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Die Sanitäts-Dekontaminationsanlage der Feldambulanz des Sanitätszentrums West

Das Auftreten vieler Verletzter innerhalb sehr kurzer Zeit ist Teil fast aller gängigen Katastrophenszenarios. Wenn aber diese Verletzten verstrahlt oder mit chemischen Kampfstoffen in Berührung gekommen sind, geht es neben der raschen Hilfe auch um den Eigenschutz der Helfer.

Seit Bestehen des Österreichischen Bundesheeres wurden in zahlreichen Übungen ABC-Szenarien mit Verwundetenanfall eingebaut. Meist wurden dabei aber Dekontaminationsversuche rasch durch einen Militärarzt beendet, der die "kontaminierten" Opfer bei der Sichtung entweder in die Triagegruppe 4 ("abwartende Behandlung") einteilte und sie mit einer simulierten Morphiuminjektion ruhigstellte, oder die Kontamination wurde ignoriert und der Verwundete einfach abtransportiert. Damit wären aber das Transportfahrzeug und der Hauptverbandsplatz bzw. das zivile Krankenhaus kontaminiert worden und für die weitere Versorgung ausgefallen.

Sanitätspersonal der Miliz und gelegentlich auch Militärärzte, die diese unbefriedigende Situation hinterfragten, wurden dahingehend beruhigt, dass "so etwas eh nicht vorkommen wird" oder "im Atomkrieg sowieso alle sofort tot sind" oder "die da oben schon alles rechtzeitig regeln würden". Nach einem schüchternen "Ja, aber …" gingen die Frager danach meist wieder zur Tagesordnung über.

Eines der Hauptprobleme, die einem Lösungsansatz entgegenstanden, war jedenfalls, dass sich die ABC-Abwehrtruppe für Verwundete nicht zuständig fühlte. Auch fehlten ihr die personelle Kapazität sowie das medizinische Know-how dafür.

Der Sanitätstruppe hingegen, der das Problem sehr wohl bewusst war, mangelte es an (finanziellen) Mitteln sowie an entsprechend motiviertem Kader, um - unabhängig von der ABC-Abwehrtruppe - eine eigenständige Lösung zu suchen. Abgesehen davon wäre bei den zu erwartenden Ausfallszahlen in einem europaweiten Krieg mit atomaren und chemischen Waffen zwischen NATO und Warschauer Pakt eine aufwändige Behandlung zehntausender kontaminierter Patienten ohnedies nicht möglich gewesen.

Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes änderte sich das Bedrohungsbild - vor allem auch durch das vermehrte Auftreten des Terrorismus. Der erste allgemein bekannte Anschlag mit chemischen Kampfstoffen (einem selbsterzeugten, chemisch ziemlich unreinen Sarin) erfolgte 1995 in Tokio durch religiöse Fanatiker der Aum-Sekte. Die Hilflosigkeit der Einsatzkräfte sowie die Opfer unter dem ungeschützten medizinischen Behandlungspersonal führten dazu, dass auch zivile Stellen die Notwendigkeit einer Patientendekontamination erkannten. Vor allem im Bereich der NATO-Staaten kam es dadurch zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Zivilschutz, Sanität und ABC-Abwehrkräften, vorerst allerdings ohne befriedigende, praktisch nutzbare Ergebnisse.

Einzelne Unteroffiziere der damaligen Sanitätsanstalt Salzburg befassten sich seit langem ebenfalls intensiv mit diesem Thema. Es folgten Versuche mit Einzeldekontaminationsplätzen auf Basis der Geräte des ABC-Schutzsatzes der Kompanie, der um verschiedene Verbandstoffe und einzelne Medikamente erweitert wurde. Die Resultate waren jedoch eher bescheiden. Den zündenden Funken, die Sanitätsversorgung und Dekontamination der Patienten gleichsam auf einer "Schienenstraße" durchzuführen, lieferte 1997 ein Bild der U.S. Army im Internet, das eine zu dekontaminierende Person auf einer Art "Förderband" zeigt (siehe Foto unten).

Nach der ersten Begeisterung, vor allem über die große Anzahl an Verwundeten, die damit angeblich versorgt werden konnten, tauchten allerdings bald berechtigte Zweifel an der Funktionsfähigkeit der abgebildeten Anlage auf, und diese Zweifel wurden durch einfache Versuche bestätigt. Dennoch - die Grundidee der "Schienenstraße" bei der Versorgung kontaminierter Verwundeter erwies sich als richtig. Diese Idee wurde deshalb beibehalten und weiterentwickelt.

Die Grundforderungen

Die Anlage sollte aufgrund der möglichen bzw. auch wahrscheinlichen Bedrohungen folgende Grundforderungen erfüllen:

  • einfache Verlegbarkeit und rascher Aufbau;
  • die Möglichkeit der unverzüglichen Einleitung lebenserhaltender Sofortmaßnahmen durch einen Notarzt im Schutzanzug;
  • eine möglichst hohe Durchsatzrate liegender und gehfähiger Patienten (d. h. möglichst viele in möglichst kurzer Zeit);
  • die Möglichkeit der Dekontamination offener Wunden in einem ABC-Szenario;
  • der schonende Umgang mit und der Schutz des Patienten vor klimatischen Einflüssen (Kälte, Hitze, Nässe, …);
  • keine Kontaminationsverschleppung;
  • die Garantie einer vollständigen Patientendekontamination zum Schutz der Sanitätseinrichtungen und -elemente, die die Patienten zur Weiterbehandlung bringen oder diese durchführen.

Daraufhin erfolgte mit den bescheidenen Eigenmitteln der Bau eines Provisoriums. Beim Üben mit diesem ergaben sich jedoch Probleme, aber auch neue Ideen, die Umbauten, Ergänzungen oder sonstige Korrekturen notwendig machten.

Insgesamt entstanden so statt einem vier unterschiedliche Prototypen, die zwar betriebsfähig, aber noch nicht voll einsatztauglich waren.

Das System überzeugte auch Skeptiker

"Nine-Eleven", der 11. September 2001, und die darauf folgenden weltweiten Anthrax-Alarme (mehrere davon auch in Österreich) motivierten das Sanitätspersonal, die Sache ernsthaft weiterzubetreiben. Die Sanitätsabteilung des Bundesministeriums für Landesverteidigung, die dem Unternehmen vorerst (mehr als) kritisch gegenübergestanden war, konnte im Dezember 2002 durch einen direkten Vergleich zwischen dem in Salzburg entwickelten Verfahren und der Dekontaminationsphilosophie der Sanitätsschule überzeugt werden.

Inzwischen hatte das "Salzburger Modell", wie es bald genannt wurde, auch aufgrund zahlreicher Vorträge, Demonstrationen und Übungen international Anerkennung gefunden. Besonders eindrucksvoll - und zwar zugunsten des "Salzburger Modells" und der dahinterstehenden Dekontaminationsphilosophie - verlief ein Direktvergleich mit Spezialkräften der U.S. Army im Jahre 2005.

Im Zuge der Vorbereitungen der Fussball-Europameisterschaft 2008 (EURO 08) wurde die Notwendigkeit einer voll funktionsfähigen Anlage auch auf Druck ziviler Stellen vom Österreichischen Bundesheer akzeptiert und die Beschaffung eines einsatzfähigen Prototyps nach den Plänen der Sanitätsanstalt Salzburg eingeleitet. Als wesentlicher Teil der Einsatzbereitschaft der Anlage wurden aufblasbare Zelte beschafft.

Aufgrund des Zeitdrucks war es allerdings unmöglich, alle Forderungen bezüglich der Ausstattung zu erfüllen. So konnten die geplanten luftdichten Trennwände sowie das Klimagerät - beides dient dazu, eine Kontaminationsverschleppung zu vermeiden - nicht mehr rechtzeitig beschafft werden.

Trotzdem erfolgte nach zweiwöchigem Intensivtraining der Einsatz der Anlage mit 22 Mann Kader und Rekruten aus ganz Österreich bei sieben Spielen der EURO 08 in Salzburg und Wien. Verteidigungsminister Mag. Norbert Darabos und General Mag. Edmund Entacher, die die Anlage besichtigten, zeigten sich davon beeindruckt. Auch zahlreiche zivile Institutionen, die sich ebenfalls mit Dekontamination im Sanitätsbereich beschäftigen und großteils mit Nachbauten früherer Prototypen ausgestattet waren, erkannten - mehr oder minder neidvoll - sowohl die fachliche als auch die materielle Qualität der "Salzburger San-Deko" (Sanitäts-Dekontaminationsanlage) an. In den Organisationsplänen der neuen Feldambulanzen des Österreichischen Bundesheeres ist die Dekontaminationsanlage bereits als fester Bestandteil installiert.

Aufbau und Funktion

Die Anlage dient der Notversorgung und der Dekontamination liegender und gehfähiger Verletzter im Falle einer ABC-Kontamination.

Das gesamte System ist modulartig aufgebaut. Weil es bei der Dekontamination generell um jede Minute geht, gibt es ein Vorauselement (vier Mann und ein Kraftfahrzeug) für die Erkundung, die ärztliche Ersthilfe, die Notdekontamination und die Einweisung des nachfolgenden Dekontaminationszuges. Der Schutz des Vorauselementes und dessen Patienten vor Kälte, Hitze, Nässe, Niederschlägen und anderen Klimaeinflüssen durch Zelte ist dabei allerdings nicht möglich.

Die restlichen Teile des Dekontaminationszuges errichten nach ihrem Eintreffen je nach Bedarf zwei bis vier Zelte mit entsprechendem Zubehör:

Das erste Zelt ist das Triagezelt. Hier erfolgen

  • die Patientenübernahme,
  • die Kampfstoffdetektion,
  • die Triage (Sichtung und Einteilung der Patienten),
  • die Sichtung der Wundbereiche und die Festlegung der Behandlungsart,
  • das Monitoring der Patienten (betreffend Puls, Blutdruck und Sauerstoffsättigung),
  • notärztliche Erstmaßnahmen, soweit diese den Helfern im Schutzanzug möglich sind,
  • falls das erforderlich und möglich ist, die Verabreichung von Gegenmitteln (Antidotgaben),
  • eine Schmerztherapie und Sauerstoffgabe sowie
  • eine Narkose, sofern diese während der Dekontamination notwendig ist.

Das zweite Zelt dient der Dekontamination liegender Patienten (Kapazität zwölf Personen pro Stunde). In den Abschnitten dieses Zeltes erfolgen

  • die vollständige Entkleidung und gegebenenfalls die Entfernung der Haare,
  • die Wunddekontamination,
  • die vollständige Körperdekontamination,
  • die Abschlussdetektion,
  • die Wundversorgung und
  • die Übergabe der nicht gehfähigen Patienten an das Sanitätselement, das die Patienten zur Weiterbehandlung bringt oder diese durchführt.

Das dritte Zelt dient der Dekontamination gehfähiger Verletzter und der Eigendekontamination (Kapazität: 25 Personen pro Stunde). In diesem erfolgen

  • die vollständige Entkleidung gehfähiger Patienten mit Hilfe des Sanitätspersonals und gegebenenfalls die Entfernung der Haare gehfähiger Patienten,
  • die Wunddekontamination bei gehfähigen Patienten,
  • die vollständige Körperdekontamination gehfähiger Patienten sowie die Eigendekontamination des Sanitätspersonals,
  • die Abschlussdetektion gehfähiger Patienten sowie die Abschlussdetektion des Sanitätspersonals,
  • die Wundversorgung gehfähiger Patienten und
  • die Übergabe der gehfähigen Patienten an das Sanitätselement, das die Patienten zur Weiterbehandlung bringt oder diese durchführt.

Das vierte Zelt ist das Verbindungszelt bzw. das Zelt für die medizinische Weiterbehandlung.

Die gesamte Anlage ist aufgrund der aufblasbaren Zelte nur 25 Minuten nach Eintreffen am Einsatzort betriebsbereit. Während dieser Zeit ist bereits der uneingeschränkte Betrieb des Notdekontaminationselementes möglich.

Mit der derzeitigen Ausstattung ergibt sich für den Vollbetrieb ein Platzbedarf von 30 x 30 Metern auf ebenem, wenn möglich befestigtem Untergrund, z. B. einer asphaltierten Fläche. Der Aufbau erfolgt für gewöhnlich an der Grenze der "heißen" (kontaminierten) zur reinen Zone. Ebenso ist ein Einsatz der Anlage im Eingangsbereich eines Krankenhauses als Schleuse grundsätzlich möglich (abhängig von der konkreten Situation).

Durch Abstützung auf ein Dekontaminationsfahrzeug besteht eine weitgehende Autarkie betreffend Strom und Wasser.

Die Zelte sind beheizbar und werden mit einem dauernden Luftstrom vom reinen in den kontaminierten Bereich versehen, aus dem die Luft zur Verhinderung einer Kontaminationsverschleppung nur mehr über ein Filtersystem entweichen kann. Aus demselben Grund wird auch das kontaminierte Abwasser gesammelt.

Zum Schutz der Patienten - speziell im Falle chemischer Kampfstoffe - ist jedoch eine volle Klimatisierung der Zelte unbedingt erforderlich. Diese soll spätestens Ende 2009 verfügbar sein.

Das gesamte eingesetzte Personal erhielt bereits neu beschaffte Kühlwesten, die die Durchhaltefähigkeit bei "sommerlichen" Temperaturen deutlich verbessern.

Die Anlage auf einen Blick

Aufgabe: Notversorgung und Dekontamination liegender und gehfähiger Verletzter im Falle einer ABC-Kontamination.

Grobgliederung (einsatzabhängig): 1 Notdekontaminationselement (4 Personen, 1 Kraftfahrzeug), 2 bis 4 aufblasbare Zelte mit Zubehör einschließlich Transportfahrzeugen und 1 Dekontaminationsfahrzeug (u. a. zur Versorgung der gesamten Anlage mit Strom und Wasser).

Personal (einsatzabhängig): ca. 25 Personen.

Platzbedarf: ca. 30 x 30 Meter.

Aufbauzeit: ca. 25 Minuten.

Kapazität: 12 liegende und 25 gehfähige Patienten pro Stunde.

Ein Anwendungsbeispiel

Zur Veranschaulichung des Einsatzes der Anlage soll als Beispiel die Dekontamination verletzter, nicht gehfähiger Personen, die von den Rettungs- und Bergekräften angeliefert wurden, dienen.

Besteht Unklarheit über die Art der Kontamination, erfolgt ein Spürvorgang mit dem Strahlenspürgerät ASMG 90, dem Enhanced Chemical Agent Monitor (ECAM; ein Handgerät zum Aufspüren chemischer Kampfstoffe an Personen und Gegenständen) bzw. mit Kampfstoffnachweispapier. Beim Vorhandensein chemischer Kampfstoffe wird eine sofortige Notdekontamination vorgenommen.

Daraufhin werden die Patienten auf Spezialtragen und auf Krankentragenfahrgestellen nacheinander ins Triagezelt gebracht. Hier erfolgen die Registrierung, die Triage mit Anweisungen zur Dekontamination und die ärztliche Erstversorgung. Zum Standard zählen die Verabreichung von Gegenmitteln (Antidotgabe) und die Schmerzstillung bzw. eine Narkose, um eine effektive, schmerzfreie Wunddekontamination zu ermöglichen. Die Verabreichung der Medikamente erfolgt nach Möglichkeit intramuskulär, weil der Schutzanzug dem Sanitätspersonal feinmotorische Arbeiten wie z. B. eine Venenpunktion erheblich erschwert.

Anschließend werden die Patienten - nun bereits auf der "Schienenstraße" - ins Dekontaminationszelt transportiert, in dessen erstem Abschnitt die vollständige Entkleidung, die eventuelle Rasur der Kopfhaare sowie die Dekontamination von Wunden durchgeführt werden.

Nach dem wasserdichten Verschluss der Wunden erfolgt, ebenfalls auf der "Schienenstraße", der Weitertransport in den zweiten Abschnitt des Zeltes, wo die Patienten im Zuge einer Nassdekontamination völlig dekontaminiert werden. Dazu dienen - in Abhängigkeit von der schädigenden Substanz - Hypochlorit, Wasserstoffperoxyd und medizinische Flüssigseife.

Weil auch die Nassdekontamination über einer Wanne stattfindet, kommt es zu keiner Kontamination des umgebenden Erdreichs. Dekontaminationsmittel und gelöste Schadstoffe werden in einen Falttank gepumpt und können somit fachgerecht entsorgt werden.

Schließlich werden die Patienten nacheinander auf der "Schienenstraße" in den dritten Abschnitt des Zeltes geschoben, wo die Nachkontrolle erfolgt. Mittels einer neuerlichen Detektion wird dabei der Erfolg der Dekontamination überprüft. Anschließend trocknen die Sanitätskräfte die Patienten ab und verbinden ihre Wunden neu, falls dies erforderlich ist.

Versehen mit Einmalbekleidung oder einer Aludecke werden die Patienten danach von den Rettungstransportkräften übernommen.


Autor: Oberstarzt Dr. Ewald Esterer, Kommandant der Feldambulanz des Sanitätszentrums West, Jahrgang 1955. Grundwehrdienst 1984. Seit 1990 Dienst in der Sanitätsanstalt Salzburg. Einsätze bei UNFICYP, in Kaprun (nach der Brandkatastrophe im Tunnel der Standseilbahn) sowie in Sri Lanka (nach einem Tsunami) und Thailand (ebenfalls nach einem Tsunami).

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