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Das Österreichische Bundesheer in Afghanistan

Neuerliche Beteiligung an ISAF

Deutsch-österreichische Fachgespräche auf Ministerebene im März dieses Jahres bildeten die Basis: Das Österreichische Bundesheer beteiligt sich an der Verstärkung von ISAF zur Sicherstellung der im September 2005 geplanten Parlamentswahlen in Afghanistan. Das ist der Ausgangspunkt für ein militärstrategisch-operatives Planungsverfahren, an dessen Endpunkt die erfolgreiche Implementierung von AUCON 3/ISAF steht.

Mit der ersten Planungsweisung des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) vom 16. März 2005 wurden die Eckpunkte des ISAF-(International Security Assistance Force-)Kontingentes festgelegt. Diese waren:

- Obergrenze der personellen Stärke; - Lead Nation und Führungsverhältnisse; - Gliederungs- und Leistungsvorgaben; - Entsendezeitraum.

Das Kommando Internationale Einsätze (KdoIE) erstellte daraufhin ein operatives Konzept als Basis für die politisch-militärstrategische Beschlussfassung. Bereits von Beginn an waren die von einer möglichen Formierung betroffenen Kommanden der oberen Führung, verschiedene Ämter sowie, über den Verbindungsoffizier des Bundesheeres, das Einsatzführungskommando der Deutschen Bundeswehr eingebunden. Im Wesentlichen wurden beurteilt:

- die Lage im Einsatzraum und die Bedrohungslage; - derzeit im Einsatz befindliche Kräfte und ihre Aufträge; - Rules of Engagement; - Einsatz- und Operationsräume; - erwartbare geforderte operationelle und logistische Fähigkeiten; - logistische Rahmenbedingungen; - bestehende Kooperationsabkommen (Technical Agreements).

Daraus abgeleitet wurden Vorschläge zu folgenden Punkten erarbeitet:

- Gliederung und Organisation; - Ausrüstung/Ausstattung; - eventuell erforderliche Modifikationen von Fahrzeugen (Einbau von IKT-Gerät); - Formierungsverantwortung und Formierungsabläufe; - Einsatzvorbereitung; - Vorstaffelungen; - Entsendeabläufe; - notwendige nationale Vorbehalte; - Ergänzung bestehender Technical Agreements; - Einsatzlogistik und Transport; - Führungsunterstützung; - eine erste Kostenabschätzung.

Dieses operative Konzept ist einerseits ein Beitrag für die militärstrategische Vorbereitung der politischen Beschlussfassung und andererseits eine Basis für die notwendigen Planungen und Entscheidungen zur Formierung, welche in weiterer Folge in der Formierungsweisung zusammengefasst werden.

Zusätzlich zu den bereits vorhandenen Informationen sowie jenen Details, die vom Einsatzführungskommando der Deutschen Bundeswehr übermittelt wurden, führte das KdoIE eine Erkundung im Einsatzraum durch. Diese Erkundung brachte wichtige zusätzliche Erkenntnisse in folgenden Bereichen:

- Erstellung von Fähigkeitsprofilen sowie deren Auswirkungen auf die Einsatzvorbereitung, Ausrüstung/Ausstattung; - Erarbeitung der Ausbildungsgrundlagen; - Details zur logistischen Kooperation samt den Abrechnungsmodalitäten mit der Lead Nation; - Führungsunterstützung.

Am 7. Juni dieses Jahres erfolgte der Ministerratsbeschluss sowie nachfolgend die einvernehmliche Behandlung der Entsendung im Hauptausschuss des Nationalrates. Der Ministerratsbeschluss sieht eine Obergrenze von maximal 100 Soldaten und eine Entsendedauer von zunächst längstens bis 31. Oktober 2005 vor. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Einsatz verlängert werden muss, wird im September zu beurteilen sein, damit eine allfällige Rückverlegung ordnungsgemäß vorbereitet werden kann.

Aufgrund des besonderen Zeitdrucks wurde die Formierungsbesprechung des BMLV - unter dem Vorbehalt der noch ausständigen politischen Beschlussfassung - bereits am 25. Mai vorgestaffelt durchgeführt.

Der Einsatzraum

Der Einsatzraum liegt im Nordosten des Landes und umfasst die Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan. Die Sicherheitslage ist im Vergleich zu anderen Landesteilen relativ ruhig, aber nicht stabil. In den usbekisch und tadschikisch beeinflussten Gebieten fehlt Gruppierungen wie den Taliban oder Herzb-e Islami die Unterstützung.

Die Straßenverhältnisse erfordern geländegängige, wendige Fahrzeuge mit einem Schutz gegen Minen und Road-Side-Bombs (Richtladungen am Straßenrand, die beim Passieren eines Fahrzeuges ferngezündet werden) sowie gegen leichte Hand- und Faustfeuerwaffen.

Dieses ehemalige Rückzugsgebiet der Nordallianz im Kampf gegen die Taliban ist das Einflussgebiet von Ex-Verteidigungsminister Mohammed Fahim, der mehrfach Niederlagen hinnehmen musste: die Weigerung des Ministerpräsidenten Karzai, ihn als Vizepräsidenten zu akzeptieren, seine spätere Entfernung aus dem Kabinett sowie ein massiver Einflussverlust innerhalb der tadschikischen Ethnie.

Der langjährige Stadthalter Fahims, General Muhammed Daoud, wurde im Sommer 2004 durch seine Bestellung zum stellvertretenden Innenminister für Drogenbekämpfung von seiner Machtposition als Korpskommandant entfernt. Trotzdem setzte er im Februar 2005 einen wichtigen Schritt zum Erhalt seiner Macht. Nach der Entwaffnung seiner Milizverbände im Rahmen des Disarmament-Demobilisation-Reintegration-(DDR-)Projektes, wurde aus seinen ihm treu ergebenen Eliteverbänden eine etwa 750 Mann starke "Interim Force" gegründet, deren Aufgabe es ist, die von den eigenen Verbänden abgegebenen Waffen zu bewachen. Einziger ernst zu nehmender Gegenspieler Daouds in den Nordostprovinzen ist der Usbekenführer Abdul Rashid Dostum mit seiner etwa 300 Mann starken Leibwache, der von Ministerpräsident Karzai als "Chief of Staff of the Commander in Chief of the Afghan Armed Forces" eingesetzt wurde.

Das Provincial Reconstruction Team Kunduz

Das Provincial Reconstruction Team (PRT) Kunduz besteht aus einem militärischen und einem zivilen Anteil, was eine intensive Koordination und enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Teilen erfordert.

Der zivile Anteil umfasst Elemente des deutschen Außen- und Innenministeriums sowie des Deutschen Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der militärische Anteil gliedert sich in Stabskompanie (StbKp), Schutzkompanie (SchutzKp), Sanitätskompanie (SanKp) und die durch das Österreichische Bundesheer entsandte Verstärkungskompanie (VstkgKp) für die Wahlen. Gemeinsamer Vorgesetzter der militärischen und zivilen Teile ist der Deutsche Bundesaußenminister.

Der Zweck des PRT ist es, die afghanische Übergangsregierung (Islamic Transitional Government of Afghanistan, ITGA) bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte im Raum Kunduz zu unterstützen. Dies geschieht durch die Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte, durch die Koordinierung von Wiederaufbaumaßnahmen sowie durch die Hilfe bei der schrittweisen Übernahme der Regierungsgeschäfte.

Dazu hält das PRT enge Verbindung zu allen im Einsatzraum relevanten internationalen, staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen (IOs, GOs, NGOs).

Das PRT hat dabei folgende Aufgaben:

- Unterstützung des Aufbaus der Arbeitsfähigkeit der afghanischen Behörden ("Institutional Capacity"); - Verstärkung des Gefühls der Sicherheit in der Bevölkerung; - Unterstützung des Wiederaufbaus in Afghanistan; - Koordinierung von Projekten der afghanischen Regierung, der Vereinten Nationen sowie der NGOs; - Wegbereiter für IOs und NGOs; - Halten der Verbindung zu allen relevanten Organisationen im Einsatzraum.

Im Rahmen verfügbarer Ressourcen wird dabei auch - der Disarmament-Demobilisation and Reintegration-Prozess unterstützt, - bei der Ausbildung der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) mitgewirkt, - das Anti-Drogen-Programm passiv unterstützt und - die Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten durch CIMIC-Projekte forciert.

Das Kontingent

Das Kontingent wurde mit Masse durch die Task Force 6 der Landstreitkräfte des Österreichischen Bundesheeres formiert. Dazu mussten vor dem Beginn der eigentlichen Einsatzvorbereitung die Heereslenkerberechtigungen für den Mannschaftstransportpanzer (MTPz) "Pandur" erworben sowie die Lufttransportfähigkeit und Crowd and Riot Control-(CRC-)Fähigkeit hergestellt werden.

Das Kontingent hat eine Gesamtstärke von 93 Mann. Dazu kommen noch die zwei Stabsmitglieder im HQ/ISAF.

Aufgrund der Bedrohungslage werden 12 MTPz "Pandur", ein Sanitäts-"Pandur" und bis zu sechs Allschutz-Transport-Fahrzeuge (ATF) "Dingo" 2 eingesetzt.

Die infanteristischen Teile haben folgende Aufgaben:

- Sicherung der Flughäfen in Kunduz und Feyzabad; - Sicherung von Transporten und temporären Stützpunkten (Sub-Stations) außerhalb des Camp Kunduz; - Sicherstellung der Freiheit der Bewegung entlang der Hauptbewegungslinien; - Durchführung von Patrouillen einschließlich Gesprächsaufklärung; - Erkundungen für Evakuierungsoperationen und Checkpoints; - Bereitschaft für die Übernahme der Sicherung und Verteidigung des Camps; - Einsatz als Quick Response Force (QRF) für Evakuierungen im Zusammenwirken mit Militärpolizei (MP), Explosive Ordnance Disposal-(EOD) Experten und Medical Evacuation (MEDEVAC).

Die Kompanien erhalten hiezu durch das Joint Operation Center (JOC) Wochenaufträge zur Durchführung von Eskorten und Patroullien. Jedes Element des PRT, welches in die Area of Operation (AOO) fährt, wird von einem Operational Team (OT) der Schutzkompanie begleitet.

Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Tätigkeiten zur Sicherung der Wahlvorbereitung grundsätzlich ähnliche operationelle Verfahren zur Anwendung gelangen.

Der Einsatz im Rahmen von CRC- Aufgaben und Lufttransporten ist darüber hinaus jederzeit möglich.

Das Camp

Das österreichische Kontingent ist im neu errichteten Teil des Camp Kunduz in Containern untergebracht. Die niedere Bauweise ist Teil des Schutzes der Truppen vor ungelenkten Raketen, weil durch die umliegenden Häuser die Container der direkten Sicht entzogen sind. Der Beschuss der Camps mit ungelenkten Raketen ist in Afghanistan eine latente Bedrohung.

Logistisch und hinsichtlich der Führungsunterstützung stützt sich das österreichische Kontingent primär auf die Einrichtungen der Bundeswehr ab.

Der Aufmarsch

Vorgestaffelt wurden am 18. Juli ein Vorkommando und die AUNIC von Linz nach Köln und von dort mit einem Airbus der Deutschen Bundeswehr nach Termes in Usbekistan verlegt. Von dort erfolgte der Weiterflug nach Kunduz am 20. Juli. Die Hauptkräfte wurden am 2. und 3. August - ebenfalls von Linz aus - in insgesamt fünf Lifts mit Transportflugzeugen C-17 der US Air Force nach Kabul verlegt. Von Kabul aus wurde Kunduz im Landmarsch durch den Salang-Tunnel erreicht.

Zusammenfassung

Mit dem Wiedereinstieg Österreichs in die Mission ISAF wurde neuerlich die durch die Aufstellung von Kaderpräsenzeinheiten verbesserte Reaktionsfähigkeit des Bundesheeres unter Beweis gestellt. Durch die Beschaffung von Fahrzeugen mit hohem Schutzfaktor und deren Eignung für PSO-Einsätze, wie dem "Dingo" 2, konnte das Kontingent auftragsbezogen ausgerüstet werden. Die fast vollständige Abstützung auf die Lead Nation Deutschland hilft mit, die Kontingentsmodule für nationale Führungsaufgaben sowie Einsatzunterstützungs- und Führungsunterstützungsaufgaben gering zu halten. Durch das reibungslose Zusammenwirken der militärstrategischen und operativen Planung konnte das Kontingent den Einsatzbedingungen entsprechend gegliedert und ausgerüstet, rasch formiert und rechtzeitig entsandt werden.

___________________________________ ___________________________________ Autor: Brigadier Mag. Günter Ruderstaller, Jahrgang 1956. Ausmusterung 1982 zum Landwehrstammregiment 37; Verwendung als Ausbildungsoffizier, Kompaniekommandant und S3. Generalstabskurs von 1988 bis 1991; danach Einteilung als stellvertretender Leiter der G3-Abteilung im Korpskommando I. Bataillonskommandant bei AUSBATT/UNDOF 1997 bis 1998, anschließend G5 und G6 im Korpskommando I. Seit 2002 G3 im Kommando Internationale Einsätze.

Der Inhalt dieses Beitrages basiert auf dem Stand vom 4. Juli 2005. Manche Aussagen können zu dem Zeitpunkt, an dem Sie diesen Beitrag lesen, durch die aktuelle Entwicklung bereits überholt sein.

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