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Militärpolitik: Nachdenken über eine "Neue NATO"

Die NATO leitete die Entwicklung ihres neuen strategischen Konzeptes in einer breit angelegten Diskussionsveranstaltung am 7. Juli 2009 in Brüssel ein. Dem vorangegangen war das "Kommuniqué über die Sicherheit der Allianz" zum Abschluss des NATO-Gipfels von Straßburg-Kehl Anfang April dieses Jahres.

Die Herausforderungen, vor denen die NATO steht, sind vielfältig und gehen tief. In den beinahe zwanzig Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die NATO beträchtlich erweitert und zahlreiche Operationen in einem geografisch veränderten, sich dynamisch entwickelnden sicherheitspolitischen Spektrum durchgeführt. Darüber hinaus beschäftigte sie sich mit Fragen, die mit ihrem ursprünglichen Konzept der kollektiven Verteidigung nichts mehr direkt zu tun haben. Diese Entwicklung hat sich vor allem nach dem 50-Jahre-Jubiläumsgipfel von Washington und dem dort verabschiedeten strategischen Konzept stark beschleunigt.

Eine einschneidende Zäsur in dieser Entwicklung bildeten allerdings die Terrorangriffe vom 11. September 2001. Die NATO hat nun neue und vielfältige Situationen und Fragestellungen zu bewältigen, ohne dass dafür eine generelle und langfristig anwendbare strategische Leitlinie existiert.

Diese "neuen" Fragen werden nur sehr zögernd gestellt, da sie Fundamente der NATO betreffen. Sie erfassen z. B. auch den Artikel 5, die Rechtsgrundlage der Beistandsverpflichtung. Die Frage, ob die Allianz noch eine Beistandsverpflichtung gegen einen bewaffneten Angriff benötigt, wird bis jetzt mit einem deutlichen "Ja" beantwortet, ist doch eine Allianz auf der Grundlage der Beistandsverpflichtung die formelle - und stabilste - Grundlage der transatlantischen Beziehung. Auch die Möglichkeit eines neuerlichen Eintretens von Szenarien des Kalten Krieges ist nicht ausgeschlossen.

Dieses Beharrungsvermögen innerhalb der NATO wird ein bestimmender Faktor in der Diskussion über eine neue strategische Ausrichtung bleiben, allerdings in einem deutlich geänderten Umfeld: Die EU hat sich mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam zu einem international wirksamen Akteur entwickelt, der in rasch zunehmendem Maße nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitspolitische Interessen seiner Mitgliedstaaten wahrnimmt. Sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, wird die Frage der "sicherheitspolitischen Arbeitsteilung" von NATO und EU weiter an Bedeutung gewinnen, weil die EU dann in diesem Bereich wesentlich dynamischer agieren werden könnte.

Die NATO hat in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Partnerschaften geknüpft, die geografisch weit über das ursprüngliche Bündnisgebiet hinausreichen. Das neue strategische Konzept wird auch Antworten finden müssen, wo die Grenzen der globalen sicherheitspolitischen Verantwortung der NATO liegen.

Die öffentlichkeitswirksame Fragestellung in der Diskussion vom 7. Juli lautete sinngemäß: "Wo bringt die NATO einen Mehrwert ein?" Derzeit bringt die NATO diesen "Mehrwert" überall dort ein, wo militärische Fähigkeiten gefragt sind, die in ausreichender Menge nur durch die USA oder durch NATO-eigene Strukturen bereitgestellt werden können. Ein weiterer "Mehrwert" der NATO liegt in ihrer Struktur als politisches Forum und Entscheidungsgremium für Sicherheitsfragen - einschließlich deren Diskussion - im breiten, transatlantischen Rahmen.

In den Diskussionen zur Schaffung eines neuen strategischen Konzeptes wird es um die Bestätigung dieses "Mehrwertes" der NATO in militärischer Hinsicht gehen sowie um die Frage, ob in neuen Aktionsfeldern der Sicherheitspolitik (wie vor allem Energie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Klimawandel sowie Terror) ebenfalls ein "Mehrwert" der NATO möglich ist.

Im Zusammenhang mit der letzten Frage wird auch die Positionierung der NATO im internationalen Umfeld zu prüfen sein. Dabei spielen die Beziehungen zur EU, zu den Vereinten Nationen sowie zur OSZE ebenso eine Rolle, wie die Beziehung zu Russland und die Berücksichtigung der Beziehung zwischen der EU und den USA. Auch der Fähigkeit der EU, den Weg der politischen Integration weiter zu gehen, wird dabei eine hohe Bedeutung zukommen. Je eher die EU außenpolitisch in einem breiten Feld von Situationen wirksam und nachhaltig auftreten kann, umso rascher und vehementer wird sich der NATO die Frage stellen, wo sie z. B. im Bereich der Energiesicherheit einen spezifischen "Mehrwert" erbringen kann.

Österreich bietet der Nachdenkprozess in der NATO jedenfalls die Möglichkeit, Bilanz über seine Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden zu ziehen und das Potenzial dieser Mitgliedschaft für die kommenden Jahre auszuloten. Dabei werden die Ansätze des neuen strategischen Konzeptes der NATO eine Rolle spielen, weil diese den Stellenwert der Partner in der NATO-Sicherheitspolitik verändern könnten.

Jedenfalls kann Österreich schon jetzt auf 14 erfolgreiche Jahre im Rahmen der NATO Partnerschaft für den Frieden zurückblicken.

Autor: Generalmajor Wolfgang Wosolsobe

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