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Flugabwehr am virtuellen Flugplatz

Die Ausbildungsanlage Simulator Fliegerfaust "Stinger"

Flugplätze gegen Luftbedrohungen zu schützen - oftmals sogar weit außerhalb Europas und ohne lange Vorbereitungszeit - zählt zu den Standardaufträgen der Flugabwehrgruppen des Objektschutzbataillons der deutschen Luftwaffe. Eine intensive Einsatzausbildung vor Ort ist dabei oft unmöglich. Kommen aber die Soldaten nicht zum Flugplatz, dann kommt der Flugplatz zu ihnen - am Simulator.

Eben war es nur ein Punkt. Doch nun erkennt der Kommandant des Fliegerfausttrupps im Doppelfernrohr die Silhouette eines kleinen Erdkampfflugzeuges. Den Landeanflug einer angemeldeten Transportmaschine für Hilfsgüter ausnützend, nähert es sich rasch dem einzigen Flughafen der Hauptstadt. Zielansprache! Sekunden später erfasst der "Stinger"-Schütze das Ziel … Auf Situationen wie diese müssen die Fliegerfausttrupps der Flugabwehrgruppen des Objektschutzbataillons der deutschen Luftwaffe (siehe auch "Objektschutz ernst genommen", TD Heft 4 und 5/2003) vorbereitet sein. Denn sie haben - ob in Afghanistan, am Horn von Afrika oder wo auch immer - für Friedensschaffende Einsätze benötigte Flugplätze ab Einsatzbeginn gegen Luftbedrohungen zu schützen. Anders als die Flugabwehr in einer kriegerischen Auseinandersetzung arbeiten sie dabei in einer scheinbaren Normalität: Sie sind nicht Teil einer Krieg führenden Partei, und es gibt regulären Flugverkehr in einem - noch oder schon wieder existierenden - zivilen Umfeld. Inmitten dieser scheinbaren Normalität können die Soldaten dennoch innerhalb von Sekunden gezwungen sein, ihre tödlichen Waffen einzusetzen.

In der Ausbildung jedes dieser Fliegerfausttrupps (offizielle Bezeichnung Flugabwehrtrupp Fliegerfaust - FlaTrupp-Flf) geht es demnach nicht nur um die Handhabung der Waffen, sondern auch um deren Einsatz in diesem Umfeld. Eine Ausbildungshilfe dafür ist die Ausbildungsanlage Simulator Fliegerfaust "Stinger" (AASFS). Mit ihr werden - nach der Einzelausbildung - Flugabwehrtrupps Fliegerfaust "Stinger" ausgebildet und einsatzbereit gehalten, denn diese müssen nach der Verlegung in den Einsatzraum sofort und verlässlich flugabwehrfähig sein, um Kräfte, Anlagen und Objekte vor Angriffen aus der Luft schützen zu können.

Was der Simulator kann

Das Schwergewicht der Ausbildung mit der AASFS liegt auf - der Führerausbildung (Kommandantenausbildung) zur Beherrschung der Einsatzgrundsätze und Einsatzverfahren sowie - dem sicheren Handeln des "Stinger"-Schützen unter extremen, sich ändernden Bedingungen. Die Ausbildungsanlage erlaubt zusätzlich die Überprüfung der Flugabwehrtrupps Fliegerfaust unter Gefechtsbedingungen und - damit verbunden - die Festlegung des Status der Einsatzfähigkeit der Trupps.

Der AASFS der Luftwaffe wird durch Kaderpersonal der 3. Staffel (Kompanie) des Objektschutzbataillons der Luftwaffe betrieben. Dieser für die Flugabwehr im Objektschutz zuständigen 3. Staffel unterstehen die Flugabwehrtrupps Fliegerfaust "Stinger" des Verbandes.

Die Ausbildungsanlage ist unter Anwendung digitaler Technik modular aufgebaut. Eine Anpassung an andere tragbare Waffensysteme ist mit relativ geringem Aufwand möglich.

Die AASFS ist vom Originalwaffensystem unabhängig, benötigt keine eigene bauliche Infrastruktur (z. B. eine Kuppel, in die Ziele projiziert werden) und ist verlegbar. Sie erlaubt - anders als viele ältere Simulatoren - die gleichzeitige und auf ihr einsatzmäßiges Zusammenwirken abgestimmte Ausbildung des Truppkommandanten und des Richtschützen (in der Bundeswehrterminologie Fliegerfaust/Truppführer und Fliegerfaust/Schütze; der Truppführer ist ein Flugabwehrunteroffizier, der Schütze ein Flugabwehrsoldat).

Der Kommandant und der Schütze befinden sich dabei - unter Aufsicht und Steuerung eines Ausbilders - gleichzeitig in derselben virtuellen Realität, simuliert mittels Head Mounted Displays. Das sind die "Helme", in denen man die virtuelle Umgebung wahrnimmt; wendet man damit den Kopf, blickt man in ihr nach rechts bzw. nach links. Schauen Kommandant und Schütze gerade in dieselbe Richtung, sehen sie, voneinander unabhängig, in ihren "Helmen" dasselbe Gelände, dieselben Wolkenformationen - und dieselben Flugziele. Sie können aber auch in verschiedene Richtungen beobachten.

Geübt wird stehend in Gefechtsadjustierung, die Kommandos und Tätigkeiten entsprechen der Realität. Die Übenden können einander in der virtuellen Welt sogar sehen - als so genannte Figurinen (beim AASFS sind das vereinfachte grafische Modelle von Soldaten). Darüber hinaus kann der Truppführer - dank eines in das System integrierten Doppelfernrohres mit bis zu zwanzigfacher Vergrößerung - die virtuellen Ziele deutlicher erkennen und sie danach dem Schützen zuweisen, nicht nur durch Zuruf, sondern auch mittels Handzeichen. Im "Helm" des "Stinger"-Schützen gibt dann die Kommandantenfigurine zeitgleich genau dieses Handzeichen.

Der Truppführer kann über seinen "Helm" ebenfalls (grob) wahrnehmen, ob oder wie nun der Schütze bzw. dessen Figurine die Waffenattrappe handhabt. Er sieht also dessen Reaktion, erkennt z. B. grobe Richtungsfehler - und kann, falls erforderlich, rechtzeitig eingreifen.

Durch diese am AASFS mögliche Interaktivität kann das unverzichtbare Teamwork im Trupp geübt und vertieft werden. Das ist eine wesentliche Grundlage für den optimalen Ausbildungserfolg.

Die Hauptkomponenten

Die Hauptkomponenten dieser Ausbildungsanlage sind - je ein Ausbildungsplatz für einen Flugabwehrunteroffizier als Fliegerfaust/Truppführer und einen Flugabwehrsoldaten als Fliegerfaust/Schütze, - das Simulationssystem, - das Kommunikationssystem sowie - das Leitungs- und Auswertesystem mit dem Ausbilderplatz.

Die Ausbildungsplätze des Fliegerfaust/Truppführers und des Fliegerfaust/Schützen werden wahlweise - in einem ohne weitere Hilfsmittel aufzubauenden, schnell verlegbaren 20-Fuß-Container oder - in einem Hörsaal (Lehrsaal) betrieben. Die Soldaten können damit sowohl in der Vorbereitungsphase am Heimatstandort als auch bei längerfristigen Übungen oder Einsätzen vor Ort permanent an ihrem Waffensystem trainieren. Das gewährleistet eine ständige hohe Einsatzbereitschaft.

Vom echten Flughafen zum virtuellen

Zum wirklichkeitsgetreuen Erstellen von Landschaften (Datenbasen), Flugzielen und anderen Objekten (z. B. Trefferdarstellung) dient die so genannte Datenbasisgeneriereinrichtung (DBGE). Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich modernste Digitaltechnik. Mit ihrer Hilfe kann der Ausbilder u. a. 360°-Geländefotografien (z. B. Panoramabilder des Kabul International Airport und dessen Umgebung) in Bilder umsetzen. Diese werden dann - verbunden mit der Zieldarstellung - dem auszubildenden Truppführer und dem "Stinger"-Schützen in Echtzeit in das Head Mounted Display (den "Helm") eingespielt.

Ein möglicher neuer Einsatzort wird also erkundet, aufgenommen, und dann kann "dort" geübt werden, bevor die Soldaten körperlich "dorthin" verlegen.

Die Übungen umfassen die Vorgänge im Trupp von der Überwachung eines zugewiesenen Sektors über die Zielansprache bis zur erfolgreichen bzw. nicht erfolgreichen Zielbekämpfung. Das Vorüben realer Situationen am AASFS hat sich bereits bei mehreren taktischen Schießen in Polen bewährt. Ging dem Schießen eine Simulatorausbildung mit Darstellung der entsprechenden Feuerstellungen und deren Umgebung (als Datenbasis) voraus, waren die Trefferergebnisse deutlich besser.

Mit den grafischen Ein- und Ausgabegeräten des Systems lassen sich interaktiv die Elemente der Datenbasen, Flugziele und Objekte erstellen, ändern bzw. ergänzen (Vegetation, Gebäude, Tageszeit, Sichtverhältnisse, verschiedenste Luftfahrzeuge, Anflugprofile, Darstellung von Treffern usw.). Damit können aufeinander aufbauende Übungsblöcke erstellt, einsatzortbezogene Normübungen gestaltet und die Überprüfung der Trupps vor möglichen Einsätzen vorbereitet werden.

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Flugabwehr - Fliegerabwehr

Der Bundeswehr-Begriff Flugabwehr entspricht grob dem Bundesheer-Begriff Fliegerabwehr, der Bundeswehr-Begriff Fliegerabwehr hingegen dem Bundesheer-Begriff Fliegerabwehr aller Truppen. Die im Beitrag beschriebenen Fliegerfausttrupps "Stinger" zählen daher zur Flugabwehr.

Die Bezeichnung Fliegerfaust ist vom gängigen Begriff Panzerfaust abgeleitet.

___________________________________ ___________________________________ Autor: Hauptfeldwebel Bernd Meyer (Deutschland), Jahrgang 1965. 1986 Unteroffiziersausbildung (Waffengattung: Radarführungsdienst), 1990 Feldwebelausbildung (Waffengattung: Radarführungsdienst); 1997 Wechsel zum Objektschutzbataillon der Luftwaffe (Flugabwehr im Objektschutz); mehrere Auslandseinsätze u. a. in Usbekistan und Afghanistan; seit 1997 als Ausbilder an der Ausbildungsanlage Simulator Fliegerfaust "Stinger" eingesetzt.

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