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"Integrated Missions"

Die neue Generation von Friedensmissionen

Moderne Friedensmissionen verlangen bereits im Planungsprozess ein integriertes, strategisches Einsatzkonzept ("Integrated Mission"), mit dem das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure geregelt wird, um die Effizienz der Mission zu steigern. Das Hauptziel ist die Schaffung von dauerhaft konfliktfreien Strukturen.

Eine umfassende Analyse des UN-Peacekeepings im Jahr 2000 zeigte, dass nur durch integrierte, multidimensionale Lösungsansätze ein für alle Bereiche gültiges Einsatzkonzept erreichbar ist. Friedensmissionen, wie jene im Kosovo (UNMIK) oder aktuell in der sudanesischen Region Darfur (Mission des Nations Unies en République Centrafricaine et au Tchad - MINURCAT) sind Beispiele dafür. Bei diesen Missionen beginnt bereits während der Mandatsverhandlungen im UN-Sicherheitsrat ein interdisziplinärer Planungs- und Abstimmungsprozess, woran die einzelnen Gremien der UNO, potenzielle Truppensteller bzw. weitere Partner (z. B. Non Governmental Organisations) beteiligt sind. Dieser Planungsprozess soll zu einem integrierten, strategischen Einsatzkonzept der "Integrated Mission" führen. In diesem wird festgehalten, wie die verschiedenen Fachbereiche der Friedensmissionen zusammenwirken sollen, um die mit dem Mandat übertragenen Aufgaben bestmöglich zu bewältigen. Dieses Konzept soll auch gemeinsam realisiert werden.

Bei einem derartigen "Integrated Approach" (eingegliederter/ganzheitlicher Lösungsweg) müssen militärische, humanitäre und politische Akteure (z. B. UN-Blauhelme, NGOs) so gut wie möglich an einem Strang ziehen, um dauerhaft konfliktfreie Strukturen schaffen zu können. Diese Art der Planung prägt die gesamte Friedensmission und ist die Richtlinie für deren Gestaltung und Umsetzung. Eine "Integrated Mission" basiert folglich stets auf einem für alle Bereiche (politischer Bereich, Administration, Polizei, Militär) abgestimmten Plan, in welchem alle Beteiligten ihre Prioritäten und (mögliche) Interventionsmechanismen festlegen. Diese bereichsübergreifende Planung und Realisierung soll die Effizienz des UN-Friedensengagements steigern.

Faktoren, die eine Friedensmission in Gang setzen

Die UNO veranlasst eine Friedensmission nur dann, wenn bestimmte Faktoren vorliegen, die das Eingreifen in Konflikte zwischen Staaten - oder innerhalb eines Staates - erfordern. Zu diesen zählt die Verletzung der Menschenrechte. Auch dem Schutz von Zivilisten, insbesondere von Kindern (Stichwort Kindersoldaten) und Frauen, kommt immer mehr Bedeutung zu. Wird einer dieser Faktoren missachtet, greift die UNO auch in die Souveränität eines Staates ein - aber nur, wenn der betreffende Staat selbst den Schutzbedürftigen kein sicheres Umfeld gewährleisten kann.

Bei einem integrierten Peacekeeping-Einsatz geht es daher auch um den Schutz von Zivilisten, den Schutz von Menschenrechten, den Schutz von Kindern bzw. die Berücksichtigung von unterschiedlichen Bedürfnissen beider Geschlechter. (Genderperspektiven; Anm.: Männer und Frauen haben bereits im Frieden oft unterschiedliche Prioritäten. Dies zeigt sich bereits bei grundlegenden Sichtweisen wie z. B. der Berufswahl oder der Freizeitbeschäftigung. Insbesondere in krisengeschüttelten Regionen wird oftmals kaum auf unterschiedliche Bedürfnisse eingegangen.) Der Schutz dieser Faktoren kommt in der Regel auch in den Mandaten des Sicherheitsrates klar zum Ausdruck. Je nach Mandat müssen dem jeweiligen Einsatzraum bzw. dem jeweiligen Einsatzziel angepasste Hilfs- und Schutzprogramme entwickelt werden. Dabei wird auf das Fachwissen von UN-Experten aus den unterschiedlichen Bereichen (z. B. Diplomatie, Polizei, Militär) zurückgegriffen. Diese Experten beraten z. B. die Entscheidungsträger der Friedenstruppe und der Hilfsorganisationen und in weiterer Folge auch die Verantwortlichen des neu zu schaffenden Staatsapparates.

Komponenten und Aufgaben

Military Component - die UN-Blauhelme:

Wenn es erforderlich ist, Frieden zu erzwingen (Peace Enforcement), übernimmt das Militär die Führungsrolle in der Mission. Durch Peace Enforcement soll Frieden zwischen Konfliktparteien, von denen zumindest eine einer Intervention von Friedenstruppen nicht zustimmt, hergestellt werden. Diese im Einsatz von militärischen Kräften und Mitteln intensiven Operationen werden normalerweise nicht von der UNO geführt, sondern an regionale oder überregionale Sicherheitsbündnisse (NATO, EU, etc.) sowie Staatenbündnisse übergeben. Die militärischen Peacekeeper bilden hier generell ein Kernelement. Schließlich kommt ihnen vorwiegend die Aufgabe zu, im Einsatzraum ein sicheres Umfeld für alle Akteure zu schaffen und weiterhin zu gewährleisten. Neben der Überwachung von Räumen und Einrichtungen werden vor allem der Schutz der Zivilbevölkerung und der Schutz der Hilfsorganisationen (z. B. beim Transport und beim Verteilen von Hilfsgütern) immer wichtiger. In Peace Enforcement-Einsätzen überwiegen diese Schutzaufgaben, da der Selbstschutz der eigenen Truppe ohnehin ein Teil der militärischen Aufgaben ist.

Mine Action - die Suche nach Minen und Kampfmitteln:

In Konfliktregionen, wo massive Kampfhandlungen stattgefunden haben, befinden sich meist unzählige Minen und Blindgänger. Die Friedenstruppe muss derartige Kampfmittel zumindest örtlich begrenzt mit speziell ausgebildetem Personal und Sondergerät (EOD-Teams) finden und beseitigen. Dies ist vor allem zu Beginn einer Mission von besonderer Bedeutung, um relativ rasch ein sicheres Umfeld für alle im Einsatzraum agierenden Akteure zu schaffen. Eigens angefertigte Minenkarten sollen die Risiken für Peacekeeper und Zivilisten minimieren. Darüber hinaus soll die ansässige Zivilbevölkerung in intensiven Schulungen das richtige Verhalten im Umgang mit Minen und Blindgängern lernen. Die Kampfmittelbeseitigung ist kostenintensiv und zeitraubend, aber dennoch unverzichtbar. Sie hilft auch, Vertrauen bei der Zivilbevölkerung zu schaffen und gibt den Peacekeepern zusätzliche Sicherheit und mehr Handlungsfreiheit.

Humanitarian Affairs - die humanitären Helfer:

Haben die UN-Soldaten ein sicheres Umfeld im Einsatzraum geschaffen und die Spezialisten der Friedensmission die Bedrohung durch Minen und andere Kampfmittel unter Kontrolle, können humanitäre Maßnahmen auf breiter Front wirksam werden. Der "Humanitarian Coordinator" der Friedensmission steuert die humanitären Aktivitäten der UNO sowie staatlicher und nichtstaatlicher Hilfsorganisationen und sorgt dafür, dass die richtigen Prioritäten gesetzt, Doppelgleisigkeiten vermieden und die beschränkten Ressourcen effizient eingesetzt werden. Die humanitären Helfer benötigen eine gute Kommunikationsbasis mit den militärischen Teilen einer Peacekeeping-Mission. Vor allem ist gegenseitiges Verständnis hinsichtlich der unterschiedlichen Aufgaben ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Police Component - die UN-Polizei:

Polizisten mit dem blauen Barett sind seit Jahrzehnten in Friedensmissionen im Einsatz. Doch auch ihre Aufgaben haben sich gewandelt. Das Überwachen, Beobachten und Melden wurde um Beratungs- und Ausbildungsfunktionen ergänzt. Heute müssen UN-Polizisten vorübergehend oft umfangreiche Aufgaben bewältigen (z. B. im Tschad, wo die UN-Polizei die Rekrutierung, die Auswahl und die Ausbildung der nationalen Polizeikräfte vornimmt). In Zusammenhang mit der "Standing Police Capacity" der Vereinten Nationen kommen inzwischen auch spezielle "Formed Police Units" zum Einsatz (z. B. hat Indien für Friedenseinsätze eine eigene weibliche Polizeieinheit geschaffen). Eine Kernaufgabe der UN-Polizei bleibt jedoch die Reform und Reorganisation lokaler Polizeikräfte. Die Aktivitäten der Polizeikräfte werden mit den Maßnahmen der anderen Akteure einer Mission abgestimmt (Aufgabenteilung). Das zeigt zum Beispiel der aktuelle Einsatz MINURCAT (Tschad): Das Militär sichert das Umland und die Verbindungswege zwischen den Flüchtlingslagern. Innerhalb der Lager sorgen regionale Polizeikräfte, die zuvor durch UN-Polizisten ausgebildet wurden, für Ruhe und Ordnung. Die humanitären Helfer kümmern sich in den Lagern um die Hilfsbedürftigen.

Security Sector Reform - die Sicherheitssektorreform:

Während Militär und Polizei für ein sicheres Umfeld sorgen und durch DDR-Aktivitäten (Disarmament, Demobilisation und Reintegration) das Risiko bewaffneter Auseinandersetzungen eingedämmt wird, können bereits während eines Peacekeeping-Einsatzes erste Peacebuilding-Maßnahmen beginnen. Die Security Sector Reform (SSR - siehe auch TD-Heft 4/2009) ist eine dieser Maßnahmen und eine wesentliche Komponente "mehrdimensionaler" Friedensmissionen. Sie dient dazu, im Einsatzraum wieder ein funktionierendes Rechtssystem herzustellen. Neben der Reform, Reorganisation und Ausbildung von Polizei und Militär des betroffenen Staates geht es bei der "Security Sector Reform" vor allem darum, nationale Justiz und Strafvollzugssysteme wieder zu stärken. Auch die Entwicklung der erforderlichen Gesetzgebung wird unterstützt. Darüber hinaus erleichtert die SSR die Entwicklung einer "Exit Strategy" (Ausstiegsszenario) für die Friedenstruppen. Wenn sichere, stabile Strukturen vor Ort geschaffen wurden, kann die Anwesenheit der Peacekeeper wieder schrittweise reduziert werden.

Rule of Law - die Schaffung eines Rechtsstaates:

Die "Herrschaft des Rechts" ist ein wesentliches Ziel eines SSR-Konzeptes. Beim Aufbau neuer staatlicher Strukturen kann die Unterstützung der Bevölkerung nur erreicht werden, wenn ein Vertrauensverhältnis zum Rechtsstaat existiert. Die Gesetzgebung und deren Vollziehung durch die rechtsstaatlichen Organe sollen die Bevölkerung vor kriminellen Einflüssen bewahren. Für die Bewohner ist es besonders wichtig, dass Verstöße gegen ein neu geschaffenes Rechtssystem strafrechtlich verfolgt und geahndet werden. Dabei hat die rechtmäßige Verurteilung von kriminellen Angehörigen des "alten" Staatsapparates - insbesondere von dessen ehemaligen Sicherheitsorganen - eine besondere Signalwirkung. Derartige Maßnahmen helfen erheblich bei der Vertrauensbildung, stellen jedoch auch eine der größten Herausforderungen für alle eingesetzten Kräfte dar.

Code of Conduct - der Verhaltenskodex:

Das korrekte Verhalten des in einem Einsatzraum eingesetzten Personals gegenüber der lokalen Bevölkerung liegt nicht nur im besonderen Interesse der Vereinten Nationen. Auch die truppenstellenden Nationen sind dazu verpflichtet, diesen Aspekt besonders zu beachten und bereits bei der Einsatzvorbereitung Verhaltensregeln zu definieren. Zahlreiche Missbrauchsfälle (z. B. Ausüben von sexueller Gewalt durch UN-Soldaten in Afrika) in den vergangenen Jahren veranlassten die Vereinten Nationen zu einer "Zero-Tolerance-Policy" (Null-Toleranz), um die Reputation der UNO nicht zu beschädigen und den Erfolg der einzelnen Missionen nicht zu gefährden. Mit breitem Konsens der Mitgliedstaaten wurde ein allgemeiner Verhaltenskodex für Peacekeeper entwickelt. Seitens der UNO werden Vergehen gegen den "Code of Conduct" in der Regel mit der Repatriierung als strengste Maßnahme geahndet. Der Truppensteller hat aber immer die Möglichkeit, einen eigenen "National Investigation Officer" für Untersuchungen vor Ort einzusetzen und eine nationale strafrechtliche Verfolgung einzuleiten.

Weiterentwicklung des Peacekeeping

Für Österreich im Allgemeinen - und für das Bundesheer im Besonderen - ist die Weiterentwicklung des UN-Peacekeepings von großer Bedeutung. Besondere Aktualität erhält das Thema vor dem Hintergrund der österreichischen Vorsitzführung im Sicherheitsrat bzw. feiert Österreich im Jahr 2010 seine 50-jährige Beteiligung an UN-Friedenseinsätzen.

Die Grundidee der "Integrated Missions" ist die Durchführung gemeinsamer Aktionen in "Combined and Integrated Manner". Bereits seit Jahren beschäftigen sich deshalb Gremien, Arbeitsgruppen und nationale Initiativen weltweit und kontinuierlich mit der Reform von Friedensmissionen. Einige Reformvorschläge wurden bereits umgesetzt - vieles bleibt aber zu tun. Die derzeitigen komplexen Herausforderungen erfordern von der UNO - ebenso wie von Unternehmen mit globalem Wirkungsbereich - eine kontinuierliche Anpassung an ein sich ständig änderndes Umfeld. Durch den derzeitigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Österreich die Gelegenheit aktiv am aktuellen Weiterentwicklungs- bzw. Verbesserungsprozess mitzuwirken. Diese Möglichkeit besteht vor allem im zweiten Halbjahr 2009 - während des österreichischen Vorsitzes im Sicherheitsrat im November. Vor allem sollen österreichische Beiträge eine Verbesserung beim Schutz der Zivilbevölkerung, beim Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten, bei der Berücksichtigung von Genderperspektiven bzw. beim Schutz von Menschrechten bewirken. Alle beteiligten Staaten streben nach einer höheren Effizienz der Friedensmissionen. Der Sicherheitsrat, die UN-Mitgliedstaaten und das UN-Sekretariat erarbeiten kontinuierlich Verbesserungs- und Reformierungsstrategien. Die unterschiedlichen Initiativen und deren breiter Ansatz ergaben viele Reformideen. Leider besteht aufgrund der mangelnden Koordination und Kommunikation zwischen den Akteuren auch das Risiko, den Blick auf das Wesentliche zu verlieren und in der Erarbeitung theoretischer Konzepte "stecken zu bleiben". Wesentlich ist, dass die Konzepte in die Praxis umgesetzt werden!


Autoren: Silvia Angerbauer, B.A., Jahrgang 1968. Bachelor-Studium der Betriebswirtschaft am Management-Campus der Fachhochschule Steyr; derzeit Master-Studium "International Marketing Management"; seit 2009 Projektkommunikation "Österreich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen" in der Abteilung Militärpolitik/Referat "Vereinte Nationen & Internationale Organisationen. Zuvor Referentin "Marketing" in der Abteilung Personalgewinnung des Heerespersonalamtes; 2002 eingerückt zum Jägerbataillon 18 in St. Michael; 2007 Ausmusterung als Wachtmeister (Miliz); derzeit Nachhollaufbahn zum Milizoffizier; Mobfunktion: Offizier für operative Kommunikation im Kommando der 4.Panzergrenadierbrigade.

Ministerialrat Oberstleutnant Franz Krawinkler, MAS, Jahrgang 1958. Ab 1981 Wirtschaftsoffizier (WiO) beim LWSR 61, seit 1988 WiO beim Fernmeldebataillon 3, Stabskompaniekommandant, S4; ab 1995 Hauptlehroffizier WiO an der Heeresversorgungsschule; 1996 erste Diplomprüfung der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg, 1995-1998 Absolvierung des XVII. "A"-Aufstiegskurses und des Grundlehrganges für den Rechtskundigen Dienst an der Verwaltungsakademie des Bundes, 1998 in der Generalstabsgruppe C dienstverwendet, 1999 Überstellung zum Rechtskundigen Beamten und Referatsleiter, 2003-2006 postgraduales Studium zum Akademischen Balkanologen; seit 2008 Referatsleiter Vereinte Nationen & Internationale Kooperationen. Insgesamt sieben Jahre Friedenseinsätze bei den Vereinten Nationen als Offizier in Zypern, Syrien, Iran und Indonesien und als Zivilbediensteter Abteilungsleiter als Chief Logistics Officer in UNTAET in Osttimor (2000). Einsatzplaner der OSZE von 2001-2008, 2006: Chief Operations Service bei der OSZE. Dienstverwendung in der Balkanregion und Osteuropa während der Dienstzeit bei der OSZE.

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