlichen Ansatzes - sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene - wird an das Bundesheer auch weiterhin die Forderung zur Teilnahme an solchen Projekten bzw. Operationen gestellt werden. Die Erfüllung dieser Forderung wird allerdings nur dann möglich sein, wenn man sich seitens der militärischen Führung auf diese Szenarien vorbereitet und im internationalen, speziell europäischen Verbund die personellen, rechtlichen und ausbildungsmäßigen Voraussetzungen schafft.

Neben all diesen Schritten, für die das BMLVS selbst zuständig ist, geht es neben dem ressortübergreifenden Informationsaustausch auch um den Kontakt mit nicht-staatlichen Organisationen, um ein gemeinsames nationales Verständnis für dieses Aufgabenspektrum zu bekommen. Erst dann können im Anlassfall gemeinsam Maßnahmen erfolgen.

Sollten darüber hinaus die Bemühungen der EU zur Erarbeitung gemeinsamer EU-Standards erfolgreich sein, wäre dies ein großer Schritt zur Stabilisierung von Krisenregionen. Das Österreichische Bundesheer wird sich dieser Entwicklung nicht verschließen können. Es ist vielmehr gefordert, weiterhin einen sicht- und messbaren Beitrag im militärischen Bereich der SSR einzubringen.


Autor: Oberst dG Mag. Thomas Ahammer, Jahrgang 1966. Seit Sommer 2006 Dienst in der Militärvertretung Brüssel als Militärberater für Rüstungskontrolle im Bereich der EU und der NATO, zusätzlich seit Oktober 2006 mit der Funktion des Chef des Stabes der Militärvertretung Brüssel betraut. Seit August 2008 Leiter der EU-Abteilung an der Militärvertretung Brüssel.

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