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Kommentar: Wehrfähigkeit - Wehrwilligkeit in Österreich 1938

2008 gedenkt Österreich der tragischen Ereignisse rund um das Jahr 1938, und selbst 70 Jahre danach sind die Diskussionen, ob Österreich Hitlers erstes Opfer oder doch Mittäter war, nicht verstummt. Nur allzu präsent sind die Bilder vom Heldenplatz, als eine tobende Menschenmenge, Fahnen schwingend und mit Jubelschreien, Hitler begrüßte. Zu Recht stellt sich die Frage: Warum leistete das Österreichische Bundesheer damals keinen Widerstand? Hitler selbst war sich dieser friedlichen Übernahme Österreichs nämlich keineswegs sicher, denn seine Weisung für den Einmarsch vom 11. März 1938 lautete: "Ich beabsichtige, wenn andere Mittel nicht zum Ziele führen, mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken, um dort verfassungsmäßige Zustände herzustellen und weitere Gewalttaten gegen die deutschgesinnte Bevölkerung zu unterbinden." Blicken wir zurück in die Geschichte des Bundesheeres der Ersten Republik: Der im Juni 1920 in Kraft getretene Friedensvertrag von Saint Germain-en-Laye billigte Österreich ein Berufsheer zu, wobei der erlaubte Höchststand von 30 000 Soldaten freilich nie erreicht wurde. Verboten waren schwere Artilleriewaffen, der Unterhalt von Luftstreitkräften, die Einfuhr von Waffen, Munition und Kriegsmaterial sowie die Allgemeine Wehrpflicht.

Mit der Übernahme des Oberbefehls über das Bundesheer durch den General der Infanterie Wilhelm Zehner 1934 begann auch eine Phase der Modernisierung. Ermöglicht wurde sie durch die vom Völkerbund in Genf genehmigten Lockerungen des Vertrages von Saint Germain; notwendig geworden war sie aufgrund der ständigen Bedrohung der Unabhängigkeit Österreichs. Durch die 1936 beschlossene Bundesdienstpflicht - und damit die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht, die für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren eine einjährige Dienstverpflichtung vorsah - wurde die Präsenzstärke des Bundesheeres von rund 20 000 Mann im Jahre 1935 auf etwa 60 000 Mann im März 1938 angehoben. Der Mobilmachungsstand betrug 1938 rund 125 000 Mann, die Milizstärke über 100 000 Mann. Raum- und Grenzschutzaufgaben rückten zunehmend in den Blickpunkt.

Die Gliederung der Verbände wurde den damaligen Anforderungen angepasst und mit sieben Infanteriedivisionen, einer selbstständigen Brigade und einer schnellen Division festgesetzt. Dies erforderte naturgemäß auch eine Beschaffung moderner Waffen und Geräte, wie beispielsweise des 4,7-cm-Infanteriegeschützes Böhler Muster 1935/36. Auch die Dotation der motorisierten Verbände und der technischen Truppen erfuhr durch die Zuweisung moderner Geräte eine deutliche Verbesserung. Völlig neu aufgestellt wurde die Fliegertruppe, und die Beschaffung von gepanzerten Fahrzeugen sowie der 1919 verbotenen schweren Artillerie wurden besonders gefördert. Dennoch bestand ein Großteil der Bewaffnung des Heeres weiterhin aus Gerät aus dem Ersten Weltkrieg.

Bereits 1935 war ein Generalstab geschaffen worden. Der Chef des Generalstabes, Feldmarschallleutnant Alfred Jansa, arbeitete ein großangelegtes Verteidigungskonzept aus, das allerdings bereits 1936 in Berlin bekannt war. Trotz der Aufrüstung und Modernisierung des Bundesheeres war 1938 die Bewaffnung teils veraltet, Panzerabwehrwaffen fehlten, und nur die Hälfte der Milizsoldaten konnte mit Gewehren ausgestattet werden.

Dennoch war General Zehner - ein erklärter Gegner des NS-Regimes - bereit, Österreich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen einen deutschen Einmarsch zu verteidigen. Unterstützung hätte er aus den eigenen Reihen erhalten, denn nicht nur die beiden ranghöchsten Soldaten Österreichs, General Zehner und Feldmarschallleutnant Jansa waren NS-Gegner, sondern auch eine Vielzahl ihrer Kameraden hätte einem Einsatzbefehl gegen die Truppen des Deutschen Reiches Folge geleistet. Doch die Politik entschied anders: Bundeskanzler Kurt Schuschnigg befahl, beim Einmarsch Hitlers "kein deutsches Blut zu vergießen", und General Zehner wurde gleich am 11. März 1938 zwangspensioniert (General Jansa war bereits am 17. Februar pensioniert worden). Am 15. März 1938 wurden nochmals 13 Generale und 50 Stabsoffiziere entlassen, 70 weitere folgten in den Wochen darauf. Bis 1939 wurden insgesamt 55 Prozent aller Generale, 40 Prozent der Obersten sowie 14 Prozent der übrigen Dienstgrade "von der Übernahme in die Wehrmacht ausgeschlossen". Nach dieser Säuberungsaktion durch die Nationalsozialisten lehnten in der Folge nur noch wenige Generale, Offiziere und andere Führungskräfte die Ableistung des Treueeides auf Adolf Hitler ab.

Das Österreichische Bundesheer hätte 1938 aus militärischer Sicht zwar keine Chancen gehabt, Österreich gegen einen Angriff der Deutschen Wehrmacht erfolgreich verteidigen zu können, und auch General Zehner war sich bewusst, dass Widerstand zu leisten Opfer bedeutet hätte. Doch wären 1938 Schüsse gefallen, hätte das die Verhandlungsposition Österreichs in der Folgezeit wohl gestärkt.

Autorin: Mag. Dr. Daniela Claudia Angetter

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