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Der Zweck der bewaffneten Macht (II)

Zur Transformation der europäischen Streitkräfte im 21. Jahrhundert

Politische Strategen haben für die Konfiguration und die Einsatzfähigkeit einer bewaffneten Macht ein neues Konzept entwickelt, das unter dem Begriff "Transformation" umgesetzt wird.

Transformation

Die Definition des U.S.-Verteidigungsministeriums für Transformation lautet: "Transformation is a process that shapes the changing nature of military competition and cooperation through new combinations of concepts, capabilities, people and organizations that exploit the Nation’s advantages, and protect against our asymmetric vulnerabilities to sustain our strategic position, which helps underpin peace and stability in the world." Transformation ist ein Prozess, der das sich ändernde Wesen militärischer Auseinandersetzungen und militärischer Zusammenarbeit gestaltet und zwar durch neue Verknüpfungen von Konzepten, Fähigkeiten, Humanressourcen und Organisationsstrukturen, die der Nation zum Vorteil gereichen und Schutz gewähren gegenüber unseren asymmetrischen Verwundbarkeiten, um unsere strategische Position zu untermauern, die hilft Frieden und Stabilität in der Welt zu festigen.

Es wird damit die Notwendigkeit des Umbaues der Streitkräfte erkannt und zur Grundlage genommen, um die künftigen Bedrohungen meistern zu können. Für die Deutsche Bundeswehr ist Transformation in den strategischen Vorgaben ein permanenter Prozess: "Die Bundeswehr stellt sich diesen Entwicklungen durch den Einstieg in einen Prozess permanenter Anpassung. Die Gestaltung dieses Anpassungsprozesses geschieht durch Transformation." (Anm.: Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Köln 2006, S. 102). Damit sollen alle jene Herausforderungen, die die neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen vorgeben, effektiv und effizient gemeistert werden. Die bewaffnete Macht soll, in jeder Lage erfolgreich eingesetzbar sein - ein legitimer Wunsch jedes politischen Strategen, wenn er bereit ist, bewaffnete Macht als ein Instrument der Politik anzuerkennen.

Wenn die Transformation die gesamten Streitkräfte betreffen soll, um sie für die Bewältigung der sicherheitspolitisch-militärischen Herausforderungen leistungsfähig zu machen, so stellt sich im gleichen Ansatz die Frage, welche Bereiche oder Ebenen der bewaffneten Macht dies in welcher Weise betrifft.

Das Militär ist im Allgemeinen ein spezielles System, das - wie jede andere Organisation - nach bestimmten Regeln funktioniert und typische Fertigkeiten aufweisen muss. Als bewaf- fnete Macht eines Gemeinwesens muss das Militär fähig sein, im Krieg zu bestehen und einen Waffengang so anzulegen, dass sich daraus ein Sieg oder zumindest eine so vorteilhafte Situation ergibt, dass das Überleben des Gemeinwesens gesichert bleibt. Verfügt es über diese Fähigkeiten nicht, und es beispielsweise nur in der Lage ist, Unterstützung bei Katastrophen zu leisten, ist es nicht als "Militär", sondern als "Katastrophenhilfsdienst" zu bezeichnen.

Ebenso gilt dies für bewaffnete Verbände, die ausschließlich zur Überwachung oder Bewachung im Rahmen von Polizeiaufgaben herangezogen werden. Dabei handelt es sich dann um Assistenzkräfte für die Polizei im Allgemeinen oder spezielle Polizeiverbände im Besonderen - Militär kann dies zwar auch leisten, aber um als solches bezeichnet werden zu können, muss es mehr können.

Das Militär muss Krieg - aber nicht notwendiger Weise einen Eroberungskrieg - führen können. Es stellt sich also auf der militärisch-taktischen Ebene die Frage nach der Transformation des Militärhandwerks.

Militärisch-taktische Ebene

Nun sind die Streitkräfte der meisten europäischen Staaten zur konventionellen Kriegsführung ausgerichtet, also für einen Waffengang, der in der Regel den höchsten Blutzoll unter den Soldaten fordert. Angriff und Verteidigung im Kampf der verbundenen Waffen sind nach wie vor die komplexeste Form der Konfliktaustragung und verlangen daher die beste Ausbildung an den Waffen und am Gerät sowie eine hohe Opferbereitschaft von den Angehörigen eines Gemeinwesens.

Wer daran Zweifel hegt, der möge die Ausfallszahlen eines durchschnittlichen Kampftages einer Streitmacht während des Zweiten Weltkrieges mit denjenigen gegenwärtiger Kriegseinsätze wie beispielsweise im Irak oder in Afghanistan vergleichen. Der von den USA im Jahr 2003 begonnene Krieg im Irak dauert schon sechs Jahre an.

Ein Vergleich der Ausfallszahlen mit denjenigen von U.S.-Soldaten während des Zweiten Weltkrieges belegt ganz eindeutig, dass konventionelle Konflikte zwischen "symmetrischen" Gegnern dem Gemeinwesen weit mehr Opferbereitschaft hinsichtlich Aufbietung und Ausfallsrisiko für seine Bürger abverlangt als jede andere Form der bewaffneten Konfrontation. So zählen seit Beginn des Irak-Krieges die USA mehr als 4 000 Tote und an die 70 000 Verwundete (Siehe: http://www.veteransforcommonsense.org/articleid/9200, vom 3. März 2009), die US-amerikanischen Ausfälle während des Zweiten Weltkrieges betrugen im Zeitraum von 1941 bis 1945 rund 400 000 Gefallene und 600 000 Verwundete (Vgl.: Ellis, John: World War II/A Statistical Survey, New York 1993, S. 254).

Derzeit laufende militärische Operationen und kriegerische Handlungen erreichen dieses Niveau des konventionellen Aufeinanderprallens von Streitkräften nur in Ausnahmefällen; zur Regel wurden vielmehr kleinkriegsartige Gefechte und Scharmützel bei der Kontrolle und Überwachung von Regionen und Ortschaften. Hinzu kommen terroristische Aktivitäten, denen die Streitkräfte ausgesetzt sind. Sie haben sich in ihrer Dimension der Austragung des Kampfes zwar gesteigert, aber, vielleicht mit Ausnahme der Verwendung von Linienflugzeugen als Lenkwaffen, nicht wirklich Bahn brechend Neues hervorgebracht. All das wird heute unter dem Begriff der asymmetrischen Kriegsführung zusammengefasst.

Mit dieser Art von Einsätzen jedoch vermochten Streitkräfte bereits in früheren Epochen fertig zu werden. Allein im 20. Jahrhundert finden sich zahlreiche Beispiele, die den erfolgreichen Einsatz von Streitkräften gegen Formen der subkonventionellen Kriegführung belegen: So schlug der britische Oberbefehlshaber für Südafrika, Lord Kitchener, die aufständischen Buren im Jahre 1901 nieder. Der erfolgreiche Einsatz von regulären Truppen gegen Rebellenbewegungen wie die Mau-Mau-Bewegung in Kenia, der gescheiterte Guerillakampf Che Guevaras in Bolivien, die erfolgreiche Bekämpfung der SWAPO-Einheiten durch südafrikanische Gegenjagdkräfte und zahlreiche andere mehr lassen darauf schließen, dass Militär diese Form der Bedrohungen bewältigen kann.

Zur Bezwingung von Kleinkriegskräften bedurfte es zwar einer Neugestaltung der Verbände und oftmals auch zusätzlicher Ausrüstungen, aber grundsätzlich hat sich im militärischen Handlungsspektrum die Grundausrichtung der Streitkräfte kaum geändert.

Die bewaffnete Macht eines Gemeinwesens hatte nach wie vor die Landesverteidigung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu gewährleisten, und dies verlangt, sich immer nach dem nachteiligsten aller anzunehmenden Fälle auszurichten - auch wenn der Verteidigungsfall heute nicht so eindeutig vor Augen liegt, wie während des Kalten Krieges.

Die Streitkräfte eines Gemeinwesens sind auf die schwierigste Form der Konfrontation und damit auf die nachteiligste Variante eines Waffenganges vorbereitet. Daraus ergibt sich zwangsläufig keine Notwendigkeit zur Transformation - die militärischen Kernfähigkeiten des Kampfes der verbundenen Waffen im Rahmen der militärisch-taktischen Verfahren des Angriffes und der Verteidigung müssen durch die Truppe nach wie vor erlernt und beherrscht werden. Alle anderen Formen, wie z. B. Überwachung von Geländeabschnitten, Patrouillentätigkeit, Konvoischutz und dergleichen, wie sie im Rahmen der Friedenseinsätze vermehrt vorkommen, sind Unteraufgaben von Angriff und Verteidigung. Sie werden daher im Rahmen der Ausbildung ohnehin mitgelernt und bedürfen lediglich einer intensiveren Schulung. Das Militärhandwerk als solches lässt daher keine Transformation zu.

Allerdings ist auf der militärisch-taktischen Ebene im soziokulturellen Bereich eine Anpassung der Truppe insofern anzustreben, als diese nun nicht mehr national, sondern vielmehr multinational eingesetzt wird und dabei mehrere Militärkulturen aufeinander treffen.

War es während des Kalten Krieges noch so, dass innerhalb der NATO bis zur Korps-Ebene die Verbände rein national gegliedert waren, geht diese Durchmischung der verschiedenen Nationen heute bis hinunter in die kleinsten Einheiten. Abgesehen von der Notwendigkeit einer Einheitssprache, bei der sich zwar Englisch immer mehr durchzusetzen beginnt, bedarf es mit dieser Zusammenführung auch des Verständnisses für andere Militärkulturen. Dies betrifft insbesondere die EU und ihre Friedenseinsätze, da in diesem Rahmen zwangsläufig mehrere Militärkulturen (NATO-Staaten, Neutrale, ehemalige Blockfreie und ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten) aufeinander treffen.

Die Angleichung der Ausbildungsgänge, des Disziplinarrechts, der Besoldung usw. wären notwendige Schritte in diese Richtung. Frauen als Soldatinnen in den Streitkräften sind ebenfalls ein nunmehr gewichtiges Thema geworden, das im Rahmen der so genannten "Gender-Thematik" Anpassungen erforderlich macht.

Die Friedenseinsätze kennzeichnen den eingesetzten Soldaten als Befreier oder Helfer, keinesfalls jedoch als Eroberer oder Besatzer. Die Truppe vor Ort sollte daher möglichst gut ausgebildet sein, um mit der dortigen Bevölkerung richtig umgehen bzw. in Kontakt treten zu können. Ohne genaue Kenntnisse über den jeweiligen Kulturraum können da sehr leicht Fehler gemacht werden, die möglicherweise den gesamten Einsatz zum Scheitern bringen. Hinzu kommt die notwendige Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, wie beispielsweise Polizeieinheiten, NGOs, Internationalen Organisationen wie OSZE und Rotes Kreuz oder anderen zivilen Kräften. Auch dieser Umstand ist für Einsatzverbände des Militärs nicht selbstverständlich und muss daher ausgebildet werden. Im Extremfall vermischen sich zivile Hilfskräfte und militärische Einheiten oder treten von vornherein als Mischtypen an, wie beispielsweise die österreichische Katastrophenhilfstruppe Austrian Armed Forces Desaster Relief Unit (AFDRU).

Demzufolge sind den Soldaten interkulturelle Kompetenz und Fremdsprachen zu vermitteln. Es bedarf daher auf dieser militärisch-taktischen Ebene einer Transformation des Denkens hinsichtlich der Anpassung an diese, für viele Streitkräfte neuen Strukturen und Arbeitsfelder. Diese sich rasch ändernden Vorgaben für die Auftragserfüllung im Sinne des militärischen Handwerks, müssen den Soldaten ständig angepasst vermittelt werden. Hier macht Transformation, in seiner Diktion als permanenter Prozess, Sinn und trägt wesentlich zum Gelingen des Einsatzes bei.

Militärisch-operationelle Ebene

Wie aber sieht es mit der Transformation in militärisch-operationeller Sicht aus, also hinsichtlich der Verfahren und Organisation der Truppen zur erfolgreichen Auftragserfüllung bezogen auf die Erfordernisse und die Dimension des Einsatzes. Streitkräfte dienen dem Gemeinwesen primär zu seiner Verteidigung, gleich wie immer diese aussieht: Ob nun der Präventivkrieg das bevorzugte Mittel sein soll oder die nachhaltige Verteidigung mit Unterstützung durch Kleinkriegskräfte (Das österreichische Verteidigungskonzept während des Kalten Krieges, Stichwort: Raumverteidigung, hatte beispielsweise neben den regulären Truppen auch den Einsatz vom Kleinkriegskräften, so genannten "Jagdkampfkräften" vorgesehen.) oder die Abwehr terroristischer Aktivitäten, sei hier nicht zur Diskussion gestellt. (So erklärte beispielsweise der russische Generalstabschef Juri Balujewski im Jänner 2009 bei einer Militärkonferenz in Moskau Folgendes: "Um die Souveränität und die territoriale Integrität Russlands und die seiner Verbündeten zu verteidigen, wird militärische Gewalt eingesetzt, was den präventiven Einsatz von Atomwaffen einschließt") (Vgl.: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,529654,00.html vom 4. März 2009) Es ist der Zweck dieses Handelns, der immer derselbe bleibt: die Verteidigung des Gemeinwesens - im gegenwärtigen Kontext: die Verteidigung des EU-Territoriums. Die im Rahmen der ESVP für die Union ausgegebenen Richtlinien ziehen dies auch nicht in Zweifel. Allerdings hat neben der Aufgabe der klassischen territorialen Landesverteidigung noch die Ausrichtung auf Einsätze außerhalb des Unionsgebietes zu erfolgen. Daher sind die Truppen für die Erfordernisse der konventionellen Landesverteidigung zu konfigurieren, um für den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein. Allerdings ändert sich die Gewichtung der Waffengattungen bezogen auf die Einsatzwahrscheinlichkeit dramatisch.

Es ist derzeit von einer mehr oder weniger kleinen Bereitschaftstruppe und von zahlenmäßig umfangreichen Reserveverbänden auszugehen. Für eine wirkungsvolle Landesverteidigung bedarf es nach wie vor schlagkräftiger Verbände in dem der Verteidigungsaufgabe angepassten Umfang. Es wäre also falsch, die Kräfte zur Heimatverteidigung massiv zu reduzieren, nur weil derzeit keine umfassende und unmittelbare Bedrohung besteht. Dies käme dem kontraproduktiven Ansinnen einer Dorfgemeinschaft gleich, ihre Feuerwehrausstattung auf ein Kommandofahrzeug zu reduzieren, weil es die letzten zehn Jahre nicht gebrannt hat.

Da im militärischen System das gesamte Spektrum der Möglichkeit zum Kampf der verbundenen Waffen abgebildet sein muss, stellt sich allerdings die Frage nach der Zusammensetzung der präsenten Kräfte, der Bereitschaftstruppe für die eben notwendigen Einsätze. Diese benötigten Kräfte sind für den unmittelbaren Einsatz permanent bereit zu halten, während andere Waffengattungen oder Elemente lediglich die Reserven nähren, also in der Präsenzorganisation schwergewichtsmäßig als Ausbildungsverbände vorhanden sind.

Jede Epoche weist ihre besonderen Formen der Bedrohung auf und bedarf daher ihrer jeweils speziellen Streitkräftekonfiguration: Während der Zeit des Kalten Krieges stand die unmittelbare Verteidigung des Territoriums im Vordergrund und daher waren es die mechanisierten Verbände, die schweren Kampfpanzer und die Artillerie, die dem Gegner den ersten Widerstand entgegensetzen sollten, um solange zu halten, bis das Gros der Verteidigungskräfte mobilgemacht werden konnte. Ähnliches galt für die Luftwaffe, die in einem solchen Kriegsszenario weit im Hinterland des Gegners zu operieren hatte, um die strategischen Reserven zu treffen oder die gegnerische Luftmacht abzuwehren und die eigene Luftherrschaft zu sichern.

Als erste große Herausforderung galt die reibungslose Durchführung der Mobilmachung. Als präsente Kräfte wurden daher die schweren Panzer- und Artillerieverbände sowie Bomberverbände und Jagdflugzeuge bereitgehalten. Die restlichen Truppengattungen - ausgenommen Spezialeinsatzkräfte - stellten vornehmlich Ausbildungseinheiten der stehenden Streitkräfte für das Reserveheer.

Diese rasch verfügbaren Bereitschaftstruppen müssen, den heutigen Herausforderungen entsprechend, über tausende Kilometer verlegbare Verbände sein. Da eine Vielzahl der Einsatzgebiete in gebirgigen Regionen liegt, bestehen diese Verbände oftmals aus Gebirgstruppen oder gebirgstauglichen Infanteristen. Für diese Zwecke bedarf es im Bereich der Luftwaffe nun vornehmlich der strategischen Transporter und Kampfflugzeuge, die für mehrere Zwecke Verwendung finden können, wie Begleitschutz, Luftnahunterstützung und Luftaufklärung.

Die Einsatzführung benötigt aufgrund des umfangreichen Spektrums zur Kriegsverhinderung umfassende Strukturen. Streitkräfte ausschließlich mit diesen Aufgaben zu betrauen greift zu kurz; vielmehr bedarf es in den gegenwärtigen Krisenszenarien, wie bereits dargelegt, des Einsatzes von Polizeikräften, ziviler Hilfsorganisationen und Militär gemeinsam. Die Truppen sind daher auch darauf auszurichten.

Aus dem Wandel der Einsatzerfordernisse ergibt sich eine Notwendigkeit zur tiefgreifenden Umgestaltung der Streitkräfte, einer Transformation, die dazu zwingt, die Priorität der Waffengattungen zu ändern.

Die Panzerwaffe und die Artillerie müssen, wie im Luftbereich Bomber und Jagdflugzeuge, von ihrer vorrangigen Stellung zurücktreten und den nunmehr stärker gewichteten Waffengattungen den ersten Platz einräumen. Dies ist keine leichte Aufgabe, da die neuen präsenten Verbände erst als Bereitschaftstruppe aufgebaut werden müssen, während die nun stehenden Teile der "alten Bereitschaftstruppe" auf ein Maß reduziert werden muss, das den Anforderungen als Teil der Reserve gerecht wird. Dieser zwingend notwendige Prozess der Anpassung an die neuen Gegebenheiten vollzieht sich als Transformationsprozess über einen längeren Zeitraum.

Militärstrategische Ebene

Die dritte Ebene betrifft die strategische Ausrichtung der Streitkräfte, die ebenfalls diesem Anpassungsprozess zu unterziehen ist. Auf dieser Ebene geht es um das System Militär selbst. Wie bereits im Kapitel "Schwert & Schild" (Anm.: Der Zweck der bewaffneten Macht, Teil I, TD-Heft 4/2009) dargelegt, bedarf es immer zweier Komponenten, um die effiziente Verwendung des Instrumentes Militär zu gewährleisten - nämlich der als Bereitschaftstruppe konfigurierten präsenten Kräfte einerseits und der aufwuchsfähigen vorbereiteten Reserveverbände andererseits.

Nun ist nach der Implosion des Sowjetimperiums 1990 die unmittelbare Bedrohung durch einen übermächtigen Gegner in Europa, aber auch weltweit, weggefallen. Europa selbst wuchs immer mehr zu einem Staatenbund zusammen, und es hatte lange Zeit den Anschein, als wäre die klassische Landesverteidigung und deren Vorbereitung für die einzelnen Staaten nicht mehr notwendig. Viel zu blauäugig und auf die Abschöpfung der Friedensdividende aus dem Kalten Krieg bedacht, begann eine Vielzahl der europäischen Staaten das System der allgemeinen Wehrpflicht abzuschaffen und kleine stehende Heere aus Freiwilligen zu konfigurieren. Man glaubte in dieser seltsamen Euphorie, Europa wäre ohnehin sicher, und man könne ausschließlich mit einer kleinen Bereitschaftstruppe das Auslangen finden.

Nun zeigte sich aber bald, dass das "Ende der Geschichte" sich nicht einstellen wollte und Europa nach einem Prozess des langsamen Lösens aus der amerikanischen Umarmung erkannte, dass die Union als wirtschaftlicher Riese nun auch beginnen müsste, sich politisch zu positionieren bzw. als globaler Akteur aufzutreten.

Mit dem Ende der bipolaren Blockkonfrontation hatten die USA ihren bisherigen Schwerpunkt Europa aufgegeben. Die von den Westeuropäern zwar nicht gern zugegebene, aber dennoch nicht ungern ertragene sicherheitspolitische Bevormundung durch die USA während des Kalten Krieges war weggefallen. Die einzelnen europäischen Staaten haben jetzt ihre Interessen weltweit selbst zu vertreten, sollte diese EU über längere Zeit Bestand haben wollen und nicht das Schicksal erleiden müssen, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Durch die Teilung des europäischen Kontinentes in der vorangegangenen Epoche waren seine Staaten hier und dort Frontland gewesen. Der beurteilte Hauptkriegsschauplatz lag in Zentraleuropa - und darauf wurden die konventionellen Streitkräfte ausgerichtet. Strategischer Verlegekapazität und strategischer Aufklärungskapazität bedurfte es nicht, beides wurde von den Großen, den USA und der Sowjetunion, erledigt. Nach dem Kalten Krieg wurde daher zunächst die Frontlandsituation bereinigt: die ortsfesten Verteidigungsanlagen abgebaut, der Streitkräfteumfang verkleinert, Investitionen in die Streitkräfte nicht oder in zu geringem Umfang getätigt und das dadurch Eingesparte für andere Zwecke ausgegeben.

Aus sicherheitspolitisch-strategischer Sicht sollten nach dem weltweiten Anstieg der regionalen Kriege und Konflikte Truppen zu deren Befriedung zur Verfügung stehen - jederzeit einsetzbar, gut ausgebildet, ohne politische Probleme zu verursachen, und vor allem kostengünstig. Dazu bot sich die Einführung des Freiwilligenheeres geradezu an. Die Landesverteidigung selbst blieb zwar als Prämisse in den Doktrinen, ihre konkrete Umsetzung wurde in vielen Ländern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Der Grund für diese Vorgehensweise liegt im gesellschaftlichen Bereich: Der Kalte Krieg war gewonnen worden und die unmittelbare Bedrohung war weggefallen. Für die Bürger ein guter Grund, die bislang hohen Verteidigungsausgaben und Aufwendungen zu hinterfragen, ebenso wie die allgemeine Wehrpflicht. Anstatt dem Bürger die demokratiepolitische Notwendigkeit der Wehrpflicht zu erklären, wurde dem Ansatz der zur Dekadenz neigenden postmodernen Spaßgesellschaft nachgegeben.

Diese beiden Stoßrichtungen - einerseits die Notwendigkeit zum weltweiten Agieren auch mit Streitkräften und andererseits die Unwilligkeit Mittel für die Landesverteidigung aufzuwenden, nachdem ihre Sinnhaftigkeit durch den Utilitarismus (Zentrale Aussage des Utilitarismus: Handle so, dass für dich das größtmögliche Maß an Glück entsteht) - einer konsumorientierten Spaßgesellschaft in Frage gestellt worden war, machten das kleine stehende Heer, gebildet aus Freiwilligen, so populär.

Rasch einzuberufende Reserven für eine Mobilmachung waren in diesem Konzept nicht vorgesehen, ebenso wenig das für die Demokratie so bedeutsame Recht des Bürgers, im Militärhandwerk ausgebildet zu werden. Das Militär wurde also auf der strategischen Ebene in vielen Ländern von Streitkräften, die auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht fußten, zu Berufsheeren ohne nennenswerte Reserven transformiert. Damit wurde aus vordergründig politischer Zweckrationalität ein Fehler begangen, der Europa in seinen Verteidigungsanstrengungen lähmt. Zusätzlich wurde seit 1990 die "alte Bereitschaftstruppe" nur sehr schleppend und durch Einsparungen verzögert abgebaut, aber keine wirklich neuen Strukturen geschaffen. Das alte System wurde in seiner Konfiguration aber vielfach weitergetragen. Schuld daran waren die Reformunwilligkeit militärisch Verantwortlicher und der mangelnde politische Wille, in Sicherheit und Landesverteidigung zu investieren.

Wenn ein Freiwilligenheer das System der allgemeinen Wehrpflicht ersetzen soll, dann muss neben den klein gehaltenen präsenten Kräften eine Freiwilligenmiliz aufgeboten werden, die in Kräfteumfang und Fähigkeiten eine effiziente Landesverteidigung zu gewährleisten vermag. Das stimmt aber nicht mit der angestrebten Einsparung von Kosten für Verteidigungszwecke überein, da die Einführung eines verteidigungsfähigen Freiwilligenheeres einen merkbaren Kostenanstieg mit sich bringt.

Besonders deutlich zu sehen ist dies vor allem bei den Ausgaben für die "All Volunteer Force" der U.S.-Streitkräfte. Die USA wenden etwa vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben auf.

Zudem macht sich, vor allem von den USA ausgehend, ein Trend breit, Sicherheit überhaupt auszulagern und damit Einbrüche in das staatliche Gewaltmonopol zuzulassen. Die derzeit im Rahmen des Irak-Einsatzes boomenden privaten Sicherheitsfirmen (Private Military Companies) sind von Regierungen angeheuerte Dienstleister, die militärische Aufgaben übernehmen. Dies erscheint besonders bedenklich weil der Staat für sensible Bereiche Firmen einstellt, die sich in moralisch-sittlicher Hinsicht sowohl bei der Ausbildung und Erziehung als auch im Einsatz der Überprüfung durch die staatlichen Kontrollinstanzen weitgehend entziehen.

Ein Vertrauen auf die Verhaltensregeln, denen Soldaten unterliegen, ist für bewaffnete Firmenangehörige nicht mehr in vollem Umfang gegeben. "Der private Gewaltmarkt bewirkt somit eine Zersplitterung der Kontrolle von Gewalt. Das staatliche Gewaltmonopol, das sich im Verlauf von Jahrhunderten als zentrales, die Moderne kennzeichnendes Charakteristikum territorialer Herrschaft entwickelt hat, wird dadurch untergraben. Die damit verbundene Trennung von privater und öffentlicher Sache wird durch die Privatisierung der Gewalt verwischt." (Vgl.: Seidl, Robert: "Private Sicherheits- und Militärfirmen als Instrument des staatlichen Handelns"; Hans-Seidel-Stiftung, "aktuelle analysen", Nr. 51, München 2008, Seite 24) In den Streitkräften dient der Bürger - und er dient seinem Gemeinwesen.

Der Bürger ist Soldat und bereit für die Existenz seines Staates zu kämpfen. Er ist also kein angeworbenes "Schlachtvieh", das ins Feld geführt wird. Auch als Berufssoldat ist dieser in erster Linie Bürger und kein bezahlter Söldner. Er ist vielmehr von der sittlichen Idee der Verteidigung seines Staates beseelt und für diesen, dessen Teil er ist, vollführt er seine Aufträge, er opfert sich in letzter Konsequenz für seinen Staat. Ist der Einsatz zu Ende, kehrt der Bürger entweder wieder auf seinen frühren Arbeitsplatz in der Zivilwirtschaft zurück oder er wird - als Berufssoldat - wieder in den Friedensbetrieb der Streitkräfte übergeführt.

Gänzlich entgegengesetzt verhält sich dies beim privaten bewaffneten Dienstleister: Wenn ein Krieg oder ein Einsatz vorbei ist, muss sich dieser nach einem neuen "Arbeitsplatz" umschauen, schließlich hängt er als "bewaffneter Arbeiter" vom Arbeitslohn ab und kann nicht in militärische Friedensstrukturen rückgeführt werden.

Private Militärfirmen benötigen Einsätze, um existieren zu können. Vordergründig scheinen sie ja praktisch zu sein, sie agieren im Gegensatz zu den regulären Streitkräften außerhalb der politischen Kontrolle durch Parlamente und andere demokratisch legitimierte Einrichtungen. Für die politischen Auftraggeber sind sie also relativ leicht handhabbar. "Durch den Einsatz privater Sicherheitsakteure erhöht sich der Handlungsspielraum der Politik, da gefallene Privatsoldaten weitaus weniger negative Publicity bedeuten als der Tod regulärer Soldaten, die durch eine Autobombe oder einen Hinterhalt ums Leben kommen." (Siehe: Private Sicherheits- und Militärfirmen - Ein globales Faktum des internationalen Krisenmanagements. In: Österreichische Militärische Zeitschrift 4/2008, S. 481).

Was aber, wenn der Krieg vorbei ist? Es ist kaum zu erwarten, dass sich, obwohl sie nicht mehr benötigt werden, diese Firmenstrukturen dann freiwillig auflösen. Es bleibt jedenfalls abzuwarten, ob man die Geister, die man rief, dann auch wieder loswird. "Als eigenständige und autonome Akteure können sie (die privaten Militärfirmen; Anm.) mit staatlichen Sicherheitsbehörden sowohl kooperieren als auch in Konkurrenz treten." (Anm.: Österreichische Militärische Zeitschrift 4/2008, S. 481). Die Transformation der Streitkräfte auf strategischer Ebene von regulären Streitkräften zu privaten Militärfirmen zu sehen wäre eine Fehlentwicklung.

Die Transformation auf der militärstrategischen Ebene zur Anpassung der Streitkräfte an die neuen Herausforderungen ist dort, wo die umfassende Landesverteidigung durch ein kleines militärisches Element zur Bedienung von Einsätzen außerhalb des Unionsgebietes ersetzt wurde, als gescheitert zu betrachten. Transformation muss daher auf der militärstrategischen Ebene eine Anpassung an die sicherheitspolitischen Herausforderungen darstellen - keinesfalls darf Transformation zur Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols und zum Verlust der Wehrfähigkeit führen.

Perspektiven

Die Europäische Union etabliert sich im Weltgefüge als Großmacht. Zu den Instrumenten ihrer Politik zählt auch die militärische Komponente, die sie in erster Linie in von Friedensmissionen einzusetzen gedenkt. Im Rahmen der ESVP ist jedoch auch die gemeinsame Verteidigung Europas als Ziel festgelegt, wodurch sich - wie bei jedem Gemeinwesen - die Notwendigkeit ergibt, Streitkräfte bereitzuhalten. Diese teilen sich in der Regel in die Bereitschaftstruppe oder die zahlenmäßig geringen stehenden Streitkräfte auf, also das so genannte "Schwert", um jederzeit für Einsätze in und außerhalb des EU-Territoriums bereit zu sein. Den zweiten großen Teil, also den so genannten "Schild", bilden die Reserven - Truppen, die erst über eine Mobilmachung zu den Waffen gerufen werden. Sie sind das Rückgrat der Heimatverteidigung und die Aufwuchsreserve für die präsenten Kräfte.

Die derzeitige sicherheitspolitische Situation misst den Einsätzen außerhalb des EU-Territoriums mehr Gewicht zu als allen anderen Aufgaben, wobei allerdings die grundsätzliche Forderung zur Fähigkeit der Verteidigung des EU-Raumes aufrechterhalten bleibt. Die Streitkräfte sind daher gefordert, sich diesen neuen Gegebenheiten anzupassen - als Konzept dafür wurde die so genannte "Transformation" entwickelt.

Aus dem bisher Dargelegten lässt sich erkennen, dass für die europäischen Streitkräfte zwar eine zwingende Notwendigkeit zu einer Transformation besteht, allerdings ist dabei auf die einzelnen Argumentationsebenen einzugehen. Während sich für die militärisch-taktische Ebene hinsichtlich der Betrachtung des Militärhandwerkes kein grundlegender Bedarf ergibt, besteht dieser in der soziokulturellen Heranbildung der Streitkräfte für die neuen Erfordernisse. Die militärischen Kernfähigkeiten müssen daher erhalten bleiben und weiter geschult werden, alle einfacheren, weil aus diesen Kernfähigkeiten ableitbaren Aufgaben wie Überwachung, Bewachung, Schutz usw. sind lediglich intensiever zu schulen.

Für die militärisch-operationelle Ebene ergibt sich ein grundlegender Transformationsbedarf aus der Änderung der Gewichtung in den Waffengattungen: Waren früher die schweren Kampfverbände, wie die Panzerwaffe, die Träger des unmittelbaren Einsatzes und stellten daher den Großteil der Bereitschaftstruppe, so sind es heute die leichten, hochmobilen und rasch über weite Strecken verlegbaren Kräfte. Diese Umwandlung der Streitkräfte lässt sich erfolg-versprechend nur langsam und in Etappen vollziehen, ist aber für die hinkünftige Auftragserfüllung essentiell.

Auf der strategischen Ebene ergibt sich im Zuge der Transformation von Streitkräften ein Trend zum Abgehen von der Wehrpflicht und der Konfiguration kleiner Berufsheere, die nicht mehr die Fähigkeit zur Landesverteidigung besitzen, sondern lediglich für die gegenwärtig als wichtig beurteilten Einsätze außerhalb des EU-Raumes herangezogen werden können. Dieser Trend verstärkt sich durch die immer beliebter scheinende Verwendung privater Militärfirmen, wodurch das Gewaltmonopol der regulären Streitkräfte und letztendlich des Staates untergraben wird. Beides erscheint sicherheitspolitisch äußerst bedenklich. Besonders für Demokratien! Dort macht der Bürger die Politik; er bestimmt den Einsatz der Streitkräfte. Wird also der Staat bedroht, entscheidet der Bürger, sich als Soldat ins Feld zu begeben und die Bedrohung abzuwenden. Deutlich tritt dieser Aspekt beim System der allgemeinen Wehrpflicht hervor, wo die Verpflichtung zum Anlegen der Uniform bei Gefahr für den Staat jeden gleichermaßen betrifft. Ist der Staat zu wenig gerüstet, dann erzeugt er zu wenig Abschreckungswirkung, um andere von einem Zugriff auf sein Territorium abzuhalten.

In der Demokratie ist es immer der Bürger, der den Grad der Wehrhaftigkeit bestimmt. Daher muss der Bürger auch für seine Politik gerade stehen, er ist damit in die Pflicht genommen und trägt Verantwortung. Er muss im Notfall fähig sein, seine Politik zu verteidigen, auch mit militärischen Mitteln. Demzufolge muss er das Recht bekommen, im Militärhandwerk ausgebildet zu werden.

Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Verteidigung des Gemeinwesens und seiner bewaffneten Macht ergibt sich aus der allgemeinen Wehrpflicht. Allerdings ist dies auch die am schwierigsten zu führende Ausformung bewaffneter Macht. Der Bürger muss von der Gefährlichkeit der Bedrohung bzw. der existentiellen Gefahr für das Gemeinwesen überzeugt sein, ansonsten ist er nicht oder nur schwer für einen Waffengang zu gewinnen. So konnte beispielsweise die Gefährdung der westlichen Demokratien durch ein auf Expansion seiner Ideen bedachtes kommunistisches System in Gestalt der ehemaligen Sowjetunion sehr anschaulich vermittelt werden, wodurch die Sinnhaftigkeit der allgemeinen Wehrpflicht und die entsprechenden Vorbereitungsmaßnahmen auch durch den Bürger getragen wurden.

Für ein Freiwilligenheer ist dieser unmittelbare Zusammenhang zwischen Politik und Verteidigung nicht mehr so deutlich erkennbar. Dennoch sind auch diese Freiwilligen Bürger des Staates, dem sie dienen und handeln folglich nach dessen Interessen. Für die Demokratie gilt daher, dass in diesem Fall die Bürger einen ganz besonderen Teil ihresgleichen - die Freiwilligen eben - in den Einsatz entsenden, zur Vertretung der Politik der gesamten Bürgerschaft. Damit verhält es sich auch mit der allgemeinen Wehrpflicht nicht anders, könnte man einwenden, auch dort müssen nicht alle Bürger ins Feld. Das ist richtig, aber es macht einen großen Unterschied, ob jeder Bürger Soldat ist oder sich unter den Bürgern eine "Kriegerkaste" herausbildet.

Dennoch gilt auch für die Konzeption eines Freiwilligenheeres als oberste Prämisse die Fähigkeit zur Verteidigung und Existenzsicherung des eigenen Gemeinwesens. Freiwilligenheere sind allerdings flexibler einsetzbar, da sie in der Regel die stehende Streitmacht bilden und damit ständig in Bereitschaft gehalten werden. Für eine weltweit agierende Großmacht bringt dieses System zur Durchsetzung seiner nationalen Interessen durchaus Vorteile und es erscheint daher sehr geschickt, einen Teil der Bürger dafür als Freiwillige zu verpflichten. Doch selbst Großmächte kommen nicht ohne entsprechend ausgebildete Reserven aus, wenn sie unmittelbar durch einen ebenbürtigen Gegner bedroht werden. Großmächte mit einem Freiwilligensystem als stehendes Heer, weisen auch immer eine Milizkomponente zur Heimatverteidigung auf.

Zweck der bewaffneten Macht war es bislang, die Verteidigung und Existenzsicherung des Gemeinwesens zu gewährleisten, im Extremfall im Rahmen eines "klassischen" Krieges. Streitkräfte, die auf diesem Niveau zu kämpfen vermögen, können auch für alle anderen Einsätze herangezogen werden.

Für Einsätze außerhalb des eigenen Landes oder zur raschen Reaktion auf Krisenfälle macht es durchaus Sinn, ein stehendes Heer aus Freiwilligen zu etablieren. Erhalten diese Einsätze momentan ein Schwergewicht, so ist mit Reformen darauf zu reagieren und die Soldaten sind entsprechend zu schulen. Der Zweck der Streitkräfte bleibt jedoch unverändert.

Das gilt auch für die Europäische Union, die beginnt als militärischer Akteur weltweit tätig zu werden. Die Aufstellung so genannter Battlegroups und die Umsetzung des SAFE-Projektes, die als Nukleus einer möglicherweise zu bildenden europäischen Armee angesehen werden können, sind notwendig und bedürfen der solidarischen Mitwirkung aller Mitgliedstaaten. Allerdings können weder diese Battlegroups noch die nationalstaatlichen Freiwilligenheere eine umfassende Landesverteidigung gewährleisten. Es bedarf also des Aufbaus von Reserven, der sowohl aus demokratiepolitischen Erwägungen als auch aus ökonomischen Gründen auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhen muss.

Das Endziel der EU-Verteidigungsanstrengungen muss es sein, Streitkräfte in großem Umfang verfügbar zu haben, kleine präsente Bereitschaftstruppen auf EU-Ebene und zahlenmäßig starke Reservetruppen im nationalstaatlichen Bereich, beide abgestimmt auf die jeweiligen Erfordernisse der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Erst dann hat die Transformation ihren Zweck erfüllt.


Autor: Oberst des Generalstabsdienstes MMag. Dr. Andreas W. Stupka, Jahrgang 1963, Eintritt in die Streitkräfte 1982, EF-Ausbildung, Studium an der Theresianischen Militärakademie, Offiziersausbildung in der Waffengattung Fliegerabwehr, ausgemustert 1987, Studium der militärischen Wissenschaften an der Landesverteidigungsakadmie und an der Universität Wien (Ausbildung zum Generalstabsoffizier), ausgemustert 1997. Zahlreiche Kurse und Lehrgänge auf taktischer und operativer Ebene im Rahmen der NATO-PfP, UN-Force-Commanders-Course (strat. Ebene) im April 2005 in Abuja, Nigeria. Seminar Internationale Höhere Führung (strat. Ebene) im September, Oktober 2007 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Deutschland. Studium der Politikwissenschaften und Philosophie, Doktorstudium (nebenberuflich) an der Universität Wien, Promotion zum Doktor der Philosophie 2002. Journalistenausbildung an der Medienakademie in Salzburg. Militärische Verwendungen: Zugs-, Kompanie- und Stabskompaniekommandant; Lehrer für Taktik und Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie, Kommandant des 2. und 3. Stabslehrganges 2; Kommandant des 1. Führungslehrganges 2; Sekretär im Rahmen der Expertenkommission des BMLVS zur Überprüfung der Einführung eines Freiwilligensystems im Bundesheer; Chefredakteur der Österreichischen Militärischen Zeitschrift; Kommandant des Panzerartilleriebataillons 9 (einjährige Truppenverwendung); Chef des Stabes der United Nations Disengagement Observer Force/UNDOF in Syrien/Israel (einjähriger Auslandseinsatz); Leiter des Instituts für Human- und Sozialwissenschaften an der Landesverteidigungsakademie Wien.

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